Die Spinnengerechtigkeit

Nr. 190 (PSW 11, S.228-229)

Auch die Spinne wollte einst gerecht sein und sagte der Besenfrau, welche alle Wochen einmal ihr Haus in den Staub legte, sie sei gewiß kein so böses Geschöpf, als man sie allgemein dafür halte; es sei freilich wahr, sie empfinde nicht alles immer richtig, was an den äußersten Spitzen ihrer langen Spindelgebeine vorgehe. Und wenn sie zuzeiten genötigt sei, ein unglückliches Tier wegen Frevel und Unruhe zu ihrem Haupt bringen zu lassen, so sei sie ganz unschuldig, wenn ihre gefühllosen Fingerspitzen ein solches Tier etwa zu hart in die Klauen fassen.


Die große Kunstgewalt zum Morden, die der Spinne einwohnt, fiel mir auf. Es wunderte mich zum Erstaunen, wie dieses elende Tierchen dahin gekommen, im Mittelpunkt eines für sie mit so viel Kunst organisierten Mördersitzes zu wohnen und gleichsam einen zum Dienst ihres Lauerns und Mordens geschaffenen Weltkreis um sich her zu besitzen, den sie dennoch im Falle seiner Verletzung und sogar im Falle seiner gänzlichen Zerstörung aus sich selbst wieder herzustellen im Stande ist. Doch, es fiel mir bald auf, daß, je kleiner das Tier ist, das vom Morden lebt, desto mehr bedarf es der tierischen Kunst, dieser großen Dienstmagd des tierischen Lauerns, Fangens und Mordens, zu seiner tierischen Erhaltung; und in diesem Gesichtspunkt war mir ganz heiter, daß das elende Tierchen, die kleine Spinne, eine so ganze Kunstwelt zu ihrem Dienst notwendig hat. Sie müßte ja ohne diese Kunstwelt, die ihr zu allen Bedürfnissen ihres Lauerns, Fangens und Mordens dienend die Hand bietet, wahrlich verrecken oder betteln gehn.

Die Sache der Spinne schien mir jetzt vollkommen gerechtfertigt oder wenigstens erklärt. Indessen möchte ich doch um alles in der Welt kein Faden ihres Gewebes sein, noch viel weniger ein Spinnenbein, das sie nach allen Richtungen zu ihrem Fraße hinträgt und unglückliche, gefangene Tierchen zu ihrem Haupt bringt und ihr vor's Maul legt.