Die Begriffe der Bienen von der Freiheit und der Gerechtigkeit

Nr. 228 (PSW 11, S.307-312)

Die guten Bienen, die bei ihrem Honigsuchen in aller Welt herumschwärmen, hörten in allen Ecken die tierischen Begriffe, die sich die Löwen und Bären, die Füchse und Marder, die Ochsen und Esel, die Auerhähne und Spatzen, die Hunde und Katzen von der Freiheit und der Gerechtigkeit machten; aber obwohl sie diese großen Tiere alle für höhere Wesen ansahen als sich selber, so konnten sie, so klein sie sich auch immer gegen sie fühlten, doch nicht begreifen, daß irgend etwas von alledem, was diese Tiere für sich als Freiheit und Gerechtigkeit ansprachen, wirkliche Freiheit und Gerechtigkeit sei. Und je mehr sie dieses Geschwätzwerk über diese zwei großen Menschenwörter hörten, je mehr freuten sie sich, stille kleine Bienen und nicht so anmaßliche große Tiere zu sein. Vorher, ehe sie ihr fades Geschwätz treiben hörten, fühlten sie sich in ihren Körben nur glücklich; sie wußten nicht, daß etwas in der Welt sei, das unter den Menschen Freiheit und Gerechtigkeit heißt und von dem auch alle Tiere der Welt auf die verschiedenste Weise, jedes nach seiner Gattung, das Maul brauchen.

In Polens Wäldern, wo sie, von Menschen gesondert, ihre Wohnungen selbst bauten und ihren Honig mehr mit den Bären als mit den Menschen teilten, wußten sie nicht, daß etwas in der Welt sei, das Freiheit und Gerechtigkeit heißt; aber in den zivilisierten Staaten, wo verkünstelte Menschen ihnen mit ihrer Hand Körbe und Häuser selbst bauten, auch den Honig jährlich mit ihnen teilten, und dabei allerlei Arten von Unfug und Gewalttätigkeit mit großer Mordlust an ihnen ausüben, hörten sie in allen Ecken und Enden diese Wörter, die an den Orten, wo sie von den Menschen gesondert und ihrethalben ihres eigenen Rechts sicher waren, nie vor ihren Ohren erschallten und nie über ihre Lippen hinausgingen.

Aber jetzt sprachen sie es auch aus: Unsere Brutzellen sind bequem für unsere Brut, und unsere Honigzellen für unsere Arbeit im Sommer und für unsere Nahrung im Winter. Jede einzelne Biene lebt befriedigt in unserem Korb und ungestört in ihrer Zelle. Keine von den Tausenden und Tausenden, die nebeneinander aus- und einfliegen, hindert irgendeine andere weder an ihrer Brut noch an ihrer Arbeit. Alles, was wir sein sollen, die Kräfte und Fertigkeiten, die wir zum Honigsuchen, zum Wachsbereiten, zum Zellenbauen, notwendig haben, liegen in uns selber zur höchsten Kunstvollkommenheit entwickelt und erhoben. Die Ordnung und die Rechte der Lebenstätigkeit und Lebensgenießung jeder einzelnen Biene sind durch Schranken gesichert, die die Selbstsucht keiner einzelnen Biene zum Nachteil der anderen zu überschreiten vermag. Wir sind alle innerhalb dieser Schranken gesegnet und frei, und sie, diese Schranken, sind selber das Wesen der Gerechtigkeit, die wir bedürfen; sie sind unser geliebtes, heiliges Recht. Wir sind durch sie selber glücklich und frei.

Unsere Königin ist eine liebende Mutter. Jede einzelne unserer Zellen ist durch sie gesegnet, und gegen die trägen, müßigen Hummeln haben wir einen Stachel. Wir stoßen sie aus, und sumsen und lachen, wenn die Faulen vor unseren Zellen verfaulen. Ein Mensch, der von dem Mißbrauch, durch den seine Zeitgenossen in Rücksicht auf den ganzen Umfang ihrer bürgerlichen Begriffe so allgemein verkünstelten und in den Lobpreisungen und den Verwünschungen der einseitigen Ansichten

derselben, gegenseitig so hartnäckig, wie erbitterte Stiere aneinander anstießen, seit langem mißmutig gemacht, jetzt in seinen alten Tagen weder zum Guten noch zum Bösen kein Wort mehr von irgendeiner Ansicht des bürgerlichen Rechts und der bürgerlichen Freiheit weiter hören wollte, freute sich, diese guten Tierchen von diesen zwei ehemals dem Vaterland und der Menschheit so heiligen Begriffen auf eine Weise reden zu hören, wie er schon seit so langem im Kreise seiner Umgebungen keinen solchen Ton mehr vor seinen Ohren erschallen gehört.

Man weiß, der Übergang von lange gedauertem und tiefgewurzeltem Mißmut zu einem, in irgendeiner Sache befriedigteren Zustand erzeugt zu Zeiten, besonders in edlen, tieffühlenden Seelen, einen Aufflug eines hohen erhebenden Entzückens. In einem solchen sprach jetzt der Mann: Heil, Heil mir, daß ich jetzt die Bienen von Freiheit und Recht reden höre, wie ehemals die Menschen davon redeten. Er stand von seinem Stuhl auf, ging wie in einem erneuerten Leben, mit aufgerichtetem Haupt im einsamen Zimmer hinauf und hinunter, redete laut mit sich selber und sagte: Ja, ja, alle edlen Männer des Vaterlands, alle seine edlen Söhne redeten ehemals von den Fundamenten der Freiheit und des Rechts im Land, eben wie diese guten Tierchen von ihrem, durch Recht und Ordnung gesegneten, glücklichen und freien Leben in ihren Körben. Sie konnten nicht anders. Unsere Väter haben unseren Landessegen in seinem Umfang mit eben den Mitteln begründet, durch deren Genuß die guten stillen Tierchen Freiheit und Recht in ihren gesegneten Körben zu besitzen fühlen. Das hohe Ziel ihres Kampfes für das Vaterland, das hohe Ziel der kraftvollen Aufopferung ihres Guts und ihres Bluts für dasselbe, war kein anderes, als die Sicherstellung ihres Haussegens in seinem ganzen Umfang, die Sicherstellung der wesentlichen Fundamente des sittlichen, geistigen und physischen Wohlstands ihrer Weiber ihrer Kinder und ihrer Mitbürger. Sie erkannten in ihm, in ihm allein, im wohlgegründeten und wohlgesicherten Individualsegen der einzelnen Haushaltungen, das wahre und allgemeine Fundament des öffentlichen Wohls. Und wie die Bienen in der, einer jeden von ihnen einzeln gegebenen und instinktartig innewohnenden Kunstvollendung aller Kräfte und Fertigkeiten, die sie nötig haben, sich ihre Bedürfnisse und ihre Lebensgenießungen zu verschaffen, die Fundamente ihres gesegneten Rechts erkennen, fanden auch unsere Väter in der Ausbildung der Anlagen und Kräfte ihrer Kinder zum allgemeinen Dienst ihrer Lebenspflichten und Lebensbedürfnisse wesentlich die Fundamente des Lebensglücks derselben, und förderten alles, was zur Äufnung der häuslichen Erziehung und der öffentlichen Schulen, und zur Erhebung derselben zum höchsten, ihnen bekannten Grad der Kunstvollendung, alles was ihnen immer möglich und erreichbar war. Die Volkskultur, d.i. die Bildung der Individuen in allen Ständen zu den, ihnen einzeln in ihren Lagen und Verhältnissen notwendigen und dienlichen Kenntnissen und Fertigkeiten, so wie die Sicherstellung eines, von keiner Selbstsucht und keiner bösen Anmaßung gehemmten Gebrauchs dieser gebildeten, eigentlichen Hauskräfte und Hausfertigkeiten, war in ihren Augen der heilige Mittelpunkt alles Segens, den sie durch die Erhaltung und Beschützung ihrer Freiheit und ihrer Rechte zu erzielen suchten, und das sie mehr oder minder Jahrhunderte durch in ihren kleinen Verbindungsstaaten, wie die guten Bienchen in ihren gesegneten Körben, genossen.

Die Natur des Menschengeschlechts, die in ihrem Wesen nicht die Natur unseres Fleisches und Blutes, sondern die Natur unseres Geistes, unseres Herzens und unserer Menschlichkeit ist, macht auch keine anderen Ansprüche an Freiheiten und Rechte, als solche, die aus dem Übergewicht des Geistes und Herzens über unser Fleisch und Blut herstammen, und dieses Übergewicht durch ihren Genuß immer mehr zu stärken, zu befestigen und zu heiligen, geeignet sind.

Diese vorstehende, enthusiastische Lobrede der Bienenansicht über Freiheit und Recht befriedigte einen zweiten Mann, dem sie der erste erzählte, ganz und gar nicht. Er erwiderte ihm: diese Bienenansicht von Freiheit und Recht ist doch in ihrem Wesen durchaus keine rein menschliche, sondern im Wesen eine tierisch-sinnliche Ansicht; es liegt aber in der Natur aller sinnlich-tierischen Ansichten, daß ihnen die wesentlichen Fundamente der menschlichen Ansichten, die Menschlichkeit selber, mangelt. Das ist von den Ansichten des Esels bis zu den Ansichten des Löwen hinauf gleich wahr; selbst der hohe Elefant kann sich nur insoweit zu menschlichen Begriffen von Freiheit und Recht nähern, als er das gegenseitige Schädigen, Morden und Auffressen der Tiere untereinander als ein Unrecht erklärt, und der Eigenheit seiner tierischen Natur nach als ein Unrecht erklären muß; aber er hat in seiner Natur auch nicht die geringste Ahnung von dem Segenseinfluß, den die menschliche Freiheit und die menschliche Gerechtigkeit durch gegenseitige Näherung, Handbietung und Teilnehmung unserem Geschlecht zu gewähren vermag. Auch er hat durchaus keinen Begriff von dem inneren, göttlichen Wesen des eigentlich Menschlichen, das den Ansprüchen an Freiheit und Recht wesentlich zugrunde liegt; und durch seine Ausbildung und Belebung zum progressiven Wachstum der wahren Segnungen unseres Geschlechts und mit ihnen zur wirklichen Veredelung desselben hinführt, deren Stufen dasselbe bis zur Wiedergeburt und Heiligung emporheben.

Er sagte ferner: die Zellenordnung der Bienen ist freilich eine bewunderungswürdige Kunsteinrichtung zur Sicherstellung der sinnlichen Lebensbedürfnisse und Ansprüche eines jeden dieser Tierchen, im Gefolge ihres Rechts und Verdiensts an dieselbe; die Brutzellen sind unverletzliche Bollwerke für die Sicherheit ihrer Brut, und die Honigzellen sind unverletzliche Bollwerke des Eingriffs aller Bienen gegen das Eigentum und den Besitz einer jeden derselben, indem sie den Zugang einer jeden in die Zelle der anderen unmöglich machen; aber die menschliche Freiheit und das menschliche Recht, so wie die wesentlichen Bedürfnisse des Segens von beiden, verwerfen solche Bollwerke in ihrem ganzen Umfang. Sie fordern beiderseits offenen und ungehemmten Zusammenhang der Segenskräfte der einzelnen Menschen und der einzelnen Stände gegeneinander. Sie müssen ihn fordern. Das wesentliche und eigentliche Fundament aller wahren menschlichen Freiheit und alles wahren menschlichen Rechts geht von Teilnahme und Liebe aus, und wird nur durch Vereinigung der Wahrheit mit der Liebe -- eine, unser Geschlecht wahrhaft segnende Kraft.

Ebenso ist auch das Bewunderungswürdigste, das in der Kunstkraft der Bienen liegt, durchaus nicht mit der Kunstkraft des Menschengeschlechts zu vergleichen. Die tierische Kunstkraft ist in ihrem Wesen, auch wie sie bei den Bienen, bei dem Biber und bei hundert anderen Tieren unsere Bewunderung anspricht, nicht anders als ein, in die Organisation des Tieres in der höchsten Vollendung seines Zwecks hineingelegter, der Menschen-Natur ganz unbegreiflicher und unerklärlicher Sinn, der in Rücksicht auf das Tier dem Sinn seines Auges, seines Ohrs und seiner Nase ganz gleich ist, und wie dieser, vom Willen des Tiers ganz unabhängender Sinn, von ihm weder gebessert noch verschlechtert werden kann. Die menschliche Kunst hingegen ist eine, unserem Geist und unserem Herzen und unserer Hand ganz untergeordnete Kraft, deren Wartung und Besorgung allgemein und speziell in die Hand eines jeden Individuums gelegt ist. Wir können den Keim unserer Kunstkraft, dessen gereifte Vollendung noch kein sterbliches Auge gesehen, dennoch durch diese Wartung seiner Reifung vielseitig näherbringen, und zwar kollektiv durch die Folgen, die die Gesamtheit der Teilhaber jeder einzelnen Kunst auf den progressiven Vorschritt derselben hat, als auch durch diejenigen Folgen, die der Individualeinfluß eines jeden einzelnen Künstlers auf diesen Vorschritt der Kunst hat. Der Keim der menschlichen Kunst ist, als aus dem innersten unseres Wesens, aus dem tiefen Zusammenhang unserer geistigen, sittlichen und physischen Kräfte hervorgehend, eine in uns selbständig liegende Kraft.

Und so wie es gewiß ist, daß kein Tier auf Erden auch nur einen Funken dieses menschlichen Kunstkeims in sich selber hat, so ist ebenso gewiß, daß jeder Mensch, der dem Tiersinn und der Selbstsucht unserer sinnlichen Natur unterliegt, dadurch auch das eigentlich Wesentliche seines Kunstsinns untergräbt, und mitten im Besitz großer einseitiger Kunstfertigkeiten zu einem tierischen Handwerksknecht der Kunst herabsinkend, das Göttliche und Menschliche der Kunst in sich selber abschwächen, verderben, und sogar verteufeln kann.