Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (1801)

Rechtschreibung und Interpunktion entsprechen nicht der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Schriften, sondern der regularisierten Fassung auf der CD-ROM.

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XIV. Brief

Freund, ich gehe nun weiter, und frage mich: Was habe ich getan, um den Übeln, die mich durch mein Leben rührten, auch in religiöser Hinsicht entgegenzuwirken? - Freund! wenn meine Methode hier dem Bedürfnis meines Geschlechtes ein Genüge tut, so übertrifft ihr Wert selbst jene Hoffnungen, die ich von ihr hatte, und sie tut es.

Der Keim, aus dem die Gefühle, die das Wesen der Gottesverehrung und Sittlichkeit sind, entspringen, ist eben derselbe, aus welchem sich das Wesen meiner Lehrart emporhebt. Es geht ganz von dem Naturverhältnis aus, das zwischen dem Unmündigen und seiner Mutter statthat, und ruht wesentlich auf der Kunst, von der Wiege an, den Unterricht an dieses Naturverhältnis zu ketten, und ihn durch fortdauernde Kunst auf eine Gemütsstimmung zu bauen, die mit derjenigen, auf welcher unsere Anhänglichkeit an den Urheber unseres Wesens ruht, die gleiche ist. Sie tut alles, um zu verhüten, daß beim ersten Schwinden des physischen Zusammenhanges zwischen Mutter und Kind, der Keim der edleren Gefühle, die aus diesem Zusammenhang entsprossen sind, sich nicht veröde, und bringt, beim ersten Stillstellen ihrer physischen Ursachen, neue Belebungsmittel derselben zur Hand; sie wendet in dem wichtigen Zeitpunkt des ersten Voneinander-Scheidens, der Gefühle des Vertrauens auf die Mutter und Gott, und desjenigen auf die Erscheinungen der Welt, alle Kraft und alle Kunst an, die Reize der neuen Erscheinung der Welt dem Kind nicht anders als in Verbindung mit den edleren Gefühlen seiner Natur vor die Augen zu bringen; sie wendet alle Kraft und alle Kunst an, ihm diese Erscheinung als Gottes erste Schöpfung und nicht bloß als eine Welt voll Lug und Trug vor die Augen kommen zu lassen; beschränkt das Einseitige und einseitig Reizende der neuen Erscheinung, durch Belebung der Anhänglichkeit an Gott und an die Mutter; sie beschränkt den unermeßlichen Spielraum der Selbstsucht, zu welchem die Erscheinung allen Verderbens der Welt meine sinnliche Natur hinreißt, und läßt die Bahn meiner Vernunft, sich nicht unbedingt von der Bahn meines Herzens, und die Ausbildung meines Geistes, sich nicht unbedingt von meiner Glaubensneigung an Gott trennen.

Das Wesen meiner Methode ist beim Schwinden der physischen Ursachen des Zusammenhanges zwischen Mutter und Kind dem letzten seine Mutter nicht nur wiederzugeben, sondern derselben dann noch eine Reihenfolge von Kunstmitteln an die Hand zu stellen, durch welche sie diesem Zusammenhang ihres Herzens mit ihrem Kind so lange Dauer geben kann, bis die sinnlichen Erleichterungsmittel der Tugend mit dem sinnlichen Erleichterungsmittel der Einsicht vereinigt, die Selbständigkeit des Kindes in allem, was Recht und Pflicht ist, durch Übung zur Reifung zu bringen vermögen.

Sie hat es jeder Mutter, die ihr Herz an ihr Kind hängt, leicht gemacht, dasselbe nicht nur in dem mißlichsten Zeitpunkt vor der Gefahr von Gott und der Liebe abgezogen, und in seinem Innersten der schrecklichsten Verödung seiner selbst und einer unausweichlichen Verwilderung preisgegeben zu werden, zu bewahren; sondern noch dasselbe an der Hand ihrer Liebe und mit rein erhaltenen edleren Gefühlen in Gottes bessere Schöpfung hineinzuführen, ehe sein Herz durch allen Lug und Trug dieser Welt für die Eindrücke der Unschuld, der Wahrheit und Liebe gänzlich verdorben ist.

Der elende Kreis seines Besitzstandes und seiner Grenzen ist dem Weibe, das sich meine Methode eigen macht, nicht mehr der Erkenntniskreis, in den ihr Kind hineingebannt ist; das Buch der Mütter öffnet ihr für ihr Kind die Welt, die Gottes Welt ist; es öffnet ihr den Mund der reinsten Liebe, für alles, was das Kind durch sie sieht; sie hat es an ihrem Busen den Namen Gottes lallen gelehrt, jetzt zeigt sie ihm den Alliebenden in der aufgehenden Sonne, im wallenden Bach, in den Fasern des Baumes, im Glanz der Blume, in den Tropfen des Taues, sie zeigt ihm den Allgegenwärtigen in seinem selbst, im Licht seiner Augen, in der Biegsamkeit seiner Gelenke, in den Tönen seines Mundes, in allem, allem zeigt sie ihm Gott, und wo es Gott sieht, da hebt sich sein Herz, wo es in der Welt Gott sieht, da liebt es die Welt, die Freude über Gottes Welt verwebt sich in ihm mit der Freude über Gott; es umfaßt Gott, die Welt und die Mutter mit einem und eben demselben Gefühl; das zerrissene Band ist wieder geknüpft; es liebt jetzt die Mutter mehr als es sie liebte, da es noch an ihrer Brust lag. Es steht jetzt eine Stufe höher: Durch eben diese Welt, durch welche es verwildert worden wäre, wenn es sie nicht an der Hand der Mutter erkannt hätte, wird es jetzt höher gehoben; der Mund, der vom Tag seiner Geburt an ihm so oft lächelte, die Stimme, die vom Tage seiner Geburt an ihm so oft Freude verkündete, diese Stimme lehrt das Kind jetzt reden; die Hand, die dasselbe so oft an das liebende Herz drückte, zeigt ihm jetzt Bilder, deren Namen es schon oft hörte: ein neues Gefühl entkeimt in seiner Brust; es ist sich dessen, was es sieht, wörtlich bewußt; der erste Schritt der Stufenfolge der Vereinigung seiner geistigen und seiner sittlichen Ausbildung ist jetzt eröffnet, er ist an der Hand der Mutter eröffnet, das Kind lernt, es kennt, es nennt, es will noch mehr kennen, es will noch mehr nennen, es treibt die Mutter mit ihm zu lernen, sie lernt mit ihm, und beide steigen mit jedem Tag an Erkenntnis, an Kraft und an Liebe; jetzt versucht sie mit ihm die Anfangsgründe der Kunst, die geraden und gebogenen Linien; das Kind übertrifft sie bald - die Freude von beiden ist gleich, neue Kräfte entwickeln sich in seinem Geist, es zeichnet, es mißt, es rechnet; die Mutter zeigte ihm Gott in dem Anblick der Welt; jetzt zeigt sie ihm Gott in seinem Zeichnen, in seinem Messen, in seinem Rechnen; sie zeigt ihm Gott in jeder seiner Kräfte, es sieht jetzt Gott in der Vollendung seiner selbst, das Gesetz der Vollendung ist das Gesetz seiner Führung, es erkennt dasselbe in dem ersten vollendeten Zug, in einer geraden und gebogenen Linie, - ja Freund! beim ersten zur Vollkommenheit gebrachten Zug einer Linie, bei der ersten zur Vollkommenheit gebrachten Aussprache eines Worts, entfaltet sich in seiner Brust die erste Regung des hohen Gesetzes: Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. Und da meine Methode wesentlich auf stetem Streben nach der Vollendung des einzelnen ruhet, so wirkt sie kraftvoll und umfassend dahin, den Geist dieses Gesetzes, von der Wiege an, tief in die Brust des Kindes zu prägen.

An dieses erste Gesetz deiner inneren Veredelung kettet sich dann ein zweites, mit dem das erste innig verwoben ist, nämlich: daß der Mensch nicht um seiner selbst willen in der Welt sei, daß er sich selbst nur durch die Vollendung seiner Brüder vollende. Meine Methode scheinet ganz geeignet, die Vereinigung dieser zwei hohen Gesetze, den Kindern zur anderen Natur zu machen; fast ehe sie noch wissen, was links und was rechts ist. Das Kind meiner Methode kann kaum reden, so ist es schon Lehrer seiner Geschwister, schon Gehilfe seiner Mutter.


Freund! Es ist nicht möglich, das Band der Gefühle, auf denen die wahre Verehrung Gottes beruht, enger zu knüpfen, als sie durch das Wesen meiner Methode geknüpft ist. Durch sie habe ich dem Kind seine Mutter erhalten, und dem Einfluß ihres Herzens Dauer verschafft; durch sie habe ich die Gottesverehrung mit der Menschennatur vereinigt, und ihre Erhaltung, durch die Belebung eben derjenigen Gefühle gesichert, aus denen die Glaubensneigung in unserem Herzen entkeimt. Mutter und Schöpfer, Mutter und Erhalter, werden durch sie dem Kind ein und eben dasselbe Gefühl; durch sie bleibt das Kind länger, das Kind seiner Mutter; es bleibt durch sie länger das Kind seines Gottes; die Stufenfolge der vereinigten Entwicklung seines Geistes und seines Herzens ruhet länger auf den reinen Anfangspunkten, aus denen ihre ersten Keime entsprossen; die Bahn seiner Menschenliebe und seiner Weisheit ist traulich und hehr eröffnet; ich bin durch sie der Vater des Armen, die Stütze des Elendes; wie meine Mutter ihre Gesunden verläßt, sich zu ihrem Kranken einschließt, und ihr elendes doppelt besorgt, wie sie muß, weil sie Mutter ist; weil sie dem Kind an Gottes statt ist; also muß ich, wenn mir die Mutter an Gottes statt ist, und Gott an der Mutter statt mein Herz füllt, so muß ich; ein Gefühl, wie das Muttergefühl nötigt mich; der Mensch ist mein Bruder, meine Liebe umfasset sein ganzes Geschlecht; aber ich schließe mich zum Elenden ein, ich bin doppelt sein Vater; göttlich zu handeln wird meine Natur; ich bin ein Kind Gottes; ich glaubte an meine Mutter, ihr Herz zeigte mir Gott; Gott ist der Gott meiner Mutter, er ist der Gott meines Herzens, er ist der Gott ihres Herzens; ich kenne keinen anderen Gott, der Gott meines Hirns, ist ein Hirngespinst; ich kenne keinen Gott, als den Gott meines Herzens; und fühle mich nur im Glauben an den Gott meines Herzens ein Mensch; der Gott meines Hirns ist ein Götze, ich verderbe mich in seiner Anbetung; der Gott meines Herzens ist mein Gott, ich veredle mich in seiner Liebe. Mutter! Mutter! du zeigtest mir Gott in deinen Befehlen, und ich fand ihn in meinem Gehorsam. Mutter! Mutter! wenn ich Gottes vergesse, so vergesse ich deiner, und wenn ich Gott liebe, so bin ich deinem Unmündigen an deiner statt; ich schließe mich zu deinem Elenden ein, und dein Weinendes ruhet auf meinen Armen, wie auf Mutterarmen.

Mutter! Mutter! wenn ich dich liebe, so liebe ich Gott, und meine Pflicht ist mein höchstes Gut. Mutter! wenn ich deiner vergesse, so vergesse ich Gott, und der Elende ruhet nicht mehr auf meinen Armen, und ich bin dem Leidenden nicht mehr an Gottes statt; wenn ich deiner vergesse, so vergesse ich Gottes, lebe dann wie der Löwe für mich, und brauche, im Vertrauen auf mich, meine Kräfte für mich gegen mein eigen Geschlecht, dann ist kein Vatersinn mehr in meiner Seele, dann heiliget meinen Gehorsam kein göttlicher Sinn, und mein scheinender Pflichtsinn ist trügender Schein.

Mutter! Mutter! wenn ich dich liebe, so liebe ich Gott. Mutter und Gehorchen, Gott und Pflicht ist mir dann ein und eben dasselbe - Gottes Wille und das Edelste, Beste, das ich zu erschaffen vermag, ist mir dann ein und eben dasselbe. Ich lebe dann nicht mehr mir selbst; ich verliere mich dann im Kreise meiner Brüder, der Kinder meines Gottes ich lebe nicht mehr mir selbst, ich lebe dem, der mich in Mutterarme genommen, und mich mit Vaterhand über den Staub meiner irdischen Hülle zu seiner Liebe erhoben. Und je mehr ich ihn liebe, den Ewigen, je mehr ich seine Gebote verehre, je mehr ich an ihm hänge, je mehr ich mich selbst verliere und sein bin; je mehr wird auch meine Natur ein göttliches Wesen, je mehr fühle ich mich selbst übereinstimmend mit meinem Wesen und mit meinem ganzen Geschlecht. Je mehr ich ihn liebe, je mehr ich ihm folge, desto mehr höre ich von allen Seiten die Stimme des Ewigen: Fürchte dich nicht ich bin dein Gott, ich will dich nicht verlassen, und folge meinen Geboten, mein Wille ist dein Heil. Und je mehr ich ihm folge, je mehr ich ihn liebe, je mehr ich ihm danke, je mehr ich ihm traue dem Ewigen, desto mehr erkenne ich ihn der ist und der war und der sein wird immerdar, die, meiner nicht bedürfende, Ursache meines Daseins.


Ich habe den Ewigen in mir selbst erkannt; ich habe die Wege des Herrn gesehen, ich habe die Gesetze seiner Allmacht im Staub gelesen, ich habe die Gesetze seiner Liebe in meinem Herzen erforscht, - ich weiß an wen ich glaube. Mein Vertrauen auf Gott wird durch die Erkenntnis meiner selbst, und durch die daraus entkeimende Einsicht in die Gesetze der sittlichen Welt, unbeschränkt. Der Begriff des Unbeschränkten verwebt sich in meiner Natur mit dem Begriff des Ewigen ich hoffe ein ewiges Leben. Und je mehr ich ihn liebe, den Ewigen, desto mehr hoffe ich ein ewiges Leben; und je mehr ich ihm vertraue, je mehr ich ihm danke, je mehr ich ihm folge; desto mehr wird mir der Glaube an seine ewige Güte zur Wahrheit; desto mehr wird mir der Glaube an seine ewige Güte zur Überzeugung meiner Unsterblichkeit.

Ich schweige wieder, Freund! - Was sind Worte, wenn sie eine Gewißheit ausdrücken sollen, die aus dem Herzen quillt? Was sind Worte über einen Gegenstand, über den sich ein Mann, der Kopfs und Herzens halber gleich meine Verehrung verdient - also ausdrückt: » Es gibt keine Erkenntnis Gottes aus bloßem Wissen, der wahre Gott lebt nur dem Glauben, dem kindlichen Glauben.


Was kein Verstand der Verständigen sieht,

das schaut in Einfalt ein kindlich Gemüt.

Also nur das Herz kennet Gott, das Herz, das der Sorge für eigenes eingeschränktes Dasein entstiegen, Menschheit umfasset, sei es ihr Ganzes oder nur Teil.

Dieses reine menschliche Herz fordert und schafft für seine Liebe, seinen Gehorsam, sein Vertrauen, seine Anbetung ein personifiziertes höchstes Urbild, einen höchsten heiligen Willen, der da sei die Seele der ganzen Geistergemeine.

Frage den Guten - warum ist Pflicht dir das Höchste - warum glaubst du an Gott? - Gibt er dir Beweise, so spricht nur die Schule aus ihm. Eine geübtere Vernunft schlägt ihm alle diese Beweise nieder - er zittert einen Augenblick, aber sein Herz kann doch das Göttliche nicht verleugnen, er kehret sehnend und liebend, wie an seiner Mutter Busen zu ihm zurück.


Woher also die Überzeugung des Guten von Gott? - Nicht vom Verstand, sondern von jenem unerklärlichen, in keine Worte, ja in keinen Begriff zu fassenden Trieb, sein Dasein in dem höheren unvergänglichen Sein des Ganzen zu verklären und zu verewigen - Nicht mir, sondern den Brüdern! - Nicht der eigenen Ichheit, sondern dem Geschlecht! - dies ist der unbedingte Ausspruch der göttlichen Stimme im Innern; in deren Vernehmen und Befolgen liegt der einzige Adel der menschlichen Natur.«

Ich muß dieser Stelle, die den Ursprung des eigentlichen inneren Heiligtums der Gottesverehrung entziffert, noch eine andere beifügen, in welcher ein Mann, dessen Kopf und Herz mir ebenso schätzbar ist, das äußere Entstehen der Religion, insofern sie Sache der Völker, und äußerer menschlicher Vereinigungen ist, beschreibt. Doktor Schnell von Burgdorf, schrieb mir vor einigen Tagen hierüber:

» Der Mensch reflektiert weit früher über das was er sieht und mit Händen greift, als er über Gefühle reflektiert, die unentwickelt im Innersten seiner Seele liegen, und nur zuweilen, wie gestaltlose Schatten, am Hintergrund seines Bewußtseins vorübergleiten; er muß daher notwendigerweise die physische Welt kennenlernen, ehe er zur Kenntnis der intellektuellen Welt gelangen kann.

Sein Nachdenken wurde, sobald er zum Selbstbewußtsein kam, durch ungewohnte Naturerscheinungen, wie Erderschütterungen, Wassergüsse, Donner usf. erweckt, und sein Hang, alles ergründen zu wollen, machte ihn über die Ursachen dieser Erscheinungen reflektieren, ehe er ihr Wesen kannte; aber diese Reflexion führte ihn nicht weiter als - zur Personifikation dieser Ursachen - es blitzte, weil es Zeus so haben wollte etc. Auf diese Weise erhielt nun jede Art von Erscheinung ihren besonderen Urheber, Vorsteher oder Gott, die, bald friedlich, bald durch Gewalt das Reich der Ursachen unter sich teilten.


Allein, der menschliche Geist, der seiner Natur nach das Mannigfaltige unter die Einheit zu bringen sucht, fand nicht langes Gefallen an diesem Götzenhaufen, er fing an denselben als einen Troß untergeordneter Arbeiter in der großen Werkstatt Natur zu betrachten, und fragte jetzt nach dem Meister. So wie ihn die Einbildungskraft bis dahin geführt hatte, führte sie ihn auch zu diesem; sie zeigte ihm ein Gebilde, das diesen Meister vorstellen sollte, und nannte es Schicksal, ein Begriff, der weder mehr noch weniger bezeichnet, als einen verstandlosen obersten Willen, den personifizierten Eigensinn, der seinen Beschlüssen keinen anderen Erwägungsgrund vorzusetzen weiß, als den seiner eigenen Autorität: dies ist mein ernstlicher Wille und Befehl.

Und dieses ist die oberste Ursache, der einzige Gott auf den der menschliche Verstand hinweiset, und da wo der Verstand sein Ziel findet, da muß auch die Einbildungskraft ihre Flügel niedersenken; weil sie kein Bild ausmalen kann, ohne die Farben zu demselben von der Palette der Erfahrung zu borgen: denn eine Farbenmischung auszudrücken, die aus anderen Farben zusammengesetzt sein soll, als aus jenen die diese Palette darbietet, geht über ihre Kunst.

Auf dieser Stufe der Ausbildung mußte der Mensch so lange stehen bleiben, bis anhaltendes Spähen und Forschen entdeckte, daß die gesamten Naturveränderungen in näherem oder entfernterem Verhältnis zueinander stehen, und daß eben deswegen die einen mehr oder weniger von den anderen abhängen müssen: er sah ein Gewicht sinken, wenn das andere stieg und fing nun an da Ordnung und Harmonie zu finden, wo er bisher nichts als Unordnung und Verwirrung sah: von diesem Zeitpunkt an beurteilte er die Erscheinungen und die Veränderungen um ihn her, nicht mehr als ein Spiel des Zufalls, oder als Wirkungen der launenhaften Beschlüsse eines gewalttätigen Wesens; sondern als gleichmäßige Bewegungen einer Maschine, die nach bestimmten Regeln, und zu einem bestimmten, ihm aber noch unbekannten, Zweck vor sich gingen. Jetzt kannte er die ganze Uhr bis an - Feder und Zifferblatt - die Ursache und den Zweck der Bewegung.

Der Begriff, Regel, Gesetz, auf den ihn sein Verstand bei der Untersuchung bringen mußte, schien ihm auch auf ein dunkles inneres Gefühl zu passen, das ihn schon oftmals beunruhiget hatte, das er aber, weil ihm das Wort dazu fehlte, noch nicht ausdrücken konnte. Jetzt hatte er sich dieses Gefühl an einem Gegenstand der sinnlichen Welt verdeutlicht, das Symbol hatte ihn auf die Sache selbst geführt, und er wagte nun das, was er in der bekannten Welt aufgefunden hatte, auf eine bloß geahnte unbekannte Welt anzuwenden. Wollte er nämlich handeln oder hatte er gehandelt, so fühlte er fast jedes Mal, daß ein unübertäubbares Urteil in seinem Innersten über seine Handlungen ausgesprochen worden sei, welches nicht immer mit demjenigen Urteil übereinstimmte, das sein Verstand, über die Erreichung oder Nichterreichung des Zweckes, den er sich bei seiner Handlung vorgesetzt hatte, ausfällte. Er war sich freilich bewußt, daß dieses Gefühl unvermögend sei, ihn, wider seinen Willen, für oder wider die Begehung einer Handlung zu bestimmen; dem ungeachtet aber fiel es ihm auch auf, daß der Ungehorsam gegen das Wort dieser inneren Stimme, ihm an seinem eigenen Herzen einen Feind erwecke, den die Freundschaft einer ganzen Welt nicht aufzuwiegen vermöge. Er wandte nun den eben aufgefundenen Begriff, einer Regel, eines Gesetzes, auf dieses unbekannte etwas an, und er sah, daß ihn diese Mutmaßung nicht getäuscht hatte; denn er fand die Gebote dieser inneren Stimme ebenso unbedingte Gebote, als er jene Gesetze unbedingt gefunden hatte, nach deren Wort der Wechsel der Jahreszeiten sich richtet: er fand aber auch, daß seine Gelüste diesen Geboten nicht so unbedingt untergeben seien, wie die Natur ihren Gesetzen untergeben ist. Er sagte daher zu sich selbst:

Die Natur muß ihren Gesetzen gehorchen, sie hat keinen Willen. Ich aber muß dem Gesetz in meiner Brust nicht gehorchen, wenn ich nicht will: ich bin hiermit mein eigener Richter und eben deswegen ein edleres Wesen, als die ganze übrige Natur.

Mit dieser Erkenntnis ging unserem Geschlecht eine neue Sonne über eine neue Welt auf. Der Mensch sah sich an dem Grenzstein, der die sinnliche von der geistigen Welt scheidet, und fand sich in beiden verbürgert, in der einen durch einen Körper, in der anderen aber durch seinen Willen: - fand, daß die beiden Gesetze dieser Welten im Grunde ein und eben dasselbe Gesetz seien, weil sie beide nichts anderes als Ordnung und Harmonie gebieten; und daß ich ihr scheinbarer Unterschied nur von der Verschiedenheit der Naturen herrühre, denen durch sie geboten werde. Die mit Erkenntnis begabten Naturen sollen dem Gesetz gehorchen, und sie werden ihm auch gehorchen wollen, weil sie erkennen müssen, daß er sie zum Frieden mit sich selbst - zu ihrem eigenen Zweck führt: die Naturen aber, die nicht mit Erkenntnis begabt sind, müssen demselben gehorchen, weil sie keinen eigenen Zweck haben können, und wenn sie nicht getrieben würden, stillstehen müßten.

Und nun durfte deine Kreatur ihre Augen nur von der menschenernährenden Erde zu dem ewigen Himmel emporheben, und sie fand Dich, du bekannter und ungekannter, dem noch kein Werk mißlungen ist.... Und mit Wohlgefallen erkanntest Du, du Urheber jeglichen Gesetzes in der sinnlichen und in der geistigen Welt, an diesem Aufblick deines Geschöpfes, daß auch dieses Werk gut sei, weil es sich eben dadurch, daß es sich aufhob von dem Staub der Erde und sich nach Freiheit sehnte und nach Dir, als den Zweck der Sinnenwelt und als ein Mittel deiner Zwecke in der moralischen Welt anerkannt hatte« etc.