Abstracts zu den Referaten

Pestalozzi und die chinesischen Vokspädagogen im Vergleich

Prof. Dr. Shang Lihao

Der schweizerische „Heilige der Erziehung“ Pestalozzi ist sehr ähnlich wie Wu Xun in China, der armen Menschen private Schule ohne Schulgebühren anbot, und wie Tao Xingzhi, Pädagoge für das einfache Volk. Sie haben sich alle beharrlich für die Erziehung der Armen eingesetzt. Jedoch sind Pestalozzis pädagogische Gedanken und pädagogische Praxis umfangreicher als Wu Xun, der als „Pestalozzi in China“ geschätzt wurde. Wu Xun gilt eher als pädagogischer Praktiker, nicht aber als pädagogischer Denker für arme Menschen. Tao Xingzhi, Student der Columbia Universität in Amerika, hat Deweys pädagogische Gedanken aufgenommen und sie mit der Erziehungspraxis in China verbunden. Seine Gedanken über Erziehung für arme Menschen sind vielfältig. Er hat sich oft als Wu Xun bekannt. Tao Xingzhis Theorie der Erziehung durch das Leben findet Einklang mit Pestalozzis Gedanken über Erziehung für arme Menschen. Pestalozzi behauptet, dass die Erziehung psychologisch gestaltet werden sollte, und Tao Xingzhi plädiert dafür, dass das Kind im Mittelpunkt der Erziehung stehen müsste. Pestalozzi ist der Ansicht, dass das Leben ein grosser Erzieher ist, und Tao Xingzhi hat die Theorie von der Erziehung durch das Leben aufgestellt. Bei pädagogischen Gedanken von den beiden bestehen aber auch erkennbare Unterschiede: Pestalozzi bestätigt in vollem Masse die Funktion der Mutter bei der Erziehung der Kinder, Tao Xingzhi hingegen hat besonderen Nachdruck auf das Recht für Erziehung der Frauen, aber nicht ausreichend auf ihre Funktion bei der Erziehung gelegt.

Pestalozzi-Rezeption in der schweizerischen Lehrerbildung des 20. Jahrhunderts am Beispiel des Kantons Luzern

lic. theol. Guido Estermann

Die katholische Pädagogik wurde innerhalb der staatlichen Lehrerbildung in den katholischen Kantonen der Schweiz, vorab in Luzern, Zug und Schwyz im letzten Drittel des 19. Jahrhundert bis in die 50-Jahre des 20. Jahrhunderts zu einer allgemeinen Grundlage des Pädagogik- und Religionsunterrichtes. Dabei konnte der Anspruch einer inneren Moralität, wie sie von Pestalozzi vertreten wurde, nicht angenommen werden, ja wurde teilweise explizit als falsch beurteilt. Am Beispiel des Hitzkirchers Seminardirektors Franz Xaver Kunz (1847 – 1910) als Vertreter der katholischen Pädagogik trat ein scharfer Kritiker des Pestalozzianischen (reformierten) Menschenbildes auf. Moderater im Ton, aber im Grundsatz ebenso ablehnend war sein späterer Nachfolger Lorenz Rogger (1878-1954). Zwar anerkannten beide den Wert des methodischen Denkens, wie es von Pestalozzi entdeckt und beschrieben wurden, lehnten aber dessen Menschenbild ab. Beide Direktoren übten auf die Lehrerbildung des Kantons Luzern aufgrund ihrer langen Direktionszeit von 31, resp. 35 Jahren für die Luzerner Lehrerbildung zwischen 1876 – 1946 grossen Einfluss aus. Somit waren sie bezüglich einer offiziell kritischen Rezeption von Pestalozzi während dieser Zeit mitverantwortlich. Er später erfuhr Pestalozzi auch in der Luzerner Lehrerbildung eine differenzierte Rezeptionsgeschichte.

Wirkung und historische Position Pestalozzis in China. Ein Versuch – auf der Grundlage der Untersuchung entsprechender Schriften

Associate Prof. Zhao Weiping

Pestalozzis ist ein berühmter Pädagoge der neueren Zeit, dessen Wirkung damals und heute sehr gross ist. Noch grösser ist seine unmittelbare Wirkung auf Pädagogen seiner und späterer Zeit (wie Johann Friedrich Herbart, Friedrich Fröbel, Robert Owen), welche die Schulen, die Pestalozzi gegründet hatten, besichtigt und davon gelernt haben. Im Blick auf die Forschungsliteratur Chinas und des Auslands seit knapp hundert Jahren wissen wir, dass Pestalozzi auch über eine bedeutende historische Position verfügt, etwa wie die von Johann Amos Comenius, Jean Jacques Rousseau, Johann Friedrich Herbart und John Dewey).

Stichworte: Pestalozzi, Wirkung, historische Position

Kindgemässe Bildung: Was verstand Pestalozzi darunter und wird sie in der modernen Schule realisiert?

Prof. Dr. Michael Fuchs

Für Menschen des 21. Jahrhunderts ist es selbstverständlich, Kindheit als abgrenzbare Phase innerhalb des menschlichen Lebens zu verstehen. Kindern werden spezifische, entwicklungspsychologisch und anthropologisch beschreibbare Eigenschaften zugeschrieben. In Europa bildeten sich die Kindheitskonzepte im 18. Jahrhundert, also zu Lebzeiten Pestalozzis, heraus. Seit dieser Zeit werden Kinder als Wesen mit bestimmten Eigenschaften, Eigenheiten und Bedürfnissen wahrgenommen. Im Referat wird die Frage behandelt, welches Kindheitskonzept in Pestalozzis Schrifttum zum Ausdruck kommt. Dabei wird sichtbar, dass Pestalozzi Kindern spezifische Attribute zuschreibt und sie durchaus als Kinder wahrnimmt. Pestalozzis Pädagogik hingegen verbleibt in einem anderen Denken. Sie kann nicht im eigentlichen Sinne kindorientiert genannt werden. Er findet den Ausgangpunkt und die Norm seiner pädagogischen Maximen nicht beim Kind und seinen Entwicklungen gemässen, stufengerechten Handlungsmöglichkeiten, sondern vielmehr in der zu erzeugenden Zukunft des Kindes. Der Zukunftsbezug stellt auch heute noch ein Grundmuster pädagogischen Denkens und Konstruierens von Bildung dar. Die Ausrichtung des Bildungssystems auf Bildungsstandards zum Beispiel ist diesem Denken verpflichtet. Pestalozzi ist sicher nicht mehr in dem Sinne in der Schweizer Schule präsent, dass Lehrpersonen sich bei ihren pädagogischen Idealen und Gestaltungsideen auf Pestalozzi berufen würden. Die Grundstruktur seines pädagogischen Denkens hingegen, die einem evangelisch-protestantischen Denken entspringt, lebt als generelle Ausrichtung der Schule durchaus weiter.

Pestalozzis Gedanken zur Pädagogik in ländlichen Regionen und deren Bedeutung für das heutige China

Prof. Dr. Wang Baoxing

Der schweizerische demokratische Pädagoge Pestalozzi sieht das Nachfolgen der Natur und die Vereinfachung der Erziehung als Grundsätze der Erforschung erziehungswissenschaftlicher Theorien. Er hat das einzigartige System der „Pädagogik auf dem Lande“ konzipiert, um armen Menschen eine Verbesserung des Lebens und der sozialen Position durch Erziehung zu ermöglichen: nämlich Erhöhung des Selbstvertrauens und des Respekts durch Erziehung der Liebe und des Glaubens; Vereinfachung der Unterrichtsmethoden, Reform der Unterrichtsinhalte und Erhöhung der Wirkung und Aktualität der Erziehung auf dem Lande durch „Elementarbildung“; Förderung der Fähigkeit der ländlichen Bevölkerung zur Aufnahme der Arbeit und zur Pflege der Liebe zur Arbeit durch Arbeitserziehung. Das System der „Pädagogik auf dem Lande“ hat für die Entwicklung der ländlichen Erziehung des gegenwärtigen China mit beschleunigender Städteerweiterung und Industriealisierung eine vielseitige anregende Bedeutung.

Pädagogische Werte bei Pestalozzi und Schülerbeurteilung – unvereinbare Gegensätze?

Prof. Dr. Markus Roos

Eingangs des Referats wird danach gefragt, welches die zentralen Werte der Erziehungslehre Pestalozzis darstellen. Neben Werten wie Wahrheit, Sittlichkeit, Liebe, Gerechtigkeit, Nächstenliebe oder Vertrauen geht es Pestalozzi z.B. um eine allseitige Bildung der im Kinde angelegten Kräfte und damit um eine Bildung, welche über die gesellschaftliche Verwendbarkeit der Bildungsinhalte hinaus reicht. Über die Anschauung der realen Welt sollen die Kinder ein Wissen und Können aufbauen, das sich nicht in Schulfächer zwängen und mit ein paar Prüfungsfragen abprüfen lässt. Darüber hinaus geht es Pestalozzi darum, Kinder nicht als Masse (als "Haufen") wahrzunehmen, sondern als individuelle, werdende Menschen. Wie steht es aber mit solchen Werten im Rahmen der heute praktizierten Beurteilung von Schülerinnen und Schülern? Pädagogische Werte von Pestalozzi werden kaum eingelöst, wenn Schülerinnen und Schü-ler im Rahmen der Beurteilung zwecks Selektion miteinander verglichen werden. Seine pädagogischen Werte werden auch nicht zum Tragen gebracht, wenn Schülerinnen und Schüler in Prüfungen auf oberflächliches, unverstandenes Faktenwissen hin geprüft werden. Auch standardisierte Leistungstests be-schrän-ken sich stark auf ausgewählte, relativ leicht messbare Kompetenzen und sind deshalb nicht geeignet, eine umfassende Beurteilung von Schülerinnen und Schülern vorzunehmen. Wie könnte nun aber eine Schülerbeurteilung konzipiert sein, die den pädagogischen Anliegen von Pestalozzi entspricht? Eine Schülerbeurteilung im Geiste Pestalozzis misst die Kinder an ihren eigenen Möglichkeiten und Fortschritten, ist auf die Förderung der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet, fokussiert neben den kognitiven Fähigkeiten gleichwertig auch andere Aspekte wie z.B. prak-tische oder soziale Fähigkeiten und setzt stark auf die Selbstbeurteilung der Schülerinnen und Schüler. Eine solche Schülerbeurteilung setzt mehr auf Worte (Dialog, Berichte) als auf Zahlen. Sie ist möglich und wird auch vielerorts praktiziert, erfordert aber bei vielen Lehrpersonen ein Umdenken – und teilweise auch andere schulische Rahmenbedingugen. Prinzipiell handelt es sich bei Pestalozzis pädagogischen Werten und der Schülerbeurteilung aber nicht um unvereinbare Gegensätze.

Pestalozzis pädagogisch-philosophische Gedanken: Seine „Theorie von der menschlichen Natur“ als zentraler Leitfaden

Prof. Dr. Xiao Lang

Dieser Vortrag geht auf die „Theorie von der menschlichen Natur“ ein, die Pestalozzi in seinen Werken „Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“, „Lienhard und Gertrud“ sowie im „Schwanengesang“ zum Ausdruck gebracht hat. Es wird erörtert, welche Charakteristik und Wirkung die pädagogisch-philosophischen Gedanken Pestalozzis haben. Ferner wird die historische Position Pestalozzis kommentiert durch die Untersuchung und den Vergleich seiner „Theorie von der menschlichen Natur“ und seiner pädagogisch-philosophischen Gedanken mit denen von Rousseau und Kant.

Pestalozzis Internetpräsenz und der mögliche pädagogische Nutzen für die heutige Schule

Prof. Dr. Gerhard Kuhlemann

Zuerst wird auf die Konzeption und die Gliederung der Informationen der Website www.heinrich-pestalozzi.de eingegangen und die Nutzung dieser Website dargestellt: Die Zahl der Besucher, die Herkunft der Besucher und die Zahl der Aufrufe einzelner Webseiten. Danach wird ein Überblick über die Entstehung, das Wachstum und den derzeitigen Umfang der Website www.heinrichpestalozzi. de gegeben. Es werden dabei die verschiedenen Navigationsmöglichkeiten aufgezeigt, wobei besonders auf die fremdsprachigen und und im Sinne dieses chinesisch-schweizerischen Symposiums auf die chinesischen Texte der Website hingewiesen wird.

Im dritten Teil wird der mögliche pädagogische Nutzen für die heutige Schule und Erziehung herausgearbeitet. Ausgehend von Pestalozzis Darstellung der „Idee der Elementarbildung“ in seinem letzten grossen Werk „Schwanengesang“ von 1826 werden stichwortartig weitere Anregungen Pestalozzis für die heutige Schule diskutiert: Was ist der Mensch, Kräftebildung, Armenerziehung, Bedeutung der Mutter und der frühkindlichen Förderung und Bildung und Erziehung in Abhängikeit von sozialen und politischen Verhältnissen, wobei u.a. auf Pestalozzis Werke „Lienhard und Gertrud“, „Nachforschungen“ und „Stanser Brief“ zurückgegriffen wird. Zum Schluss werden die Teilnehmer aufgefordert, Anforderungen und Anregungen für den weiteren Ausbau der Website www.heinrich-pestalozzi.de zu benennen und zu diskutieren.

Pestalozzis Erziehungsgedanken im Kontext der Fundamentalerziehung in China

Prof. Zheng Fangxian

Seit 30 Jahren hat die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich gelenkt. Jedoch kann die chinesische fundamentale Erziehung nicht mit der Entwicklung der Wirtschaft Schritt halten und ist sogar in ein Dilemma geraten, bei dem ihr das Volk Vorwürfe macht. Der Vortrag setzt sich damit auseinander, warum es so gekommen ist und mit welcher Hausforderung die chinesische Fundamentalerziehung konfrontiert wird. Ferner werden – unter Berücksichtigung von Pestalozzis Erziehungsgedanken – der Weg zur Umstellung der chinesischen Fundamentalerziehung und die Erziehungspraxis des Studienkolleges der Fudan-Universität aufgezeigt.