Ja oder Nein?

Äusserungen über die bürgerliche Stimmung der europäischen Menschheit in den oberen und unteren Ständen, von einem freien Mann. 1793

PSW 10, S. 105-170

Rechtschreibung und Interpunktion entsprechen nicht der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Schriften, sondern der regularisierten Fassung auf der CD-ROM.

Vorwort. Die Grundsätze der europäischen Staatenverwaltung machten sint meinen Jünglingsjahren den Eindruck auf mich, den ich in diesen Blättern äußere.

Ich warf mehrmals ein Wort hin, das mein ganzes Gefühl über diesen Gegenstand ausdrückte, aber das bürgerliche Unrecht hatte damals in den oberen Regionen so gute Zeiten, daß es wirklich eine Einfalt war, viel dagegen zu reden. Nunmehr, da dieses Unrecht einen Augenblick schlechtere Zeiten hatte, hat man doch angefangen, mehrere Gesichtspunkte einiger Aufmerksamkeit zu würdigen, die man noch vor wenigen Jahren als Träume eines St. Pierre unter aller Untersuchung gefunden hätte.

Aber Unruhe, Ängstlichkeit und Leidenschaften verwirren jetzt die Begriffe, die man vorher mit hohem Kaltsinn bloß wegwarf.

Indessen ist das Leidenschaftliche, womit Begriffe, für die man doch Interesse zeigt, jetzt verwirrt werden, für die zwecklose und unparteiische Wahrheitsliebe unendlich weniger drückend als die Hauteurs und kalte Gleichgültigkeit, womit man sie vorher bloß fallen ließ.

Wenigstens fand sich mein Gefühl sint einigen Jahren in dieser Rücksicht weniger gestoßen als vorher. Es machte mir Freude, daß man anfing einzusehen, auch die Geschäftskundigen können sich verirren, eben wie die, so ohne Geschäftskunde nach Wahrheit und Recht zu forschen sich zum Geschäft ihres Lebens machen.

Ich nahm an den Begegnissen der Zeit den wärmsten Anteil. Die ganze Lebhaftigkeit meines Jugendinteresse für Menschenwohl und Menschenrecht erneuerte sich wieder in mir. Ich verglich den Gang der Dinge mit meinen Jugendbegriffen, träumte, nährte große Hoffungen, fand mich betrogen, sah mich von neuem um, fand meinen Irrtum noch größer, forschte mit Ungeduld, ob und wo ich Befriedigung finden könne, fand sie nirgends, redete und ward mißverstanden. Endlich schrieb ich gegen das Ende des vorigen Jahres meine Begriffe über diese Gegenstände zusammen.

Aber das damalige Waffenglück der Franzosen veranlaßte den Gedanken, meine starken Äußerungen gegen die Fürstenfehler könnten bei der damaligen Lage der Sachen der einreißenden Freiheitsverwilderung noch Vorschub tun, und ich wollte auch nicht einmal durch den Mißverstand meiner Meinungen in diesem Zeitpunkt hierzu Anlaß geben. Ich ließ die Bogen liegen.

Aber jetzt, da Österreich und Preußen den Freiheitstaumel mit Glück und ad hominem widerlegen, so trage ich jetzt keine Bedenken mehr, diese Äußerungen mit einiger Mäßigung der stärksten Stellen öffentlich zu machen, indem ich denke, auch die Armeen könnten mißverstanden werden, so gut wie die Schriftsteller, wenn man sie allein reden lassen würde; und ich glaube, die Welt würde sicher durch die Einseitigkeit der ersten so wenig gewinnen als durch diejenige der zweiten. Es sind freilich noch einige starke Stellen wider den Despotismus, aber ich konnte sie nicht mehr mäßigen, ohne meinem Gefühl für die Wahrheit zu nahe zu treten; was ich wider den Freiheitstaumel sage, davon habe ich auch nur nicht versucht, eine Silbe zu mäßigen.

Sollte ich in meinen Grundsätzen darüber unrecht haben, so fühle ich mehr als niemand: Die Welt hat kaum eine größere Angelegenheit, als Irrtümer zu widerlegen, die der innersten Stimmung der gesellschaftlichen Menschheit eine schiefe Richtung geben und dadurch die Fundamente der bürgerlichen Glückseligkeit untergraben könnten; und der Menschenfreund, der es mit Erfolg tun wird, soll den Mann nicht finden, der ihm herzlicher und inniger dafür danken wird als ich.

Sollte ich aber recht haben, sollten die Verirrungen der Höfe wirklich so groß sein, als ich glaube, so muß die Welt wünschen, daß diese Verirrungen ohne Schonen ins Licht gesetzt werden, und daß man Übel, die so weit greifen, mit ihrem Namen nenne. Ich habe dieses getan und gesucht, die Gründe meiner Meinung mit aller Stärke vorzutragen.

Denn ich halte dafür: Bei allen im Streit stehenden Gegenständen sei es besser, das Stärkste, was man für seine Meinung sagen zu können glaubt, gleich im Anfang zu sagen, und denn im Fortgang der Untersuchung allemal liebreich und gutmütig zurückzutreten und sich einzuschränken, wo man etwan ein Wort zu viel mag geredet haben, als im Anfang das eigentliche Gift des Streits gleichsam in petto zu behalten und denn im Fortgang der Untersuchung durch das neue Hervorbringen desselben sich zu einer Zeit fast unvereinbar getrennt zu zeigen, wo man kurz vorher geglaubt haben würde, man sei gar nicht so weit voneinander entfernt.

Mir wenigstens ist es angenehm, meine Meinung über den vorliegenden Gegenstand das erste Mal, da ich davon öffentlich rede, ganz und unverhohlen zu sagen, und denn sicher zu sein, jedermann, mit dem ich weiter über denselben eintreten werde, mit einer Mäßigung befriedigen zu können, die ich nicht versprechen dürfte, wenn ich meine wahren Gedanken nicht ganz und offen dargelegt hätte.

Und nun zur Sache.

Ist es denn wirklich wahr, daß die Zeitaufklärung schuld, daß die Fürsten Europas nicht mehr auf ihren Thronen sicher sind? Ist es denn wirklich wahr, daß Modegeschwätz von Freiheit und Menschenrechten der obrigkeitlichen Gewalt entschiedene Gefahr drohen, daß ganze Völker, von Zeitbüchern verführt, einem Klub von Bösewichtern verkauft sind, deren Zweck dahin geht, Anarchie über unseren Weltteil zu verbreiten, um auf den Besitzstand aller jetzigen Mächte sich selbst neue Throne zu erbauen?

Oder ist alles dieses ein Traum? Sind es im Gegenteil große, entschiedene Regierungsirrtümer und drückendes Leiden und Unrecht, was die Menschheit unseres Zeitalters über ihre Lage mißmutig macht?

Beides wird behauptet, in den Antichambre der Großen das erste, in tausend durch die Natur selbst zusammenhangenden Volksklubs das zweite. So viel gesteht man sich gegenseitig, ein großes Übel sei wirklich da, die Neigung zur Anarchie mache vielseitige und beunruhigende Vorschritte, und die herrschende Verwirrung in den Begriffen von Menschen- und Fürstenrechten bedrohe den Weltteil mit unleugbaren Gefahren. Aber man trennt sich beides in dem Urteil über die Mittel, dem Übel zu helfen, und in demjenigen über die Quellen desselben.

Die einten sagen, man müsse der ganzen neueren Philosophie durch das Militär den Fußtritt geben; die Sachen seien so weit gediehen, daß man allen Kabalen des List und Betrugs und der Bestechung aufbieten, dem Aberglauben und dem Jesuitismus Luft machen und die Aufklärung, selbst auch das Gute, das sie habe, so lang still stellen müsse *) , bis der Schwindel von Freiheit und Menschenrechten aus den Untertanenköpfen wieder heraus, der Gehorsam gegen alle obere Gewalt wieder hergestellt, und die Sprecher des Demokratismus alle ohne Unterschied zum Stillschweigen gebracht sein werden.

Die anderen erwidern, alles Zusammenhauen der Philosophie mit Kosakensäbeln werde nichts helfen; die Fürsten werden durch alle Maßregeln, die wider die Wahrheit und wider das Recht sind, einer Clique zum Teil schwacher, zum Teil böser Menschen aufgeopfert, die den wahren Zustand des Volks und das Unrecht, das es leidet, den Fürsten verbergen, und dadurch Europas Schicksal aufs Spiel setzen. Unter diesen Umständen sollte man doch denken, das wenigste, was sich von der Menschheit unseres Zeitalters erwarten ließe, wäre ein ernsthaftes und kraftvolles Nachforschen über die Natur dieser Umstände, ihre Quellen und Folgen. Aber nicht einmal dieses.

Man durchkreuzt sich in dem Urteil über dieselbe meistens bloß leidenschaftlich und äußert darüber vielseitig Meinungen, die keinen weiteren Grund haben als den Wunsch, daß es so sein möchte, oder daß wenigstens recht viele Leute glauben, es sei also.

Solange die Welt steht, sagen die einten, waren nie menschlichere Fürsten auf den Thronen, nie hatten die Kabinette gemäßigtere Regierungsgrundsätze; in keinem Zeitalter haben die Gesetzgeber für die Rechte, für die Freiheit und für das Eigentum der Menschen so viel Respekt gezeigt. Nie ist die Großmut der oberen Stände gegen die unteren so groß und so allgemein gewesen, nie haben sie für die Bevölkerung, für den Unterricht, für die Aufklärung derselben getan, was sie jetzt dafür tun, und nie sind sie so bereitwillig gewesen, selbst mit großen Aufopferungen alles zu tun, was die Menschheit von den schrecklichen Übeln, die sie bedrohen, retten könnte.

Die anderen erwidern, das alles sei eine bloße Komödie, die Hausvätertugenden unserer guten Fürsten vermögen nicht mehr zu helfen, sie erliegen selber unter der Last eines aufs höchste gespannten Zustands, dessen Notbedürfnisse alle Maßregeln ihrer Privatgutmütigkeit verschlingen, wie das Meer einen nichtigen Tropfen, der in seinen Schoß fällt.

Sie sagen, die unter diesen Umständen steigende Bevölkerung sowie alle übrigen gerühmten Vorteile der Zeit seien nichts anderes als schwelgende Vergrößerung des allgemeinen Elends; es mangle der niederen Menschheit allenthalben an derjenigen Sicherheit und Selbständigkeit, ohne welche keine Lebensweisheit, folglich auch kein wahres Menschenglück stattfinde. Das positive Recht der Menschen sei in keinem Zeitalter so allgemein, so gewaltsam, und dabei so verstohlen und so künstlich und ministeriell fein beeinträchtigt worden als in dem gegenwärtigen.

Die oberen Stände seien durch ihre zurückgesetzten Finanzen, durch den Luxus und durch den Komödiengeist des Zeitalters bald allgemein so unfähig gemacht worden, der leidenden Menschheit wahrhaft helfende Opfer zu bringen als das sie umgebende Geschlecht, ihnen auch nur zu sagen, worin diese Opfer bestehen müßten.

Sie sagen, es herrsche gegenwärtig in diesem Weltteil beinahe allgemein ein Benehmen, wie wenn Throne und Kanzeln, Lehrstühle und Amtsstuben sich vereinigt, selbst den Gedanken an das Bedürfnis eines ernsten und kraftvollen Nachdenkens über die bürgerliche Lage und Stimmung der Völker aus dem Geist des Zeitalters zu verbannen, wie wenn die Höfe des Weltteils bis auf das letzte Insekt, das in ihrer Atmosphäre atmet, in finstere Geheimnisse wider die Menschheit eingeweiht, durch - - - überzeugt worden wären, der Weltteil habe von Wahrheit und Recht, von Ernst und Freiheit seinen Ruin und von Unrecht und Lügen, von Futilität und Kraftlosigkeit seine Rettung zu erwarten.

Aber die Wahrheit, wo ist sie? Ich frage nur dieses: Sind die Menschen nicht ein gutes, leitbares Geschlecht, und Europas Volk, ist es nicht sint tausend Jahren an feste gesellschaftliche Ordnung gewöhnt? Ist es nicht ein Volk von einem gutmütigen und zuverlässigen Naturell? Treibst du seine Herden nicht zusammen wie die Herden von Schafen? Hast du je gesehen, wo sie Gras finden und einen Pfeifer, daß sie nicht ruhig weiden und still seien? Hast du je gesehen, daß sie mehr wollen, als ihren sicheren Mundvoll und ihre Lämmer an ihr Euter?

Glückliche Menschen wissen nicht, was das ist, Freiheit wünschen; aber wer unglücklich ist, muß wohl wünschen, glücklich zu werden, wer unversorgt ist, muß wohl wünschen, versorgt zu werden, oder wenigstens sich selber versorgen zu dürfen, und wer eine Last nicht mehr auf seinen Schultern zu tragen vermag, der muß wohl wünschen, sie abwerfen zu dürfen. Sonst sucht der Mensch so wenig als ein Vogel ein neues Nest, wenn ihm im alten wohl ist. Er hat sicher Anhänglichkeit an den Baum, auf dem er Jahre lang schlief und wachte, an den Ast, von dem er ausflog, für sich und seine Jungen Nahrung zu suchen. Aber wenn du ihm allen Flaum aus seinem Nest raubst und Dornen darein legst, daß er sich daran ritzt und seine Jungen daran sterben, denn verläßt er freilich den Baum und den Ast, der ihm so lieb war, und sucht sich eine Stelle im Dickicht, wo keine Menschen sind, die allen Flaum brauchen und allen Flaum anzusprechen ein Recht finden. "Die philosophischen Schriftsteller haben den Völkern romantische Begriffe von einer in der Welt nicht möglichen Freiheit beigebracht und sie dadurch für alles Gute, das sie in ihrer Lage wirklich besitzen, blind, und für alles Lästige, das sich darin befinden mag, unduldsam gemacht."

So sagt man. Aber sind die Völker Europas in ihrer Lage wirklich glücklich? Ist es wahr, daß das Lästige, das sich in derselben befindet, bloß ein erträglicher Zusatz von überwägendem Guten, das sie wirklich genießen, und dieses Gute, ist es von einer Natur, daß es die gemäßigten Ansprüche der Gutmütigkeit an das allgemeine Menschenrecht oder vielmehr die gemäßigten Bedürfnisse gutmütiger Menschen im gesellschaftlichen Zustand zu befriedigen fähig? Und ist es wirklich wahr, daß die Wünsche der niederen Stände nach Abänderungen in ihrer Lage auf romantischen Begriffen ruhen, denen keine Weisheit der Staatskunst und kein Vatersinn der Fürsten ein Genügen zu leisten vermöchte? Oder ist es im Gegenteil wahr, daß diese Wünsche auf dem Mangel an Befriedigung der wesentlichsten Bedürfnisse unserer Natur und auf Umständen ruhen, denen der Vatersinn der Fürsten auch nur mit halb guten Staatsgrundsätzen gar leicht abhelfen könnte?

Ist es wahr, daß diese Wünsche auf Rückerinnerung von guten gesellschaftlichen Vorzügen ruhen, die ihre Väter genossen und die jetzt ihnen mangeln, und auf dem drückenden Gefühl von Erniedrigung, Abschwächung und Drangsalen, von denen ihre Väter befreit gewesen?

Das alles muß doch heiter sein, ehe man als wahr annehmen oder als unwahr widersprechen kann, die Unduldsamkeit der europäischen Völker in ihrer Lage sei nichts anders als Philosophenmutwillen.

Die menschliche Natur ist so anhänglich an die Vorzeit als an die Liebe.

Es ist unstreitig, die Ansprüche an unser Recht sind großenteils Folgen der Rückerinnerung an gute Genießungen unserer Väter. Es liegt in unserer Natur, daß der Mensch [sich] im bürgerlichen Leben meistens nur in Vergleichung mit dem Zustand derer, die vor ihm seine Hütte bewohnt, sein Eigentum beworben und seine Rechte genossen, glücklich oder unglücklich fühlt. Es fragt sich also, war der bürgerliche Zustand der europäischen Menschheit zu den Zeiten unserer Ahnen also beschaffen, daß die Rückerinnerung an denselben bei einer großen Anzahl Menschen Wünsche nach Genießungen und Rechten rege machen muß, die uns jetzt mangeln?

Diese Frage aber zu beantworten, wird man zu dem Übergang des alten Feudalsystems in das dem Wesen desselben tödliche Monarchienregimen und zu der hieraus entstandenen gänzlichen Umschaffung der alten Regierungssitten aller europäischen Höfe hinaufsteigen müssen.

Vor dieser Epoche mußte Europa freilich große Vorteile entbehren, die es jetzt genießt. Sein Übergewicht über alle Weltteile war noch kaum geträumt. Schwache Regierungen lagen sich tausendfach in den Haaren, und die Völker konnten nicht anders, als unter den Beschränkungen des damaligen Zustands sehr leiden.

Aber nichtsdestoweniger hatten dieselben in diesem Zeitalter große und wichtige Vorteile, die uns jetzt mangeln. Vom König an bis zum wandernden Handwerksburschen hatte jedermann seine bestimmte Rechte. Niemand durfte alles, aber jedermann durfte doch auch etwas.

Das Siegel auf dem Brief einer Zunftinnung hatte in seinen Schranken vollends die Kraft des großen Insiegels, mit welchem das Recht des Königs ihm versichert ward. Und das Recht des Königs, das Brief und Siegel bedurfte, war offenbar ein Vertrag zwischen ihm und Leuten, die auch wie er auf Brief und Siegel gegründete Rechte hatten.

Die Kreise der Menschen in diesem Zeitalter waren eng. Ihr Wohlstand war in diesen Kreisen beschränkt, aber eben dadurch gesicherter.

Die Erhaltung des väterlichen Hauses, der väterlichen Ehre und der väterlichen Rechte in seinem Stamm war allgemein vom Geist der [Gesetzgebung] geschützte Sitte der Zeit.

Und indem alle Stände also ein bestimmtes Maß von Rechten besaßen, war die Einzelsorge der Menschen in allen Ständen auf die Erhaltung ihrer Rechte als auf den Mittelpunkt ihres Wohlstands gerichtet.

Der Adel hing mit seiner ganzen Kraft am Recht seiner Burg, der Bürger am Recht seiner Stadt, der Bauer am Recht seines Dorfes.

Also fühlten zahllose Menschen in diesem Zeitalter durch ihre Anhänglichkeit an ihr gesetzliches Recht sich im Besitz eines mit ihrer Lage Verhältnismäßigen, sie in ihrem Kreis befriedigenden und ihrer Lojauté *) genugtuenden Grades von Freiheit, das ist von gesetzlich gesicherter Selbständigkeit, und die feste Trennung aller Stände, die immer ein reges Streben, das Übergewicht irgendeines Standes über alle anderen zu verhüten, belebte, sicherte dem einzelnen Mann durch das lebende Interesse seines Standes, und seinem Stand durch das immer rege Interesse aller anderen seine Freiheit und Selbständigkeit. Diese aber war in diesen Zeiten nichts anderes als eine auf Gesetz, Recht und Sitten vereinigt ruhende gesellschaftliche Maßregel, es den Menschen in allen Ständen zu erleichtern, sich unabhängendes Brot, ungekränkte Tage, ein ruhiges und ehrenvolles Alter und die frohe Aussicht zu verschaffen, ihre Kinder ebenfalls auf der Bahn eines weisen, haushälterischen Lebens, im Besitz ihrer angestammten Rechte, bei ihrem väterlichen Beruf, auf ihrem väterlichen Herd und in ihrem väterlichen Hause, gesichert, geehrt und glücklich zu sehen.

Sobald aber der Plus-ultra-Marsch der großen Höfe, den Geist der Vorzeit verhöhnend, den Brief und Siegeln aller Stände den Fürstentritt gab, so war das Fundament des alteuropäischen bürgerlichen Wohlstands in seinem Wesen entkräftet. Denn kam Ludwig der XIV. und zeigte dem staunenden Europa die Monarchiengrundsätze, wie sie vorhero im altrechtlichen Weltteil nie strahlten.

Er hob die Rechte unabhängender Fürsten auf wie die Rechte der Schuster. Er sprach in Kraft seiner Salbung mit Reimser Öl die Rechte der Gottheit an. Er bildete den Weltteil zu einem Sklavendienst, wie keine Türken und keine Mohren im Stand waren, einen solchen zu leisten, und schnitt ihn für die menus plaisirs der Könige zurecht, wie kein Weltteil für dieselbe zurechtgeschnitten ist. Er gewöhnte sein Reich durch Konfiskationen, Exemtionen und die Bastillen an diese Gleichheit der Menschen unter seinem Kronrecht. Die leichten Franken verbluteten sich jubelnd für den großen König, der ihnen also alles nahm, was sie hatten. Ihr Leichtsinn gab Europa das Beispiel, den regen Sinn für die Rechte und Freiheiten aller Stände für ein Vive le Roi umzutauschen, und die Kraft und die Sicherheit ihres alten rechtlichen Zustands seinem bon plaisir zu unterwerfen.

Indessen studierten die Fürsten des Weltteils unter ihm, wie ihre Nachfolger unter dem einzigen König, das höchste Raffinement der Hofallmacht gegen die Menschheit. Der Weltteil folgte dem französischen Beispiel, denn es war das Wohlgefallen der Könige, daß es also geschehe, und nach ein paar Generationen waren die Rechte und Freiheiten aller Stände also zu toten Gerippen gemacht, daß die neuere Regierungskunst mit ihnen samt und sonders nichts mehr zu tun wußte, als sie verspotten.

Der Adel versank in Armut, der Bürger in Erschlappung, der Bauer in Soldatenstand, und der Geistliche ward ein Schwätzer.

Die großen Höfe glaubten sich durch Taktik und Kanonen allmächtig; die kleinen, wo nicht groß genug, anderen, doch sich selber imstand zu imponieren. Die Gefühle aller Stände wurden exaltiert.

Die bürgerlichen Ratsherren vergaßen die Rechte des h. römischen Reiches und den Zustand des Stadtsäckels, damit ein Invalide am Stadttor ihnen das Gewehr strecke und einige Dozzet Saarbachen der Stadt Ehre machen. Das Benehmen der Schneider und Schuster wurde imposant wie das Benehmen friedlicher Reichsstätte gegen ihre Schwestern. Indessen gab der Stadtsenat dem fürstlichen Hauptmann und der Pfarrer dem Fähnrich den Rang. Ehre, Recht und Genuß wurden ganz der physischen Gewalt untergeordnet. Das Königreich war der Werbeplatz der Armee, die Zahl und Zucht der Regimenter das Ziel der Staatskunst. Das bürgerliche Recht ward wie seine Beamtete erniedrigt. Der Adel war für Geld feil. Mésalliances wurden zu mariages de convenances. Ritter studierten in den Vorzimmern der Kaufleute das bürgerliche Recht. Töchter aus Kerzenmacherhäusern und Wollfabriken verschenkten bürgerlich geflochtene Körbe an adelige Unglückliche. Also machten die Nachahmer des großen französischen Königs in unserem Weltteil die Stände, wie er es in seinem Königreich getan, alle gleich schlecht.

Die Folgen ihres Gleichmachungssystems waren wie die jetzigen, und das Benehmen der Gleichmacher das nämliche. Sie arbeiteten zügellos gegen die Privilegien, gegen die Ehre und gegen die Kraft aller Stände zugunsten des Souveräns und für die Kommlichkeit und für die Hoffart seiner Dienerschaft. Sie lösten das häusliche Heiligtum und die Rechte des Besitzstands zum Dienst der Landeshoheit auf, wie wenn an der Hoheit alles und am Land selbst nichts gelegen wäre. Es ging alles so gleich, wie es jetzt geht. Selber die Religionsrechte mußten sich eben wie jetzt so weit stillstellen lassen, als sie dieser auf der Unfehlbarkeit der königlichen Kabinettsvernunft ruhenden Gleichmachungsphilosophie im Weg standen.

Und ebenso windbeutelten an allen Höfen und an allen Regierungsstellen Menschen, die wie Schwämme aus dem Mist hervorwuchsen, mit den Souveränitätsrechten gegen alle Menschen, die nur Untertanenrechte ansprachen. Alle diese Verirrungen der Vernunft, der Staatskunst und <40 der gesellschaftlichen Ordnung, die damals unter dem Schild der Ilgen von Versailles ausgingen, wie sie jetzt unter dem Schild der drei Farben von Marseille ausgehen, hatten allgemein die Allmachtsansprüche der Krone zu ihrem Fundament, so wie die gegenwärtigen, diesen ähnlichen Verirrungen die Allmachtsansprüche der Pique zu ihrem Fundament haben.

Indessen bringen die Ansprüche zur Allmacht, welches Fundament sie auch immer haben mögen, vermöge ihrer Natur den Menschen in allen Verhältnissen dahin, daß er immer sich selber und alles, was mit ihm im gleichen Schiff fährt, dem Phantastenbegriff aufopfert, der das Gleichgewicht seiner Geisteskräfte zerstört und ihn für alle Wahrheit und für alles Recht, das gegen diese Quelle seiner Verirrung anzustoßen scheint, unempfänglich macht.

Und meine Meinung über die Frage: "Wie ist die gegenwärtige Volksmißstimmung gegen die Regierungen in Europa allgemein geworden?" geht desnahen ohne weiteres dahin, sie sei eine unausweichliche Folge der Allmachtsansprüche der Höfe, durch welche die Begriffe von Kron- und Souveränitätsrechten bei zahllosen Gewalthabern der physischen Macht zu solchen Phantastenbegriffen erniedrigt worden. Da aber meine Meinung auf Erfahrungen in einem sehr kleinen Kreis ruht, so will ich dieselbe nichts weniger als entscheidend vortragen, sondernvielmehr für Männer, die den Gegenstand in einem weiteren Umfang ins Auge zu fassen Gelegenheit gehabt, bloß die Frage aufwerfen: "Ist es wahr oder ist es nicht wahr, daß in der Epoche, welche dem Revolutionsschwindel vorhergegangen, die Begriffe von Kron- und Souveränitätsrechten zu solchen Phantastenbegriffen ausgeartet, die dem Gleichgewicht des menschlichen Geists Gefahr drohen und die Gewalthaber der physischen Macht für alle Wahrheit und für alles Recht, das gegen die Quelle ihrer Geistesverirrung anstößt, unempfänglich machten? Die Frage ist wichtig; von ihrer Entscheidung hängt die Entscheidung einer zweiten ab, nämlich:

"Sind die Höfe Europas in unserem Zeitalter gesetzgeberischer Maßregeln fähig, die der menschlichen Natur in ihren wesentlichsten Bedürfnissen ein volles Genüge zu leisten imstand wären?

Ich muß weit gehen. Doch ich will ohne Furcht handeln, vor allem aus aber den Hauptbegriff, von dem ich also alles Übel unserer Tage herleite, näher bestimmen.

Diese Allmachtsansprüche sind in ihrem Wesen nichts anderes als psychologische Verirrungen von Menschen, die, indem sie die Vorteile der gesellschaftlichen Verbindung im Übermaß und ohne Rücksicht auf andere genießen, dahin kommen, ihre verdienstlosen Ausschweifungsgenießungen als ihr gesellschaftliches Recht anzusprechen und die übrigen Teilhaber ihrer bürgerlichen Verbindung verpflichtet zu achten, ihnen dieses angemaßte Recht mit Aufopferung ihrer Zeit, ihrer Ruhe, ihres Vermögens, im höchsten Fall selbst mit Darsetzung von Leib, Gut und Blut zu beschützen und zu erhalten.

Sie sind in ihrem Wesen nichts anderes, als die gewalttätigen Ansprüche des ganzen Egoismus in unserem Naturzustand, verbunden mit der Anmaßung, der Gewaltsamkeit dieses Egoismus mitten in der bürgerlichen Gesellschaft, und zwar ausschließlich, freien Lauf lassen, auch dabei noch von den übrigen Teilhabern unserer bürgerlichen Verbindung fordern zu dürfen, daß selbige dieser allgemeinen Gemütsstimmung des Naturzustands zu unseren Gunsten und zu unserem Vorteil gänzlich entsagen.

Sie sind also eigentliche Folgen eines großen Grades der bürgerlichen Verwöhnung, oder vielmehr der schlechten Organisation des gesellschaftlichen Zustands, der diese Verwöhnung veranlaßt. Ihre Quellen liegen tief im Innersten unseres Wesens. Wir kommen als Väter, als Söhne, als Edelleute, als Kaufleute, kurz in allen Lagen der gesellschaftlichen Verbindung zum Unsinn derselben, wenn wir das Unglück haben, uns von frühem auf im Besitz von Genießungen zu sehen, die mit unserem wahren bürgerlichen Wert und Verdienst in keinem Verhältnis stehen. Und je höher der Mensch in der Stufenfolge der bürgerlichen Ordnung steht, desto leichter kommt er zu diesen Anmaßungen des Naturlebens, die ihn zur Herabwürdigung alles gesellschaftlichen Rechts und zum Mißbrauch aller gesellschaftlichen Kraft hinführen; daher auch die oberen Stände in allen nicht gut organisierten, sowie in allen sich verderbenden Staaten lange vor dem Mittelstand und den unteren Volksklassen eigentliche Naturmenschen werden. Ihre Genießungen und Lagen reißen sie in allen solchen Staaten mit unwiderstehlicher Gewalt dahin, daß sie immer lange vor dem Mittelstand sinnliche, träge, anmaßliche, sorglose, unduldsame, drückende, unwissende, eitle, launige, verschwenderische, prahlerische und gewalttätige Naturmenschen, das ist schlechte Bürger werden.

Ihre Gelüste werden ohne Schranken, ihre Ausgaben ohne Verhältnis, ihre Einrichtungen ohne Ordnung, ihre Gefühle schweben in den Wolken. Die Luft, die sie umgibt, wehet auch keinen Hauch für das Recht einer Seele, die nicht an ihrer Haut klebt.

Die Selbstsucht des Naturlebens ist im gesellschaftlichen Zustand mehr als keine Krankheit ansteckend. Das Beispiel der oberen Stände wird denn bald Sitte aller anderen; die Bedürfnisse vermehren sich, die Not wird fühlbar, der Staat wird hart. Der Taumel prekärer Genießungen macht Regierungssitze und Fabrikgegenden schwelgen. In Korngegenden steht der Pflug still. Das Volk ist für den Kaufmann feil, wie für den Werber. Die brillante Jugend verwelkt in der Hauptstadt und verblutet bei der Armee; die Menschheit wird im besten Alter entkräftet, im grauen hilflos. Bürgerliche Ehrbarkeit wird ein Traum, Verfänglichkeit und pfiffige Brotkünste werden Empfehlung zum obrigkeitlichen Dienst, Ehelosigkeit wird Berufspflicht, Kinderlosigkeit Sitte. Der Zustand der Menschheit wird künstlich. Die Erwerbsarten fordern steigende Ausbildung, die Mittel vermindern sich, das Gedränge der Brotjagd wird groß, Hang zum Schimmer verschlingt den Lebensgenuß. Die Sitten töten den Fleiß, die Not tötet die Ehre, Geld wird alles in allem, der Handlungsstand wird prahlerisch, und das Volk wird wie die vornehmen Leute sinnlich, träge, anmaßlich, sorglos, unduldsam, drückend, unwissend, eitel, launig, verschwenderisch und gewalttätig.

Den folgen die Ansprüche der Plebejer an das, was den Patrizier ziert, und wir sind da, wo wir uns sehen. Das ist der psychologische Gang, der vermöge unserer Natur immer stattfindet, wenn die Allmachtsansprüche der Höfe die positiven Rechte aller Stände einer egoistischen Verirrung im Begriff der Königsrechte unterwerfen.

Aber ist die Geschichte mit diesem Bild übereinstimmend? Sagt sie, was aus dieser Darstellung zu erhellen scheint, daß nämlich die Begriffe von den Kron- und Souveränitätsrechten in der Epoche, die dem Revolutionsschwindel vorhergegangen, zu solchen Phantastenbegriffen ausgeartet?

Auch ein flüchtiger Blick auf den Geist der Regierungen in diesem Zeitalter scheint diese Behauptung außer Zweifel zu setzen.

Die einseitige, bloß zugunsten der Könige geschehene Bestürmung des Feudalsystems hatte eben den Geist und fiel in eben den Zeitpunkt ein, in welchem auch die positiven Religionslehren und die positiven Religionsrechte eben so einem einseitigen Sturm zugunsten der Könige unterliegen mußten.

Große Tempel liegen in Ruinen, und die Kraft aller Anstalten für das positive Recht der Völker ist zu einer zerrissenen Mauer geworden, von der die Menschen, die unter ihr dennoch immer Schutz suchen müssen, jetzt nur noch erschlagen werden. Es ist Wahrheit: Der Weltteil ist um sein Recht gekommen, wie um seinen Gott.

Das alte Feudalsystem war durch die Steifigkeit seiner alles hemmenden Schranken für alle und auch für die höheren Stände ein sehr psychologisches Band gegen ihre bürgerliche Verwöhnung, und es ist unstreitig, daß durch seine einseitige Auflösung der Damm zerrissen worden, der die Menschen aller Stände in diesem Zeitalter mit vielseitiger Kraft vor dem Taumelleben bewahrt, das, nachdem dieser Damm zerrissen worden, in Europa allgemein geworden.

Auch empörte der Hofsturm gegen diese alten Einrichtungen die Lojauté der damaligen Zeit allgemein.

Die Menschen sahen in allen Ständen, daß der Verlust ihrer gesetzmäßigen Rechte ihnen die Möglichkeit, ihren Wohlstand auf glückliche Kindeskinder herabzubringen, untergrabe, und zeigten sich gar nicht gleichgültig gegen diese ihnen so nahegehende, neu-landesväterliche Verfügungen, wie die Curia diese Hirngespinste ihrer egoistischen Hofverirrung und Allgemeinheitsphilosophie nannte. Im Gegenteil, die Empfindlichkeit der gekränkten Stände ging so weit, daß die Höfe bald allgemein stehende Armeen gegen ihre Untertanen nötig hatten.

Diese Fundamentalmaßregel des abgeänderten alten Regierungssystems forderte Einkünfte, die mit dem Fuß der alten Landeseinkünfte gar kein Verhältnis hatten. Die Geldbedürfnisse der Landeshoheit stiegen ins Unermeßliche, man stärkte die Kraft der Finanzkunst mit Gewaltätigkeitsmaßregeln, diese erzeugten Herzlosigkeit *) im Geist der Regierung, die Herzlosigkeit führte zur Gaspillage und die Gaspillage zur Volksverwilderung.

Das Mißverhältnis zwischen den Bedürfnissen der neuen Staatskunst und dem Vermögen des Volkes, diesen Bedürfnissen ohne häusliche Zerrüttung und ohne den Hungermangel, der eine Folge dieser Zerrüttung ist, ein Genüge zu leisten, ist also der Mittelpunkt, um den sich die Verirrungen dieser Staatskunst alle herumtreiben.

Das Raffinement, die Menschen wie Kaninchen zu hecken, sie auf das wohlfeilste zu füttern und auf das einträglichste zu scheren, ward jetzt die erste Weisheit der Regierung, und die Quelle von tausend neuen Pflichten und tausend neuen Lagen, die das Menschengefühl nicht anders als für Dornen achten konnte, die die böse neue Welt ihnen statt des alten Flaums in ihr Nest legte.

Die Plusmacher und ihre Künste galten jetzt alles; der Rittergeist und der hohe Mut des Adels mußten durch den Vorzug, den die Regierungen dem Avanturiergeist dieser Leute erteilten, leiden und unter den Folgen ihrer Niederträchtigkeit erliegen. Die Hofgrundsätze sanken in Finanzsachen zum Philistergeist jüdischer Spießbürger hinunter. Und denn machte die in diesem Geist regierende Dienerschaft noch sich selber, und wer ihr lieb war, von dem Lästigen, oder vielmehr von den Drangsalen, die sie über das übrige Menschengeschlecht verhängten, noch ganz frei. Und so tanzte ein bis auf den letzten Hofkonzipisten affilierter Hofklub in nicht bloß einem, in nicht bloß zwei, in nicht bloß drei Reichen des Weltteils mitten im allgemeinen Elend der Nationen den Taumeltanz, den jetzt der Pariser Pöbel mitten im Elend des französischen Volkes, zum Entsetzen der eigentlichen Großväter aller seiner Grundsätze, ein Jahrhundert nach ihnen probiert. Indessen gewöhnt sich die Menschheit bis auf einen gewissen Punkt an alles. Die Pflegerin unserer Torheit, die gute Mutter Natur, findet zu allen unseren Verirrungen immer eine Art von Gegengewicht, wodurch sie uns dieselbe insoweit erträglich macht.

Das Raffinement in der Nutznießung der Menschen zwang den im Wesentlichen der Sache ins Ungeheure gestiegenen Despotismus, dennoch die Larve gemäßigter Regierungsgrundsätze zu tragen.

Man hängte weniger, man begnadigte mehr, man machte für bürgerliche Streitsachen, insofern keine Obrigkeit dabei interessiert war, Gesetze, wie wenn die Untertanen wirklich nicht rechtlos wären, man ließ reden, man ließ schreiben, man ließ glauben, man ließ nicht glauben, man schränkte sogar die Jagd ein. Mit einem Wort, man vergönnte dem Untertan alle Freiheit, die sich mit einem Sklavenzustand, und alle Ausschweifungen, die sich mit dem Vorteil seines Herrn und mit dem Vorteil seiner Knechte vertrugen.

Man ließ ihn Haus und Hof verschwenden, wenn das Oberamt dabei seine Rechnung fand. Man ließ ihn sogar außer Landes gehen, wenn die Werbung des Kantons oder der Erbherr, der die Ware zu liefern hatte, nichts dagegen einwandte. Man pflanzte das Laster, um Nutzen daraus zu ziehen, und schonte des Lasterhaften zu gleichem Zweck. Und die Tugend? Man versuchte das Unmögliche, sie zu benutzen. Aber der Mensch sollte nur für den König, er sollte nicht mehr für sich selber tugendhaft sein. Seine Tugend sollte ein Dienstgeschöpf sein und für sich selber keine Ansprüche machen.

Man wollte es haben, daß die Zaunstecken, die man aus den Menschen machte, an ihren Pfählen angereiht, grünen und blühen sollten, als wenn sie mit Saft und Kraft und mit allen Wurzeln in dem Boden standen.

Der Hauptmann sollte die Landwirtschaft studieren, der Soldat sollte stricken, der Jude sollte beim Fuhrwesen Dienste tun.

Die Dienstfähigkeit des Menschen sollte ins Unendliche steigen, und seine Selbständigkeit sollte ins Unendliche schwinden. Er sollte noch mehr Widersprüche in sich selber vereinigen, als er wirklich tut. Er sollte nichts sein und alles können.

Er sollte wie der Esel tragen und wie das Pferd paradieren. Um Geld zu verdienen, sollte er pfiffig sein wie ein Jude; um blind zu gehorchen, sollte er dumm bleiben wie ein Polack. Um Accisse zu bezahlen, sollte er verschwenden wie ein Trunkenbold; um die Zehnten zu verbessern, sollte er arbeiten wie ein Schweizer. Im Konzert sollte er singen wie ein Verschnittener. Unter dem Gewehr sollte er stehen wie ein Brenne. Er sollte alle seine Rechte nicht achten und doch nicht werden, wie alle Leute sind, die keine Rechte haben. Sein Wissen sollte im allgemeinen alles umfassen, wie der Kopf eines Philosophen, und im Detail sollte es sich beschränken lassen, wie das Hirn eines deutschen Handwerksgesellen. Es mangelte an Grundsätzen, und der Mangel an Grundsätzen veranlaßte Mangel an Menschenverstand. Was man in der Hand hatte, das ließ man fahren und griff in die Luft, zu haschen, was sich nie haschen läßt. Wer etwas zu bedeuten hatte, der meinte, die halbe Welt sei um seinetwillen da. Unter diesen Umständen stieg das Mißverhältnis dessen, was man vom Volk fordert, und dessen, was man für es tut, von Jahr zu Jahr. Die Kraft und das Bestreben, die Menschen wohl zu versorgen, nahm in dem Grad ab, als die Kraft und das Bestreben, sie zu belasten, zunahm. Nicht nur verloren alle zu diesem Zweck wirklich bestehenden Anstalten ihren alten Geist, sondern die Kraft, die Vernunft und der Wille, sich selber wohl zu versorgen, wurden dem Untertan noch durch tausenderlei Folgen der obrigkeitlichen Verirrungen wie aus dem Sinn gebracht.*) Indessen verlor der Landesfürst das Wesentliche des Herrschergenusses, nicht weniger als der Untertan das Wesentliche des gesellschaftlichen Menschenrechts. Seine Begriffe und seine Gefühle wurden exaltiert wie die Begriffe und Gefühle seiner Untertanen. Man nahm ihm wie ihnen die wesentlichen Genießungen des Menschenlebens vom Mund weg, und speiste auch ihn, wie sie, mit Luft und mit Träumen.

Auch er sollte im allgemeinen bald wie ein Philosoph sein und im Detail bald wie ein Receveur. Seine Einkünfte sollten ins Unendliche schwinden und seine Dienstfähigkeiten ins Unendliche steigen.

Er sollte seinen Staat nur in Beziehung auf das Gleichgewicht aller Mächte ins Auge fassen und doch in keiner Conduiteliste verirren. Seine Damen sollten mit Millionen spielen, und seine Recette um keinen Kreuzer zu kurz kommen. Er sollte für das Gleichgewicht der Mächte seine Menschenzahl wie eine Gartenwand zurechtschneiden, und die Verstümmelung seiner Menschen von der Normalschule bis zur Invalideparade sollte dem Menschensinn seines Volks und seinem eigenen nichts schaden.

Er sollte mit Menschenblut kaufen und zahlen, und dabei milde bleiben wie ein Bramin, der keine Ente ißt. Er sollte den Aufwand an Menschenblut fabrikmäßig wieder ersetzen, und das Fabrikblut sollte so gut sein als Hausblut.

Er sollte den Glanz der Hauptstadt mit Nürnberger Fleiß, und preußische Pfiffigkeit mit österreichischem Gänsepreis, und was sollte er nicht alles vereinigen.

Er sollte Brandtweinbettler employieren können wie Leute, die Butter essen und Brot haben, und sitzende Erdäpfelbäuche wie Leute, die Fleisch essen und auf den Beinen arbeiten. Er sollte in seiner Wolkenhöhe wie ein Gott sein, der Lauf aller Dinge sollte ihn nicht affizieren, und doch sollte alles zu seinem Besten dienen. Das alles verschlingende Kronrecht lenkte die öffentlichen Einkünfte mit einer Allgewalt in die Kassen der Dienerschaft.

Es fehlte auch hier an Grundsätzen, und der Mangel an Grundsätzen veranlaßte auch hier Mangel an Menschenverstand. Man machte den Fürsten zu einem Gott, aber was ihm geopfert wurde, das aß bald niemand weniger als er. Man machte ihn die Allmacht ansprechen, aber für niemand weniger als für ihn selber. Man lenkte mit der ganzen Kraft des wilden Naturrechts das Gut und das Blut des Volkes in einen alles verschlingenden Kronschlund, nicht für den König, sondern für die Dienerschaft.

Dieser ins Ungeheure anwachsende neue Stand verschlang jetzt durch die Zauberkünste seiner Niederträchtigkeit alle Ressourcen der unabhangenden Stände, allen Reiz des unabhangenden Lebens und alle Rechte der unabhangenden Stände. Seine Heere verdunkelten den Völkern wie die Heuschrecken die Sonne, und wo sie sich niederließen, da fraßen sie ihnen die Früchte der Erde auf bis auf ihre untersten Wurzeln. Das Recht der Welt beugte sich vor ihren neuen Namen. Der Landadel ward zum Gespött des Hofadels, die Stadtregierung zum leichten Ball für die Laune des Jünglings, den der Minister, das Gefühl der Menschenrechte zu höhnen und die Privilegien, Rechte, Übungen und Sitten der altfränkischen Stadt zu kränken, innert ihre Mauern schickte. Sie machten den zünftigen Bürger zum untertänigen Diener der Ratsknechte, die Ehrbarkeit der Landstädte zu einem zitternden kraftlosen Häufchen vor der Laune des Fähnrichs, der auf Werbung am Ort lag. Unter ihnen geschah es, daß der Sohn dem Vater, die Tochter der Mutter und der friedliche Wanderer von der Straße weggenommen ward. Unter ihnen geschah es, daß der Mensch bald Vater und Mutter verlassen, Weib und Kind zugrunde richten und seinen Freund verraten mußte, wenn es der König befohlen, das heißt, wenn im Hintergrund von millionenfachem Hoffrevel eine entfernte conoissence eines Hofknechts dahin gelangt, dieses alles dem unglücklichen Untertan in dem geheiligten Namen befehlen zu dürfen.

Indessen behagte diese Ausschweifung im Gebrauch der Kronrechte in der Hand zahlloser Dienerschaften allen denjenigen gar wohl, die in der Finanzhärte, in den Militärverirrungen und in dem Komödientaumel der Höfe leichte Mittel fanden, sich gut zu nähren, hoffärtig zu kleiden und lustig zu unterhalten, und die Klagen aller nicht notablen, das heißt an den Hofklub nicht affilierten Leute über die Übel dieser Zeiten hatten in jedem Fall keine weitere Wirkung als eine mit dem Militär unterstützte Hofforderung, sich bei Strafe des Aufruhrs ruhig zu verhalten.

Die Hauptstadt, der Adel, die Geistlichkeit und wer auf dem Land einen Rauchfang im Haus hatte, hieß denn allemal, ohne sich zu erfrechen, von der Sache selbst nähere Notiz zu nehmen, solche Klagende: Verleumder ihrer gnädigen Obrigkeit, böswillige Störer der Ruhe und der Inklination Ihrer Durchlaucht, Rebellion und Landeszerrüttung im Schild führende Burschen.

Der Herr wandte sein Angesicht weg von solchen Menschen, und die Diener, vor denen sie zum voraus als Verbrecher taxiert erscheinen mußten, waren gewöhnlich selbst persönlich gegen solche Klagen - interessiert.

Aber im Gefühl ihrer Allmacht lachen sie den Unglücklichen ins Gesicht, stoßen ihr Gefühl mit Kerkermeisterworten, fordern Vortrag und Erläuterung, die ganz außer dem Fach der Klagenden sind, machen ihnen ihre Einfalt oder vielmehr die Schranken ihres Standes und ihrer Lage zum Verbrechen, lassen von ihren Antworten willkürlich nur das ins Protokoll tragen, was sie zweckmäßig finden, heißen sie das Wichtigste, das Unwiderleglichste dem Dorfschulmeister und dem Kuhhirten erzählen, erklären es für eine Beleidigung allen Anstands und des schuldigen Respekts, etwas als wahr vorzutragen, von dem man ihnen schon einmal gesagt, daß es nicht also sei, und als eine nicht zu duldende Insolenz, auf Untersuchung von etwas zu dringen, von dem man ihnen schon einmal gesagt, man brauche es nicht zu untersuchen.

Sie entlocken der Unschuld dieser Verlorenen das Geheimnis ihres Herzens, die unwillkürlichen Gedanken einer leidenschaftlichen Stunde oder eine rechtlichen Beweis mangelnde Silbe.

Jetzt sind die Richter entronnen, sie machen den Klagenden die Hölle recht heiß, es entfährt dem Menschengefühl eines Unglücklichen ein hitziges Wort, seine Kraft wird mit aller Kunst und mit aller Erfahrung des dazu lächelnden Sekretariats verstärkt.

Die Sache kommt zum Vortrag beim Fürsten, und das Komitee weiß seiner Durchlaucht keinen Rat gegen die Unmenschen, als weil er zu gnädig ist, ihnen den Kopf vor die Füße zu legen, sie doch wenigstens für hundert und ein Jahr an den Schatten zu setzen.

Ich will die Tirade enden, und nur noch sagen, was die Geistlichen dazu beigetragen, daß es mit dem bürgerlichen Recht der europäischen Menschheit so weit gekommen.

Auch sie riß der Strom hin, auch sie verloren die Selbständigkeit, ohne welche die Menschheit è senza virtu, auch sie versanken mit in die erniedrigte Stimmung des alles verschlingenden Dienststandes.

Ich mache ihnen keine Vorwürfe; der immer höhere Adel verlor seine Selbständigkeit wie sie. Und was ich von ihnen sage, das sage ich auch nicht von den Edlen dieses Standes, die reines Gottesgefühl über die Verhältnisse der Erde emporhebt; diese erhalten ihre Selbständigkeit immer mitten unter allen Götzenopfern ihres Zeitdienstes, ich rede von dem Großen ihrer tief erniedrigten Menge.

Von diesen darf ich nicht bergen, die Erniedrigung des bürgerlichen Dienststands, in den sie versunken, hat sie in den meisten europäischen Staaten dahin gebracht, die Lehre von der Schuldigkeit eines ganz blinden Gehorsams auch gegen Forderungen, die offenbar auf Erstickung der Wahrheit, auf Unterdrückung der Völker und auf ein mutwilliges Spielwerk mit dem Gut und Blut der Untertanen und oft selbst auf tausendfachen Menschenmord abzielen, den armen Untertanen ganz unbedingt an den Hals zu werfen und zu behaupten, diese seien auch zu solchen Endzwecken um Gottes und Jesu willen verbunden, mit Darsetzung von Leib, Gut und Blut um sieben Kreuzer des Tags alleruntertänigste und allergehorsamste Handbietung zu leisten, indem Gott selbst dieses alles als seinen Dienst durch seine Gesalbten von ihnen fordere. Ferner: Alles Bestreben der Untertanen und alle Verbindungen, sich selber aus dem erbarmenswürdigen Elend einer solchen widernatürlichen Sklaverei zu erlösen, und sich wieder zu den Rechten und Freiheiten zu verhelfen, bei denen es ihren Vorfahren auch möglich gewesen, ein christliches und ehrbares Hausleben zu führen, seien ihnen ebenfalls von Gottes wegen und um Jesu Christi willen unbedingt als sündlich und seelenverderbend verboten, sobald der Fürst, das heißt aber in jedem bestimmt also sich befindenden Fall gar oft nicht anders als der dirigierende Jakobinerhofklub solche Verbindungen verbiete.

Indessen wissen die Christen aller Art gar wohl, das Evangelium ist kein System des bürgerlichen Rechts, es nimmt sich der Dinge dieser Welt weder links noch rechts nichts an, es macht keinen zum Herren und keinen zum Knecht.

Aber indem es alle Christen in das nahe Verhältnis der reinsten und engsten Bruderschaft bringt, die je auf unserem Zankapfelboden stattgefunden, fordert es ganz sicher von Obrigkeiten, die Christen sind, das heißt, die sich ungeheuchelt an die Bruderschaft der Christianer anschließen, eine Gemütsstimmung, die sich beim Corpore des obrigkeitlichen Standes als solchem in der Welt nirgends befindet. Worum sollte man hierüber die Wahrheit verhehlen? Die Welt wird nicht christlich regiert. Die Regierungen als solche sind nicht christlich. Der Staat als Staat handelt in seinen wesentlichsten Einrichtungen bestimmt wider das Christentum.

Eine christliche Armee, eine christliche Schlacht, christliche Feldprediger, christliche Finanzoperationen, christliche Staatsintrigen, christliche Kabinettsentraven, ein christlicher Hofstaat der Maitresse, christliche Polizeimouches, christliche Übertragungen der Kirchengüter ins Departement der Hoflustbarkeiten oder auch ins Departement der Familienresources, eine christliche Spionenliste, christliche Allmachtsansprüche, christliche Staatsgründe zur Duldung und Beschönung der Meineide usw., das alles sind Sachen, die wie der Mann im Mond sich nur in der Einbildung verirrter Leute befinden, aber sonst in der Welt nirgends da sind.

Die Geistlichen wissen es auch gar wohl, wenn sie die Großen entschuldigen, aber sie vergessen es viel, wenn sie die Kleinen anklagen.

Indessen wenn sie auch, wie es meistens der Fall ist, nicht so fast durch ihre eigene, als durch die Schuld der schlechten Organisation unserer bürgerlichen Verfassung schlechte Bürger werden, so sollten sie doch die Lehre Jesu Christi, - und wenn es auch nur wäre, um den Anstand zu sichern, mehr als sie es gewöhnlich tun, - von der schlechten Beschaffenheit ihrer bürgerlichen Lage und ihrer bürgerlichen Gesinnungen sondern, und nicht so öffentlich und so ärgerlich laut selbst in den Reden, die sie den Gottesdienst heißen, dergleichen tun, als ob es eine ausgemachte Sache sei, daß der liebe Heiland und alle heiligen Männer Gottes Alten und Neuen Testaments gegen die Großen der Erde eben die Deferenz gehabt, die sie gegen die weiblichen und männlichen Zuhörer ihrer Schloßkapelle zu zeigen sich aus traurigen Gründen genötigt sehen.

Der Heiland hat nie advokatisiert, am wenigsten für die großen Herren; wenn er es für jemand getan hätte, so wäre es gewiß für diejenigen gewesen, denen er zugerufen: Kommet zu mir, die ihr mühselig beladen seid, ich will euch erquicken. Die niederen Stände bedürfen des Trostes, die oberen haben der Einschläferung so wenig nötig als je.

Man mißbrauche das Christentum auf keine Seite. Man fordere nicht, daß die Fürsten christlich regieren. Sie können es nicht.

Mann denke nicht daran, als Christen und um der christlichen Freiheit willen irgendeine bürgerliche Freiheit ansprechen zu dürfen. Das geht nicht. Aber man versuche auch nicht, durch das Christentum die Sklaverei wieder in der Welt einzuführen. Und man erniedrige das Evangelium Jesu Christi nicht so weit, dasselbe den Fürsten kniefällig als ein Mittel, die Welt rechtlos zu machen, zu präsentieren, und in dieser Stellung, im Geist oder auf Befehl seiner Oberen, dem weltlichen Arm Handbietung zu leisten, die Menschen durch die Gnade Gottes, die ihnen in Jesu Christo erschienen ist, bürgerlich tiefer zu erniedrigen, als man ihn bei keinem heidnischen Regimen ceteris paribus je erniedrigen konnte.

Ich habe viel geredet, aber ich weiß, was ich getan und appelliere gegen alle Heftigkeiten wider diese Stelle auf die Nachwelt und hinter mein Grab.

Jetzt gehe ich weiter und frage: Ist das Bild, das ich von der Epoche, die dem Revolutionsschwindel vorhergegangen, gemacht habe, wahr oder nicht wahr?

Sind die Züge von demselben aus der Luft hergegriffen oder aus der Erfahrung abstrahiert?

Sind sie das letzte, so sind sie nicht ganz unbedeutende Belege zu der Beantwortung der Frage, ob die Begriffe von den Kron- und Souveränitätsrechten in der Epoche, die dem Revolutionsschwindel vorhergegangen, damals wirklich, wie ich behauptete, bei zahllosen Menschen zu solchen Phantastenbegriffen ausgeartet, die dem Gleichgewicht des menschlichen Geistes Gefahr drohten und dahin lenkten, ihn für alle Wahrheit und für alles Recht, das den Ausschweifungen dieser Kron- und Souveränitätsansprüche in dem Weg stand, unempfänglich zu machen.

Mir scheint es Wahrheit: Die Allmachtsansprüche der Höfe haben den Vorhang des Heiligtums aller gesellschaftlichen Einrichtungen zerrissen, und die Verirrungen des menschlichen Geistes, die eine Folge derselben waren, haben einem großen Teil der europäischen Menschheit den stehenden Fuß unserer gesellschaftlichen Verbindungen zur Last gemacht. Die reine Anhänglichkeit an ihre bürgerliche Lage ist bei zahllosen Menschen dahin, und mit ihr Anhänglichkeit, Dankbarkeit, Achtung und Treue gegen das Land, das ihre Voreltern als Vaterland kannten und Vaterland nannten, sie aber nur als des Fürsten Land kennen und Fürstenland nennen. An ihre Statt treten die rohen Gefühle der Unzufriedenheit, des Neids, die bitteren Empfindungen des gekränkten Selbstgefühls, und diese erzeugen die kühnen Urteile vom Recht des Stärkeren. Nach ihnen folgt die Volksneigung zum Glauben an die im gesellschaftlichen Zustand so allgemein gefährlichen Irrtümer von der natürlichen Freiheit und Gleichheit der Menschen - das übrige, das wir vor Augen sehen, erzeugen dann Gelegenheit und Umstände.

So viel ist gewiß: Es sind große Zeugnisse vorhanden, daß der Weltteil beinahe ganz zu Zahlpfennigen der Könige und zu einem Ameisenhaufen für ihre Finanzen gemacht worden, ehe die Höfe durch wahren Unsinn im Gebrauch dieser so geduldig gewesenen Zahlpfennige und Finanztierchen endlich dahin gekommen, sich zu überzeugen, die Entwürdigung der menschlichen Natur zugunsten des Hofegoismus habe auch, wie alles in der Welt, seine Schranken. Zum Glück setzt die Natur dem Machiavellismus Grenzen, aber die Könige, die gegen ihn schreiben, tun es nicht.

Man frage also nicht mehr: Worum sind die Wünsche nach einer Abänderung in ihrer Lage unter den Völkern Europas allgemein geworden?

Die Sache ist heiter. Es ist nicht wahr, daß das Lästige, das sich in ihrer Lage befindet, bloß ein erträglicher Zusatz zu überwägendem Guten ist, das sie wirklich genießen.

Es ist nicht wahr, daß diese Wünsche bloß auf romantischen Begriffen ruhen, denen keine Weisheit der Staatskunst und kein Vatersinn der Fürsten ein Genüge zu leisten fähig sein sollte.

Es ist im Gegenteil wahr, der bürgerliche Zustand einer sehr großen Menschenzahl dieses Weltteils ist nicht von der Natur, daß er die gemäßigten Ansprüche der Gutmütigkeit an das allgemeine Menschenrecht oder vielmehr die gemäßigten Bedürfnisse gutmütiger Menschen im gesellschaftlichen Zustand befriedigen konnte.

Es ist im Gegenteil wahr, diese Wünsche der Völker nach einer Abänderung in ihrer Lage ruhen auf Mangel an Befriedigung der wesentlichsten Bedürfnisse unserer Natur, und auf Ansprüchen, denen ein wahrer Vatersinn der Fürsten auch nur mit halb guten Staatsgrundsätzen zum Teil sehr leicht ein Genügen leisten könnte.

Es ist wahr, diese Wünsche ruhen auf der so verzeihlichen und so menschlichen Rückerinnerung der Kinder von den gesellschaftlichen Vorteilen und Rechten, die ihre Voreltern genossen und die jetzt ihnen mangeln. Es ist Wahrheit, sie ruhen auf dem drückenden Gefühl von Kränkungen, Erniedrigungen, von Unsicherheit, Abschwächung und Drangsalen, von denen ihre Väter befreit gewesen. Da die Menschen sich allen Flaum aus ihrem Nest geraubt sahen, so konnten sie nicht anders, als das Ausfliegen aus ihrem Nest für ihre Rettung und das Absitzen in jedem fremden Nest, das sie leer fanden oder leer machen konnten, für ihr Recht anzusehen, das heißt, sie mußten unter diesen Umständen notwendig zu den träumerischen Begriffen der Zeitphilosophen von der Freiheit und Gleichheit der Menschen hinlenken. Aber man hatte unrecht, der Ohnmacht der Philosophen zuzuschreiben, was die Allmacht der Könige getan. Dann es macht einen Unterscheid, ob die Welt durch die Annahme philosophischer Irrtümer elend geworden, oder ob sie diese Irrtümer eben darum angenommen, weil sie vorher schon elend gewesen.

Indessen, wenn ich den Allmachtsansprüchen der Höfe die Übel zuschreibe, die man auf die Schultern kleiner Menschen hat legen wollen, bin ich weit entfernt, mit diesem das Zeitbenehmen der Freiheitsphilosophen zu billigen, oder zu irgendeiner ihrer Meinungen so wenig als zu irgendeinem Benehmen derselben, das einen schädlichen Einfluß auf den Ruhestand der Reiche hatte, zu stehen.

Eben so wenig mißkenne ich die Entschuldigungen, die den oberen Ständen bei allen ihren, wenn auch dem Volk nach so nachteiligen Allmachtsverirrungen dennoch immer mit Wahrheit zustatten kommen.

Ich will mein Gefühl hierüber mit den Worten des Verfassers von Lienhard und Gertrud ausdrücken: "Es herrschet unter den Großen eine kindische Unwissenheit über den wahren Zustand des Volkes. Sie wachsen auf, ohne zu wissen, daß Not und Elend in der Welt ist. Indem sie genießen, was Tausende glücklich machen konnte, sind sie unbefriedigt und unglücklich. Von Jugend auf geschmeichelt und betrogen, kommt nichts weniger in ihre Seele, als daß jemand dadurch Unrecht geschehen könne, wenn er tun muß, was sie befehlen.

Sie halten von Jugend auf ihre Wünsche für ihr Recht, denken nicht weiter und überlassen sich, unbekümmert für Leute, die sie nicht sehen und nicht kennen, den Zerstreuungen, unter welchen sie sich täglich selber verlieren, und der Erholung und dem Ausruhen von diesen Zerstreuungen. Indessen benutzen die Heuschreckenheere, die sie unter dem Titel der Diener umschwärmen, diese Blindheit, die ihnen dienet, beides sie und das Volk dem Irrtum und der Leidenschaft aufzuopfern und sich selber dem ganzen Leichtsinn eines Taumellebens zu überlassen, zu dem sie Fürsten, Adel und Volk zu ihrem allseitigen Verderben hinlenken. Diese kennen das Fehlerhafte der Allmachtsgrundsätze gar wohl, sie sehen das Volksbedrückende derselben täglich vor Augen. Aber ihre Bürgerkniffe lassen es ihnen nicht zu, den guten, betrogenen Fürsten über ihre erste Angelegenheiten die Augen zu öffnen. Sie tun vielmehr alles Mögliche, sie darin auf Kind und Kindeskinder hinunter blind zu erhalten, ihnen alle Vorschläge, den Zustand des Volks zu verbessern, in ein gehässiges, ihre Selbstsucht empörendes Licht zu setzen und ihnen von Jugend auf ausschweifende und ungebändigte Begriffe über die Natur ihrer Rechte und ihrer Hoheit beizubringen.

Gewiß ist kein Stand für sein wahres Interesse schlechter beraten als die Fürsten. Wer will die Quellen ihrer Verirrungen alle erzählen von der knieenden Amme an, die ihr lautes "Leuchtiger Prinz!" mit ihrem stillen "Garstiger Bube!" wechselt, bis zum schmeichelnden Pfäffgen, das mit ihm von der Hoheit seiner Geburt redet, wie der Obervogt in Doonicht von der Hoheit seines Junkers, wenn er am Rundtisch seinen Bauern behauptet, ihre Kutteln im Leib gehören ihrem gnädigen Herren.

Gewöhnlich machen Halbmenschen, die weder die menschliche Natur noch den Menschen kennen, mit ihrer Erziehung ein philosophisches oder theologisches Experiment. Diese heben die fürstlichen Kinder zu ihrem unpsychologischen Probestück wie der Wirbelwind in den Sandwüsten nichtigen Staub hoch in die Wolken. Denn schauert ihnen selber ob der sich türmenden Wolken der Menschennatur. Die Halbmenschen zittern und lassen die armen Kinder schnell und ohnmächtig wieder herunterfallen auf den allgemeinen Kath dieser Erde. Aber die guten Kinder sind durch ihr ohnmächtiges Auffliegen entkräftet, und wenn sie denn wieder herunterfallen, so bleiben sie wie der Sand in den Wüsten ein immerwährendes Spielwerk der Winde, ewig untauglich zur allgemeinen Bestimmung der Früchte bringenden Erde. Und denn bezahlen die gegenwärtigen Regenten noch besonders unter vielem Leiden, was ihre Vorfahren unter vielem Mutwillen genossen.

Sie sitzen auf Thronen, die ihre Ahnen mit Mut und Blut gegründet, ihre Großväter mit weiser Achtung auf gesetzliche Schranken geäufnet und ihre Väter mit Herzlosigkeit, mit Regierungsgaspillage und mit Verhöhnung aller gesetzlichen Schranken in ihren besten Fundamenten erschüttert haben. Das ist das Schicksal aller gesellschaftlichen Genießungen und Vorzüge.

Der arme Mann zieht seinen Sohn in den Schranken des Bedürfnisses zur Weisheit und Tugend. Seine Kinder, in den Sitten des Vaters erzogen, dehnen seinen Beruf aus und benutzen den Wohlstand des Hauses mit Kraft und mit Segen. Der Wohlstand der Kindeskinder wird groß, aber sie mißkennen die Schranken ihrer Geburt, sie schämen sich der Arbeit ihrer Väter, sie genießen mit Mutwillen, was diese mit Schweiß zusammengebracht und legen so den Grund zum Ruin des Hauses, den denn ihre Kinder vollenden.

Diese, im Mutwillen der Väter erzogen, sehen tausend Genießungen, deren Quellen schon erschöpft sind, als ihr angeborenes Recht an, und wissen kaum, daß sie fehlen, indem sie in aller Hausverwirrung fortleben, in der sie erzogen worden.

Ihr Schicksal ist zu bedauern, aber die Welt mag den Fortgang ihres Familienlebens nicht tragen. Der hohe Gang der Natur, der, indem er alle Wesen durch Genuß zur Erschöpfung und durch Erschöpfung zum Tod führt, alles Leben erhält, dieser hohe Gang der Natur stürzt auch Könige in Lagen, die allein fähig sind, sie wieder zur Weisheit und Tugend ihres Standes zurückzuführen.

Wer will sagen, die Natur sollte das nicht tun, oder die Könige würden ohne Unglück von ihren Verirrungen zurückkommen? Das würden sie nicht. Die Natur der menschlichen Seele bürget dafür. Ein verwöhntes königliches Haus wird so wenig als ein verwöhntes bürgerliches Haus ohne Unglück und Widerwärtigkeit von den Verirrungen zügelloser Ausschweifungsgenießungen und übermäßiger Rechtsansprüche in die Schranken des Rechts und zu dem unbefleckten Adel einer anspruchslosen Loyauté gegen alle Stände zurückkehren. Fast übermenschliche Kräfte retteten nicht einmal Friedrich den Einzigen von den Verirrungen seines Standes und vermochten es nicht, ihn dahin zu erheben, den Traum der alles verschlingenden Königswürde einem festen Begriff vom gesellschaftlichen Recht zu unterwerfen.

Er, der Einzige, hätte es können und sollen. Hätte er es getan, die Völker Europas hätten sich vor ihm als vor ihrem Erretter geneigt, und er wäre der Erretter der Könige gewesen. Das Übergewicht des blühenden Weltteils wäre auf Jahrhunderte entschieden. Frankreichs Könige und die Könige der Welt ehrten gesetzliche Schranken. Selbst der tote Schwede würde die Ketten des Rechts willig tragen und leben. England würde die Welt nicht mit Geld, und Rußland würde sie nicht mit Menschen kaufen wollen.

Aber Friedrich hat's nicht getan! Was braucht es mehr, alle Fürsten zu entschuldigen, daß sie nicht einmal daran denken. Sie werden noch jetzt nicht daran denken, und die Natur wird ihren hohen Gang gehen und sie durch Widerwärtigkeiten dahin führen, wo sie sich durch Weisheit und Überlegung nicht hinleiten lassen.

Das große Schauspiel des Zeitalters ist ein weckender Schritt der guten Natur. Möchten die Könige ihn hören und die Welt ihn verstehen!

Aber nein! "Nein!" sagte der Stattvogt F. dem Landammann H. v. S., dem er eine gemäßigte Bittschrift zu Händen seiner Landesobrigkeit eingab. "Ihr werdet uns unsere alten Rechte und Freiheiten nicht wiedergeben."

"Worum doch das nicht," erwiderte der trauliche Landammann. "Euer Begehren dünkt mich so heiter und klar, als gerecht, billig und bescheiden.

"Ihr habet die Gnade nicht *) ," antwortete der Stattvogt, "uns das wiederzugeben, was ihr uns gestohlen, und wir sind der Gnade nicht wert, das wieder zu besitzen, was wir uns also haben stehlen lassen.

Psychologen! Gesetzgeber! Kennet ihr viel tiefer greifende Worte?

Die Könige sind der Wahrheit nicht fähig, und die Welt ist der Wahrheit nicht wert.

Darum geht alles den Weg des Verderbens, bis die halbe Erde verblutet, und die Menschheit, aufgeschreckt durch das Entsetzen ihres Elends, zu der Einfalt der Vorzeit und zu der frommen Feste einer ungehudelten häuslichen Selbständigkeit zurückzukehren, von hohem Ort endlich die Erlaubnis dazu erhalten wird, doch ich sollte nur sagen, nicht mehr wie bisher daran gehindert wird.

Aber jetzt mißkennt die Welt alle Mäßigung. Demokraten handeln wie verirrte Könige und Leute aus dem dritten Stand, wie Leute aus dem ersten und zweiten gehandelt haben, wenn die Verirrungen ihrer Ansprüche sie dem Unsinn nahe gebracht haben.

Aber laßt uns billig sein, und nicht den allein verabscheuen, der am letzten unrecht hat.

Wie konnte ein Volk, das in seiner Grundstimmung schon levis et ferox, leicht, heftig und wild, und denn noch durch die Allmachtsverirrungen eines tief verdorbenen Hofes auch um den letzten Schatten der bürgerlichen Tugend gebracht worden, in dem Zeitpunkt, da sich alle seine bürgerlichen Banden auflösten, in einem Geist handeln, der nicht mehr in der Welt war und eine Stimmung voraussetzte, die derjenigen geradezu entgegen, zu welcher dieses Volk sint Jahrhunderten durch seinen Hof gebildet worden?

Psychologen! Waren diese Forderungen verständig? oder hat man sie im Ernst getan?

Ich glaube keines von beiden. Aber man hat sie getan, und sie hatten einen großen Einfluß, das Urteil der Welt über die französische Revolution immer einseitiger zu machen. Ich halte es in dieser und in mehreren Rücksichten für den psychologischen Geschichtsforscher sehr wichtig, den Gang, den das öffentliche Welturteil über diese große Begebenheit von Anfang an genommen, von allen Seiten und genau ins Auge zu fassen.

Das Tableau davon ist vielseitig aufgestellt, ich will mich vorzüglich an das halten, was man nach und nach am meisten in Schatten fallen zu lassen geneigt scheint. Das, was alle Welt daran hell findet und hell zu machen sich bestrebt, das verliert nichts, wenn ich schon zu diesem Endzweck nicht mit pinsle *) .

Beim Anfang dieser großen Weltbegebenheit gab die unparteiisch denkende Menschheit dem empörten Benehmen der Aufgestandenen so viel als allgemein recht. Die halbe Welt nahm teil an der Hoffnung, eine so große Anzahl Erdbewohner einem besseren, der Menschheit würdigeren Zustand entgegengehen zu sehen.

Die Tausende, die die Kränkungen des Königs, des Adels und der Geistlichkeit mißbilligten, fanden Zehntausende, die ihnen antworteten: Die Herren haben das alles so wollen. Jetzt ist es nicht mehr also. Die Zeit löschet die Eindrücke vergangener Jahre allmählich aus, und läßt nur das Gegenwärtige lebhaft auf uns wirken.

So wie der unglückliche König jetzt vor unseren Augen steht, ist er nicht mehr der gedankenlose, fehlerhafte und malplazierte Chef eines verschwenderischen, pflichtvergessenen, tyrannischen Hofes. Er ist jetzt ein unglücklicher Mann, dessen Lage und Umstände Bedauern erregen.

Die harten Worte und Taten seiner Untertanen stoßen jetzt gegen Empfindungen, die die Menschheit allen Unglücklichen weiht.

Die zahllosen Wohldiener, die, indem sie das Volk ausgesogen, an des Königs Unglück die erste Schuld sind, fühlen sich jetzt weniger Unmenschen, und finden dabei noch, daß es ihr Spiel ist, in dieses Mitleiden einzustimmen und selbiges, so weit sie können, rege zu machen. Mit ihnen haben alle Höfe, die ihr Volk französisch bearbeiten, ein gleiches Interesse.

Die fürstliche Dienerschaft wurde allgemein aufmerksam, wohin ein solches Beispiel sie samt und sonders hinführen könne. Ihre Bemerkungen hierüber wurden bei der Mißstimmung der durch Ausfinanzierung und Ausenrolierung zur Verwilderung gebrachten Völker bedeutend. Die Belege ihrer Wahrheit und ihrer Wichtigkeit vermehrten sich täglich.

Einige Höfe waren dahin gebracht, zu Stillung des auffallenden Benehmens der Untertanen außerordentliche Maßregeln zu ergreifen. Der Schrecken verbreitete sich unter die Heere der fürstlichen Dienerschaft. Das ernste Gerede von den Menschenrechten und von den Untertanenprivilegien griff an die Fundamente ihres Taumellebens.

Einige, vorzüglich die Alten, toben. Andere, vorzüglich die Jungen, nehmen die Sprache der Unparteilichkeit und Mäßigung an und äußern sich, es sei sich freilich nicht zu verwundern, daß die Franzosen endlich zu so unnatürlichen Gesinnungen gegen ihren Hof gelangt, aber denn müsse man sich auf der anderen Seite nicht bloß verwundern, es müsse vielmehr einen jeden Gerechtigkeit und Ordnung liebenden Mann im höchsten Grad empören, daß man sich jetzt eine gleiche Denkungsart auch gegen gutmütige, von den französischen Hoffehlern himmelweit entfernte Fürsten fast allgemein erlauben wolle.

Der französische Hof sei ein Beispiel ohne Beispiel, so handeln gottlob andere Fürsten nicht. Die Natur selbst habe ihnen durch ihr eigenes Interesse einen genugsamen Damm gegen dergleichen Verirrungen entgegengesetzt.

Freilich seien die Obrigkeiten wie die Untertanen auch Menschen, und man könne nicht leugnen, es geschehen hier und dort mehr und minder wichtige Regierungseingriffe gegen wirkliche und vermeinte Rechte der Völker. Indessen wäre es für das wahre Interesse der Staaten unendlich gefährlich, wenn alle Städte, alle Dörfer und alle Partikulare die unbedingte und unverletzte Erhaltung aller habenden Rechte und Freiheiten so à la rigueur prätendieren wollten.

Es seien freilich tausenderlei dergleichen Rechte und Freiheiten in allen Winkeln, aber es sei die Frage, ob es gut sei, daß sie da seien. Wenigstens müssen sie immer cum grano salis erklärt werden, und es verstehe sich von selbst, daß sie als Untertanenrechte samt und sonders eine Gnadensache seien und als eine solche mit den eigentlichen Hoheitsrechten im Grund nie in Konflikt kommen können.

Andere redeten weniger sorgfältig und sagten, wenn sie Fürsten wären, so würden sie den ersten Untertan, der das im Mund solcher Leute infame Wort Recht gegen sie aussprechen würde, aufknüpfen lassen, und - nein, ich schweige.

Mitten unter dem leidenschaftlichen und falschen Benehmen der Wohldiener zeigte sich eine Partei, die aus wirklicher Liebe zur Wahrheit und Ordnung sehr auf die Seiten eines unbedingten fürstlichen Rechts hinlenkte. Auch diese äußerten sich, es sei desnahen ein großer Fehler der Zeit, daß man jetzt um des Unglücks willen, so in Frankreich begegnet, allgemein anfange, das Recht der Untertanen in ein zu starkes und das Recht der Obrigkeiten in ein zu schwaches Licht zu setzen, und dadurch die ersten allgemein dahin zu lenken, daß sie anstatt wie vorhin die Pflichten ihres Standes und Berufes mit Zufriedenheit und Gutmütigkeit erfüllen, jetzt die halbe Zeit in den Kaffeehäusern und auf den öffentlichen Plätzen herumstehen, mit Übeldenkenden und solchen Leuten, die nichts zu verlieren haben, von den Fehlern des Staates reden und sich's zur Gewohnheit machen, alles Tun der Obrigkeit in ein gehässiges und sie betrübendes Licht zu setzen, daraus denn allgemeine Hauszerrüttung, Störung alles wesentlichen Hausglücks und Familienwohlstands nicht minder als Störung des öffentlichen Wohls, der öffentlichen Eintracht, allgemeine Trennung der Bande aller Stände, durch deren Vereinigung der gute Zustand des gesellschaftlichen Lebens allein erzielt werden könne, erfolgen müsse. Das Ende von allem diesem führe unausweichlich zur Anarchie. Diese machten den von diesem größten aller Übel ein Bild, das die Schrecknisse seiner Greuel alle mit Wahrheit und Stärke darstellt, und behaupteten, wenn bei den größten Ausschweifungen des Despotismus zehn Menschen zur Raserei blutdürstiger Gewalttätigkeiten versinken, so tun dieses in der Anarchie zehntausende.

Ihre Sprache mußte Eingang finden. Das Interesse der öffentlichen Ordnung und die innere Wahrheit, die sie enthält, redet ihr laut das Wort.

Aber man muß sich nicht irren, die Wahrheit wirkt in der Welt selten und wenig.

Die pfiffigen Künste der Wohldiener, diese Wahrheit an ihre Lügen zu knüpfen und ihr Unrecht mit dem Recht derselben zu bedecken, der Egoismus unserer Natur, der in allem, was er anspricht, immer allein Meister sein will, das bittere Gefühl, in Fall gesetzt zu werden, von Untergebenen kontrolliert oder gar im Unrecht erfunden zu werden, machte jedermann, der etwas zu befehlen hatte, nach den Meinungen dieser Partei mit beiden Händen schnappen und sie mit beiden Händen ergreifen. Und denn gaben die Irrtümer, die Ausschweifungen und wirklichen Rasereien, die in Frankreich von Monat zu Monat höher steigen, den Feinden des Guten, das in ihrer Revolution war, und den schwachen, blinden und blinzelnden Nachbetern des großen Lieds den gewünschten Anlaß, das Recht und die Notwendigkeit der Revolution in der Welt immer mehr vergessen zu machen.

Und tausend Genießungen, die der Despotismus seinem lasterhaften Söldner auf Kosten des bürgerlichen Rechtes verschafft, wirkten ganz gewiß mit, daß diese Partei der öffentlichen Meinung sogar immer mehr Beifall fand, und nach und nach auch gutmütige, Recht und Wahrheit aufrichtig schätzende Menschen so viel als allgemein anfingen, das so laut gewordene Gerede von der Tyrannei und dem Despotismus als den landesfürstlichen Rechten, dem Ruhestand des Staates und den natürlichen Verhältnissen der Untertanen gegen ihre Obrigkeit als gefährlich anzusehen, und im Gefolge dessen alle Klagen der Untertanen gegen ihre Obrigkeiten als nicht wahr, als übertrieben, als von böswilligen Leuten und Landesaufwieglern erfunden oder in ein falsches Licht gesetzt vorzustellen.

Ferner: Unleugbare Irrtümer und Fehler der Regierung mit allem Möglichen, was sich ersinnen läßt, dem Unrecht eine Farbe anzustreichen, zu beschönen; hinwieder jeden Untertan, der gegen irgendetwas, was von oben herabkommt, ein mißbilligendes Wort fallen läßt, als ehrlos, und jeden, der auch nur stillschweigt, wenn ein niederträchtiger Bezahlter den obrigkeitlichen Fehler noch als hohe Weisheit und große Gnade ausstreicht, als verdächtig zu behandeln; und endlich sogar sich selber gebrauchen zu lassen, das Tun und Lassen seiner Nachbarn, Mitbürger und Hausgenossen zu Händen der ängstlich gewordenen Oberen auszuforschen und zu hinterbringen.

Es schien wirklich unbegreiflich, wie hie und da selbst edle Menschen ein solches von oben herab angebahntes Benehmen für ganz gut achteten, und es von ganzem Herzen für ihre Pflicht hielten, der guten Wirkung solcher Maßregeln kein Hindernis in den Weg zu legen und ihr ja nicht mit den sonst freilich wichtigen, aber zu den gegenwärtigen Umständen nicht passenden Wahrheiten von den Menschenrechten und den Untertanenprivilegien in die Quere zu kommen.

Einige sagten sogar, sie wollten, wenn es in Gottes Namen unter den gegenwärtigen Umständen notwendig, der Obrigkeit lieber mit einem Lug an die Hand gehen, als durch Eintreten in irgendetwas, worin sie etwan möchte gefehlt haben, sie kompromittieren und die Untertanen dadurch in ihrer Neigung zum Ungehorsam noch zu stärken.

Und noch traf es sich, daß einige vorher unbekannte Menschen sich jetzt dadurch einen Namen machen konnten, daß sie auch den übertriebensten Forderungen dieser einseitigen Hinlenkung zum unbedingten fürstlichen Recht einen philosophisch-theologischen Anstrich gaben.

Diese behaupteten, aller Schein eines Untertanenrechts gegen die Landeshoheit sei wider alle gereinigten Begriffe einer nicht ausschweifenden Vernunft, vorzüglich aber wider das Christentum.

Natürlich fanden auch diese ihren Widerspruch. Unter den jungen Leuten und unter den Menschen, die kein Gnadenbrot aßen, fanden sehr viele, die Vernunft sei nicht sehr gereinigt, wenn sie der Recht- und Kraftlosigkeit der europäischen Menschheit das Wort rede, und hielten es nicht für wahrscheinlich, daß Jesus Christus darum in die Welt gekommen, das Recht des Stärkeren gegen den Schwächeren in seinem Namen auf eine Art valieren zu machen, wie man es ohne den Glauben an ihn nicht valieren machen kann. Diese bemerkten, wenn man das Heiligtum der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mutwillig den landsverderblichsten Irrtümern aufopfern wolle, so müsse man zu den Quellen der Volksverwilderung und zu den Zeiten hinaufsteigen, wo die Volksmißstimmung gegen die oberen Stände auch noch nicht stattgefunden.

Wenn man dieses tue, so werde man sogleich finden, daß in diesen Zeiten Unglauben, Schulden, Crapulen und Luxus auch nicht, wie in dem Zeitpunkt, der dem Revolutionsschwindel vorhergegangen, so viele Menschen in den oberen Ständen zur Gewissenlosigkeit und Herzlosigkeit gegen die unteren Stände gleichsam genötigt. Man werde augenblicklich finden, daß in diesen Zeiten die Soldatenmachung und Ausfinanzierung des Weltteils, so wie alle übrigen das Menschengeschlecht entwürdigenden Folgen der Allmachtsansprüche der Höfe, durch welche Unglauben, Schulden, Crapulen und der Luxus bei dem Personal so vieler höherer und niederer Volksvorgesetzten, und mit diesen ihre Herzlosigkeit und Gewissenlosigkeit gegen die niederen Stände wenigstens veranlaßt worden, damals auch noch nicht stattgefunden.

Man dürfe also die gegenwärtigen Volksverirrungen gegen die oberen Stände gänzlich nicht ohne in Verbindung mit diesen früheren, den Volksfehlern vorhergegangenen Fehlern der oberen Stände ins Auge fassen.

Diese behaupteten, der Weltteil vermöge es nicht, den allgemeinen Fortgang des obrigkeitlichen Familienlebens, soweit sich dieses erstrecke, zu ertragen. Er werde unter den Regierungsirrtümern, die dem Revolutionsschwindel vorhergegangen, notwendig erliegen müssen. Das Übergewicht der physischen Kraft würde zum Zerstören allmächtig, Recht und Wahrheit und der ganze Menschenwert verlören allen anderen Maßstab als das Geld und den Prügel. Die Modereden, es sei besser, die Rechte der Untertanen als die Rechte der Obrigkeit zu kompromittieren, besser die Fehler der Obrigkeiten als der Untertanen zu entschuldigen usw., alle diese Blendworte seien wo nicht krumme, arglistige, schmeichlerische Wohldienersprüche, doch gewiß nichts anderes als eitle Wortspiele, denen es ganz an innerer Kraft und Wahrheit gebreche. Diese behaupteten, welchen Anstrich man auch immer der Forderung, daß die Fürsten ewig mit dem Gut und Blut, mit der Ehre und mit dem Recht der Untertanen wie mit einem Ball spielen und diese nicht einmal das Maul dazu hängen dürfen, geben möge, so sei selbiges immer wieder die menschliche Natur, und man habe unrecht und handle wider das allgemeine Wohl aller Stände, wenn man dieser Forderung durch unzeitige Herabstimmung des öffentlichen Urteils über die Fehler der höheren Stände noch Vorschub tue.

Sie sagten, man müsse immer das Recht der Menschen von ihrer Narrheit in der Behauptung desselben sondern, und es sei Unsinn, den jetzigen Volksverirrungen anders als durch Maßregeln, die ihre innerste Stimmung beruhigen, entgegenwirken zu wollen. Aller Betrug und alle Lügen, die Fehler der Großen zu verhehlen, und alle Endzwecke, die Kleinen allein zum Rechttun, zur Verantwortung und zur Pflichttreue anzuhalten, seien, wenn man sie auch noch so sehr mit Vorliebe für die Erhaltung der bestehenden Ordnung ins Auge fasse, höchstens Palliative, die das Versinken des Weltteils nur langsamer und drückender machen.

Und wenn sie auch die Folgen der gegenwärtigen Volksverirrungen alle eingestanden und besonders die Greuel der Anarchie mit wahrem Abscheu betrachteten, auch vollends einstimmten, die Anarchie sei wirklich eine tausendfache Verstärkung aller obrigkeitlichen Verirrungen, durch die Übertragung ihres Unsinns ans Volk, so bemerkten sie doch, sie sei in ihrem Wesen bloß ein vorübergehender, keiner anhaltenden Dauer fähiger Zustand; sie daure in Vergleichung mit den Übeln des Despotismus immer nur eine kleine Zeit und wirke nicht wie dieser, von Geschlecht zu Geschlecht, auf Jahrhunderte zur Abschwächung der Nationen in einem fort; sie sei vielmehr bei allen Schrecknissen ihrer Wirkungen gar oft die Geburtsstunde einer besseren Ordnung der Dinge; sie mache mitten im Tumult ihrer Leidenschaften der menschlichen Natur würdigen Gefühlen und Wahrheiten wieder Luft, die der Despotismus Jahrhunderte unterdrückt; und die Stürme ihres Blutvergießens erheben den menschlichen Geist mitten in den Greuelszenen seiner Verirrungen zu den männlichen Tugenden der Selbsthilfe und der Selbstsorge, diesen von dem Despotismus immer untergrabenen Grundpfeilern der bürgerlichen Gesellschaft. Sie behaupteten, die Anarchie sei in ihrem Wesen nichts anderes als ein Fieber, womit die gute Natur die vom Despotismus in ihren edlen Teilen angegriffene Staaten zu heilen versuche, und die einseitige Schonung der höheren Stände in Zeiten, wo Volksunruhen schon ausgebrochen oder noch unter der Asche glimmen, verstärke die Quellen der Grundkrankheit in den angegriffenen Staaten, sie benehme ihr die Zeichen ihrer Gefahr, sie schläfere den durch den Despotismus träge und halb blind gewordenen Arzt über das Wesen des Übels ein und verleite ihn, mit handwerksmäßiger Kurzsichtigkeit auf die plötzliche Stillstellung eines Zustands zu wirken, dessen gemäßigte Unterhaltung in der Hand des tiefer sehenden Arztes ein gutes und vielleicht das einzige Mittel gewesen wäre, den Kranken dauerhaft zu heilen und ihn nicht bloß bis auf den Frühling oder Herbst auf schwache Beine zu bringen.

Doch wohin komme ich?

Man wird sagen, ich rede sogar der Anarchie das Wort, und doch sage ich nur: Die Mittel, die man gegen sie braucht, sind nicht die rechten, und ihre Übel mindern sich nicht dadurch, wenn man schon noch über sie lügt.

Aber bin ich ganz unparteiisch? Ich will es nicht einmal sein. Ist die Darstellung von dem Gang des öffentlichen Urteils über die französische Revolution, und die Art, wie alle Stände nach und nach dahin gebracht worden, über dieselbe anders als am Anfang zu denken, nicht selber einseitig?

Ich leugne es nicht. Aber ich sagte zum voraus, ich wolle mich in meiner Darstellung vorzüglich an das halten, was man jetzt allgemein anfängt, ins Dunkle fallen zu lassen. Ich glaubte, das was alle Welt daran hell findet und hell zu machen sich bestrebt, verliere nichts dadurch, wenn ich schon zu diesem Endzweck nicht mitpinsle, und denn komme ich, ehe ich ende, noch einmal auf diesen Gegenstand.

Ich gehe jetzt noch weiter, ich denunziere mich selbst als parteiisch fürs Volk. Der Zweck dieser Bogen ist nicht, die Volksfehler zu rügen, sondern die Ursachen zu entwickeln, die selbige veranlaßt haben, und noch jetzt unterhalten.

Also Leser! Fülle die Lücke aus, die aus dieser Beschränkung meines Gesichtspunkts entspringt, und wisse: Ich mag nichts weniger als unter dem zweideutigen Stempel der so geheißenen unparteiischen Schriftsteller hier und dort noch durchschlüpfen. Denke dir vollends, Leser! was doch sicher nicht ist, die Schrift sei wider die Fürsten, oder sieh sie wenigstens ganz für eine Schrift fürs Volk an.

Leser! wisse unbefangen, was wahr ist: Mein ganzes Herz neigt sich gegen das Recht des Volkes und hängt an der Hoffnung, daß selbiges nicht ewig aller Gaspillage zügelloser Hirtenknechte unterliege, und die Welt nicht endlich dahin komme zu fragen: Was ist das Recht des Volkes? und zu behaupten, es sei eine bloße Folge der physischen Kraft oder der Offenbarung.

Diese Wiege der Tyrannei hat überwogen. Man hat den Königen Gefahren gezeigt, die nicht unbedingt da sind. Man hat ihnen die Mittel verschwiegen, diese Gefahren, ohne dem Volk unrecht und weh zu tun, von der Erde verschwinden zu machen.

Man hätte auf gegenseitige Näherung aller Stände zu innerer Vereinigung aller Kräften des Staates antragen sollen. Und man trug auf einseitige Erhöhung des physischen Übergewichts an, welches seiner Natur nach immer zu den Verirrungen der Allmacht, das ist zu der Quelle des Übels, dem man entgegenzuarbeiten wähnt, hinführt.

Aber die Welt hat jetzt von dem Mißbrauch der physischen Macht weniger zu befürchten als ehemals. Das Beispiel Frankreichs hat die Großen gegen diesen Mißbrauch genugsam gewarnt. So sagt man.

Die Wahrheit ist: So lang der Mensch Mensch bleibt, wird er als Gewalthaber des physischen Übergewichts empfinden, denken, reden und handeln wie ein Jakobiner, wie ein micholowischer Gefreiter, wie ein Negerkönig und wie ein Negersklave. Er wird um des französischen Beispiels willen seinen Naturgefühlen keinen Augenblick länger Gewalt antun, als solange er sich fürchtet.

Aber aus Menschlichkeit und Dankbarkeit? Weg mit diesen Worten! Sie stehen nicht im Wörterbuch der Gewalthaber der physischen Macht.

Und denn haben die Franzosen den Gewalthabern der physischen Macht kein gutes, sondern böses Blut in den Leib gejagt. Sie haben die sich schon in ihrer Lage befindlichen Hindernisse der Menschlichkeit, der Dankbarkeit und der reinen Vernunft noch um ein Großes in ihnen verstärkt.

Europa gefahret alles. Die Schwäche der Völker ist groß. Ihr Freiheitstaumel ist ein Symptom eines Abschwächungsfiebers.

Was werden sie werden, wenn die Krankheit vorbei ist? Der Mensch geht so gern von einem Extrem zum anderen. Was wird Europa werden, wenn dieses geschieht? Werden die Hausvätertugenden unserer guten Fürsten den Naturgang der Dinge ändern, der vorauszusehen ist? Werden sie die sich ewig gleichen Wirkungen schrankenloser Ansprüche auf das Innerste unseres Wesens umschaffen und die menschliche Seele ändern, daß sie ohne Verstümmelung zu den Phantasien ihrer Ansprüche paßt?

Das müssen sie, wenn sie schrankenlose Regierungskraft von tyrannischem Sinn, wenn sie einen rechtlosen Zustand von Sklavensinn, wenn sie den Besitz eines entschiedenen physischen Übergewichts von der Neigung zur Regierungsgaspillage sondern, und Asiens Unsinn mit dem europäischen vereinigen wollen, ohne uns zu Mulatten zu machen.

Und wenn sie dieses nicht können, wo sind wir dann mit der jetzt so beliebten Emsigkeit zugunsten oder vielmehr zum Unglücke der Fürsten? Es ist kein Mittel, entweder muß Europa durch Despotie in Barbarie versinken, oder die Kabinette müssen mit Redlichkeit in das, was an dem Freiheitswunsch der Menschheit wahr ist, eintreten.

Doch ich verliere mich in den Resultaten, ehe ich die Grundbegriffe heiter genug gemacht habe. Was ist Freiheit?

Was will der Mensch eigentlich, wann er Freiheit sucht? Ich sehe nichts anderes, als er will ungehemmt die Hindernisse, welche die Verirrungen der Regierung seinem bürgerlichen Wohlstand in den Weg legen könnten, aus demselben wegräumen. Alle Privilegien, alle Rechte, alle Freiheiten der Völker scheinen nichts anderes zu sein, als gesellschaftliche Maßregeln zu diesem Zweck.

Auch heißt man bestimmt diejenigen Völker frei, die auf eine rechtsbeständige Art gegen solche Hindernisse, die die Regierungen ihrem Wohlstand in den Weg legen könnten, gesichert sind, nicht frei hingegen diejenigen, die nicht also dagegen gesichert sind.

Da aber alle Maßregeln, die diesen Endzweck wirklich erzielen sollen, einen demselben genugtuenden Grad von gesetzlich gesicherter Volkskraft voraussetzen, so bestehet das Wesen der bürgerlichen Freiheit offenbar in einem demselben also genugtuenden Grad von gesetzlich gesicherter Volkskraft gegen die Regierungsverirrungen, und das Wesen der Sklaverei hingegen im Mangel derselben.

Und da es ganz offenbar gegen alle Endzwecke der bürgerlichen Vereinigung streitet, irgendeiner Klasse von Teilhabern dieser Verbindung einen genugsamen Grad von Sicherheit gegen die Verirrungen der anderen zu versagen, so ist es unstreitig, daß die bürgerliche Freiheit nichts anderes, als eigentliche Sicherung des Menschenrechts im gesellschaftlichen Zustande, folglich ein wesentlicher Zweck aller bürgerlichen Verbindung, und das Erbteil eines jeden Menschen, der in einer wahrhaft gut organisierten Staatsverfassung lebt.

Aber worum fließen dann Ströme von Blut, wann ein Volk frei sein will?

Der Grund ist heiter. Die Naturtriebe der Menschheit bleiben ewig stärker als ihre gesellschaftliche Weisheit. Der Mensch im Besitz des physischen Übergewichts läßt sich auch im Mißbrauch seiner Macht nicht einschränken, bis er muß. Der Stärkere hält die Unterjochung der Schwächeren immer für sein Recht, bis der Schwächere der Stärkere wird, und dieses geschieht gemeiniglich dadurch, daß er den Schwächeren durch die Verirrungen seiner Ansprüche wütend macht und in diesem Zustande Kräfte fühlen läßt, die er vorher nicht an sich kannte.

In den rohen Zeiten, in denen sich die Grundlagen der Staaten bilden, nimmt das Volk fast immer einige Maßregeln zur Sicherstellung einer solchen Freiheit, aber gewöhnlich mit wenig Rücksicht auf die möglichen Künste künftiger geheimer Räte, so daß es diesen immer gar leicht wird, die Kraft dieser Maßregeln mit Zeit und Weile zu vereiteln.

Das war der Fall der meisten europäischen Völker; sie hatten in den rohen Zeiten, in denen sie sich bildeten, fast allgemein viele und große Freiheiten. Da sich aber die Zeiten verfeinerten und das Monarchienregime den Respekt für die Menschheit und den guten Willen für jede Spur irgendeiner gesetzlich gesicherten Volkskraft verlor, und dahin kam, sich des Gehorsams aller und jeder für sein Unrecht so gut als für sein Recht, für seine Unwahrheit so gut als für seine Wahrheit, für seine Unverschandtheit als für seine Mäßigung zu versichern, so haben die meisten Völker von ihren Rechten und Freiheiten nach und nach alles das verloren, was auch nur von ferne ein Gefühl in ihnen rege machen oder erhalten konnte, als ob sie auf irgendeine Art dahin kommen könnten, auch den größten Regierungsverirrungen durch ihr gesetzliches Recht Schranken zu setzen.

Die einten Völker verloren also ihre Freiheit durch offenbare Gewalt, andere durch Hinterlist, die meisten durch beides zusammen. Nur von wenigen kann man eigentlich sagen, daß selbiges durch ihre eigene Schuld geschehen. Dennoch haben auch einige noch etwas von dem Wesentlichen ihrer alten Rechte und Freiheiten erhalten. Und nun, was ist aus den Menschen geworden, die ihre Rechte erhalten? Was ist aus denjenigen geworden, die dieselben verloren oder nie keine hatten? Und wie ist der Übergang der Menschen aus dem Stande der Unterjochung in den Stand einer rechtlich gesicherten Volkskraft immer beschaffen gewesen? Die Geschichte sagt: Die Fürsten haben sich, solange die Welt stehet, immer Rechte angemaßt, die mit einem wahrhaft guten Zustande der gesellschaftlichen Menschheit unverträglich sind, und dadurch zu allen Zeiten viele Völker dahin gebracht, daß sie sich den Allmachtsansprüchen derselben, und der Beeinträchtigung ihrer gesetzlich gesicherten Rechte und Freiheiten mit den Waffen in der Hand widersetzt. Diese Völker seien dann aber allemal in diesem Zeitpunkt als Störer der öffentlichen Ruhe, und als Feinde alles obrigkeitlichen Ansehens, hinwieder als unglückliche Irrende, von ehrgeizigen und rachsüchtigen Aufwieglern verführte Menschen, bald aber als wilde, barbarische, räuberische, blutdürstige Waghälse, im Anfange allemal als ein unbedeutendes zusammengelaufenes Gesindel, das weder Ordnung noch Ehre noch eigentliche Tapferkeit kenne, beschrieben worden; man habe solchen Leuten immer die abscheulichsten Schandtaten zugeschrieben, sie seien auch gewöhnlich durch die Fehler der sie beeinträchtigenden Obergewalt vorher schon in eine Stimmung gesetzt worden, die die Menschennatur allgemein zur Gewalttätigkeit und allen daraus fließenden Schandtaten geneigt machen; über das seien sie ganz vorzüglich in dem Zeitpunkt ihrer Freiheitsfehde, und gar oft ganz auffallend absichtlich zu den Schandtaten verleitet worden, wegen welcher man ihnen während des ganzen Laufes ihrer Fehde die größten Vorwürfe machte.

Sie sagt ferner: Sooft und solange die Menschen also für die Freiheit stritten, haben sich immer unter allen Völkern die großen Tugenden der Vaterlandsliebe und der Aufopferungskraft des Menschen in einem Licht gezeigt, wie selbige in den stillen Zeiten einer blinden Unterwürfigkeit in der Welt nirgends zum Vorschein kommen.

Ferner: Die Völker, die das Joch ihrer Tyrannen abgeworfen, haben sich allgemein, sobald ihre Unabhängigkeit anerkannt worden, gar nicht als die gesetzlosen, ehrlosen, räuberischen und mutwilligen Bösewichter erzeigt, für welche sie während ihrer Freiheitsfehde erklärt worden, sondern vielmehr als Menschen, die ihr Glück mit vieler Mäßigung brauchten, und sich mit aller Gutmütigkeit selber wieder Obrigkeiten und Regierungen wählten, denen sie sich mit großem Zutrauen, gewöhnlich nur mit dem bloßen Vorbehalt ihrer alten Rechte und Freiheiten unterwarfen.

Sie sagt: diese Völker haben fast immer dieser ihrer neuen Obrigkeit mit sich auszeichnender Treue und Standhaftigkeit Gehorsam geleistet und ihren neuen, sichereren, ehrenhafteren bürgerlichen Stand vorzüglich zur Verbesserung ihres häuslichen Wohlstands und ihres Familienglücks, zu vielseitiger Äufnung ihrer Gewerbsamkeit gebraucht, und dadurch dasselbe beinahe allgemein zu einer beneidungswürdigen Höhe gebracht.

Hingegen sagt die Geschichte eben so heiter: Alle diejenige Völker, die entweder mit Gewalt oder mit List ihrer alten Freiheiten und Rechte beraubt worden, seien im allgemeinen tief unter den Zustand aller derjenigen versunken, denen es gelungen, ihre Rechte zu erhalten. Ferner: Rechtlose, das ist gegen die Ausschweifungsansprüche der Regierungen nicht gesetzlich gesicherte Menschen seien in allen Himmelsstrichen eine weit schlechtere Menschenrasse als diejenige, die ihre Rechte und Privilegien gegen ihre Regierungen behauptet.

Sie sagt: Alle Schätze der Königreiche vermögen es nicht, in rechtlosen Ländern das Hausglück der Einwohner im allgemeinen auf einen so soliden Fuß zu bringen, als es in England, in Holland, in der Schweiz, in vielen Reichsstädten und allenthalben ist, wo die Gesetzgebung den Ausschweifungsansprüchen der Regierungen mit Kraft und Erfolg ein Ziel setzten.

Ferner: Auch diejenige Handlungsstädte in den Fürstentümern, die in ihrem Wohlstand mit denjenigen der freien Staaten wetteifern, erheben sich nur dadurch zu dieser Höhe, weil sie mitten in recht- und freiheitslosen Reichen besondere Rechte und Freiheiten besitzen, die der alles verschlingenden Hofallmacht innert ihren Mauren Schranken setzen. Hinwieder ist ebenso gewiß, daß in Staaten, wo das Große des Volks rechtlos ist, diejenige Klasse von Menschen, die ihre Rechte erhalten und ihren Stand gegen die Eingriffe der Regierungen geschützt, eine weit glücklichere, weit edelmütigere und im ganzen eine weit schätzbarere Menschenklasse ist als die übrigen rechtlosen Untertanen.

Die Geschichte sagt also laut: Die Freiheit hat der Menschheit allenthalben Gutes getan, wo sie sich erhalten, und die ganze Menschenrasse ist allenthalben schlechter, geringer und unglücklicher geworden, wo dieses gesellschaftliche Bedürfnis unbefriedigt geblieben.

Wann wir denn aber fragen: Worauf ruhet diese gesetzliche Volkskraft, die, indem sie also den Verirrungen der Regierungen ein Ziel setzt, die Menschenrasse veredelt und den Wohlstand der Landeseinwohner allgemein erhöhet, so zeigt es sich, sie ruhet auf Brotrechten, Ehrenrechten und Sicherungsmaßregeln vor Leib- und Lebensgefahren; und das Wesen dieser Rechte und dieser Maßregeln besteht einerseits in gesetzlich eingelenkten und gesicherten Bildungsanstalten, um es dem durch dieselben begünstigten Landeseinwohner zu erleichtern, sich unabhängendes Brot, ungehudelte Tage, und ein ehrenhaftes Alter zu verschaffen, andererseits wieder in ebenso gesetzlich eingelenkten und gesicherten Vorsehungsanstalten, um die bürgerliche Obermacht zu verhindern, dem also gesetzlich begünstigten Landeseinwohner die Vorteile, die er aus seiner bürgerlichen Lage und aus seiner bürgerlichen Bildung zu ziehen imstand und berechtigt ist, nicht willkürlich zu schmälern.

Der Zweck dieser Maßregeln geht allgemein dahin, daß nicht leicht jemand, wer der auch sei, den gesetzlich begünstigten Landeseinwohner an Leib, Ehr und Gut kränken und beeinträchtigen könne, daß dieser vielmehr vor allen diesen Gefahren, gegen jedermann, vorzüglich aber gegen den Mißbrauch der obrigkeitlichen Gewalt wohl versichert lebe.

Die Freiheit also, ich wiederhole es noch einmal, die, indem sie den Verirrungen der Regierungen ein Ziel setzt, die Menschenrasse veredelt und den Wohlstand des Landes erhöhet, diese Freiheit ist also nichts weniger als ein Recht, alles das zu tun, was durch kein Gesetz verboten ist.

Sie ist vielmehr eine gebildete Kraft des Bürgers, das zu tun, was ihn als Bürger vorzüglich glücklich, und das zu hindern, was ihn als Bürger vorzüglich unglücklich machen könnte.

Aber kann und soll der Begriff der bürgerlichen Freiheit nicht weiter ausgedehnt werden? Steht die menschliche Gesellschaft nicht um eine Stufe höher, wird sie nicht fähiger, den Verirrungen der Regierung ein Ziel zu setzen, die Menschenrasse zu veredeln, den Wohlstand der Landeseinwohner und des Staates zu erhöhen, mit einem Wort, die Vorzüge der Freiheit den Völkern reiner, allgemeiner und stärker zu erteilen, wenn dieser Begriff also als ein Recht bestimmt wird, alles zu tun, was durch kein Gesetz verboten worden?

Es redet eine große Erfahrung wider diesen Traum. Auch sind die Regierungen Europas durch eine ähnliche Bestimmung der Königsrechte zum Unsinn aller ihrer Verirrungen gelangt. Die Völker Europas konnten nicht anders als durch die Ausdehnung des Freiheitsbegriffes zu einem solchen Recht, alles zu tun, was nicht verboten, zu allem Unsinn der Allmachtsansprüche, die den Geist so vieler Regierungen verdorben, hingelenkt werden.

Der Grund ist heiter. Auch ein beschränktes Souveränitätsrecht gibt dem Inhaber seiner Natur nach ein großes Maß physischer Gewalt, dessen Besitz die menschlichen Neigungen in jedem Verhältnis mit großer Kraft zur Schrankenlosigkeit des Naturlebens hinreißt. Und die Freiheit setzt ebenfalls einen großen Grad von physischer Volkskraft voraus, deren Besitz hinwieder die menschlichen Neigungen zur Schrankenlosigkeit des Naturlebens mit großer Gewalt hinreißt.

Wenn es nun richtig, daß das Band der bürgerlichen Gesellschaft in seinem Wesen zerrissen ist, sobald die Könige oder Völker sich der Schrankenlosigkeit der Naturgelüsten überlassen, so ist es ebenso unstreitig für das Wesen des gesellschaftlichen 0 Regimes in einem hohen Grad gefährlich, wenn die Gemütsstimmung der Könige und der Völker durch die Bestimmung ihrer Rechte, und wenn auch nur durch den Anschein und durch den Mißverstand derselben, zur Schrankenlosigkeit der Naturansprüche und der Naturfreiheit hingelenkt, zu Gefühlen gereizt werden, deren Lebhaftigkeit mit dem Wohl der gesellschaftlichen Menschheit nicht bestehen kann.

Das psychologische Weglenken der menschlichen Neigungen von der Gewaltsamkeit der Naturansprüche und der Naturfreiheit ist zur Gründung aller gesellschaftlichen Glückseligkeit wesentlich notwendig, folglich muß es auch das Wesen einer jeden in der menschlichen Gesellschaft zweckmäßig wirkenden Bestimmung des Freiheitsbegriffes sein. Das ist in der Welt eine törichte Philosophie, welche die schädliche Wirkung eines Mißverstands, dem sie hätte vorbeugen können, für bloß zufällig achtet und sich nicht selber zuschreiben lassen will.

Alle Wahrheit in der Welt ist nur insoweit etwas wert, als sie zu einem Zweck, der etwas wert ist, richtig wirket. Die Stellung und Verbindung der Wahrheit ist meistens für den Zweck derselben wichtiger als sie selber. Es ist ein unendlicher Unterschied zwischen einem leidenschaftlosen allgemeinen Bewußtsein eines menschlichen Befugnisses und einer auffallenden Art, diese Befugnis in den Gefühlen des Bürgers als ein Recht zu relevieren. Tausend und tausend Handlungen, die dem rechtlosen Menschen erlaubt, sind es dem ehrenfesten, mannhaften Bürger nicht. Er ist als solcher verloren, und das Corps seines Standes, seiner Bürgerschaft, seiner Innung ist es ebenfalls, sobald ihre Naturgefühle innert den Schranken ihrer bürgerlichen Laufbahn auf eine Art gereizt werden, daß die Kraft ihrer entgegenstehenden bürgerlichen Bildung dagegen ohnmächtig wird. Alle Freistaaten der Welt hatten auch in ihren glücklichen Epochen diesen Gesichtspunkt fest im Auge, desnahen auch die natürliche Freiheit der Menschen in denselben weit beschränkter ist und sein muß als in den Fürstentümern, deren Kabinette bei ihren Allmachtsansprüchen mit Volk und Ständen immer besser zurechtkommen, wenn beide sich zu der ganzen Naturstimmung rechtloser Menschen erniedrigen, als wenn sie durch die beschränkten Sitten des republikanischen Regimes einen Schatten von wirklicher Bürgerkraft in ihrem Inneren erhalten.

Das Volk läßt sich nie lustiger um sein Brot, um seine Ehre und um sein Blut bringen, und der Taumeltanz der Despotie macht sich nie ruhiger als da, wo Volk und Stände Brot, Ehre und Blut weniger achten als Pomp und Tanz und Spiel und Mädchen, das ist, wo sie die natürliche Freiheit mehr schätzen als das bürgerliche Recht.

Aus diesem Gesichtspunkt erklärt sich auch, warum so viele Reisende, die aus Fürstenländern nach England, Holland und nach der Schweiz kommen, in diesen Ländern wechselsweise bald die größte Tyrannei, bald die größte Freiheit anzutreffen glauben, dabei sich aber immer dahin vereinigen, daß der Wohlstand dieser Länder im allgemeinen den Wohlstand aller Fürstenländer weit übertreffe.

Alle diese Staaten genießen jetzt noch in vollem Maß die Folgen des schönen Zeitalters, wo das Gleichgewicht der Rechte zwischen der Regierung und dem Volk in allen Ständen gesellschaftliche Weisheit und bürgerliche Kraft bildete und also das Hausglück der Einwohner und den Wohlstand des Staates auf Jahrhunderte und auf Zeiten hinaus gründete, wo dieses Gleichgewicht der Rechte zwischen der Regierung und dem Volk schon längst erloschen.

Es ist einem Mann, der in keinem Freistaat gelebt, wirklich unbegreiflich, wie in einem solchen Land, mitten unter auffallenden Gesetz- und Sorglosigkeiten, mitten unter stoßenden Willkürlichkeiten, selbst mitten unter allen Anstand verhöhnenden Regierungsanmaßungen die Größe des Volksglücks sich dennoch immer auszeichnet, wie mitten im Gewirr einer alles zu hemmen scheinenden Brotjagd Tausende auf einem Fleck Brot finden, wo in den Monarchien bald Hunderten zu eng wird, wie groß verhältnismäßig in diesen Ländern der Grad der Brauchbarkeit und Verdienstfähigkeit der Menschenzahl, wie vielseitig diese Kräfte in Tätigkeit gesetzt werden, wie alles dieses in diesen Staaten wie von sich selbst gehet, und wie wahrhaft in denselben die nutzbaren Folgen von wirklich nicht mehr in ihrer Kraft bestehenden Recht und Freiheiten diesen Völkern dennoch immer noch zugute kommt.

Freilich werden unter diesen Umständen alle diese Genießungen etwas ganz anderes, als sie waren.

Was die Väter als ihre Recht genossen, genießen die Söhne als ein Almosen; was die Väter mit Sicherheit besaßen, das ist unter diesen Umständen ein prekärer Genuß, und die Menschenrasse sinkt nach und nach zu der inneren Abschwächung rechtloser Völker in den königlich organisierten Staaten hinunter, oder sie muß durch irgendeine äußere oder innere Veranlassung zum Emporstreben nach dem Recht und der Kraft der Väter, nach der Urquell ihres Wohlstands, nach dem Gleichgewicht der Volkskräfte mit den Kräften der Regierung zurückgelenkt werden.

Ich nähere mich jetzt wieder der Hauptbegebenheit, die Europas Urteil über die Begriffe von Freiheit und Menschenrechten für den Augenblick getrennt hat. *) Frankreich ist durch das Äußerste seiner Regierungsverirrungen dahin gekommen, daß es auf einmal alle Banden seiner gesellschaftlichen Ordnung zerrissen, und die Rechte und Privilegien aller Stände, aller Provinzen, aller Städte, aller Gemeinden und aller Menschen zernichtet, und selbst den Bischöfen kein anderes Recht und keine andere Freiheit übriggelassen, als diejenige, die die Schneider und Schuster mit ihnen genießen. So ein Wagstück hat die Welt noch keines gesehen; seine ersten Folgen erregen Entsetzen. Wer will die Zahl der Menschen nennen, die Unrecht litten? Wer will den Jammer der Klagenden beschreiben und die Gefühle der Menschen ausdrücken, die zu Tausenden Ehre, Stand, Eigentum und Leben verlieren müssen und zu Zehntausenden brotlos in der Irre herumwandeln? Wer entsetzt sich nicht vor dem allgemeinen Stillstand der Gerechtigkeit, vor der daurenden Unsicherheit und vor der Menge des Mords!

Selbst der Mann, der es über sich vermag, alles Übel, das nun einmal begegnet, als geschehen, und die unterliegenden Unglücklichen als eine Partei anzusehen, die mit ihrer Gegenpartei ein großes à tout gespielt hat; selbst derjenige, der auch jetzt noch zu glauben vermag, diese jetzt Unglücklichen, als Partei betrachtet, seien in einem hohen Grad an dem Unglück selbst schuld, das sie betroffen, sie seien als Partei betrachtet nicht besser als die, so sie jetzt drücken, und haben eben wie diese den Vorsatz gehabt, ihre gleich egoistischen Zwecke mit ebensowenig Schonung des Menschenbluts und der Menschenrechte durchzusetzen; auch selbst dieser kann sich doch nicht verhehlen, die Abschaffung des Throns, des Parlamentes, des Adels, der Privilegien usw. habe in die Lage und die Umstände von Millionen Menschen unzählbare und ungeheure Lücken hineingebracht. Er kann sich nicht verhehlen, diese alten Banden der gesellschaftlichen Ordnung haben, wann auch die Ausschweifungen ihres Gebrauchs in ihrer ganzen Ausdehnung eingestanden werden, dennoch allemal in ihrem Wesen vieles gehabt, das einzeln genommen, auf den Zustand einer großen Anzahl Menschen Gutes wirkte. Vieles von diesem Guten hing zwar nur zufällig an der alten Lage der Sachen und war oft sogar eine Folge des Mißbrauchs von Stand, Ehre und Privilegien, aber seine Wirkung auf den Wohlstand von Millionen einzelner Menschen war die nämliche.

Alles dieses mangelt jetzt, und noch ist in der bestehenden Ordnung der Dinge *) keine Spur da, wie die ungeheure Lücke mit Sicherheit ausgefüllt werden könne. Im Gegenteil steigt im Inneren des Reiches eine Gemütsstimmung, die diese Lücke immer größer macht, und die Zahl der Menschen, die dadurch leiden, ins Unendliche vermehrt.

Freilich ist auf der anderen Seite auch unstreitig: Der Übergang der Menschheit aus der Sklaverei in einen rechtlich gesicherten Zustand wird gewöhnlich durch eine Gemütsstimmung des Volkes veranlaßt und scheint oft sogar eine solche Gemütsstimmung zu fordern, die der sittlichen Ordnung des gesellschaftlichen Zustandes geradezu entgegensteht. Die Anarchie der wenigen findet gewöhnlich nur in der Anarchie der vielen ihre Grenzen, und es ist unstreitig richtig: In dem Zeitpunkt der Blutfehde zwischen dem Freiheitswunsch und den Tyranneiansprüchen sind oft Tollkühnheit, Blutdurst, Lügen, augenblickliche Nachsicht für Raub und Mord und für das ganze Taumelleben der Gesetzlosigkeit, für die Sache der Freiheit ebenso vorteilhaft benutzt worden, als es für die Sache der Tyrannei ein ganz Gewohntes ist, alle diese Dinge zur Erzielung ihrer Endzwecke, wo und wann man es immer dienlich findet, zu gebrauchen.

Es ist ferner wahr: Die Tyrannei, die durch jede Freiheitsansprüche ihre Fassung gewöhnlich mehr als durch irgendetwas anders verliert, hat gar oft die Greuel dieses Übergangs absichtlich erhöhet und verlängert. Allemal aber ist richtig: die Sinnlichkeit, der Blutdurst und die Raserei der Völker, die für die Freiheit fechten, sind immer eine Folge des Zustandes, aus welchem sie herausgehen, und nicht desjenigen, in welchen sie hineintreten wollen.

Es kann auch nicht in Zweifel gezogen werden: Der Mann, der die Blutfehde der Freiheit leitet, muß das Volk zu seinem Zweck also brauchen, wie er es findet, und er würde den Kampf sicher in jedem Fall übel bestehen, wann er den durch den Despotismus sinnlich taumelnd und blutdürstig gewordenen Menschen keinen Spielraum für die Gemütsstimmung, in welcher sie sich einmal befinden, gewähren wollte. Aber der Gesetzgeber eines solchen Volkes muß eine Gemütsstimmung desselben, die allenfalls seine Generale in dem Augenblick dieser Blutfehde benutzen dürfen, mit Sorgfalt von derjenigen sondern, zu welcher er dasselbe für die stillen Tage der wirklichen Freiheitsgenießungen emporbilden muß, und darf ja nicht durch die Natur seiner Gesetzgebung selber einer allenthalben wie ein Waldwasser einbrechenden egoistischen Gewalttätigkeitsraserei noch Vorschub tun, wie er es in Frankreich wirklich getan, da er die gesetzliche Bestimmung der Freiheit zu einem allgemeinen philosophischen Begriff erhöhet, der seiner Natur nach die Neigungen des Volks zu aller Zügellosigkeit des Naturlebens und der Naturansprachen noch verleiten mußte; ferner, da er durch die bestimmte Form seiner Wahlordnung dem leidenschaftlichen Zustand der Wählenden und der Gewählten noch Vorschub getan, und endlich durch offenbar einseitige Nachsicht gegen anerkannte Verbrechen seine Kraftlosigkeit zur Beschützung der wahren Freiheit an den Tag gelegt. Er hat dadurch allen Verirrungen der Volksklubs, allem Unsinn des Pöbels und aller Infamie der Verschworenen eine geheime Kraft gegeben, deren Wirkung das Gute, das in der Revolution war, wie ein Meerwirbel mit sich in den Abgrund gerissen, und Frankreich dahin bringen kann, daß seine Revolution der Nachwelt nicht anders als ein prachtvolles und schreckliches Schauspiel eines solchen alles verschlingenden Wirbels vor Augen kommen kann.

So weit dieses auch geht, so behaupte ich damit doch nicht, daß Frankreich unrecht gehabt habe, seine Gesetzgebung auf reine Philosophie gründen zu wollen.

Die Scharlatanerie der empirischen Politik hat so alle Grenzen des Menschenverstands und der gesunden Vernunft überschritten, und ihr Egoisme ist so tief zur Niederträchtigkeit und Lügenhaftigkeit versunken und so sehr aller Philisterei der Geldjagd und aller Verräterei des Menschenhandels untergeordnet worden; daß Europa nicht mehr anders kann als sich zur Philosophie der Gesetzgebung erheben zu wollen. Aber Frankreich, das, nachdem es durch ein Menschenalter den Philosophen vergöttert, der ein Wohlgefallen daran fand, den alten Schlummer des Weltteils zu stören, ohne einen Schatten von Kraft zu besitzen, dem Erwachenden Nahrung und Leben zu zeigen; Frankreich, das ein Jahrhundert durch das Wohlgefallen seiner Könige wie durch dasjenige seiner Philosophen zum ganzen Taumelleben des wilden Naturstandes hingelenkt worden; dieses Reich, das n u n m e h r, das heißt, so abgestorben von aller bürgerlichen Kraft, so eingesunken in alle unbürgerliche Ohnmacht, dieses Reich, das sich nun mal mit dem ganzen Schwindel seines königlich gebildeten Zustands in die Labyrinthe der Philosophie der Gesetzgebung hineinwagte, mußte wahrlich in diesen Labyrinthen auf eine Art verirren, wie nach ihm kaum ein Reich mehr in denselben verirren wird. Auf der anderen Seite ist, was man auch immer sagen mag und was auch immer noch weiter begegnen wird, doch so viel gewiß: Der Menschenfreund legt ihm desnahen sein großes Verirren auch nicht einseitig zur Last. Und wann auch der große Grad des Menschenelends, das aus dieser Verirrung entsprungen, ihn ungeheuchelt bekümmert, so vergißt er doch nicht, wohin die Franken wollten, ehe sie sich verirret. Er vergißt nicht, daß sie auf dem Weg, den sie betreten, so wie sie waren, nicht anders konnten als sich verirren, und er läßt sich sogar von den Greuelszenen der gegenwärtigen Anarchie in der Art, wie er alle Gewalttätigkeiten gegen das bürgerliche Recht der Menschheit allgemein ins Auge faßt, nicht irre machen. Er gestehet sogar frei, daß er selber in den Grundsätzen der unsinnigsten französischen Freiheitsenragés, eines Marats, eines Robespierre und ihrer Anhänger nichts anderes findet und in denselben nichts anderes verabscheuet als was er in den Grundsätzen vieler Kabinette, vieler Generale und vieler Minister der alten und neuen Zeit, und überhaupt im Geist aller und jeder Kron- und Souveränitätsenragés schon längst gefunden und schon längst verabscheuet hat.

Ob's eine Monarchie, ob's ein Ministerium, ob's eine Volkskonvention sei, die nach solchen Grundsätzen das Menschenrecht, das Gut und Blut der Untertanen, den Besitzstand fremder Staaten und das Glück ganzer Völker den Verirrungen einer Regierungsraserei aufopfert; ob die Greuel einer solchen Raserei ein paar hundert Stunden näher oder entfernter von seinem Wohnsitz ihren Unfug treiben, ob sie die Unschuld dieses oder jenes Weltteils treffen, das alles verändert dem philosophischen Beobachter die wesentlichen Begriffe von den Menschenrechten und von den Königsrechten auf keine Weise, und mindert den Wunsch des Menschenfreundes nicht, die Welt durch Gesetz, Recht und Ordnung von allen diesen Rasereien allgemein befreit zu sehen.

So groß auch das Unglück ist, das durch Verirrungen dieses französischen Wagstücks für Europa erfolgen mag, so sieht er es desnahen mit eben den Augen an, mit denen er die Verirrungen anderer politischer Wagstücke und ihren unglücklichen Folgen anzusehen es schon längst gewohnt ist. Der Menschenfreund ist überzeugt, daß die Gefahren, denen die Menschheit durch den Mißverstand der neuen französischen Freiheitsbegriffe und durch alle Verirrungen ihrer ungeprüften, neuen, philosophischen Regierungsallgemeinheiten ausgesetzt worden, weit sicherer vermindert werden, wenn die vereinigten Stimmen der Menschenfreunde sich gegen alle Rasereien der Allmachtsansprüche erheben, als wenn sie mit auffallender Einseitigkeit diese Rasereien nur an dem französischen Volk allein fehlerhaft finden.

Und da er wohl weiß, daß der eigentliche Streit über das Wesentliche der großen Weltbewegung durch die Kanonen des Weltteils und durch kein anderes Recht entschieden werden, so nimmt er auf der einen Seite sicher am anarchischen Sturm für einen irrigen Freiheitsbegriff keinen Teil, aber er erniedrigt sich auf der anderen Seite ebensowenig zum Lavettenknecht der Höfe, die die Allmacht ansprechen, und dahin, mit ihrer besoldeten Dienerschaft ins Zeitlied einzustimmen, es sei kein größeres Übel in der Welt als Freiheit, und der Mensch habe es unter keinem Herren so schlecht als da, wo er selbst Meister.

Einmal ich will, da ich eben im Begriff bin, gegen die französischen Freiheitsverirrungen zu reden vorher noch mit Bestimmtheit wiederholen: Die dringendsten Bedürfnisse der Zeit und des Weltteils und selber das wahre Wohl der Könige erfordern, daß sich der Christ, der Menschenfreund und der Philosoph vereinigen, unverhohlen zu der Wahrheit zu stehen, die europäischen Kabinette haben bald allgemein mit den Rechten und Privilegien, das heißt, mit dem Brot, mit der Ehre und mit dem Blut des niederen Mannes im Land zu leichtsinnig gespielt, und der Volksdruck des Weltteils habe eine Höhe erreicht, daß er nicht wohl mehr habe steigen können. Auch ist es besonders in Frankreich in einem hohen Grad die Schuld der Regierung gewesen, daß dieses Reich, nachdem es Jahrhunderte ein Beispiel von Unterwerfung und Anhänglichkeit an seine Verfassung und an seine Könige gegeben, die sich bis zur Ausschweifung und Unmännlichkeit erstreckt, endlich dahin gekommen, von den alten Banden der öffentlichen Ordnung keine einzige mehr ohne Abscheu ins Auge fassen zu können, sondern sich lieber auch halb blind in die Labyrinthe der Theorie zu verirren, als wieder auf die Bahn von Übungen und Einrichtungen zurückzulenken, von denen es weiß, daß selbige seine Väter und Großväter nur schwitzen, hungern, seufzen und bluten gemacht. Gesetzgeber dieses Reiches! Laßt mich einen Augenblick mit euch selbst reden.

Bei allen möglichen Formen der gesellschaftlichen Einrichtungen ist das Wesen der bürgerlichen Freiheit immer eins und eben dasselbe, nämlich die gesetzliche Sicherheit des Bürgers gegen widerrechtliche Anmaßungen der bürgerlichen Obermacht, heiße diese Obermacht König, Bürgerrat, Nationalkonvent oder welchen Namen sie auch immer habe. Es ist aber in der Natur des Menschen gegründet, daß diese Obermacht, insofern sie sich als solche fühlt, immer zum Übergewicht gegen die ihrer Willkür entgegen stehende Volkskraft, das ist zur Despotie hinlenke. Das Hinstreben zur Despotie liegt also in allen möglichen Formen des Gouvernements. Die große Frage der Freiheit ist nur diese: Was sichert die gesetzliche Volkskraft vor der Gefahr, dem egoistischen Hinstreben dieser Obermacht zu unterliegen? Sie zu beantworten, weiß ich keinen einfacheren und sichereren Weg als in der Geschichte zu erforschen, wodurch es dieser Obermacht immer gelungen, wider das bürgerliche Recht der Menschen zu ihrem Zweck zu gelangen.

Diese sagt auf allen Blättern ihrer Jahrbücher: Die bürgerliche Obermacht hat von jeher, zu ihrem Zweck zu gelangen, diejenigen Klassen von Bürgern, deren gesetzliches Recht ihr am meisten in dem Weg stand, zu so schlechten und geringfügigen Menschen werden lassen, daß die Rechte und die persönliche Beschaffenheit dieser Bürger sich zusammen schickten wie eine Rüstung der Vorzeit auf die Haut eines heutigen Weichlings; sie hat sich von jeher der Bestechung bedient und die Menschen in der Not mit leeren Hoffnungen hingehalten; sie hat sie beim nagenden Hunger einen Rausch trinken gemacht und im Schrecken dahin gebracht, wo sie ohne Furcht nie hingegangen wären; sie hat von jeher jede Lücke ausgespäht, die die zutrauensvolle Gesetzgebung ihren Anmaßungen offenließ; sie hat die Menschen immer der Leidenschaft und dem Irrtum preisgegeben und sie dahin gebracht, die Unwürdigen hervorzuziehen, damit die Würdigen kraftlos blieben; sie hat von jeher gegen die ausgezeichnete Tugend den Neid der Menge erregt und der ausgezeichneten Kraft den Kopf vor die Füße gelegt. Daß sie das nicht mehr könne, oder daß es ihr wenigstens nicht mehr so leicht werde, auf alle diese Arten die gesetzliche Volkskraft zu entkräften, dies, Bürger! ist eure Bestimmung. Dahin müßt ihr wenigstens zielen, wenn ihr das Vaterland frei machen wollt. Um dahin zu gelangen aber, müßt ihr euch selber kennen und die Nation nicht für besser achten als sie ist. Gesetzgeber! Ihr müßt das Zukünftige durch das Gegenwärtige an das Vergangene anknüpfen. Das Gegenwärtige ist also das eigentliche Band eures großen Werks. Irrt ihr euch in der Beschaffenheit desselben, so wird sich dasselbe auflösen, ehe ihr es recht geknüpft habt. Das lebende Geschlecht, auf welches ihr euer Werk bauen müßt, Bürger! ist ganz das Kind einer tief verdorbenen Despotie. Die Despotie aber, der ihr entgegenarbeiten solltet, ist in ihrem Wesen nichts anderes als eine schrankenlose Zügellosigkeit in den Ansprüchen der Wenigeren auf das Gut und Blut der Mehreren. Und die herrschende Stimmung eures Volkes lenkt sich täglich mehr zu einer schrankenlosen Zügellosigkeit in den Ansprüchen der Mehreren auf das Gut und Blut der Wenigeren.

Also liegt das Übel, dem ihr entgegenarbeiten sollet, tief in der herrschenden Stimmung eures Volkes. Die exaltierten Begriffe vom Königsrecht sind in exaltierte Begriffe vom Volksrecht hinübergegangen.

Euer Volk tut jetzt in den Allmachtsansprüchen seiner Freiheitsverirrungen alles das, was euer Hof in den Verirrungen seiner, den euren entgegengesetzten, aber in ihrem Wesen ganz ähnlichen Allmachtsansprüchen seiner Kron- und Souveränitätsverirrungen getan hat, und wird, wenn es fortfahrt, in diesem Unsinn des eigentlichen, alten Hofgeistes zu handeln, so wenig frei werden als es unter seinen Königen glücklich gewesen.

Dieses Volk wähnet, die bloße Laune gegen seinen alten Kerkermeister mache es frei; aber die Wahrheit ist, je mehr es sich dieser Laune überläßt, desto mehr verstärkt das erste Hindernis der wahren Freiheit in sich selber.

Gesetzgeber! Ihr müßt die exaltierten Begriffe, die unglückliche Menschen nach Bedlam bringen, im Mund eurer Demagogen kraftlos machen, ihr müßt eilen, dem Freiheitstaumel der Majorität gegen die Minorität ein Ende zu machen, oder die immer schlauere und reichere Minorität wird die große Herde der Majorität, die sie noch jetzt für nichts anderes als ihre entlaufenen Sklaven achtet, sicher und bald wieder an ihre Ketten bringen.

Bürger! Ich rede hart, aber wenn ihr das Vaterland retten wollet, so müßt ihr die Welt überzeugen, daß die Verirrungen eures despotischen Hofes nicht noch im Hintergrund die Grundsätze der französischen Republik seien. Ihr müßt es hindern, daß die femmes entretenues eurer Demagogen dem Vaterland nicht werden, was Dubarry und Pompadour dem Großvater des unglücklichen Mannes gewesen, der traurig und streng des Alten Sünden büßen muß. Ihr müßt es hindern, daß eure filles die Nation nicht charakterlos machen, wie sie den Hof charakterlos gemacht haben. Ihr müßt den Blutbacchanalien, bei denen sich verruchte Weiber auszeichnen, ein Ende machen.

Ihr müßt das Regimen von Paris, das bis jetzt die Kräfte des Reiches verschlingen half, einschränken. Die Republik hat keine Stadt, die für sie la capitale ist, sie gebe also den Ausschweifungen der königlichen Organisation dieser alten königlichen Capitale, nicht in ihrer äußeren Form, sondernin ihrem inneren Geist den Tod.

Ihr müßt der [höchsten] Ausartung der königlichen Staatsverirrungen ein Ende machen, dem Weibereinfluß in die Regierung den Tod geben, bis nach Generationen durch ein beschränktes, bürgerliches Regimen selbst Pariserweiber dahin kommen werden, wo jetzt euere Männer noch nicht sind, mit hoher Würde und republikanischer Zuverlässigkeit auf das öffentliche Wohl wirken zu können. Erkennet den Freiheitstaumel des Geschlechts für das, was er ist, für Aristokratenunsinn in einem neuen Gewand. Arbeitet den Verirrungen eures an sich leichten und heftigen, und durch den Despotismus zu aller Schwäche der Gewalttätigkeit und aller Schwäche eines ganz ausschweifenden Naturegoismus erniedrigten Nationalgeistes entgegen. Wisset, daß ihr von Anbeginn leicht und wild wart. Wisset, der Despotismus abrutiert auch den Starken. Die Jahrbücher der Welt zählten euch nie unter die Stärksten, aber sie zählen die Jahrhunderte, die ihr unter dem Joch tief gebeugt einherschaukeltet.

Es sei vergessen! Werdet frei, aber träumet euch nicht frei, machet euch frei! Höret auf zu tändeln! Eure Männer werden Bürger, eure Weiber werden schamhaft! Spielet Eure Volksfeste unter freiem Himmel und kein Schauspiel mehr unter einem Dach. Mindert alle Rubriken der alten Hoflustbarkeiten. Es mögen Adelige oder Bürgerliche tanzen, der Arme zahlt immer die von der Staatsverwaltung eingelenkten Quellen des Sittenverderbens und der Ausschweifung. Stellet die Schamhaftigkeit wieder her! Mindert die Anlässe zur Volkszerstreuung! Zerstöret alle Theater, die ein Dach haben! Erschaffet Jahresfeste fürs Volk unter freiem Himmel! Machet das Schach zu eurem Nationalspiel, und die Erdäpfel zu eurer Nationaltracht! Eure Sinnen seien tot für alles, was durch eines Engländers Hand geht oder auch nur auf einem Brett schwimmt, an das ein Brite Anspruch macht!

Lernet eure Hausväter ihr Glück nach ihren Ersparnissen, und ihre Freiheit nach der Stille ihres Hausglücks, nach der Seltenheit der Kränkungen, denen die Gutmütigkeit und Schwäche in ihrer Nachbarschaft ausgesetzt ist, berechnen!

Denn erhöhet den Lebensgenuß des Armen, aber er verdiene sein Brot; seine Ehre sei ungekränkt, aber sie sei eine bürgerliche Ehre, und er opfere sie nicht der Sittenlosigkeit auf. Sein Rechtsgefühl gebe ihm bürgerliche Kraft, aber auch bürgerliche Mäßigung, die seine Kraft zur Würde erhebt. Seine Freiheitsliebe sei unbegrenzt, aber sie ruhe auf dieser Würde, und er setze das Glück seines Weibes und seines Kindes zum Ziel seiner Freiheit.

Werdet ihr das können? Es kommt alles darauf an, wer ihr selber seid.

Bürger! Ich bin ein alter Republikaner und rede aus Erfahrung.

Es sind nicht geräuschvoll sich auszeichnende Menschen, in deren Hand das Wohl eines freien Volkes am besten erzielet wird. Es sind im Gegenteil stille, haushälterische, in einem ernsten Berufsleben zu einer regelmäßigen Ordnung, zu einer ausdauernden Beharrlichkeit und zu fester Beschränkung ihrer Wünsche gewöhnte, durch häuslichen Verkehr mit dem Geist des Volkes, mit seinen Bedürfnissen bekannt gewordene Männer, durch deren vereinigte Kräfte das Wohl freier Völker am besten erzielet wird.

Große, sich auszeichnende, die anderen tief unter sich fühlende Männer machen allenthalben ihre Beisitzer zu ihren Jaherren, das ist zu ihren blinden Stimmgebern, heißen dann diese Jaherren: Geliebte Miträte, Ehrsame Gemeinden, Souveräne Konstituenten, hohe Prinzipalen oder welchen Namen sie auch immer haben; sie sind nichts, die, denen sie ja sagen, sind alles, und die Republik ist nicht so wohl versorgt, als wenn diese weniger und die anderen mehr wären.

Die große Kunst der Freiheit besteht desnahen in einem psychologischen Raffinement der Wahlordnung, welche dem Mann von ruhiger, gemäßigter Gemütsstimmung, dem stillen, seinen Mitbürgern durch die sicheren Proben eines dienstbeflissenen Privatlebens bekannt gewordenen, anmaßungslosen, redlichen, erfahrenen, truglosen, gutmütigen vor dem sich zudringenden, pfiffigen, schlauen, hohen und falschen bei der Wahl der Volksrepräsentanten ein sicheres Stimmenmehr zu verschaffen imstand ist.

Es ist desnahen nicht die Gleichheit des Einflusses eines jeden, sondern die Sicherstellung des Übergewichts der Unbestochenen und Rechtschaffenen gegen den schlechten, bestechbaren Bürger, was bei der Wahl der Volksrepräsentanten die Freiheit des Bürgers eigentlich versichert.

An alles dieses aber habt ihr nicht gedacht. Und nun, was kann, was wird aus euerer Freiheit werden, wenn ihr fortfahret, alle Maßregeln, um euch der inneren Dienstfähigkeit eurer Repräsentanten für die Sache der Freiheit zu versichern, zu versäumen, und im Gegenteil noch durch die Natur eurer Wahlordnung sowohl die leidenschaftliche Gemütsstimmung eures Volkes noch erhöhet, als auch die Obermacht, die ihr der Konvention geben müsset, für die Sache der Freiheit psychologisch verderbet, und denn zu allem diesem endlich noch den Religionseinfluß durch die eigentliche Abgötterei, womit ihr dem unbekannten Gott eurer neuen Freiheit allein opfert, so viel als zernichtet?

Berechnet, Franken! den Grad eures Zurückstehens in den reinen Kräften echter, republikanischer Tugenden nach dem Grad des Unsinns dieser neuen Götzenopfer und nach den Äußerungen des Volksgeistes beim Anblick der Greuelszenen, an den großen eurer Schandtage, nach dem Grad der Sinnlichkeit, der Gewalttätigkeit und der Mordlust, die Tausende an diesen Tagen äußerten, und dann saget, ob ihr euch selber auf dem wahren Weg achtet, euch durch den Genuß echter Freiheit glücklich zu machen und eure Kinder zu den stillen Tugenden zu erheben, durch welche sie in dem engen Kreis der häuslichen Verhältnisse ihren Berufspflichten gewachsen und getreu, ihren Wohlstand fest gründen und den Segen ihrer bürgerlichen Rechte frei von aller Königsplage und von aller Despotenplackerei auf glückliche Kindeskinder herabbringen werden. Saget, ob ihr wohl getan, daß ihr jetzt, das heißt, beim augenblicklich unabänderlichen, wirklichen Befinden eurer allgemeinen Gemütsstimmung es ganz vernachlässigt, die reinen Gefühle einer frommen, religiösen Stimmung zu eurem Endzweck zu benutzen und zu erhalten.

Verachtet mich, aber ich sage es euch doch: Ich kenne kein Mittel, ein Volk, das der Despotismus Jahrhunderte abrutiert, bei erwachenden Freiheitsgefühlen im Respekt für das Eigentum, im Abscheu vor dem Blutvergießen zu erhalten, und es zu der Selbstüberwindung hinzulenken, auf welche alle bürgerliche Freiheit der Menschen ruhen muß, als gesetzgeberische Aufmerksamkeit auf die Erhaltung der reinen Gefühle einer frommen, religiösen Volksstimmung.

Verachtet mich, aber ich sage es doch: Die Erfahrungen eines Lebens, das die Torheiten der Gläubigen und der Ungläubigen bald alle durchlaufen, hat mich zur Überzeugung gebracht, die Stimmung der menschlichen Natur, bei welcher unser Geschlecht die wahre gesellschaftliche Freiheit allein wirklich genießen kann, ruhe unumgänglich auf einer beim einzelnen Menschen allgemein rege gemachten Sehnsucht nach innerer Veredlung seiner selbst und auf einem redlich tätigen Bestreben, die Gewaltsamkeit seiner Neigungen zur Schrankenlosigkeit des Naturlebens und der Naturfreiheit in sich selber zu bekämpfen; und der Unglauben habe zu diesem Endzweck keine genugtuenden Mittel, der Aberglauben aber zerstöre die Kraft dieser Mittel durch seinen Irrtum in ihrem Gebrauch. Beide aber, der Unglauben und der Aberglauben führen am Ende die gesellschaftliche Menschheit zu allen Verirrungen und zu allen Ausschweifungen des Naturlebens und der Naturfreiheit. Gesetzgeber! Die Welt hat übel getan, daß sie den Glauben der Christen hat verspotten lassen. Ich will mein Gefühl über diesen Gegenstand mit den Worten eines Ungenannten ausdrücken:

"Die tausend edlen Menschen, die religiöse Bedürfnisse hatten, die nicht bloß die Pflichten der Gesellschaft kennen wollten, sondern sich nach bestimmten und heiteren Aussichten sehnten, und Mittel suchten zur Veredlung ihres Wesens und zur Duldung unvermeidlicher Übel, diese edlen Menschen, die in ihrer Bibel dieses alles fanden, deren Geist durch sie die erhabenste Richtung bekam, und die so vielseitig zeigten, daß sie einen reinen und schönen Sinn in ihrem Innersten haben, aus dem so schöne Grundsätze zu handeln und zu leiden entsprangen - Ach! wie ein kalter Wind die zartesten Blumen mit einem Hauch tötet, so wurden die lieblichen Blüten reiner Empfindung des göttlichen Strebens nach einem höheren Ziel, und die Ahndung der besten Menschen durch die wilde Gottesverleugnung zernichtet, die in unseren Zeiten alle Schranken der Achtung, Schonung und Sorgfalt, zu der die gesellschaftliche Menschheit so allgemein verpflichtet ist, mißkennt." Franken! Ihr wart ein Volk, da ihr Religion hattet. Als der Wortbruch Eures Despoten die Hugenotten vertrieb, waren die Ausgewanderten der Segen der Welt.

Trauert, ihr Franken! wenn ihr das Zeugnis der Welt über euere Ausgewanderten hört. Die Zügellosigkeit der Naturverwilderung, deren sie schuldig, ist nicht mit ihnen ausgewandert, sie herrscht noch in eurer Mitte, sie herrschet in eurer Hauptstadt. Trauert, ihr Franken! und eure Gesetzgebung verirre sich nicht so tief, das erste Mittel gegen diese Übel zu verachten. Euer Genius bewahre euch, durch die Verirrungen der Freiheit und des Unglaubens hierüber in eben der Handlungsweise zu verharren, deren eure Könige sich durch die Verirrungen der Despotie und des Aberglaubens schuldig gemacht haben. *)

Und dann noch dieses Wort:

Vaterland! Deine Grundsätze gegen fremde Staaten sind Unrecht, du bietest den Völkern die Freiheit in einem Augenblick an, da dir die Welt die deinige streitig macht, und indem du dein Anerbieten mit der ganzen Anarchie deiner gegenwärtigen Volksstimmung unterstützest, machst du dasselbe zu einem zudringlichen, unedelmütigen Versuch, den alten Zustand der Völker in einem Augenblick aufzulösen, in welchem du unter der Larve dieser wohltätigen Absicht die sittlichen Hindernisse eines besseren Zustands selbst millionenfach unter ihnen erhöhest und wegen der Gewaltsamkeit deiner gegenwärtigen Lage um deiner selbst willen noch erhöhen mußt. Das ist Wahrheit, Vaterland!

Europa kann zur gänzlichen Auflösung der bürgerlichen und religiösen Bande seiner alten Verfassung, ohne sich seinen schnellen und gänzlichen Ruin zuzuziehen, nicht Hand bieten. Das Große des Volkes ist bei fernem nicht gebildet, immediaten Anteil an der Verwaltung der Landesregierung oder auch nur an der Gesetzgebung teilzunehmen. Aber das Wesen der bürgerlichen Freiheit, das Gleichgewicht der Rechte, und eine dem Mißbrauch der Obermacht der Regierung genugsam vorbeugende, gesetzlich gesicherte Volkskraft hat vollkommen Platz ohne demokratische Grundsätze.

Die Stufenfolge der gesellschaftlichen Freiheit bleibt immer mit der Stufenfolge der menschlichen Erleuchtung und mit dem bestehenden Fuß des bürgerlichen Eigentums innigst verwoben.

Völker, die noch etwas zu verlieren haben, desorganisieren sich nicht so leicht als diejenigen, so alles verloren. Das hast du in Frankfurt erfahren; es sträubte sich mehr als Worms und Speyer und Mainz, und es hatte Recht. Das nämliche würde dir allenthalben begegnen, wo die Menschen auch nur in einem erträglichen Grad wohl sind. Und wenn sie auch ihre Rechte und Freiheiten lieben, so haben sie doch keinen Sinn für eine Freiheit, die etwas anderes als eine Sammlung solcher ihnen dienlichen positiven Rechte und Gesetze ist.

Und überall, Vaterland! liegt im allgemeinen dem Menschen nichts an der Freiheit, wenn er glücklich ist, und wenn er es auch nur halb ist, so liebt er seine Ruhe und seine Krippe zu sehr, als daß er diese so leicht aufs Spiel setze. Das ist freilich keine Lobrede auf ihn, es ist mit anderen Worten gesagt, er lasse sich gern an seine Krippe anbinden, wenn er nur Futter darin finde. Aber es ist wahr, der Mensch, der auch nur halb glücklich ist, bleibt gern Sklave, und es liegt in seiner Natur, er erhebt sich nur durch bittere Gefühle des Elends dahin, für die Freiheit auf das Spiel zu setzen, was du darauf setzest.

Vaterland! Du wirst mit dem Vorschritt deiner Begriffe die Natur der Menschen nicht ändern, und es ist immer abscheulich, in fremden Ländern die Leidenschaft der immer irrenden Menge dahin zu gebrauchen, gesetzliche Regenten mit Übermaß und ohne Verhältnis mit ihren wirklichen Fehlern zu kränken; und jeder Versuch, ein Land, das friedlich und glücklich ist, durch fremden Einfluß zu desorganisieren, ist immer eine unnatürliche Handlung.

Ich rede nicht Despoten das Wort. Nein, Vaterland! ich rede dir selber das Wort. Du wirst durch dieses Benehmen die Sache der gegen dich verbundenen Mächte zur Sache aller ihre Ruhe und Behaglichkeit liebenden Menschen machen, und dadurch selbst das meiste dazu beitragen, den Krieg gegen dich zu popularisieren, und dann wirst du sehen, was du getan hast. So würde ich mit den Gesetzgebern Frankreichs reden, wenn ich könnte. Aber wenn ich's könnte, so würde ich noch viel lieber mit dem ersten der deutschen Fürsten reden und zu ihm sagen:

Das Unrecht der Höfe gegen die Völker ist groß, Europa mag die Verirrungen ihrer Ansprüche nicht mehr ertragen. Du hast Theresia, die Edle, als eine Betrogene ins Grab tragen und Joseph den Zweiten dem Irrtum unterliegen gesehen; auch dein erlauchter Vater fand die Wahrheit um so viel weniger, je mehr er sich in ihrem Suchen ermüdete. Fürst! Die Alleinherrschaft, die ohne ein gesetzliches Gegengewicht gegen ihre Verirrungen gelassen wird, ist über die menschliche Natur und wider dieselbe. Die Erde erliegt unter diesem Irrtum, der die Fürsten dahin bringt, ihren Willen mit einer Kraft und Gewalttätigkeit festzuhalten und durchzusetzen, die kein Verhältnis mit der Aufmerksamkeit hat, die sie auf die wesentliche Teile (partes integrantes) ihrer Endzwecke verwenden können.

Selbst Joseph II. entriß sich dadurch den Kranz seiner Fürstenweisheit, den er verdient und erzielt hätte, wenn eine gesetzlich gesicherte Landesweisheit und Landessorgfalt kraftvoll hätte mitwirken können, die Lücke der Staatsideale auszufüllen, die er nicht sah und nicht glauben wollte. Da es aber nicht geschah, so verloren seine Normalschüler, seine Zivilbedienten, seine Geistlichen und selbst seine Soldaten in den ungeheuren Allgemeinheitsformen, in die sie hineinpassen sollten, sich selbst.

Fürst! Es ist ganz unmöglich, daß Europa ohne Hinlenkung zur Sicherung eines gesetzmäßigen Einflusses der allgemeinen Kenntnisse, der allgemeinen Sorgfalt und des allgemeinen Willens, ohne neue Belebung aller Weisheit und aller Kraft der Selbstsorge, ohne Festsetzung einer gesetzmäßigen Volkskraft, die zwischen dem Recht und den Verirrungen der Fürsten wie ein Fels stehet, sich von dem Ruin errette, mit welchem sein gespannter Zustand, seine steigende Erschöpfung und das wachsende Mißverhältnis zwischen Geld und Menschenwert den Weltteil bedrohen.

Und Recht und Wahrheit ist wider die Fürsten, die die Allmacht ansprechen. Die Welt ist einig, der Fürst ist ein Tyrann, der das Recht anspricht, den einzelnen Untertan ohne gesetzliche Verurteilung um Leib, Ehr und Gut bringen zu dürfen. Wie? er sollte es nicht sein, wenn er das Recht anspricht, sie alle miteinander in Kraft einer bloßen Regierungsverirrung also um alles dieses bringen zu dürfen! Und er tut das, wenn er in Rücksicht auf Auflagen und Enrolierung den Verirrungen seines Kabinetts oder vielmehr sich selber keine das Volk sichernde Schranken setzt.

Der Menschenfreund weint, wenn er allen Edelmut, alle Gerechtigkeitsliebe und selbst alle Aufopferungskräfte der besten Regenten und mit ihnen das ganze Wohl des Weltteils durch einen Irrtum in der Bestimmung der Königsrechte verloren gehen sieht.

Und deutscher Kaiser! Wenn je ein Volk würdig ist, durch gesetzlich gesicherte Rechte zu einem höheren Grad von Wohlstand und bürgerlicher Selbständigkeit emporgebildet zu werden, so ist es das deutsche. Es ist ein biederes, in sehr beschränkten Lagen zufriedenes, Ordnung und Recht männlich liebendes, bei Pflicht und Beruf männlich ausharrendes und dadurch wahrer Freiheit vorzüglich empfängliches und würdiges Volk. Anarchie ist wider seinen Geist. Dieses gute Volk sucht, indem es an Recht und Privilegien innig anhänglich ist, damit nichts anderes als Sicherheit für seinen Herd und Frieden für seine Hütte. Mehrer des Reichs! Solltest du ihm dieses nicht wünschen, solltest du ihm dieses nicht geben, soviel du es ihm wünschen, soviel du es ihm geben kannst?

Deutscher Kaiser! Du hast den Schriftsteller der schweizerischen Revolution, der die Wahrheit meiner Grundsätze und das Recht und die Tugend der Freiheit besser als ich beweist, in deinen Dienst genommen; trage diesem Kenner des alten deutschen Geistes, trage Müllern auf, das Wesen der alten deutschen Verfassung, insoweit sie den Völkern gegen die Allmachtsverirrungen der Höfe Schutz und Schirm gewährt, in den Urkunden des Reichs zu erforschen, und denn vereinigt mit den weisesten deutschen Männern zu Händen der Fürsten, die die Wahrheit und das Recht lieben, das Problem aufzulösen, wie es möglich wäre, den Geist der alten deutschen Verfassung nach den Bedürfnissen des Zeitalters, zum Schutz der Völker und zur Sicherung eines die menschliche Natur befriedigenden gesellschaftlichen Zustands wiederherzustellen, oder ein besseres Mittel zu zeigen, dem dringenden Bedürfnis des Weltteils ein Genügen zu leisten, und die innige Vereinigung der Fürsten mit ihren Völkern durch andere gesetzliche Vorkehrungen zu bewirken.

Soweit schrieb ich, und tausend Gedanken durchkreuzten mein Innerstes. Aber ich war nicht heiter, drückende Wehmut lag auf meinem Herzen. Die Zeit ist wider meine Wahrheit und wider meine Wünsche; es ist nicht möglich, dachte ich, daß die Fürsten jetzt nicht alles Gerede von Freiheit und Menschenrechten hassen oder verachten. Ich bedauerte was ich geschrieben. Das Recht der Welt, dachte ich, ist, so sehr es den Menschenfreund auch schmerzet, im Grunde doch nichts anderes als eine Folge der Gewalt oder des Wahns. Der Gang aller Dinge ist wider das Recht und wider die Wahrheit, und es ist den Leuten, die auf der Erde ihre Rolle spielen, bei keinem Wort Ernst, das sie reden. Und so entschlief ich, mißmutig über die Welt, über mich selbst und über jedermann, an den ich dachte.

Aber der Sturm meiner Gedanken verfolgte mich noch träumend. Ich fand mich in einem ungeheuren Tempel, alle Fürsten Deutschlands waren darin versammelt. Unabsehbare Völker standen hinter den Fürsten, und der Boden des Tempels war naß von den Zähren der Völker.

Diese klagten: Wir sind rechtlos, unversorgt und unglücklich! Ach, ihr Väter, helfet!

Der dumpfe Ton ihrer Klagen hallte in den Gewölben des Tempels. Die Fürsten wandten ihr Angesicht gegen die Völker, ich sah es, sie streckten ihre Arme aus, ihnen zur Handbietung. Aber plötzlich wie Meereswogen im Sturm, drängte sich eine Wolke von Menschen zwischen die Fürsten und ihre Völker. Diese schreien wie wütende Leute: Zurück, ihr Aufrührer, zurück! Die Völker wichen, und die Wohldiener blendeten die Fürsten mit heuchlerischen Worten, daß sie ihr Ohr von den Klagen der Völker wegwenden. Sie hießen es eine impietas in principes, daß die Völker mit Tränen in den Augen vor ihren Fürsten erschienen. Sie nannten ihre Tränen Heuchlertränen und behaupteten, das Volk wäre einzig nur selbst schuld, daß es unglücklich. Wer seiner Pflicht getreu sei, der sei niemals unglücklich. Ihre Klagen über Unrecht seien Hochverrat. Die Menschen müssen sich von den Fürsten brauchen lassen, wozu es nötig; wer dagegen ein Recht anspreche, sei ein Narr oder ein Schurke. Es stehe den Fürsten alles darauf, daß sie in keiner Sache gegen das Volk um ein Haar breit nachgeben, und noch viel anderes, viel Härteres sagten sie gegen das Volk.

Ich sah die Fürsten erblassen. Denn hörte ich Stimmen des Fluchs und der Rache unter den Völkern gegen die Lügner, die den Fürsten also in den Ohren lagen. Die wilden Stimmen des Aufruhrs wirbelten in dem Tempel.

Aber plötzlich leuchtete ein himmlischer Glanz auf dem Altar, und alle Stimmen verstummten.

Es war Deutschlands Genius. Dieser redete mit den Fürsten: "Wie tief ist mein Volk gesunken! Hermanns Söhne dienen nicht mehr ihren Fürsten, sie dienen dem fürstlichen Unsinn. Das taten ihre Väter nicht, und die Fürsten ihrer Väter träumten sich's nicht, daß sie das schuldig.

Deutschlands heiliges Recht, das in Landesnot und Landesgefahr den letzten deutschen Mann seinem Fürsten dienstpflichtig macht, schützt Hermanns letzten Sohn, wo keine Landesnot und keine Landesgefahr ihn von seinem Herd ruft, bei seinem Weib und bei seinem Kind.

Und dieses Recht ist nicht mehr.

Ich habe euren Verirrungen die Rechte der Stände entgegengesetzt; und diese Stände sind nicht mehr. Ich habe der Ausartung eurer Macht durch die Rechte des Adels Schranken gesetzt; seine Rechte sind nicht mehr. Ich habe euch durch tausend kleine Rechte der Bürger und des niederen Volkes auf die Stimme der Völker aufmerksam gemacht; auch diese Rechte sind nicht mehr.

Ihr ließet Städte und Dörfer zugrunde gehen, damit das Volk keine Stimme mehr habe. Ich segnete die Lieblinge des Landes, aber der Segen meiner Lieblinge sollte nicht der Fluch deutscher Männer, er sollte nicht zum Schlund werden, in dessen Abgrund alle Kraft und alles Recht des Schwächeren versinken muß. Und doch ist es geschehen!

Hermanns Söhne, was habet ihr getan? Europas beste Rasse ist zu einem Dienstgesindel erniedrigt, und mein Volk, das, wenn es seine Rechte erhalten hätte, mit dem Wohlstand Englands wetteifern könnte, wimmelt von Soldaten und Bettlern. Ich klage vor den versammelten Fürsten, daß" - Jetzt erhob sich eine Stimme unter den Fürsten wie die Stimme eines brüllenden Leus:

"Versammelte Fürsten! Auf von euren Knien! Das ist nicht Deutschlands Genius, das ist ein Geist, der den heiligen Glauben der Väter und das göttliche Recht der Fürsten antastet, das ist ein Feind der öffentlichen Ordnung, ein Demokrat, ein abscheulicher Demokrat!

Die Fürsten zweifelten, es dünkte sie nicht, daß es ein Feind der öffentlichen Ordnung, aber es dünkte sie doch, es möchte ein Demokrat sein.

Da schwang der Genius sein Flammenschwert über die Scheitel der Fürsten. Sie standen nicht auf von ihren Knien, sie fühlten jetzt zitternd sein göttliches Recht. Und dann fiel ein Vorhang hinter dem Genius, und die Ahnen der Fürsten knieten in Trauer verhüllt und senkten ihr Angesicht gegen die Erde.

Die Fürsten standen nicht auf von ihren Knien, sie kannten ihre Ahnen.

Und der Genius sagte: "Sie trauern, daß ihr mich nicht einmal mehr kennet!

Hoch schwoll jetzt der Geist der Vorzeit in der Brust der Fürsten. Sie riefen mit einer Stimme: "Genius des Vaterlandes, gib uns Wahrheit und versöhne uns mit unseren Vätern und mit unseren Kindern!

Der Genius antwortete: "Schwöret in die Hand eurer Ahnen, Deutschlands alte Kraft, Deutschlands alte Treue und Deutschlands altes Recht wieder herzustellen; dann umarmt eure Ahnen und eure Kinder!"

Da schworen Deutschlands Fürsten und umarmten dann ihre Ahnen und ihre Kinder.

Ich sah Deutschlands Fürsten mit ihren Völkern innigst vereinigt und hörte die Stimme des Genius durch die Hallen des Tempels:

"Das Vaterland ist gerettet!!!"
Auch mein Herz schlug, und ich erwachte von meinem Traum.