Von Zäunen mit faulem Holz und von schlechten Dorfvorgesetzten

Nr. 84 (PSW 11, S.146-147)

"Man zäunt hie und da auf den Bergen mit starkem gutem Holze, weil man daselbst solches im Überfluß hat. Im Tal aber, wo es hie und da selten ist, zäunen arme Leute gar oft mit schwachem, schlechtem und oft halbfaulem Holze." Das antwortete mir ein Bauer, als ich ihn fragte, warum sein Junker so schlechte Burschen in seinem Dorfe zu Vorgesetzten mache. Ich erwiderte ihm: "Aber wozu dient denn ein Zaun, wenn sein Holz faul ist?" Er antwortete: "Die Sache hat dennoch mehr Vorteile, als man glaubt; denn erstlich versieht ein solcher Zaun was ein guter, solange kein Stier sein Horn daranstößt und kein Wind bläst. Zweitens: Was dumm unter dem Vieh ist, ahnt nicht einmal, daß das Zaunholz faul ist, wenn es nur dasteht. Und endlich glauben die faulen Zaunstöcke, solange sie immer noch stehen, sie seien gutes Holz, und dieser Glaube an sich selbst macht ihnen Freude."

Ich antwortete ihm: Und so meinst du, denke ich, der Junker mache solche schlechten Burschen zu Vorgesetzten, weil er keine besseren habe, und die meisten Bauern merken nicht einmal, ob sie schlecht oder gut seien. Er erwiderte, das ist sicher, ein schlechter Zaun ist immer besser als gar keiner. Das meiste und beste Weidevieh probiert ihn nicht einmal, und weidet in seinen Grenzen so ruhig, als wenn er der beste wäre.


Und so ist es auch bei den Menschen; denn man hat die Mittel der öffentlichen Ordnung notwendig und gerne, auch wenn sie nur halb gut sind, und auch der schlechteste Bursche, wenn er in einem Dorfe Vorgesetzter oder in einer Stadt Ratsherr wird, meint von der Stunde an, er sei ein ganz vorzüglicher Mensch. Und dieser Glaube an sich selbst macht auch wirklich, daß mancher in seinem Amte und durch dasselbe etwas mehr und etwas besser wird, als er ohne seine Stelle nie geworden wäre.