Der alte Bär auf der Tanne

Nr. 81 (PSW 11, S. 144-145)

Nun, wann willst du uns einst ins Honigland führen? sagte eine Schar junger Bären zu einem alten.

Dieser erwiderte: Das will ich gleich tun, aber vorher sollt ihr noch sehen und erkennen, was ich für ein Bär bin. Seht diese Tanne; so weit sie geschunden ist, haben sie vorher schon andere Bären erklommen, ich aber will ihren obersten Gipfel erklimmen.

Also sprach er und kletterte die hohe Tanne hinan. So weit sie geschunden war, ging es wie nichts, aber da er höher kam, schwankte der Baum mit jedem Schritte mehr auf beide Seiten.

 

Doch, er strengte sich an und klammerte die wunden Tatzen in den schwankenden Baum. So ging es langsam, doch eine Weile immer höher hinan. Aber jetzt wehte der Sturm; der Bär bohrt seine blutenden Klauen mit äusserster Kraft in den schwankenden Baum. Also überlebt er den Sturm; aber seine Kraft ist dahin; er kann die eingebohrten Klauen nicht mehr aus dem erklimmten Holz herausbringen; er fühlt, daß sein Leben dahin ist und ruft von seiner Höhe hinab den jammernden Jungen: Meine grosse Tat ist mein Tod; ich führe euch nicht ins Honigland, aber das seht ihr und das könnt ihr zeugen, daß ich auf dieser Tanne als der allerhöchste Bär v... bin.


Ich hätte nicht geglaubt, daß alte Bären solche grossen menschlichen Schwachheiten haben könnten; aber ein wildes, ohne Unglück überstandenes Kraft- und Gewaltleben führt, scheint es, auch alte Bären in ihren letzten Tagen zu Narrheiten, die denen gleich sind, deren sich oft alte Menschen schuldig machen, welche durch ihr Leben mehr scheinen wollten, als sie wirklich waren.