Symposium zur Langenthaler Rede von Pestalozzi

Christiane Langenberger (Alt. Ständerätin)
Als Präsidentin der NHG/TS, muss ich Ihnen zu allererst etwas gestehen: erst dank diesem Erinnerungsanlass habe ich vernommen, dass Johann Heinrich Pestalozzi Präsident der Helvetischen Gesellschaft war, dass er demnach ein Vorfahre unseres heutigen Vereins ist.

Es freut mich ganz besonders, Ihnen kurz über die Anliegen der Neuen Helvetischen Gesellschaft / Treffpunkt Schweiz zu berichten. Die geschichtliche Entwicklung wird Ihnen Herr de Capitani schildern. Ich möchte mich eher über die inhaltliche Kontinuität äussern, denn es wird wohl auch Sie interessieren zu erfahren, in wiefern wir dem Vermächtnis von Pestalozzi treu geblieben sind.

Wenige Jahre nach der Gründung des Bundesstaates von 1848 löste sich die Helvetische Gesellschaft auf, die sehr viel zu dieser Staatsgründung beigetragen hatte.

Erst kurz vor dem ersten Weltkrieg erinnerten sich einige junge Männer an den Geist der Helvetischen Gesellschaft des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts und gründeten die Neue Helvetische Gesellschaft. Ihr Ziel war es, die erneut aufbrechenden Gräben in der Schweiz zu überbrücken und mitzuhelfen, soziale und regionale Spannungen zu lösen.

Les Rencontres Suisses in der welschen Schweiz (zu Deutsch: Treffpunkt Schweiz) entstanden nach dem zweiten Weltkrieg unter ähnlichen Prämissen.

Und nun, 50 Jahre später, fusionierte Ende 2006 die Neue Helvetische Gesellschaft mit Treffpunkt Schweiz, weil es offenkundig wurde, dass wir dieselben Ziele verfolgten. Ein Zusammengehen der beiden Organisationen und damit die Bündelung der Kräfte drängten sich demzufolge auf.

Beide Gesellschaften bemühten sich nämlich, die sprachlichen, kulturellen und politischen Grenzen zwischen den verschiedenen Regionen in unserem Land zu überwinden, sich für die nationale Kohäsion einzusetzen und den Dialog über wichtige soziale und politische Themen zu führen.

Beide Organisationen publizierten Jahrbücher, Auszüge aus Symposien und Stellungnahmen zu aktuellen und nationalen Problemen.

Die in den letzten Jahren von der NHG und von TS in Veranstaltungen oder Publikationen behandelten Themen sind ein Zeugnis dafür, dass wir das Erbe der Helvetischen Gesellschaft nicht vergessen, aber es der heutigen Zeit angepasst haben: wir haben versucht, sowohl die Errungenschaften unserer Vergangenheit wie die Probleme der Zukunft zu beleuchten und für tragfähige Lösungen zu nutzen. Hier einige Beispiele unserer letzten Publikationen:

Die multikulturelle Schweiz
Föderalismus hat Zukunft
Aktive Bürgerschaft oder passive Bevölkerung
Nationalismen
Unsere Nachbarn am Weg der Schweiz
Die Schweiz und die wirtschaftliche Integration Europas
Zwischen Selbstverwirklichung und Solidarität
Staat im Wandel,
Grundbedürfnisse und Service Public

Heute sind wir mehr denn je überzeugt, dass es unentbehrlich ist, in einer Zeit polarisierender Auseinandersetzungen ein Forum der Diskussion und der Besinnung zu erhalten, um damit den Gemeinsinn zu fördern und ganz allgemein zum Gemeinwohl beizutragen.

Wir sind politisch neutral, was uns nicht hindert, sondern sogar verpflichtet, politische heikle Themen anzugehen.

Unsere Demokratie bedeutet ja auch, stets offen zu sein für Neues. Sie erlaubt, ja begünstigt die permanente Erneuerung.

Letztes Jahr widmeten wir uns auf nationaler wie regionaler Ebene dem Thema der Integration.

Und nun will es der Zufall, dass wir vor 2 Tagen ein Forum der Problematik des Wertewandels in unserer heutigen Gesellschaft gewidmet haben. Unsere Demokratie basiert auf einem Werteverständnis, das in unserer Verfassung verankert ist und dem wir uns verpflichtet fühlen. So wollen auch wir zeitlose Werte hochhalten und die heutige kurzfristige, besonders auf Konsum, Schein und Reichtum ausgerichtete Entwicklung hinterfragen. Wir möchten eigentlich noch von Weisheit, Mut und Tapferkeit, von Bürger- und Freiheitssinn reden dürfen.

Gleichzeitig leben wir aber heute in einer globalisierten Welt, deren Einfluss auch in unserem Land in vielen Bereichen spürbar ist: die zunehmende internationale Verflechtung der Wirtschaft, die grössere Mobilität von Menschen und Institutionen, die damit verbundene Vielfalt der Kulturen, ferner die hohe Technisierung bis hinein in den Alltag führen zu einem Wertewandel in unserer Gesellschaft, der sich auch in der Mentalität der einzelnen Menschen bemerkbar macht. In einer lebendigen Gesellschaft müssen wir uns den Herausforderungen neuer Wertvorstellungen auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem, religiösem und kulturellem Gebiet stellen. Wir müssen für unsere Zukunft wichtige Fragen aufnehmen, die auf unsere nationale Kohäsion Einfluss haben werden.

  • Als Folge der wirtschaftlichen Globalisierung werden die Beziehungen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft neu gemischt und scheinen manchmal aus den Fugen geraten zu sein. Diktiert der Weltmarkt in zunehmendem Masse politische Entscheidungen? Sinken damit die Handlungsspielräume politischer Entscheidungsträger und Behörden? Werden mehr und mehr die wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen in den Chefetagen der Grosskonzerne gefällt?
  • Die NHG will dazu beitragen, dass es unserem Land weiterhin gelingt, dank gut funktionierenden Institutionen, einem ausgeprägten Sinn für Bildung, Forschung und Innovation, dank qualifizierter Arbeit und sozialem Frieden, ein gewisses Augenmass zu bewahren und damit auch Vertrauen zu schaffen.
  • Wir wollen unseren im Wandel stehenden Staat in wichtigen Entscheidungen begleiten.
  • Wir wollen aber auch zu gewissen Werten zurückfinden: der Sinn für eine kritische, aber auch konstruktive Auseinandersetzung darf uns dabei nicht verloren gehen.
  • Nur wenn der Rechtsstaat auf demokratischen Institutionen und Verfahren beruht, stellt er mehr als eine rein formale Garantie der Freiheit der Bürger dar.
  • Die Souveränität des Rechts und der Gerechtigkeit ist weiterhin für uns ein oberstes Ziel.