Lienhard und Gertrud

Rechtschreibung und Interpunktion entsprechen nicht der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Schriften, sondern der regularisierten Fassung auf der CD-ROM.

79.

Des Hühnerträgers Bericht.

Wilhelm Aebi eilte nun mit den Briefen auf Arnburg; aber Christoph, der Hühnerträger, war früher im Schloß, und erzählte dem Junker alles, was begegnet war, der Länge und der Breite nach.Der Junker aber mußte auf seinem Lehnstuhl über die Geschichte, über das Schrecken des Vogts und über das Oh - Ah - Uh - des Hühnerträgers lachen, daß er den Bauch mit beiden Händen halten mußte.Therese, seine Gemahlin, die im Nebengemach noch in der Ruhe war, hörte das laute Gelächter und das Oh - Ah - Uh - des Hühnerträgers, und rief:Carl! was ist das? Komm doch herein, und sage mir, was es ist.Da sagte der Junker zum Hühnerträger: Meine Frau will auch hören, wie du den Teufel vorstellen könnest; komm herein.Und er ging mit dem Hühnerträger ins Schlafzimmer seiner Gemahlin.Da erzählte dieser wieder: wie er den Vogt bis unten in's Feld verfolgt hätte - wie seine Nachbarn bei Dutzenden mit Spießen und Prügeln und Windlichtern dem armen Vogt zu Hilfe gekommen wären, und wie er dann wieder still den Berg hinauf geschlichen sei.Therese und Carl lachten auf ihrem Bette wie Kinder, und ließen den Hühnerträger, soviel er wollte, von dem köstlichen Wein des Junkers, der seit gestern noch da stand, trinken *) . Hingegen verbot ihm Arner, noch niemand kein Wort von der Sache zu erzählen.Indessen langte Wilhelm Aebi mit des Pfarrers Briefen an. Arner las sie, und die Geschichte des Hans Wüsts rührte ihn am meisten. Die Unvorsichtigkeit seines Großvaters, und das Unglück des Rudis gingen ihm zu Herzen; aber die weise Handlungsart des Pfarrers freute ihn in der Seele. Er gab die Briefe sogleich seiner Therese, und sagte: Das ist doch ein herrlicher Mann, mein Pfarrer in Bonnal. Menschenfreundlicher und sorgfältiger hätte er nicht handeln können. Therese las die Briefe, und sagte: Das ist eine erschreckliche Sache mit dem Wüst! Du mußt dem Rudi wieder zu dem Seinigen helfen. Säume doch nicht - und wenn der Vogt sich sträubt, die Matte zurückzugeben, so wirf ihn in alle Löcher. Er ist ein Satan, dem du nicht schonen mußt. Ich will ihn aufknüpfen lassen, antwortete Arner. Ach nein! du tötest niemand, erwiderte Therese. Meinst du, Therese? sagte Carl, und lächelte. Ja, ich mein's, sagte Therese, und küßte ihren Carl. Du würdest mich nicht mehr küssen, glaub' ich, wenn ich's täte, Therese! sagte Carl. Und Therese lächelnd: Das denk ich. Arner aber ging in sein Kabinett, und antwortete dem Pfarrer.

80.

Des Junkers Antwortschreiben an den Pfarrer.

Wohlehrwürdiger, lieber Herr Pfarrer! Der Vorfall mit dem Vogt ist mir eine Stunde vor ihrem Schreiben durch den Teufel selbst, der den Vogt den Berg hinabjagte, geoffenbart worden; und der ist mein lieber Hühnerträger, Christoph, den sie wohl kennen. Ich erzähle ihnen die ganze Geschichte, die recht lustig ist, noch heute; denn ich komme zu ihnen, und will wegen dem Markstein Gemeind halten lassen, und zugleich will ich mit meinen Bauern wegen ihrem Gespensterglauben jetzt eine Komödie spielen - und sie, mein lieber Herr Pfarrer! müssen auch mit mir in diese Komödie - Ich denke, sie sind noch nicht in vielen gewesen, sonst würden sie gewiß nicht so schüchtern, aber vielleicht auch nicht so herzgut und so zufrieden sein. Ich sende ihnen hier von meinem besten Wein zum herzlichen Gruß und Dank, daß sie mir so redlich und brav geholfen haben, meines lieben Großvaters Fehler wieder gut zu machen. Wir wollen diesen Abend zu seinem Andenken eins davon miteinander trinken. Mein lieber Herr Pfarrer! er war doch ein braver Mann, wenn die Schelmen schon so oft sein gutes Herz und sein Zutrauen gemißbraucht haben. Ich danke ihnen, mein lieber Herr Pfarrer! für ihre Mühe und für ihre Sorgfalt wegen dem Hübelrudi - Freilich will ich ihm helfen. Noch heute muß er mit meinem lieben Großvater wieder zufrieden werden, und, will's Gott! in seinem Leben bei seinem Andenken nicht mehr trauern. Es tut mir in der Seele leid, daß er so unglücklich gewesen ist; und ich will, auf was Weise ich kann, dafür sorgen, daß der Mann für sein Leiden und für seinen Kummer mit Freude und Ruhe wieder erquickt werde. Wir sind gewiß schuldig, die Fehler unsrer Eltern wieder gut zu machen, soviel wir können und mögen. Oh es ist nicht recht, Herr Pfarrer! daß man behauptet, ein Richter sei nie in keiner Gefahr, und sei nie keinen Ersatz schuldig. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie wenig kennt man den Menschen, wenn man nicht einsieht, daß alle Richter eben durch Gefahr ihres Vermögens nicht nur zur Ehrlichkeit, sondern zur Sorgfalt und zur Anstrengung aller Aufmerksamkeit sollten bewogen und angehalten werden. - Aber was ich da vergebens schwatze.Meine Frau und meine Kinder grüßen ihre Geliebte alle herzlich, und senden ihren Töchtern noch eine Schachtel Blumenzeugs. Leben sie wohl, mein lieber Herr Pfarrer! und stürmen sie jetzt nicht so in allen Stuben herum, alles aufzuräumen, und Würste und Schinken zu sieden, als ob ich vor lauter Hunger bei ihnen einkehren wolle; sonst werde ich nicht wieder zu ihnen kommen, so lieb sie mir sind.Ich danke ihnen noch einmal, mein lieber Herr Pfarrer! und bin mit wahrer Zuneigung Ihr aufrichtiger Freund Arnburg, den 21. März Carl Arner 1780. von Arnheim. N.S. Soeben sagt mir meine Frau, sie wolle die Komödie mit dem Hühnerträger auch sehen. Wir kommen Ihnen also alle mit den Kindern und mit dem großen Wagen auf den Hals.

81.

Ein guter Küher.

Da Arner den Wilhelm fortgeschickt hatte, ging er in seinen Stall, wählte unter seinen fünfzig Kühen für den Hübelrudi eine aus, und sagte zu seinem Küher:.Füttere mir diese Kuh wohl, und sag dem Buben, daß er sie nach Bonnal führe, und in den Pfrundstall stelle, bis ich kommen werde.Der Küher aber antwortete seinem Herrn: Herr! ich muß tun, was ihr mich heißt; aber es ist unter diesen fünfzigen allen keine, die mich so reuet. Sie ist noch so jung, so wohlgestalt und so schön; sie kommt mit der Milch in die beste Zeit. Du bist brav, Küher! daß dich die schöne Kuh reut. Mich aber freut es, daß ich's getroffen habe - Ich suchte eben die Schönste - Sie kommt in eines armen Mannes Stall, Küher! laß sie dich nicht reuen; sie wird ihn auch freuen. Küher. Ach Herr! es ist ewig Schade um die Kuh - bei einem armen Mann wird sie abfallen; sie wird mager und häßlich werden. Oh Herr! wenn ich's vernehme, daß sie Mangel hat, ich lauf alle Tage auf Bonnal, und bring ihr Salz und Brot alle Säcke voll.Junker: Du guter Küher! der Mann bekommt eine schöne Matte und Futter genug für die Kuh.Küher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl geht, wenn sie doch fort muß.Junker: Sei nur zufrieden, Küher! Es soll ihr nicht fehlen. Der Küher fütterte die Kuh, und seufzete bei sich selber, daß sein Herr die schönste im Stall wegschenkte. Er nahm auch sein Morgenbrot und Salz, gab alles dem Fleck, und sagte dann zum Jungen:Nimm deinen Sonntagsrock und ein sauberes Hemd; strähle dich, und putze dir deine Schuhe, du mußt den Fleck nach Bonnal führen.Und der Junge tat, was der Küher ihm sagte, und führte die Kuh ab.Arner sann jetzt eine Weile still und ernsthaft dem Urteil nach, welches er über den Vogt fällen wollte. Wie ein Vater, wenn er seinen wilden, ausartenden Knaben einsperrt und züchtigt - nichts sucht, als das Wohl seines Kindes - wie es dem Vater an's Herz geht, daß er strafen muß - wie er lieber verschonen und lieber belohnen würde; wie er seine Wehmut in seinen Strafen so väterlich äußert, und durch seine Liebe mitten im Strafen seinen Kindern noch mehr, als durch die Strafe selber, an's Herz greift.So, dacht Arner, muß ich strafen, wenn ich will, daß meine Gerechtigkeitspflege Vaterhandlung gegen meine Angehörigen sei. Und in diesen Gesinnungen faßte er sein Urteil gegen den Vogt ab.Indessen hatten seine Gemahlin und seine Fräuleins geeilt, daß man früher, als sonst, zu Mittag esse.

82.

Ein Kutscher, dem seines Junkers Sohn lieb ist.

Und der kleine Carl, der schon mehr als zehnmal den Kutscher gebeten hatte, daß er den Wagen schnell fertig halten sollte, lief noch vom Essen in Stall, und rief: Wir haben gegessen, Franz! spann an, und fahr geschwind an's Schloßtor.Du lügst, Junge! sie haben noch nicht gegessen; man klingelt ja eben zum Tische, sagte Franz.Carl: Was sagst du, ich lüge? Das leid ich nicht, du alter Schnurrbart!Franz: Wart, Bübchen! ich will dich Schnurrbarten lehren; dafür flechte ich den Pferden die Schwänze und das Halshaar, und bind ich ihnen die Bänder und die Rosen in's Haar - dann geht es noch eine Stunde; und redest du ein Wort, so sag ich zum Papa: Der Herodes hat das Grimmen; sieh, wie er den Kopf schüttelt - dann läßt er die Rappen im Stall, nimmt den kleineren Wagen, und du mußt nicht mit.Carl: Nein, Franz! Hör doch auf, und flechte die Schwänze nicht; nimm doch keine Bänder - Du bist mir lieb, Franz! und ich will dir nicht mehr Schnurrbart sagen.Franz: Du mußt mich küssen, Carl! an meinen Bart mußt du mich küssen, sonst nimm ich die Bänder und flechte.Carl: Nein, nur doch das nicht, Franz!Franz: Warum sagst du mir Schnurrbart? Du mußt mich küssen, sonst nehm ich die Bänder, und fahre nicht mit den Rappen.Carl: Nun, wenn ich muß; aber du machst dann den Wagen doch geschwind fertig? Da legte Franz den Roßstriegel ab, hub den jungen Junker in die Höhe, und dieser küßt' ihn.Franz drückt' ihn herzlich und sagt: Auch recht, Bübli! eilte mit dem Wagen, und fuhr bald vor das Schloßtor. Da saß Arner mit seiner Gemahlin und mit seinen Kindern ein.Und Carl bat den Papa: Darf ich doch zu Franz auf Bock sitzen? es ist so eng und so warm im Wagen. Meinethalben, sagt Arner, und ruft dem Franz: Hab Sorg zu ihm.

83.

Ein Edelmann bei seinen Arbeitsleuten.

Und Franz fuhr mit seinen mutigen Rappen gut fort, war bald auf der Ebne bei Bonnal, wo die Männer Steine brachen.Da stieg Arner aus dem Wagen, nach ihrer Arbeit zu sehen; und er traf die Arbeiter alle einen Jeden an seinem schicklichen Platz an.Und der Steine waren für die Zeit, in welcher sie gearbeitet hatten, schon viele beisammen.Und Arner lobte die Ordnung und die gute Anstalt bei ihrer Arbeit, also, daß auch die Einfältigsten merkten, daß es ihm nicht würde entgangen sein, wenn das geringste nicht in Ordnung oder nur zum Schein dargestellt worden wäre. Das freute den Lienhard, denn er dachte: Es sieht jetzt ein Jeder selbst, daß es nicht an mir steht, Unordnung und Liederlichkeit zu dulden.Arner fragte auch den Meister, welches der Hübelrudi sei; und in eben dem Augenblick, da ihm der Maurer ihn zeigte, wälzte der todblasse und sichtbarlich schwache Rudi einen sehr großen Stein mit dem Hebeisen aus seinem Nest. Schnell rief Arner: überlüpft euch nicht, Nachbarn! und sorget, daß keiner unglücklich werde. Darauf befahl er noch dem Meister ihnen einen Abendtrunk zu geben; und ging weiter gegen Bonnal.

84.

Ein Junker und ein Pfarrer, die beide ein gleich gutes Herz haben, kommen zusammen.

Er sah bald den guten Pfarrer von Ferne gegen ihn kommen. Der Junker lief stark gegen dem Pfarrer, und rief ihm zu: Sie haben sich doch in diesem Wetter nicht bemühen sollen; es ist nicht recht bei ihren Beschwerden; und eilte dann heim mit ihm, in seine Stube.Und erzählte ihm die ganze Geschichte mit dem Hühnerträger,; dann sagte er: Ich habe ziemlich Geschäfte, Herr Pfarrer! ich will schnell daran, damit wir noch ein paar Stunden ruhig Freude miteinander haben können.Jetzt sandte er auch zu dem jungen Meyer, und ließ ihm sagen, daß er zu ihm komme, und sagte zum Pfarrer: Ich will vor allem aus des Vogts Rechnungen und Bücher versiegeln lassen; denn ich will wissen, mit wem er in Rechnung stehe; und er muß sie mit Jedermann vor mir in Ordnung bringen. Pfarrer: Dadurch werden sie einen guten Teil ihrer Angehörigen sehr nahe kennenlernen, Gnädiger Herr! Junker: Und wie ich hoffe, auch Wege finden, vieler häuslicher Verwirrung in diesem Dorfe ein Ende zu machen; wenn ich bei diesem Anlasse Jedermann deutlich und einleuchtend machen kann, wie sich die Leute unwiederbringlich verderben, wenn sie mit solchen Wucherern, wie der Vogt ist, nur um einen Kreuzer anbinden. Es dünkt mich, Herr Pfarrer! die Landesgesetze tun zu wenig, diesem Landsverderben zu steuern. Pfarrer: Keine Gesetzgebung kann das, Gnädiger Herr! aber das Vaterherz eines Herrn.

85.

Des Junkers Herz gegen seinen fehlenden Vogt.

Indessen kam der jüngere Meyer, und der Junker sagte zu ihm: Meyer! ich bin im Fall meinen Vogt zu entsetzen; aber so sehr er sich verfehlt hat, bewegen mich doch einige Umstände, daß ich wünsche, ihm so lange er lebt, noch etwas vom Einkommen seines Dienstes zukommen zu lassen. Du bist ein wohlhabender Mann, Meyer! und ich denke, wenn ich dich zum Vogt mache, du lassest dem alten Mann gern noch jährlich hundert Gulden vom Dienste zufließen.Meyer. Wenn sie mich zu diesem Dienste tüchtig finden, Gnädiger Herr! so will ich mich hierin, wie in allem anderen, nach ihren Befehlen richten.Junker: Nun, Meyer! so komme morgen zu mir auf Arnburg, ich will dann dieses Geschäft in Ordnung bringen. Jetzt will ich dir nur sagen: du müssest mit meinem Schreiber und mit dem Richter Aebi dem Hummel alle seine Schriften und seine Rechnungen besiegeln. Ihr habt genau nachzusehen, daß von allen Papieren und Rechnungen nichts unterschlagen werde.Da gingen der Meyer und der Herrschaftsschreiber, nahmen noch den Richter Aebi mit sich, und besiegelten des Vogts Schriften.Die Vögtin aber ging mit einem nassen Schwamm gegen die gekreidete Wandtafel; aber der Meyer sah es, hinderte sie etwas durchzustreichen, und ließ die gekreidete Tafel schnell abschreiben.Und der Meyer, der Schreiber und der Richter Aebi verwunderten sich, als sie auf der Tafel fanden: Samstags den 18ten dieses dem Joseph des Lienhards drei Taler an Geld - Wofür das, fragten der Meyer, der Schreiber und Aebi, den Vogt und die Vögtin? aber sie wollten's nicht sagen. Und da die Männer mit der Abschrift der Wandtafel ins Pfarrhaus kamen, verwunderte sich der Junker ebenfalls über diese drei Taler, und fragte die Männer: Wisset ihr, für was das war? Es wollte niemand mit einer Antwort herausrücken, da wir fragten, antworteten die Männer.Ich will es bald herausbringen, sagte der Junker. Wenn Flink und der Gefängniswächter da sein werden, so sagt ihnen: sie sollen den Vogt und den Hans Wüst hierher bringen.

86.

Der Pfarrer zeigt abermal sein gutes Herz.

Der gute Pfarrer hatte das kaum gehört, so schlich er sich alsobald von der Gesellschaft weg ins Wirtshaus, und sagte dem Vogt: Um Gottes willen! was ist das mit den drei Talern an Joseph? du machst dich doppelt unglücklich, wenn du's nicht sagst; der Junker ist zornig.Da bekannte der Vogt dem Pfarrer mit Tränen alle Umstände mit Joseph und mit dem Gelde.Und der Pfarrer eilte schnell wieder zu Arner, und sagte ihm alles, und wie wehmütig der Vogt es ihm gestanden hätte. Er bat auch den Junker noch einmal um Gnad und Barmherzigkeit für den armen Mann.Sorgen Sie nicht, Herr Pfarrer! Sie werden mich gewiß menschlich und mitleidend finden, sagt Arner.Er ließ hierauf den Joseph gebunden und gefangen von der Arbeit wegnehmen, und ihn mit dem Wüst und dem Vogt herbringen.Der Vogt zitterte wie ein Laub der großblättrige Espe. Der Wüst schien in stiller Wehmut in sich selbst gekehrt, und von Herzen geduldig.Der Joseph aber knirschte mit den Zähnen, und sagte zum Vogt: Du Donnersbub, du bist an allem schuldig! Arner ließ die Gefangenen einen nach dem anderen in die untere Stube des Pfarrhauses führen, wo er sie in Gegenwart des Meyers, des Aebis, und des Weibels verhörte.Und nachdem der Schreiber alle ihre Aussagen von Wort zu Wort niedergeschrieben, und sie den Gefangenen wieder vorgelesen, diese sie auch von neuem wiederholt und bestätigt hatten, ließ er sie alle unter die Linde des Gemeindplatzes bringen, und befahl, jetzt an die Gemeinde zu läuten.

87.

Vom guten Mut und von Gespenstern.

Vorher ging der Junker noch ein paar Augenblicke in die obere Stube zum Pfarrer, und sagte: Ich trinke noch eins, Herr Pfarrer! denn ich will guten Muts sein an der Gemeind; das muß man sein, wenn man den Leuten etwas beibringen will. Nichts ist gewisser, sagte der Pfarrer.Und der Junker nötigte ihn, auch eins zu trinken, und sagte: Wenn nur auch einmal die Geistlichen lernten so ganz ohne Umschweif und Zeremonie mit den Leuten umgehen, Herr Pfarrer! Sobald die Leute einen freudigen Mut, ein ungezwungenes offenes Wesen an einem sehen, so sind sie schon halb gewonnen.Ach Junker! sagte der Pfarrer: Eben das so gerade hin, mit gutem Mut, mit freudigem ungezwungenem Wesen mit den Leuten umgehen, daran werden wir auf tausenderlei Arten gehindert.Junker: Das ist ein Unglück für ihren Stand, Herr Pfarrer! das sehr weit langt.Pfarrer: Sie haben ganz recht, Junker! Ungezwungener, treuherziger und offener sollte niemand mit den Leuten umgehen können, als die Geistlichen. Sie sollten Volksmänner sein, und dazu gebildet werden; sie sollten den Leuten in den Augen ansehen, was und wo sie reden und schweigen sollen. Ihre Worte sollten sie sparen, wie Gold, und sie hergeben wie nichts; so leicht, so treffend und so menschenfreundlich, wie ihr Meister! Aber ach! sie bilden sich in anderen Schulen, und man muß Geduld haben, Junker! es sind in allen Ständen noch gleich viel Hindernisse für die liebe Einfalt und für die Natur. Junker: Es ist so, man kommt in allen Ständen immer mehr von dem weg, was man eigentlich darin sein sollte; man muß oft und viel Zeit, in der man wichtige Pflichten seines Standes erfüllen sollte, mit Zeremonien und Komödien zubringen; und es sind wenige Menschen, die unter der Last der Etikettenformularen und Pedantereien das Gefühl ihrer Pflichten und das innere Wesen ihrer Bestimmung so rein erhalten, wie es ihnen gelungen ist, mein lieber Herr Pfarrer! Aber an ihrer Seite ist's mir Freude und Lust, die selige Bestimmung meiner Vaterwürde zu fühlen; auch will ich trachten, diese Bestimmung mit reinem Herzen zu erfüllen, und wie Sie, von allen Zeremonien und Gaukeleien, die man mit den Menschen spielt, nur das mitmachen, was ich muß.Pfarrer: Sie beschämen mich, Gnädiger Herr!Junker: Ich fühle, was ich sage; aber es wird bald läuten. Ich sehne mich recht auf die Komödie an der Gemeind; diesmal, glaube ich, wolle ich ihnen etwas von ihrem Aberglauben austreiben.Pfarrer: Gott gebe! daß es Ihnen gelinge. Dieser Aberglaube ist allem Guten, das man den Leuten beibringen will, immer so viel und so stark im Weg.Junker: Ich fühle es auch an meinem Orte, wie oft und viel er sie in ihren Angelegenheiten dumm, furchtsam und verwirrt macht.Pfarrer: Er gibt dem Kopf des Menschen einen krummen Schnitt, der alles, was er tut, redet und urteilt, verrückt; und was noch weit wichtiger ist, er verdirbt das Herz des Menschen, und flößt ihm eine stolze und rohe Härte einJunker: Ja, Herr Pfarrer! man kann die reine Einfalt der Natur und die blinde Dummheit des Aberglaubens nie genug unterscheiden.Pfarrer: Sie haben ganz recht, Junker! die unverdorbene Einfalt der Natur ist empfänglich für jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend; sie ist wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit des Aberglaubens aber ist wie gegossenes Erz, keines Eindrucks fähig, als durch Feuer und Flammen. Und ich will jetzt nur, Junker! da Sie von diesem Unterschiede, der mir in meinem Berufe so wichtig ist, angefangen haben, einen Augenblick davon fortschwatzen.Junker: Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer! die Sache ist mir eben so wichtig.Pfarrer: Der Mensch in der unverdorbenen Einfalt seiner Natur, weiß wenig; aber sein Wissen ist in Ordnung, seine Aufmerksamkeit ist fest und stark auf das gerichtet, was ihm verständlich und brauchbar ist. Er bildet sich nichts darauf ein, etwas zu wissen, das er nicht versteht und nicht braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber hat keine Ordnung in ihrem Wissen; sie prahlt, das zu wissen, was sie nicht weiß und nicht versteht; sie maßet sich an, die Unordnung ihres Wissens sei göttliche Ordnung, und der vergängliche Glanz ihrer Schaumblase sei göttliche Weisheit und göttliches Licht. Die Einfalt und die Unschuld der Natur brauchen alle Sinnen, urteilen nicht unüberlegt, sehen alles ruhig und bedächtlich an, dulden Widerspruch, sorgen und eifern für Bedürfnis und nicht für Meinung, und wandeln sanft und still und voll Liebe einher - Der Aberglaube aber setzt seine Meinung gegen seine Sinnen und gegen aller Menschen Sinnen. Er findet nur Ruhe im Triumph seines Eigendünkels, und er stürmt damit unsanft und wild und hart durch sein ganzes Leben.Den Menschen in seiner reinen Einfalt leiten sein unverdorbenes Herz, auf das er sich immer getrost verlassen kann, und seine Sinnen, die er mit Ruhe braucht. Den Abergläubigen aber leitet seine Meinung, welcher er sein Herz, seine Sinnen, und oft Gott, Vaterland, seinen Nächsten und sich selbst aufopfert.Junker: Das zeigt die Geschichte auf allen Blättern; und auch ein kleines Maß von Erfahrung und von Weltkenntnis überzeugt einen jeden, daß Hartherzigkeit und Aberglaube immer gepaart gehen, und daß sie nichts als schädliche und bittere Folgen mit sich führen.Pfarrer: Aus diesem wesentlichen Unterschied der Einfalt des guten unentwickelten Menschen, und der Dummheit des Aberglaubens, erhellet, Junker! daß das beste Mittel gegen den Aberglauben zu wirken, dieses ist: "Den Wahrheitsunterricht in der Auferziehung des Volks auf das reine Gefühl der sanften und guten Unschuld und Liebe zu bauen, und die Kraft ihrer Aufmerksamkeit auf nahe Gegenstände zu lenken, die sie in ihren persönlichen Lagen interessieren.Junker: Ich begreife Sie, Herr Pfarrer! und ich finde, wie Sie, daß dadurch Aberglauben und Vorurteil ihren Stachel, ihre innere Schädlichkeit, ihre Übereinstimmung mit den Leidenschaften und Begierden eines bösen Herzens, und mit den grundlosen Grillen der armseligen Einbildung eines müßigen spintisierenden Wissens verlieren würden.Und so wäre der Rest der Vorurteile und des Aberglaubens nur noch totes Wort und Schatten der Sache ohne inneres Gift, und er würde dann von selbst fallen.Pfarrer: So sehe ich es einmal an, Junker! Ordnung, nahe Gegenstände, und die sanfte Entwicklung der Menschlichkeitstriebe müssen die Grundlagen des Volksunterrichts sein, weil sie unzweifelbar die Grundlagen der wahren menschlichen Weisheit sind.Starke Aufmerksamkeit auf Meinungen, und auf entfernte Gegenstände und schwache auf Pflicht und auf Tat, und auf nahe Verhältnisse, ist Unordnung im Wesen des menschlichen Geistes.Sie pflanzet Unwissenheit in unseren wichtigsten Angelegenheiten, und dumme Vorliebe für Wissen und Kenntnis, die uns nicht angehen.Und Rohheit und Härte des Herzens sind die natürlichen Folgen allen Stolzes und aller Präsumptionen; daher denn offenbar die Quelle des inneren Gifts des Aberglaubens und der Vorurteile darin zu suchen ist, daß beim Unterricht des Volks seine Aufmerksamkeit nicht fest und stark auf Gegenstände gelenkt wird, die seine Personallage nahe und wichtig interessieren, und sein Herz zu reiner sanfter Menschlichkeit in allen Umständen stimmen.Täte man das mit Ernst und Eifer, wie man mit Ernst und Eifer Meinungen einprägt, so würde man den Aberglauben an seinen Wurzeln untergraben, und ihm alle seine Macht rauben - Aber ich fühle täglich mehr, wie weit wir in dieser Arbeit noch zurück sind.Junker: Es ist in der Welt alles vergleichungsweise wahr oder nicht wahr. Es waren weit rohere Zeiten, Zeiten, wo man Gespenster glauben oder ein Ketzer sein mußte; Zeiten, wo man alte Frauen auf Verdacht und boshafte Klagen hin an der Folter fragen mußte, was sie mit dem Teufel gehabt, oder Gefahr lief, seine Rechte und seinen Gerichtsstuhl zu verlieren.Pfarrer: Das ist gottlob vorbei; aber es ist noch viel des alten Sauerteigs übrig.Junker: Nur Mut gefaßt, Herr Pfarrer! es fällt ein Stein nach dem anderen vom Tempel des Aberglaubens, wenn man nur auch so eifrig an Gottes Tempel aufbauete, als man an dem Tempel des Aberglaubens hinunterreißt.Pfarrer: Eben da fehlts, und eben das schwächt oder zernichtet meine Freude darüber, daß man gegen den Aberglauben arbeitet; weil ich sehe, daß alle diese Leute gar nicht bekümmert sind, das Heiligtum Gottes, die Religion, in ihrer Kraft und in ihrer Stärke auf der Erde zu erhalten.Junker: Es ist so; aber bei allen Revolutionen will man im Anfang das Kind mit dem Bad ausschütten. Man hatte recht, den Tempel des Herrn zu reinigen; aber man fühlet jetzo schon, daß man im Eifer seine Mauern zerstoßen hat, und man wird zurückkommen, und die Mauern wieder aufbauen.Pfarrer: Ich hoffe es zu Gott, und sehe es mit meinen Augen, daß man anfängt zu fühlen, daß die eingerissene Irreligiosität die menschliche Glückseligkeit unendlich untergräbt.Junker: Indessen müssen wir gehen, und ich will einmal auch heute gegen den Aberglauben stürmen, und eure Gespensterkapelle zu Bonnal angreifen.Pfarrer: Möge es Ihnen gelingen. Ich habe es mit meinem Angreifen und mit meinem Predigen dagegen noch nicht weit gebracht.Junker: Ich will's nicht mit Worten versuchen, Herr Pfarrer! Mein Hühnerträger muß mit seinem Korb und mit seiner Laterne, mit seinem Karst und mit seinem Pickel mir überflüssige Worte sparen.Pfarrer: Ich glaube im Ernst, dieser werde es vortrefflich gut machen; denn es ist gewiß, wenn man solche Vorfälle wohl zu benutzen weiß, so richtet man dadurch in einem Augenblick mehr aus, als mit allen Rednerkünsten in einem halben Jahrhundert.

88.

Von Gespenstern, in einem anderen Ton.

Indessen waren die Bauern bald alle auf dem Gemeindplatz - Der gestrige Vorfall und das Gerücht von den Gefangenen war die Ursache, daß sie haufenweise herzueilten. Die erschreckliche Erscheinung des Teufels hatte sie innigst bewegt - und sie hatten von Morgens frühe an schon geratschlagt, was unter diesen Umständen zu tun sei, und sich entschlossen, es nicht mehr zu dulden, daß der Pfarrer so ungläubig lehre und predige, und alle Gespenster verlache. Sie rieten, sie wollen den Ehegaumer Hartknopf angehen, daß er dafür einen Vortrag mache, an der Gemeinde; der junge Meyer aber widersetzte sich und sprach: Ich mag nicht, daß der alte Geizhund, der seine Kinder verhungern läßt, und der allen schmutzigen Suppen nachläuft, für uns und für unseren Glauben reden soll. Es ist uns eine ewige Schande, wenn wir den Heuchler anreden. Die Bauern antworteten: Wir wissen wohl, daß er ein Heuchler und ein Geizhund ist, wir wissen auch, daß seine Dienstmagd ein Laster ist, wie er, und wie sie miteinander leben. Es ist wahr, es lügt keiner von uns allen so frech und keiner pflügt dem anderen, wie er, über die Mark, und keiner putzt in der Ernte beide Seiten der Furchen aus, wie er; aber dann kann von uns auch keiner, wie er, mit einem Pfarrer reden, oder eine geistliche Sache behaupten. Wenn du einen weißt, der's nur halb kann, wie er, und es tun will, so ist's gut; aber der Meyer wußte niemand.Also redeten die Männer den Ehegaumer an, und sprachen: Du, Hartknopf! du bist der Mann, der einem Geistlichen Antwort geben kann, wie keiner von uns allen; du mußt, wenn der Junker heute Gemeind halten wird, den Pfarrer verklagen wegen seines Unglaubens, und einen Bettag begehren wegen der Erscheinung des leidigen Satans. Sie redeten es aber dennoch nicht öffentlich mit ihm ab, sondern nur die Vornehmsten betrieben den Handel; denn der Pfarrer hatte unter den Armen viele Freunde; aber den größeren Bauern war er desto verhaßter, besonders seit dem er sich in einer Morgenpredigt erklärt, es sei nicht recht, daß sie sich der Verteilung eines elenden Weidgangs, welche der Junker zum Vorteil der Armen betreibe, widersetzten. Der Ehegaumer Hartknopf aber nahm den Ruf an, und sprach: Ihr berichtet mich zwar spät, doch will ich auf den Vortrag studieren; und er ging von den Bauern weg in sein Haus, und studierte den Vortrag vom Morgen bis an den Abend, da es zur Gemeind läutete. Da aber jetzt die Verschworenen fast alle beieinander waren, wunderten sie sich, warum der Hartknopf nicht käme, und wußten nicht, wo es fehlte. Da sagte ihnen Nickel Spitz: Es fehlt wahrlich nirgends, als daß er wartet, bis ihr ihn abholet.Was ist zu machen, sagten die Bauern, wir müssen dem Narren uns wohl unterziehen, sonst kommt er nicht. Und sie sandten drei Richter, ihn abzuholen; diese kamen dann bald wieder mit ihm zurück.Und der Ehegaumer grüßte die Bauern so gravitätisch, wie ein Pfarrer, und versicherte die Vorgesetzten und Verschworenen, die um ihn herum standen, leise und bedenklich, er habe nun den Vortrag studiert.Indessen gab Arner dem Hühnerträger zum Zeichen, wenn er ein großes, weißes Schnupftuch zum Sack herausziehe, so soll er dann kommen, und ordentlich alles vortragen, und tun, wie abgeredet sei.Dann ging er mit dem Pfarrer und mit dem Schreiber an die Gemeinde.Alles Volk stand auf, und grüßte den Gnädigen Herrn und den Wohlehrwürdigen Herrn Pfarrer.Arner dankte ihnen mit väterlicher Güte, und sagte den Nachbarn: Sie sollten sich auf ihre Bänke setzen, damit alles in der Ordnung gehe.Therese aber und die Frau Pfarrerin, auch alle Kinder und Dienste aus dem Schloß und aus dem Pfarrhause standen auf dem Kirchhof, von dem man gerade hin auf den Gemeindplatz sehen konnte.Arner ließ jetzt die Gefangenen einen nach dem anderen vorführen, und ihnen alles, was sie ausgesagt und bekannt hatten öffentlich vorlesen.Und nachdem sie vor der Gemeinde das Vorgelesene bestätigt hatten, befahl er dem Vogt, sein Urteil auf den Knien anzuhören.Und redete ihn dann also an.

89.

Ein Urteil.

Unglücklicher Mann! Es tut mir von Herzen weh, dir in deinen alten Tagen die Strafen anzutun, die auf Verbrechen, wie die Deinigen sind, folgen müssen. Du hast den Tod verdient, nicht weil des Hübelrudis Matte oder mein Markstein eines Menschen Leben wert sind; sondern weil meineidige Taten und ein freches Räuberleben über ein Land grenzenlose Gefahren und Unglück bringen können.Der meineidige Mann und der Räuber werden Mörder beim Anlaß, und sind Mörder im vielfachen Sinn durch die Folgen der Verwirrung, des Verdachts, des Jammers und des Elends, das sie anrichten.Darum hast du den Tod verdient. Ich schenke zwar wegen deinem Alter, und weil du einen Teil deiner Verbrechen gegen mich persönlich ausgeübt hast, dir das Leben. - Deine Strafe aber ist diese:Du sollst noch heute, in Begleitung aller Vorgesetzten, und wer sonst mitgehen will, zu meinem Markstein gebracht werden, um daselbst in Ketten alles wieder in den vorigen Stand zu stellen.Hierauf sollst du in das Dorfgefängnis hier in Bonnal geführt werden; daselbst wird dein Herr Pfarrer ganzer vierzehn Tage deinen Lebenslauf von dir abfordern, damit man deutlich und klar finden könne, woher eigentlich diese große Ruchlosigkeit und diese Härte deines Herzens entsprungen sind. Und ich selbst werde alles Nötige vorkehren, den Umständen nachzuspüren, welche dich zu deinen Verbrechen verführt haben, und welche auch andere von meinen Angehörigen in gleiches Unglück bringen könnten.Am Sonntag über vierzehn Tage wird sodann der Herr Pfarrer öffentlich vor der ganzen Gemeinde die Geschichte deines Lebenswandels, deiner häuslichen Unordnung, deiner Hartherzigkeit, deiner Verdrehung aller Eide und Pflichten, und deiner schönen Rechnungsart gegen Arme und Reiche umständlich, mit deinen eigenen Aussagen bekräftigt, vorlegen. Und ich selbst will gegenwärtig sein, und mit dem Herrn Pfarrer alles vorkehren, was nur möglich ist, meine Angehörigen in Zukunft vor solchen Gefahren sicherzustellen, und ihnen gegen die Quellen und Grundursachen des vielen häuslichen Elends, das im Dorf ist, Hilfe und Rat zu schaffen. Und hiermit wollte ich dich denn gern entlassen; und wenn meine Angehörigen sanft und wohlgezogen genug wären, der Wahrheit und dem, was ihr zeitliches und ewiges Heil betrifft, um ihrer selbst willen, und nicht um der elenden Furcht vor rohen, grausamen und ekelhaften Strafen, zu folgen; so würde ich dich hiermit wirklich entlassen; aber bei so vielen rohen, unbändigen und ungesitteten Leuten, die noch unter uns wohnen, ist's nötig, daß ich um dieser willen noch beifüge:Der Scharfrichter werde dich morgen unter den Galgen von Bonnal führen, dir daselbst deine rechte Hand an einen Pfahl in die Höhe binden, und deine drei ersten Finger mit unauslöschlicher, schwarzer Farbe anstreichen.Wobei aber mein ernster Wille ist, daß niemand mit Gespött oder mit Gelächter oder irgendeiner Beschimpfung dir diese Stunde deines Leidens wider meinen Willen verbittere, sondern alles Volk ohne Geräusch und ohne Gerede still mit entblößtem Haupt zusehen soll.Den Hans Wüst verurteilte der Junker zu achttägiger Gefängnisstrafe.Und den Joseph, als einen Fremden, ließ er sogleich aus seinem Gebiet fortführen, und ihm alle Arbeit und das fernere Betreten seines Bodens bei Zuchthausstrafe verbieten. Indessen hatte des Pfarrers Gevatter, Hans Renold, ihm ganz in der Stille berichtet, was die Bauern mit dem Ehegaumer vorhatten, und wie sie gewiß und unfehlbar ihn wegen seinem Unglauben angreifen würden.Der Pfarrer dankte dem Renold, und sagte ihm mit Lächeln: Er sollte ohne Sorgen sein, es werde so übel nicht ablaufen. Das ist vortrefflich, sagte der Junker, dem es der Pfarrer gesagt hatte, daß sie das Spiel selber anfangen wollen; und indem er's sagte, stand der Ehegaumer auf, und sprach:

90.

Vortrag Hartknopfs, des Ehegaumers.

Gnädiger Herr! Ist es auch erlaubt, im Namen der Bauern Eurer getreuen Gemeinde Bonnal etwas anzubringen, das eine Gewissenssache ist?Arner antwortete: Ich will hören. Wer bist du? Was hast du? Der Ehegaumer antwortete: Ich bin Jakob Christoph Friedrich Hartknopf, der Ehegaumer und Stillständer von Bonnal, meines Alters 56 Jahre.Und die Vorgesetzten des Dorfs haben mich im Namen der Gemeind erbeten und erwählt, daß ich für sie, da sie einmal in geistlichen Sachen nicht erfahren und nicht beredt sind, etwas vorbringe.Arner: Nun dann, Ehegaumer Hartknopf! zur Sache. Da fing der Ehegaumer abermal an: Gnädiger Herr! Wir haben von unseren Alten einen Glauben, daß der Teufel und seine Gespenster dem Menschen oft und viel erscheinen; und da einmal jetzt auf heute offenbar geworden ist, daß unser alter Glaube an die Gespenster wahr ist, wie wir denn keinen Augenblick daran zweifelten, so haben wir in alle Namen die Freiheit nehmen müssen, unserem Gnädigen Herrn anzuzeigen: daß einmal unser Herr Pfarrer, Gott verzeih's ihm nicht dieses Glaubens ist. - Wir wissen auch wohl, daß selbst Euer Gnaden, wegen den Gespenstern, es mit dem Herrn Pfarrer halten - Da man aber in Sachen des Glaubens Gott mehr gehorsamen muß, als den Menschen; so hoffen wir, Euer Gnaden werden es uns in Untertänigkeit verzeihen, wann wir bitten, daß der Herr Pfarrer in Zukunft, wegen dem Teufel unsere Kinder auf unseren alten Glauben lehre, und nichts mehr gegen die Gespenster rede, die wir glauben und glauben wollen. Auch wünschten wir, daß auf einen nahen Sonntag ein Fast-, Bet- und Bußtag gehalten werden möchte, damit wir alle die überhand nehmende Sünde des Unglaubens gegen die Gespenster, im Staub und in der Asche gnädiglich, und auf einen besonders dazu angesetzten Tag abbeten können. Der Junker und der Pfarrer konnten freilich das Lachen schier gar nicht verbeißen, bis er fertig war; doch hörten sie ihm mit aller Geduld zu.Die Bauern aber freueten sich in ihrem Herzen dieser Rede; und sie beschlossen, den teuren Mann zu Hunderten heim zu begleiten, da sie ihn nur zu Dreien abgeholt hatten. Auch standen sie zu Dutzenden auf, und sagten: Gnädiger Herr! das wäre in Gottes Namen unser aller Meinung, was der Ehegaumer da sagt. Den Armen aber, und allen denen, welchen der Pfarrer lieb war, war es recht angst und bang für ihn; und da und dort sagte noch einer zum anderen: Wäre er doch nur auch nicht so unglücklich, und glaubte auch was andere Leute - er ist doch sonst auch so brav; aber diese durften nicht reden, so weh es ihnen tat, daß seine Feinde jetzt triumphierten.

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Des Junkers Antwort.

Aber der Junker setzte den Hut auf, sah etwas ernsthaft umher, und sagte: Nachbarn! Ihr brauchtet eben keinen Redner für diese Torheit - Die Sache selber und die Erscheinung des Teufels ist Irrtum; und euer Herr Pfarrer ist einer der verständigsten Geistlichen. Ihr solltet euch schämen, ihn so durch einen armen Tropf, wie euer Ehegaumer da ist, beschimpfen zu wollen. Hättet ihr gebührende Achtung für seine vernünftigen Lehren, so würdet ihr verständiger werden, euren alten Weiberglauben ablegen, und nicht allen vernünftigen Leuten zum Trotze Meinungen beibehalten wollen, die weder Hände noch Füße haben.Die Bauern redeten zu Dutzenden: Offenbar ist doch diese Nacht der Teufel dem Vogt erschienen, und hat ihn nehmen wollen.Junker: Ihr seid im Irrtum, Nachbarn! und ihr werdet euch noch vor dem Nachtessen eurer Dummheit schämen müssen; aber ich hoffe, ihr seid doch auch nicht alle gleich verhärtet in eurer Torheit - Meyer! bist du auch der Meinung: man dürfe es gar nicht mehr in Zweifel ziehen, daß es wirklich der leidige Satan gewesen sei, der den Vogt auf dem Berg so erschreckt hat?Der junge Meyer antwortete: Was weiß ich, Gnädiger Herr! Der Ehegaumer und viele Bauern ergrimmten über den Meyer, daß er also antwortete.Und der Ehegaumer murrete hinter sich über die Bänke zu:. Wie du auch wider Wissen und Gewissen redest, Meyer! - Viele Bauern aber sagten: Wir haben doch alle die erschreckliche Stimme des leidigen Satans gehört. Junker: Ich weiß wohl, daß ihr ein Geschrei, ein Gebrüll und ein Gerassel gehört habt; aber wie könnt ihr sagen, daß das der Teufel gewesen sei? Kann es nicht sein, daß ein Mensch oder mehrere den Vogt, der ziemlich zur Unzeit an diesem Ort war, haben erschrecken wollen? Der Wald ist nie leer von Leuten, und die Straße ist nahe, also daß es eben so leicht Menschen können getan haben, als der Teufel.Bauern: Zehn und zwanzig Menschen könnten zusammen nicht so ein Geschrei machen; und wenn sie da gewesen wären, Gnädiger Herr! und es gehört hätten, es käme ihnen nicht in Sinn, daß Menschen so brüllen könnten.Junker: Die Nacht trügt, Nachbarn! und wenn man einmal im Schrecken ist, so sieht und hört man alles doppelt.Bauern: Es ist nicht von dem zu reden, daß wir uns irren; es ist nicht möglich.Junker: Ich aber sage euch: Es ist ganz gewiß, daß ihr euch irret.Bauern: Nein, Gnädiger Herr! es ist ganz gewiß, daß wir uns nicht irren.Junker: Ich meinte fast, ich könnte euch beweisen, daß ihr euch irret.Bauern: Das möchten wir sehen, Gnädiger Herr!Junker: Es könnte leicht etwas schwerer sein, als dieses.Bauern: Euer Gnaden scherzen.Junker: Nein, ich scherze nicht. Wenn ihr glaubet, ich könne es nicht, so will ich es versuchen; und wenn ihr die Gemeindweide teilen wollet, Wort halten, und euch beweisen, daß ein einziger Mensch das Gebrüll und das Gerassel alles gemacht habe.Bauern: Das ist nicht möglich.Junker: Wollt ihr es versuchen?Bauern: Ja, Junker, wir wollen es. Wir dürften zwei Gemeindweiden an das setzen, nicht nur bloß eine, daß Sie das nicht können.Hierauf entstand ein Gemurmel. Einige Bauern sagten unter sich: Man muß sich doch in acht nehmen, was man verspricht. Andere Bauern auch unter sich: Er kann das so wenig beweisen, als daß der Teufel in Himmel kommt. Wieder andere Bauern auch unter sich: Wir haben nichts zu fürchten; er muß hinten abziehen. Wir wollen daran setzen; er kann's nicht beweisen.Bauern: (Laut) Ja, Junker! wenn ihr wollt Wort halten, so redet; wir sind's zufrieden, wenn ihr das, was ihr gesagt habt, daß ein Mensch das Gebrüll, so wir gestern gehört haben, gemacht habe; wenn ihr das beweisen könnt, daß es bewiesen ist, und bewiesen heißt, so wollen wir die Gemeindeweide teilen; aber sonst gewiß nicht.Der Junker nimmt ein großes weißes Schnupftuch, gibt dem Hühnerträger das Zeichen, und sagt zu den Bauern: Nur eine Viertelstunde Bedenkzeit.Diese lachten in allen Ecken, und etliche riefen: Bis morgen, Junker! wenn ihr wollt.Der Junker antwortete auf diese Grobheit kein Wort; aber die auf dem Kirchhof, als sie den Hühnerträger gegen dem Gemeindplatz anrücken sahen, lachten, was sie aus dem Halse vermochten.Es träumte aber den Bauern vom Bösen, als sie das laute Gelächter hörten, und den fremden Mann mit dem schwarzen Korb und mit der Laterne anrücken sahen.Was ist das für ein Narr, am hellen Tag mit dem brennenden Licht? sagten die Bauern.Arner antwortete: Es ist mein Hühnerträger von Arnheim, und rief ihm: Christoph! was willst du hier?Ich habe etwas anzubringen, Gnädiger Herr! antwortete Christoph.Das magst du meinethalben, erwiderte Arner. Da stellte der Hühnerträger seinen Korb ab, und sagte:

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Rede des Hühnerträgers an die Gemeinde.

Gnädiger Herr! Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer! und ihr Nachbarn!Hier sind der Pickel, der Karst, die Schaufel, die Brandt'- flasche, die Tabakspfeife, und der große Wollhut eures Herrn Untervogts, das er alles in seinem Schrecken beim Markstein gelassen hat, als ich ihn heute von seiner schönen Arbeit weg den Berg hinunter jagte.Bauern: Wir sollen jetzt glauben, du habest das Geschrei gemacht? Das glauben wir heut und morgen nicht - Junker! der Beweis ist nicht gut; wir bitten um einen anderen.Junker: Wartet nur ein wenig; er hat ja eine Laterne bei sich, er kann euch vielleicht heiterer zünden - Und dann sehr laut und sehr ernsthaft: Still - wenn's euch lieb ist, bis er ausgeredet hat.Die Bauern schweigen gehorsamst.Der Hühnerträger aber fährt fort: Ihr seid unhöflicher, als es im Land sonst der Gebrauch ist; warum laßt ihr mich nicht ausreden? Denkt an den Hühnerträger von Arnheim. Wenn ihr mich nicht ganz höret, so fehlt's nicht, der künftige Kalender wird von euch voll sein; denn es ist kein Punkt und kein Tüpflein davon wahr, daß der Teufel dem Vogt erschienen ist. Ich hab ihn erschreckt, ich, der Hühnerträger, so, wie ich da steh, mit diesem Korb und mit diesem neuen, schwarzen Geißfell, das ich über meinen Korb hatte, weil's gestern am Morgen noch regnete, und diese Laterne hatte ich vorne am Korb, just so, wie ihr mich kommen sahet. Ich füllte sie in Hirzau wohl mit Öl, damit sie gut zünde; denn es war sehr dunkel, und der Weg ist bös, wie ihr wohl wißt, auf der Hirzauer Seite. Um 11 Uhr war ich noch im Hirzauer Wirtshaus das kann ich mit dem Wirt und wohl mit zehn Männern beweisen, die auch da waren. Als ich auf die Höhe vom Berg kam, schlug es eben zwölf Uhr in Bonnal, und da hörte ich, wie der Vogt keinen halben Steinwurf weit von der Landstrasse fluchte und arbeitete, und da ich ihn an seiner Stimme und an seinem Husten richtig erkannte, wunderte es mich, was er da schaffe in der Mitternachtsstunde. Ich dachte fast, er grabe Schätzen nach, und wenn ich eben recht komme, so werde er mit mir teilen - Ich ging also dem Geräusch nach - Aber es scheint, der Herr Untervogt habe gestern gegen seine Gewohnheit etwas mehr, als nötig ist, getrunken gehabt; denn er hielt mich armen sündigen Menschen, so bald er mich sah, für den leibhaftigen Teufel. Und da ich sah, daß er einen Markstein in unseres Herren Wald versetzen wollte, dachte ich, nun er fürchtet doch, was er verdient, ich will ihm jetzt die Hölle warm machen. Ich band schnell Karst, Pickel und Schaufel und meinen Botenstock zusammen, schleppte das alles hinter mir her den Felsweg hinunter, und rief dann, was ich aus dem Hals vermochte: Oh - Ah - Uh - Vo - ogt Du bist mein, Hu - ummel - - und ich war nicht mehr einen Steinwurf weit von euch weg, als ihr mit eurem Windlicht langsam und still dem Herrn Untervogt zu helfen daher schlichet. Aber ich wollte die unschuldigen Männer nicht so, wie den Vogt, mit meinem Gebrüll gar in der Nähe erschrecken, hörte damit auf, und stieg wieder mit meiner Beute bergan zu meinem Korb, und ging den geraden Weg heim. Es war eine Viertelstunde nach zwei Uhr, da mich unser Wächter antraf, und mich fragte: Was trägst du Bauerngeschirr auf deinem Eierkorb? Ich weiß nicht mehr, was ich ihm geantwortet habe, einmal die Wahrheit nicht; denn ich wollte schweigen, bis ich sie dem Junker erzählt hätte, welches ich heut schon vor sechs Uhr getan habe. Und nun, Nachbarn! wie könnt ihr jetzt finden, daß ich zu dieser Historie und zu diesem Geschirr am Morgen vor Tag gekommen sei, wenn das, was ich euch sage, nicht wahr ist? Einige Bauern kratzten hinter den Ohren, einige lachten. Der Hühnerträger fuhr fort: Wenn euch das wieder begegnet, Nachbarn! so will ich dem Wächter, den Vorgesetzten und einer ganzen ehrsamen Gemeind in Bonnal freundnachbarlich raten, tut ihm dann also: Laßt den größten Hund in eurem Dorf ab der Ketten, so werdet ihr den Teufel bald finden. Der Hühnerträger schweigt. Es erhebt sich ein allgemeines Gemurmel.

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Daß die Armen bei diesem Lustspiel gewinnen.

Einige Bauern: Es ist bei Gott! wie er gesagt hat; es treffen alle Umstände ein.Andere Bauern: Was wir auch für Narren waren!Kunz: Nun, ich hab dem Schurken doch nachlaufen wollen.Einige Vorgesetzten: Wenn wir nur die gemeine Weide nicht hineingezogen hätten.Einige der Gemeinen: Hat er euch jetzt mit der Allmend?Die Reichen: Das ist verflucht!Die Armen: Das ist Gottlob!Therese: Das Meisterstück ist die Gemeinweide.Pfarrerin: Alles ist wahrlich ein Meisterstück.Der Ehegaumer: Möchten die Steine Blut weinen; unser Glaube ist verloren. Elias! Elias! Feuer vom Himmel.Die Kinder auf dem Kirchhof: Oh - Ah - Uh - du bist mein, Vogt!Der Pfarrer: So sah ich noch nie in's Volk wirken.Der Vogt: Träum ich, oder wach ich? Alles war Irrtum, und ich muß unter den Galgen - und ich kann nicht zürnen; es tobet keine Rache in mir, und ich muß unter den Galgen. So redete ein jedes im allgemeinen Gemurmel seine Sprache nach seiner Empfindung.Nach einer Weile stand Arner auf, lächelte gegen die Nachbarn, und sagte: Wie ist's jetzt mit dem heiligen Bettag gegen die fürchterliche Erscheinung des Teufels auf dem Berg? Recht tun, und Gott lieben, und niemand fürchten; das ist der einige, alte und wahre Glaube, und eure Erscheinungen und Gespenstergeschichten sind Dummheiten, die euch Kopf und Herz verderben.Nun ist doch endlich die Verteilung eures elenden Weidgangs zustande gekommen, und ihr werdet in kurzen Jahren sehen, wie das euch für Kinder und Kindskinder so nützlich und so gut ausschlagen wird, und wie ich Ursach hatte, diese Sache so eifrig zu wünschen.Ich habe befohlen, daß man euch einen Trunk auf das Gemeindhaus bringen soll. Trinkt ihn auf mein Wohlsein und auf das Wohlsein eurer vielen Armen, die bei eurer Weidteilung nichts mehr bekommen, als ihr anderen; aber für die es darum ein Glück ist, weil sie sonst nichts haben. Weiß doch keiner von euch, wie es seinen Kindern und Kindskindern noch gehen wird.Da entließ Arner die Gemeinde, und rief dann dem Hübelrudi, daß er nach einer Viertelstunde zu ihm in's Pfarrhaus kommen soll.Und dann gingen der Junker und der Pfarrer zu den Frauen auf den Kirchhof, und von da mit ihnen ins Pfarrhaus. Der Pfarrer aber lobte Arnern, für die Weisheit und die Menschlichkeit, mit welcher er an seinen lieben Pfarrkindern gehandelt habe; und sagte zu ihm: Ich werde Sie nie weiter weder um Schonung noch um Mitleiden gegen Jemand bitten, denn ihr Vaterherz ist wahrlich über meine Bitten und über meine Lehren erhaben.

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Der Junker dankt dem Pfarrer.

Der Junker aber antwortete dem Pfarrer: Ich bitte Euch beschämt mich nicht. Ich gehe so in Einfalt meine Wege, und bin noch jung; will's Gott! werde ich's noch besser lernen. Mich freut es herzlich, wenn Ihr mit meinem Urteil zufrieden seid; aber Ihr müßt nicht glauben, daß ich nicht wisse, daß Ihr weit mehr getan habt, als ich, und daß eure Sorgfalt und eure Güte alles so in Ordnung gebracht haben, daß mir nichts übrig geblieben ist, als das Urteil zu fällen.Pfarrer: Gnädiger Herr! Sie gehen zu weit mit ihrer Güte.Junker: Nein, Freund! es ist nichts, als was wahr ist; und ich wäre undankbar und unbillig, wenn ich's nicht erkennete. Ihr habt mit vieler Mühe und mit vieler Klugheit euch bestrebt, meines lieben Großvaters unvorsichtiges Urteil aufzudecken, und seinen Folgen ein Ende zu machen. Es wird den ehrlichen guten Mann im Himmel freuen, was Ihr getan habt, und daß das schlimme Ding endlich wieder gut worden ist,; und gewiß würde er es mir nicht verzeihen, Herr Pfarrer! wenn ich diese eure Handlung unbelohnt ließe. Nehmt den kleinen Zehnden, den ich in eurem Dorf verpachtet habe, zum Zeichen meines Danks an.Und hiermit gab er ihm die gesiegelte Urkunde, die in den dankvollsten Ausdrücken abgefaßt war, in die Hand. Therese stand an der Seite Arners, und steckte dem Pfarrer den schönsten Blumenstrauß, der je in einem Pfarrhaus gesehen worden war, in seine Hand.Das ist zum Angedenken des besten Großvaters, Herr Pfarrer! sagte sie. Und erst am Morgen darauf fand die Frau Pfarrerin, daß der Strauß mit einer Schnur Perlen eingebunden war. Der gute Pfarrer war übernommen, hatte Tränen in den Augen, konnte aber nicht reden - Machen sie keine Worte, sagte der Junker.Ihr Herz wäre eines Fürstentums würdig, sagte endlich der Pfarrer.Beschämt mich nicht, lieber Herr Pfarrer! antwortete der Junker - Seid mein Freund! Hand in Hand wollen wir schlagen, unsere Leute so glücklich zu machen als wir können. Ich will Sie in Zukunft mehr sehen, Herr Pfarrer! Und, nicht wahr: Sie kommen auch mehr zu mir - Mein Wagen stehet Ihnen zu Diensten. Nehmet ihn doch auch ohne Kompliment an, wenn Ihr zu mir kommen wollt.

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Der Junker bittet einen armen Mann, dem sein Großvater Unrecht getan hatte, um Verzeihung.

Indessen kam der Hübelrudi, und der Junker streckte dem armen Mann die Hand dar, und sagte: Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht getan, und dir deine Matte abgesprochen. Das war ein Unglück; der gute Herr ist betrogen worden. Du mußt ihm das verzeihen und nicht nachtragen.Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker! ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war.Warest du nicht böse auf ihn? sagte der Junker.Und der Rudi: Es tat mir freilich bei meiner Armut und insonderheit im Anfange, oft schmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr hätte; aber gegen meinen Gnädigen Herrn habe ich gewiß nie gezürnt.Junker: Ist das auch aufrichtig wahr, Rudi?Rudi: Ja gewiß, Gnädiger Herr! Gott weiß, daß es wahr ist, und daß ich nie gegen ihn hätte zürnen können; ich wußte in meiner Seele wohl, daß er nicht schuld war. Was wollte er machen, da der Vogt falsche Zeugen fand, die einen Eid gegen mich taten? Der gute alte Gnädige Herr hat mir hernach, wo er mich sah, Almosen gegeben; und auf alle Feste sandte er mir in meinem Elend allemal Fleisch, Wein und Brot - daß ihm's Gott lohne, dem alten lieben Gnädigen Herrn! wie oft er meine arme Haushaltung erquickt hat. Der Rudi hatte Tränen in den Augen, und sagte dann weiteres: Ach Gott, Junker! wenn er nur auch so allein mit uns geredet hätte, wie ihr, es wäre vieles, vieles nicht begegnet; aber die Blutsauger waren immer, immer wo man ihn sah, um ihn her, und verdrehten alles.Junker: Du mußt jetzt das vergessen, Rudi! die Matte ist wieder dein; ich habe den Vogt in dem Protokoll durchstreichen lassen, und ich wünsche dir von Herzen Glück dazu, Rudi!Der Rudi zittert - stammelt - Ich kann euch nicht danken, Gnädiger Herr!Der Junker antwortet: Du hast mir nichts zu danken, Rudi! die Matten ist von Gott und Rechtswegen dein.Jetzt schlägt der Rudi die Hände zusammen, weint laut, und sagt dann: Oh! meiner, meiner Mutter Segen ist über mir! Schluchzet dann wieder, und sagt: Gnädiger Herr! sie ist am Freitag gestorben, und hat, ehe sie starb, zu mir gesagt: Es wird dir wohl gehen, Rudi! denk an mich, Rudi! - Oh wie sie mich reut, Junker! meine liebe Mutter!Der Junker und der Pfarrer hatten Tränen in den Augen, und der Junker sagte: Du guter frommer Rudi! Gottes Segen ist wohl bei dir, da du so fromm bist.Es ist der Mutter Segen! - Ach! der besten, frömmsten, geduldigsten Mutter Segen ist es, Junker! sagte der Rudi, und weinte fort.Wie mich der Mann dauert, Herr Pfarrer! daß er so lange das Seinige hat entbehren müssen; sagte der Junker zum Pfarrer.Es ist jetzt überstanden, Junker! sagte der Rudi, und Leiden und Elend sind Gottes Segen, wenn sie überstanden sind. Aber ich kann euch nicht genug danken für alles, für die Arbeit an der Kirche, die meine Mutter an ihrem Todestage noch erquickt und getröstet hat, und dann für die Matte; ich weiß nicht, was ich sagen noch was ich tun soll, Junker! Ach, wenn nur auch sie, wenn nur auch sie das noch erlebt hätte!Junker: Frommer Mann! sie wird sich deines Wohlstands auch noch in der Ewigkeit freuen; deine Wehmut und deine fromme Liebe ist mir so zu Herzen gegangen, daß ich fast vergessen hätte, daß der Vogt dir auch noch die Nützung deines Guts und deine Kosten zu vergüten schuldig sei.Pfarrer: Hierüber muß ich doch, Gnädiger Herr! dem Rudi etwas vorstellen - der Vogt ist in sehr klammen Umständen. - Er ist dir freilich die Nützung und die Kosten schuldig, Rudi! aber ich weiß, du hast so viel Mitleiden, daß du mit ihm nicht genau rechnen, und ihn in seinen alten Tagen nicht ganz an Bettelstab bringen wirst. Ich habe ihm in seinen traurigen Umständen versprochen, soviel ich könne, für ihn um Barmherzigkeit und um Mitleiden zu bitten, und ich muß es also auch gegen dich tun, Rudi! Erbarme dich seiner in seinem Elend.

96.

Reine Herzensgüte eines armen Manns, gegen seinen Feind.

Rudi: Von der Nützung ist gar nicht zu reden, Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer! Und wenn der Vogt arm wird, ich will mich nicht rühmen, aber ich will gewiß auch tun, was recht ist. Seht, Herr Pfarrer! die Matte trägt wohl mehr als für drei Kühe Futter; und wenn ich zwei halten kann, so habe ich weiß Gott genug, mehr als ich hätte wünschen dürfen, und ich will von Herzen gern den Vogt, so lang er lebt, alle Jahre für eine Kuh Heu darab nehmen lassen.Pfarrer: Das ist sehr christlich und brav, Rudi! der liebe Gott wird dir das Übrige segnen.Arner: Das ist wohl recht und schön, Herr Pfarrer; aber man muß den guten Mann jetzt bei Leibe nicht beim Wort nehmen; er ist von seiner Freude übernommen. Rudi! ich lobe dein Anerbieten; aber du mußt das Ding ein paar Tage ruhig überlegen, es ist dann noch Zeit so etwas zu versprechen, wenn du sicher bist, daß es dich nicht mehr gereuen werde. Rudi: Ich bin ein armer Mann, Gnädiger Herr! aber gewiß nicht so, daß mich etwas ehrliches gereuen sollte, wenn ich's versprochen habe.Pfarrer: Der Junker hat recht, Rudi! es ist für einmal genug, wenn du dir eben nicht viel für die Nützung versprichst. Wenn sodann der Vogt doch in Mangel kommen sollte, und du die Sache bei dir selber genugsam überlegt haben wirst, so kannst du ja immer noch tun, was du willst.Rudi: Ja gewiß, Herr Pfarrer! will ich tun, was ich gesagt habe, wenn der Vogt arm wird.Junker: Nun, Rudi! ich möchte gern, daß du heute recht freudig und wohl zu Mute wärest. Willst du gern hier bei uns ein Glas Wein trinken, oder gehst du lieber heim zu deinen Kindern? Ich habe dafür gesorgt, daß du ein gutes Abendessen daheim findest.Rudi: Ihr seid auch gar zu gütig, Gnädiger Herr! aber ich sollte heim zu meinen Kindern gehen, ich habe niemand bei ihnen. Ach! meine Frau liegt im Grabe - und jetzt meine Mutter auch!Junker: Nun, so gehe in Gottes Namen heim zu deinen Kindern - Unten im Pfrundstall ist eine Kuh, die ich dir schenke, damit du wieder mit meinem lieben Großvater, der dir Unrecht getan hat, zufrieden werdest, und damit du dich heute mit deinen Kindern seines Andenkens freuest - Ich habe auch befohlen, daß man ein großes Fuder Heu ab des Vogts Bühne lade, denn es ist dein, du wirst das Fuder gerade jetzt bei deinem Haus finden; und wenn dein Stall oder dein Haus baufällig sind, so kannst du das nötige Holz in meinem Wald fällen lassen.

97.

Seine Dankbarkeit gegen seinen edlen Herrn.

Der Rudi wußte nicht, was er sagen wollte, so hatte ihn dieses alles übernommen.Und diese Verwirrung des Mannes, der kein Wort hervor bringen konnte, freuete Arnern mehr, als keine Danksagung ihn hätte freuen können.Der Rudi stammelte zuletzt einige Worte von Dank. Arner unterbrach ihn, und sagte lächelnd: Ich sehe wohl, daß du dankest, Rudi! bietet ihm sodann noch einmal seine Hand, und sagt weiter: Gehe jetzt, Rudi! fahre mit deiner Kuh heim, und zähle darauf, wenn ich dir oder deiner Haushaltung euer Leben versüßen kann, so wird es mich immer freuen es zu tun.Da ging der Rudi von Arnern weg, und führte die Kuh heim.

98.

Auftritte, die an's Herz gehen sollen.

Der Pfarrer, die Frauen und die Töchter, gerührt von diesem Auftritte, hatten Tränen in den Augen, und alles schwieg eine Weile still, da der Mann fort war.Hierauf sagt Therese: Was das für ein Abend war, Junker! Gottes Erdboden ist so schön, und die ganze Natur bietet uns allenthalben Wonne und Lust an. - Aber das Entzücken der Menschlichkeit ist grösser als alle Schönheit der Erde. - Ja wahrlich, Geliebte! sie ist größer als alle Schönheit der Erde, sagte der Junker.Und der Pfarrer: Meine Tränen danken Ihnen, Junker! für alle herrliche Auftritte, die Sie uns vor Augen gebracht haben. In meinem Leben, Junker! empfand ich die innere Größe des menschlichen Herzens nie reiner und edler, als bei dem Tun dieses Mannes - Aber, Junker! man muß, man muß in Gottes Namen die reine Höhe des menschlichen Herzens beim armen Verlassenen und Elenden suchen.Die Frau Pfarrerin aber drückte die Kinder, die alle Tränen in ihren Augen hatten, an ihre Brust, redete nichts, lehnte ihr Angesicht hinab auf die Kinder, und weinte wie sie. Nach einer Weile sagten die Kinder zu ihr: Wir wollen doch heute noch zu seinen armen Kindern gehen; schicket doch unser Abendessen dahin.Und die Frau Pfarrerin sagte zu Arners Gemahlin: Gefällts Ihnen, so gehen wir mit unseren Kindern.Sehr gerne, antwortete Therese. Und auch der Junker und der Pfarrer sagten: Sie wollten mitgehen.Arner hatte ein gebratenes Kalbsviertel in seinem Wagen *) mitgebracht für die arme Haushaltung - und die Frau Pfarrerin hatte eine gute, dicke, fette Suppe dazu kochen lassen, und sie hatte eben alles abschicken wollen - jetzt aber stellte sie noch das Abendessen für sie und die Kinder dazu, und Claus trug alles in die Hütte des armen Manns. Alles Volk aus dem Dorf, jung und alt, Weib und Mann, und alle Kinder aus der Schule, standen bei des Rudis Hütten, und bei dem Heuwagen, und bei der schönen Kuh.Einen Augenblick nur hinter dem Claus kamen der Junker und seine Gemahlin, die Frau Pfarrerin und alle Kinder auch in die Stube, und fanden - und fanden - und sahen - im ganzen Hause nichts, als halbnackende Kinder - serbende - Hunger und Mangel atmende Geschöpfe.Das ging Arner von neuem an's Herz, was die Unvorsichtigkeit und die Schwäche eines Richters für Elend erzeugen. Alles, alles war vom Elend des Hauses bewegt. Da sagte Arner zu den Frauen: Dieser Rudi will jetzt dem Vogt, der ihn zehn Jahre lang in dieses Elend, das ihr da seht, gestürzt hat, lebenslänglich noch den dritten Teil Heu ab seiner Matte versichern.Man muß das nicht leiden, sagte Therese, schnell und im Eifer über dieses tiefe Elend. Nein, das ist nicht auszustehen, daß der Mann bei seinen vielen Kindern einen Heller des Seinigen dem gottlosen Buben verschenke.Aber wolltest du, Geliebte! wolltest du dem Lauf der Tugend und der Großmut Schranken setzen, die Gott durch Leiden und Elend auf diese reine Höhe gebracht hat - auf eine Höhe, die soeben dein Herz so sehr bewegt, und zu Tränen gebracht hat? sagte Arner.Nein, nein! das will ich nicht, versetzte Therese, das will ich nicht. Verschenk er alle seine Habe, wenn er's kann. Einen solchen Menschen verläßt Gott nicht.Arner sagte jetzt zu dem Rudi: Gib doch deinen Kindern zu essen.Der Rudeli aber nimmt seinen Vater beim Arm, und sagt ihm in's Ohr: Vater! ich bring doch der Gertrud auch etwas - Ja, sagt der Rudi; aber wart nur.Arner hatte das Wort Gertrud gehört, und fragte den Rudi: Was sagt der Kleine von Gertrud?Da erzählte der Rudi dem Arner von den gestohlenen Erdäpfeln - von dem Todbett seiner Mutter - von der Güte des Lienhards und der Gertrud; und wie selbst die Schuhe und Strümpfe, die er trage, von ihnen seien.Dann setzte er hinzu: Gnädiger Herr! der Tag ist mir so gesegnet; aber ich könnte mit Freuden keinen Mund voll essen, wenn ich diese Leute nicht einladen dürfte.Wie das Arner gelobt - wie dann die Frauen die stillen Taten einer armen Maurerin - wie sie das erhabene Todbett der Kathrine mit Tränen bewunderten - Wie dann der Rudeli mit klopfendem Herzen zu Lienhard und Gertrud gelaufen, sie einzuladen - und wie diese mit ihren Kindern beschämt mit niedergeschlagenen Augen, nicht auf des Rudelis Bericht, sondern auf Arners Befehl, der seinen Claus nachgeschickt hatte, endlich kamen - auch wie Carl für den Rudeli vom Papa, und Emilie für Gritte und Lise von der Mama Schuh und Strümpfe und abgelegte Kleider erbaten - auch wie sie den armen Kindern von ihrem besseren Essen immer zulegten - auch wie Therese und die Frau Pfarrerin mit ihnen so liebreich waren; wie aber diese erst, da Gertrud kam, recht freudig wurden - ihr alle zuliefen - ihre Hände suchten - ihr zulächelten, und sich an ihren Schoß drängten - alles das will ich mich hüten, mit viel Worten zu erzählen.Arner und Therese standen, so lang sie konnten, bei diesem Schauspiel der innigsten Rührung, beim Anblick des erquickten und ganz geretteten Elends. Endlich nahmen sie mit Tränen in den Augen stillen Abschied.Und der Junker sagte zum Kutscher: Fahr eine Weile nicht stark.Die Frau Pfarrerin aber suchte noch alles übergebliebene Essen zusammen, und gab es den Kindern.Und Lienhard und Gertrud blieben noch beim Rudi bis um acht Uhr, und waren von Herzen fröhlich.

99.

Eine angenehme Aussicht.

Und nun ist seit der vorigen Woche eine allgemeine Rede in unserem Dorf, Gertrud suche dem Rudi des jungen Meyers Schwester, die ihre beste Freundin ist, zur Frau.Und da die Matte, die der Rudi nun wieder hat, unter Brüdern zweitausend Gulden wert ist, und auch der Junker, wie es heißt, ihrem Bruder gesagt hat, es würde ihn freuen; so meint einmal Jedermann, es werde nicht fehlen, sie nehme ihn. Und dem Maurer geht es bei seinem Bau auch gar gut; er ist dem Junker täglich lieber.

100.

Des Hühnerträgers Lohn.

Auch der Hühnerträger hatte noch ein Glück. Therese sah ihn im Heimfahren aus dem Wagen, und sagte zu Arnern: Dieser muß auch noch etwas haben. Eigentlich ist's doch er, der mit seiner Nachtreise alles in Ordnung gebracht hat. Da rief Arner dem Hühnerträger, und sagte: Christoph! meine Frau will nicht, daß du deine Teufelsarbeit umsonst gehabt habest; und gab ihm ein Paar Taler.Der Hühnerträger bückte sich tief, und sagte: Gnädiger Herr! Also wünschte ich mir alle die Tage meines Lebens nur Teufelsarbeit.Ja, sagte Arner, wenn du versichert bist, daß die Hunde allemal an den Ketten bleiben.Das ist auch wahr, Gnädiger Herr! sagte der Hühnerträger; und der Wagen fuhr fort.