Auszug aus „Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“ 1797

PSW 12, S. 121- 132

Rechtschreibung und Interpunktion entsprechen nicht der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Schriften, sondern der regularisierten Fassung auf der CD-ROM.

Das Wesen meines Buchs

Wenn ich nun zurückschlage und mich frage, wo bin ich an dem Faden, an dem ich den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts verfolgte, endlich hingekommen, so finde ich in folgenden Sätzen das wesentliche Resultat meiner Nachforschungen: Meine Natur vermag es nicht, auf dem Punkt des blossen Sinnengenusses stehenzubleiben, ich muss vermöge meines Wesens diesen Sinnengenuss zum Mittel meines Strebens und der Zwecke, worauf dieses Streben ruht, machen.

Daraus entstehen Verhältnisse, die ohne dieses Streben nicht in der Natur wären, die ich aber durch daßelbe, und also durch meinen Willen, in die Natur hineinbringe.

Sowie dieses geschehen (ist), höre ich auf, das einfache Wesen zu sein, das ich aus der Hand der Natur in die Welt kam.

Ich kann nicht mehr als dieses einfache Wesen empfinden, denken und handeln.

Ich muss jetzt übereinstimmend sowohl mit den Verhältnissen handeln, die ich selbst in die Welt hineingebracht habe, als auch mit mir, insofern ich mich durch diese Verhältnisse verändert habe. Ich werde selbst Welt, und die Welt wird durch mich Welt; ich ungesondert von ihr, bin ein Werk der Welt, sie ungesondert von mir, ist mein Werk.

Aber ich habe eine Kraft in mir, mich von der Welt und die Welt von mir zu sondern; durch diese Kraft werde ich ein Werk meiner selbst. Ich fühle mich also auf eine dreifache Art in der Welt.

Als Werk der Natur

Als solches bin ich ein Werk der Notwendigkeit, das gleiche tierische Wesen, das nach Jahrtausenden kein Haar auf seinem Haupt und keine, auch die leiseste Neigung seines Wesens in sich selbst auszulöschen vermöchte. Als solches lenkt mich die Natur, ohne Kunde der Verhältnisse, die ich selber erschaffen, als lebte ich im schuldlosen tierischen Zustand, mit dem Gesetz ihrer Allmacht zum Sinnengenuss hin wie den Adler zum Aas, das Schwein in die Pfütze, den Ochsen auf die Trift, die Ziege auf den Felsen und den Hasen unter die Staude.

Als Werk meines Geschlechts, als Werk der Welt

Als solches bin ich ein Tropfen, der von der Spitze der Alpen in einen Bach fällt.
Unsichtbar, ein nichtiges Wesen, falle ich belastet mit dem Staub seines Mooses von meinem Felsen, glänze bald in silbernen Strahlen der Sonne, fliesse bald im Dunkel der Höhlen, stehe hier im reinen Wasser der Seen, dort im Kot der Sümpfe gleich still, falle aus Sümpfen und Seen dann wieder ins Treiben der Flüsse und schwimme in der Gewalt ihrer Wogen bald hell, bald trüb, bald sanft wallend, bald wirbelsprudelnd, bald zwischen reinen Gefilden, bald zwischen stinkenden Stätten, bald zwischen grässlichen Ufern dahin, bis ich in den ewigen Meeren des Todes meine Auflösung finde.

Als Werk meiner selbst.

Als solches grabe ich mich selbst in mich selbst; ein unveränderliches Werk; keine Welle spült mich von meinem Felsen, und keine Zeit löscht die Spur meines Werkes aus, das ich als sittliches Wesen in mir selber vollende.

Wenn brennende Klüfte den Moder der Meere trocknen und aus ihren Tiefen Berge auftürmen, so graben sie also die vergängliche Schnecke und den faulenden Fisch in die werdenden Steine, keine Welle spült jetzt die ewigen Tiere weg, und keine Zeit löscht ihre Spur in dem festen Stein aus.

Also bin ich ein Werk der Natur,
ein Werk meines Geschlechts
und ein Werk meiner selbst.

Diese drei Verschiedenheiten meiner selbst aber sind nichts anderes als einfache und notwendige Folgen der drei verschiedenen Arten, alle Dinge dieser Welt anzusehen, deren meine Natur fähig ist. Als Werk der Natur stelle ich mir die Welt als ein für mich selbst bestehendes Tier vor.

Als Werk meines Geschlechts stelle ich mir dieselbe als ein mit meinem Mitmenschen in Verbindung und Vertrag stehendes Geschöpf vor.

Als Werk meiner selbst stelle ich mir dieselbe unabhängig von der Selbstsucht meiner tierischen Natur und meiner gesellschaftlichen Verhältnisse, gänzlich nur in dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf meine innere Veredelung vor.

Ich habe daher als Werk der Natur eine tierische, als Werk des Geschlechts eine gesellschaftliche und als Werk meiner Selbst eine sittliche Vorstellung von Wahrheit und Recht.

Mein Instinkt macht mich zum Werk der Natur, der gesellschaftliche Zustand zum Werk meines Geschlechts und mein Gewissen zum Werk meiner selbst.

Als Werk der Natur sträube ich mich gegen das Werk meines Geschlechts und gegen das Werk meiner selbst; das ist, ich habe als solches kein Gewissen und erkenne als solches kein Recht.

Als Werk meiner selbst erhebe ich mich selbst über den Irrtum und das Unrecht meiner selbst, insofern ich ein Werk der Natur und ein Werk des Geschlechts bin; das ist, ich erkenne durch die Kraft meines Gewissens das Unrecht meiner tierischen Natur und meiner gesellschaftlichen Verhärtung.

Als Werk des Geschlechts stehe ich schwankend und von beiden Seiten gedrängt zwischen dem Werk meiner Natur und dem Werk meiner selbst; das ist, im gesellschaftlichen Zustand als solchem mangelt mir sowohl die Reinheit meines tierischen Wohlwollens als diejenige meines unverhärteten Gewissens.

Durch das Werk meiner Natur bin ich physische Kraft, Tier.

Durch das Werk meines Geschlechts bin ich gesellschaftliche Kraft, Geschicklichkeit.

Durch das Werk meiner selbst bin ich sittliche Kraft, Tugend.

Als reines Werk der Natur, als tierisches Geschöpf, bin ich in meinem unverdorbenen Zustand ein friedliches, gutmütiges und wohlwollendes Wesen. Meine Kraft steht in diesem Zustand mit meiner Begierde im Gleichgewicht, ich lebe in demselben in völliger Harmonie mit mir selbst. Mein Wohlwollen ist mit meiner Selbstsucht innigst vereinigt, ich kenne in diesem Zustand selbst die Schwächen meiner Natur nicht.

Aber ich finde mein Geschlecht nirgends in diesem Zustand, das erste Leiden eines Übels von meinesgleichen hebt ihn auf. Ich finde es allenthalben tierisch verdorben und misstrauisch, gewaltsam und nur insoweit wohlwollend, als es sich durch dieses Wohlwollen in der Befriedigung seiner Begierden, die mit seiner Kraft nicht mehr in Harmonie stehen, nicht zurückgesetzt glaubt.

Als Werk des Geschlechts, als gesellschaftlicher Mensch, als Bürger, lebe ich in vollkommener Anerkennung des Missverhältnisses meiner tierischen Kraft mit meiner tierischen Begierde, folglich ohne Harmonie meiner Selbstsucht mit meiner Begierde, aber ich will durch eben diesen Zustand die Harmonie in mir selbst wieder herstellen. Die ganze Kunst desselben ist ein beständiges Streben nach diesem Zweck, aber freilich ein mit tausendfältigen Fehlgriffen gebrandmarktes Streben.

Nur als Werk meiner selbst vermag ich die Harmonie meiner selbst mit mir selbst wieder herzustellen. Ich erkenne als solches, daß kein tierisches Gleichgewicht zwischen meiner Kraft und meiner Begierde in mir selbst, wie ich wirklich bin, haltbar ist; daß meine Selbstsucht und mein Wohlwollen im gesellschaftlichen Menschen wesentlich nicht harmonisch existieren kann; daß ich in diesem Zustand aufhören müsse (zu glauben), selbstsüchtig unwohlwollend, und wohlwollend unselbstsüchtig existieren zu können.

Also komme ich als Werk meiner selbst durch meinen Willen dahin, auf den Ruinen der zertrümmerten tierischen Harmonie meiner selbst das Wohlwollen meiner Natur auf die Unterjochung meiner Selbstsucht unter meine sittliche Kraft zu gründen und also mitten im Verderben eines Zustands, der meine Selbstsucht wesentlich verhärtet, mich selbst dennoch wieder zu dem friedlichen, gutmütigen und wohlwollenden Geschöpf zu machen, das ich als Werk der Natur nicht bleiben und als Werk des Geschlechts nicht werden kann.

Ich bin als Werk der Natur, als Tier, vollendet.

Als Werk meiner selbst strebe ich nach Vollendung.

Als Werk des Geschlechts suche ich mich auf einem Punkt, auf welchem die Vollendung meiner Selbst nicht möglich ist, zu beruhigen.

Die Natur hat ihr Werk ganz getan, also tue auch du das deine.

Erkenne dich selbst und baue das Werk deiner Veredelung auf inniges Bewusstsein deiner tierischen Natur, aber auch mit vollem Bewusstsein deiner inneren Kraft, mitten in den Banden des Fleisches göttlich zu leben.

Wer du auch bist, du wirst auf diesem Wege Mittel finden, deine Natur mit dir selbst in Übereinstimmung zu bringen.

Willst du aber dein Werk nur halb tun, da die Natur das ihre ganz getan hat? Willst du auf der Zwischenstufe deines tierischen und deines sittlichen Daseins, auf welcher die Vollendung deiner selbst nicht möglich ist, stehenbleiben, so verwundere dich dann nicht, daß du ein Schneider, ein Schuhmacher, ein Scherenschleifer und ein Fürst bleibst und kein Mensch wirst.

Verwundere dich dann nicht, daß dein Leben ein Kampf ist ohne Sieg und daß du nicht einmal das wirst, was die Natur ohne dein Zutun aus dir gemacht hat, sondern gar viel weniger: ein bürgerlicher Halbmensch.

Einige Resultate meines wesentlichsten Gesichtspunkts

Der gute Zustand meiner selbst als Werk der Natur ruht auf dem vollen Leben meines Instinkts.

Der gute Zustand meiner selbst als Werk des Geschlechts ruht auf der Kraft meines tierischen Gedankens gegen meinen Instinkt oder vielmehr auf der Kraft meines durch diesen Gedanken erhöhten und gebildeten Tiersinns.

Der gute Zustand meiner selbst als Werk meiner selbst ruht auf der Reinheit und Stärke meines Willens, die Kraft meines Gedankens nicht zur Verfeinerung meines Tiersinns, sondern zur Veredelung meiner Selbst gegen meinen Tiersinn zu gebrauchen.

Ich erhalte mich selbst als Werk der Natur in dem besten Zustand, in welchem ich als solches zu leben vermag, durch tierische Kraft.

Ich erhalte mich als Werk des Geschlechts in dem besten Zustand, in welchem ich als solches zu leben vermag, durch gesellschaftliche Kraft.

Ich erhebe mich als Werk meiner selbst durch meine sittliche Kraft zu der höchsten Würde, deren meine Natur fähig ist.

Die Unschuld meiner Natur thront an den Grenzen aller dieser Beschaffenheiten meiner selbst.

Auf der ersten Stufe meines Daseins stehe ich ihrem Bilde am meisten, aber in kindischer Schwäche und nur träumend, nahe.

Durch mein tierisches Verderben entferne ich mich von ihr ins Unendliche.

Treue und Glauben bringen mich ihr im gesellschaftlichen Zustand mit gebildeter Kraft wieder entgegen.

Durch Sittlichkeit erhebe ich mich zu der obersten Höhe, die meine Natur, nach Unschuld strebend, zu erreichen vermag.

Erziehung und Gesetzgebung müssen diesem Gang der Natur folgen.

Sie müssen dem Menschen als tierischem Wesen durch die Erhaltung seines tierischen Wohlwollens das Bild seiner Unschuld in Kindesschwäche und gleichsam träumend vor Augen halten.

Sie müssen in ihm als gesellschaftlichem Wesen durch Treue und Glauben die gesellschaftliche Zuverlässigkeit entwickeln, durch die er sich den Mangel der Unschuld, von der ihn der gesellschaftliche Zustand so gewaltsam entfernt, in demselben erträglich zu machen bestrebt.

Sie müssen ihn endlich durch Selbstverleugnung zu der Kraft emporheben, durch die er allein imstande ist, das Wesen der Unschuld in sich selbst wieder herzustellen und sich selbst wieder zu dem friedlichen, gutmütigen und wohlwollenden Geschöpf zu machen, das er in der Unverdorbenheit seines tierischen Zustands auch ist.

Fortsetzung dieser Resultate

Ich erscheine im gesellschaftlichen Zustand als solchem immer als ein verwirrtes, verdorbenes Mittelding zwischen meiner tierischen Schuldlosigkeit und meiner sittlichen Reinheit.

Ich will auf der einen Seite in demselben jeden tierischen Lebensgenuss, den ich in meine Hand zu bringen vermag, mir selbst mit aller Kraft sicherstellen.

Auf der anderen Seite will ich freilich auch, daß die Einrichtungen und Verkommnisse dieses Zustands auf Regeln und Grundsätzen ruhen sollen, die dem Edelsten, das ich zu erkennen vermag, nicht widersprechen.

Aber mein Zweck selber und meine tierische Natur, in welcher dieser Zweck mit der ganzen Kraft meiner stärksten Triebe belebt ist, setzt diesem Edelsten, Besten, das ich zu erkennen vermag, in diesem Zustand als solchem unabänderliche Grenzen, indem mein Wille edelmütig und rechtlich zu handeln in demselben immer dem tierischen Bedürfnis der Selbsterhaltung in meiner Lage als untergeordnet erscheint.

Ich bin daher als Bürger immer aller Wahrheit und allem Recht entgegen, insofern es mir auch nur möglich scheint, daß die Sicherheit der wesentlichsten Vorteile meiner gesellschaftlichen Stellung durch dieselbe in Gefahr gesetzt werden könnte.

Die Repräsentation der Masse, die gesellschaftliche Gewalt, handelt hierin völlig wie die Individuen der Masse.

Sie erscheint in jedem Fall, wo das Wesen ihrer gesellschaftlichen Stellung in Gefahr zu sein scheint, immer wie der Mensch, fest entschlossen, selbige mit jedem Mittel, das die Vorsehung in ihre Hand gelegt (hat), gegen jedermänniglich zu beschützen und zu erhalten.

Sie ist als Gewalt, insofern sie nicht mehr ist, eben wie der Bürger, insofern er nicht mehr ist, unfähig, edelmütig, gerecht und menschlich zu handeln, sobald sie glaubt, daß eine solche Handlungsweise mit den Vorrechten, in deren Besitz sie sich nun einmal befindet, nicht bestehen könne. Als gesellschaftlicher Mensch tue ich in allen Verhältnissen immer alles Unrecht, damit mir nicht Unrecht geschehen könne.

Die sanften Gefühle meines Wohlwollens, die mir im beruhigten tierischen Zustand so natürlich sind, verlieren sich augenblicklich in mir, wenn die Sicherheit des Fortgenusses sinnlicher Reize, die mir nun einmal zu Bedürfnissen geworden sind, in Gefahr zu sein scheint. Das ist vom Demokraten wahr wie vom Aristokraten, vom König wie vom Schneider, vom Schneider wie vom Gelehrten und vom Gelehrten wie vom Bauer.

Die gesellschaftliche Menschheit tanzt den Zwischentanz ihrer tierischen Roheit und ihrer sittlichen Veredelung allenthalben auf die nämliche Weise. Sie singt allenthalben ihr altes Lied: mundus vult decipi ergo decipiatur. (Die Welt will betrogen werden, also soll sie betrogen werden.)

Der König kennt keine Wahrheit gegen sein Kronrecht, der Schneider keine gegen sein Nadelrecht, der Patrizier keine gegen sein Geschlechtsrecht, der Pfaff' keine gegen seine Kuttenrechte.

Mach' ihn so weise wie du willst, er wird nur weise werden für seine Kutte, für sein Geschlecht, für seine Krone und für seine Nadel, und wo nicht rasend, doch gewiss selbstsüchtig und schief handeln, wenn er seine Nadel, seine Krone, sein Geschlecht oder seine Kutte in Gefahr sieht.

Darum findet auch der Narr, wo er immer hinkommt, es gehe allenthalben, wie bei uns.

Allenthalben erscheint der gesellschaftliche Mensch, insofern er nicht mehr ist, als dem Werk seiner Natur unterliegend und das Recht seines Geschlechts nicht anerkennend.

Übereinstimmung meiner wesentlichsten Grundsätze mit den einfachen Gesichtspunkten, die mir beim ersten ins-Auge-Fassen meines Gegenstandes auffielen. Anmerkung

Hiermit nähert sich mein Buch seiner Vollendung. Die Widersprüche die in meiner Natur zu liegen scheinen, finden in der dreifach verschiedenen Art, alle Dinge dieser Welt anzusehen, deren meine Natur fähig ist, allgemein ihren Aufschluß. Sie sind alle in ihrem Wesen einfache und in der Art, wie sie wirklich in mir erscheinen, mehr oder minder verwickelte Folgen dieser inneren Verschiedenheit meiner Anschauungsart aller Dinge und der mir im gesellschaftlichen Zustand wesentlich einwohnenden und durch denselben millionenfach genährten und befestigten Neigung, auf der Stufe meiner gesellschaftlichen Ausbildung stehenzubleiben und mich bei der Art und Weise, wie die Gegenstände dieser Welt im Verderben dieses Zustands meiner Selbstsucht in die Augen fallen, zu beruhigen. Diese Widersprüche sind nichts anderes als das Schwanken meiner selbst zwischen mir selbst als Werk der Natur und als Werk meiner selbst, zwischen meinen tierischen Ansprüchen und dem Recht meines Gewissens.

Der gesellschaftliche Mensch lebt und schwebt als solcher ganz in diesem Schwanken, und die Gewaltsamkeit, mit der die Menschen das Glück und die Ruhe ihres Geschlechts allgemein untergraben, ruht gänzlich auf der tierischen Neigung, auf dem Punkt der Ausbildung, auf welchem die Vollendung ihres Selbst nicht möglich ist, sich vollendet zu glauben und auf den Stufen dieser gesellschaftlichen Ausbildung stehenzubleiben.

Der Mensch muß vermöge seiner Natur immer entweder unter diesen Punkt seiner Ausbildung versinken oder sich über denselben erheben, das ist, er muß als Werk des Geschlechts entweder dem Werk seiner Natur unterliegen oder sich über sich selbst als Werk des Geschlechts erheben. Und er rettet sich daher nur dadurch von dem Unglück, mitten im gesellschaftlichen Zustand dem ganzen Verderben seiner tierischen Natur zu unterliegen, wenn er als Werk seines Geschlechts in sich selbst geht und in sich selbst eine Kraft sucht, sowohl gegen das Unrecht seiner gesellschaftlichen Verhärtung als gegen den Irrtum seiner tierischen Natur, das ist, er rettet sich im gesellschaftlichen Zustand nur als Werk seiner selbst vom Unterliegen als Werk des Geschlechts unter sich selbst als verdorbenes Werk der Natur. Da er aber als Werk seiner selbst nichts anderes ist als sein inneres Urteil von der Wahrheit und dem Wesen seiner selbst, so ist es klar, er rettet sich nur durch eine Gemütsstimmung, die mit derjenigen, auf welcher das Wesen der Religion ruht, die nämliche ist, von der Gefahr, im gesellschaftlichen Zustand gegen das Verderben seiner tierischen Natur wesentlich kraftlos zu erscheinen, und findet nur durch eine solche Gemütsstimmung wirkliche Mittel, die Widersprüche, die in seiner Natur zu liegen scheinen, in sich selbst aufzulösen und unwirksam zu machen.

Ich finde mich hier also wieder vollends auf dem Punkt, auf welchem ich im Abschnitt Religion stand im Abschnitt Religion stand:

"Der Mensch findet in seiner Natur keine Beruhigung, bis er das Recht seiner tierischen Sinnlichkeit in sich selbst verdammt hat gegen sich selbst und gegen sein ganzes Geschlecht. Aber er scheint die Kraft nicht zu besitzen, diesem Bedürfnis seines Wesens ein Genüge zu leisten.

Die ganze Macht seiner tierischen Natur sträubt sich gegen diesen ihm so schrecklichen Schritt, aber er setzt die Macht seines Willens der Macht seiner Natur entgegen. Er will einen Gott fürchten, damit er nach dem innersten Urteil seiner selbst für sich selbst recht tun könne. Er fühlt, was er kann, und macht sich das, was er kann, zum Gesetz dessen, was er will. Diesem Gesetz, das er sich selbst gab, unterworfen, unterscheidet er sich vor allen Wesen, die wir kennen.

Ihm allein mangelt die Schuldlosigkeit des Instinkts, durch dessen Genuß das Vieh beruhigt auf dem Punkt steht, den dieser ihm anweist. Er allein vermag es nicht, auf diesem Punkt stehenzubleiben, er muß entweder unter denselben versinken oder sich über denselben erheben."

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Ich gehe weiter, zu sehen, wie weit die einfachen Gesichtspunkte, die mir beim ersten Anblick meines Gegenstandes ins Auge fielen, mit den wesentlichsten Resultaten meiner Nachforschungen übereinstimmen.

Die Frage, kommt der Mensch in dem nichtigen Lauf seines Daseins auf Erden dahin, daß ihm die einzelnen Vorfälle des Lebens nicht Zauberauftritte sind, die ihm allen inneren Unterschied der Dinge wie mit einem ewigen Nebel umhüllen? Diese Frage beantwortet sich jetzt ganz einfach: Als Werk der Natur kommt er nicht dahin, als solches verträumt er seine Tage; Leerheit des Geistes, Trunkenheit der Sinne und taumelndes Träumen ist ihm Wonne des Lebens. Als Werk des Geschlechts kommt er insoweit dahin, als er als solches sich selbst als Werk der Natur nicht unterliegt. Als Werk seiner selbst ist er Herr über sich selbst und über allen Zauber seiner tierischen Natur.

Die Untreue am gesellschaftlichen Recht, die den König zu tyrannischen, den Patrizier zu oligarchischen, den Edelmann zu standesmäßigen, den Kaufmann zu monopolischen, den Reichen zu eitlen, den Armen zu standeslosen (sansculottischen), den Geistlichen zu vielvermögenden, den Gelehrten zu armseligen, den Amtmann zu verschmitzten, den Bürger zu steifen Heillosigkeiten hinführt, ist allgemein nichts anderes als das einfache Benehmen meiner selbst beim Unterliegen als Werk des Geschlechts unter mich selbst als ein verdorbenes Werk der Natur, und das allgemeine Umtaufen dieser Heillosigkeiten in die hohen Namen: Souveränitätsrechte, Aristokratie, landesväterliche Sorgfalt, Menschenrechte, Freiheit, standesmäßige Aufführung, Liebe zur Wahrheit, Geistesprodukt, königliches Priestertum usw. sind alle wieder nichts anderes als einfache Folgen des Unterliegens meiner gesellschaftlichen Kraft unter das Verderben meiner tierischen Natur und der Täuschung, mit welcher das verdorbene Werk meiner Natur im gesellschaftlichen Zustand sein Spiel mit mir selbst treibt.

Mein Bild des Menschen von dem Punkt an, wo er aus seiner Höhle herausgeht, bis auf denjenigen, wo die letzten Stützen der Staaten sinken und die Völker sich im Elend der Verwilderung auflösen, dieses Bild ist nichts anderes als ein Schatten meines Bildes in dem dreifachen Unterschied meiner selbst.

Als Werk meiner Natur gehe ich, ein Raub jeder Naturkraft, dahin und siege dennoch über alle Übel der Erde.

Als Werk meines Geschlechts sehne ich mich nach der Vereinigung mit Menschen, die ich morde; als solches erkenne ich in meinem Wort den Grund meines Rechts und meiner Pflicht, ich mache daher alles aus demselben, ich will, daß es ewiglich lebe, ich grabe es in steinerne Tafeln und gieße es in ewiges Erz. Als Werk seines Geschlechts baut der Mensch seinen Weltteil.

Als Werk seiner selbst baut er sich selber, als solcher weint die jungfräuliche Röte des pflichttreuen Weibes über ein kränkendes Wort, das ihren Lippen entschlüpft, als solches dient sie in dunkler Vergessenheit einem verworfenen Mann, dessen Bosheit die Ruhe ihrer Lippen nicht zu wandeln vermag.

Die Kennzeichen der nahenden Auflösung der Staaten sind nichts anderes als einfache Folgen des Unterliegens der Masse des Volkes und ihrer Repräsentation, der bürgerlichen Gewalt, als Werk des Geschlechts unter sich selbst als Werk der Natur. Allenthalben erkennt in einem solchen Zeitpunkt das Volk und die Repräsentation des Volkes, die Obrigkeit, kein gesellschaftliches Recht gegen sich selbst.

Allenthalben mangelt in demselben, dem Menschengeschlecht und seiner Repräsentation, reine gesellschaftliche Kraft, und die Gefahr, die dem Staat in demselben droht, ist nichts anderes als das Vergehen desselben durch die Auflösung des Rechts meines Geschlechts und die Freilassung der Individuen und ihres verwilderten Instinkts gegen dieses Recht.

"Volltext der Nachforschungen"

Einführungstext zu Nachforschungen