Besuch des Neuhofs

13. April 2012: Besuch von Pestalozzis Neuhof und

seines Grabdenkmals in Birr (Kt. AG)

Um Bauer zu werden, bezog Johann Heinrich Pestalozzi als 25-jähriger Mann zusammen mit seiner Frau Anna Schulthess im Frühjahr 1771 den Neuhof. Weil er als Landwirt erfolglos blieb, verkaufte er 1779 einen Teil des Hofs, konnte jedoch weiterhin auf dem Gut bleiben und setzte sich während dieser Zeit intensiv schriftstellerisch mit seinem Erziehungsideal auseinander. Um 1799 verliess er den Neuhof und kehrte erst 1825 kurz vor seinem Tod noch einmal an seinen ersten Wirkungsort zurück. Als erste und letzte Wirkungsstätte von Johann Heinrich Pestalozzi geniesst der Neuhof einen grossen Bekanntheitsgrad. Aus seiner Zeit zeugen noch heute das Pächterhaus, das ehemalige Wohnhaus der Familie Pestalozzi, sowie das Herrenhaus, das als Anstaltsgebäude und Armenhaus geplant war und erst nach Pestalozzis Tod durch seinen Enkel fertiggestellt worden ist.

Neuhof
www.neuhof.org
Berufbildungsheim Neuhof
Pestalozzistrasse 100
5242 Birr

Neben einer Besichtigung des Berufbildungsheims Neuhof hielt Dr. Arthur Brühlmeier ein Referat zu Pestalozzis Erziehungslehre: "Pestalozzis Bildungsverständnis und dessen Wert für die heutige Schule".

Pestalozzis Bildungsverständnis und dessen Wert für die heutige Schule

Dr. Arthur Brühlmeier

Erziehung ist ein Werk des Menschen am Menschen, sei dies nun an einem Mitmenschen oder an sich selbst, und somit ein Eingreifen in ein natürliches Geschehen, das zu andern Resultaten führen würde, wenn es ohne diese Einwirkung bliebe. Pestalozzi bezeichnet die Einwirkung des Menschen auf den Menschen oft ganz einfach als 'Kunst' und stellt sie insofern der 'Natur' gegenüber. Diese erzieherische Einwirkung ist etwas spezifisch Menschliches – im Tierreich findet keine Erziehung statt –, und deren Notwendigkeit ergibt sich aus der Tatsache und Erfahrung, dass der Mensch ohne sie das eigentlich Menschliche nicht erreicht. So stellt denn Pestalozzi am Schluss der 'Nachforschungen' fest: "Die Natur hat ihr Werk ganz getan, Mensch, tue auch du das deine!". Die Natur entlässt den Menschen unvollendet, das heisst als bloss natürliches Wesen, und es ist die Aufgabe des Menschen, die erkannte Vollendung – in der Erziehung und in der Selbsterziehung – selbst zu verwirklichen und auf diese Weise 'Werk seiner selbst' zu werden.

Die Überzeugung, dass sich das Wesen, das Ziel und die Mittel der Erziehung aus der Natur des Menschen ableiten, veranlasst Pestalozzi immer wieder zur Feststellung, dass er nicht der Erfinder seiner Erziehungsmethode – er nennt sie oft einfach 'Methode', später 'Idee der Elementarbildung' – ist, weil sie überhaupt nicht erfunden, sondern bloss gefunden werden kann. Pestalozzi ist davon überzeugt, dass jeder wahrheitsliebende Mensch, der die Natur des Menschen ohne vorgefasste philosophische Ansicht ins Auge fasst, grundsätzlich zu denselben Ergebnissen kommt wie er. Dies erklärt, weshalb viele pädagogische Gedanken Pestalozzis durchaus nicht originell sind, sondern sich bei grossen Denkern der verflossenen Jahrhunderte und Jahrtausende in gleicher oder ähnlicher Weise finden. Aber diese grossen Gedanken sind zumeist wieder verdrängt worden durch Erziehungstheorien und Erziehungspraktiken, welche nicht auf dem unveränderlichen Fundament der menschlichen Natur aufbauen, sondern auf den wandelbaren gesellschaftlichen Verhältnissen und Wertvorstellungen.