Rede von Pestalozzi zu seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag

12. Januar 1818

Orell Füssli, Zürich, 1818. PSW 25, S. 261-364

Rechtschreibung und Interpunktion entsprechen nicht der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Schriften, sondern der regularisierten Fassung auf der CD-ROM.

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Ich befinde mich gegenwärtig in der Lage eines Hausvaters, der, sein nahes Hinwegscheiden von seiner Haushaltung vor sich sehend, sein Haus für diesen Fall bestellen will und zu diesem Endzweck die Seinigen, soviel ihrer sind, in einem feierlichen Augenblick um sich her versammelt und ihnen die Lage seiner Haushaltung, die Wünsche seines Lebens, die Hoffnungen in seinen Bestrebungen zu eröffnen, und die Bitten, die er dieser Wünsche und Hoffnungen halber an sie hat, mit Vaterliebe an ihr Herz zu legen sich bemüht.

Ich trete mit heute das 73. Jahr meines Lebens an, das sich in vielen Rücksichten mehr zu einem öffentlichen als zu einem Privatleben gestaltet hat. Auch fühle ich mich in dieser Stunde mehr im öffentlichen Dienst als in meinen Privatverhältnissen lebend und mehr dahin strebend, die Verhältnisse meiner öffentlichen Stellung ins Reine zu bringen, als irgendeine Sache meiner Privatverhältnisse zu berühren. Ja, Freunde, es ist der Erwerb meines öffentlichen und nicht derjenige meines Privatlebens, den ich diesen Augenblick ins Auge fasse, um den Segen desselben auch nach meinem Tod sicherzustellen und fortdauern zu machen, und dieser Erwerb ist einzig das Scherflein, das ich zur Belebung, zur Erheiterung der Begriffe der Erziehung und des Armenwesens und der Anregung des Interesses vieler Menschen für diesen Gegenstand auf den Altar der Menschheit und des Vaterlandes jetzt hinzulegen mich bestrebe.

Freunde! Ich sehe mich in diesem Augenblick verpflichtet, es auszusprechen: Meine Überzeugung ist vollständig, unser Weltteil steht im großen und allgemeinen in Rücksicht auf die wirklich bestehenden, allgemein und real ausgeübten Mittel der Erziehung und des Armenwesens im Dunkel eines Kunstnebels, den weder die Sonnenkraft der Wahrheit noch des stillen Mondes sanfte Liebe zu durchdringen und aufzuhellen vermag. Ich weiß, das Wort, das ich diesfalls jetzt ausspreche, wird vielseitig missverstanden; aber es muss missverstanden werden, denn der Kunstnebel, über den ich klage, ist wahrlich zum Element geworden, in dem wir leben, schweben und sind. Ich fasse denselben nur in den zwei Gesichtspunkten der Volksbildung und des Armenwesens ins Auge, und spreche es noch einmal aus: Wir leben in einem der Basis aller wahren Kunst mangelnden Verkünstelungsverderben, in dessen Dunkel wir freilich in einigen anderen Gegenständen, wie z. B. in Viehzucht, Feldbau, Kunst- und Fabriksachen usw. viel heller sehen und uns weit erleuchteter benehmen als im Erziehungs- und Armenwesen und überhaupt in Gegenständen, die die höheren Angelegenheiten unserer Natur betreffen, aber dann auch eben dadurch dahin kommen, uns über die Verirrungen, in denen wir der höheren Angelegenheiten der Menschheit halber leben, zu täuschen und gehindert werden, die Tiefe des Verderbens, darin wir diesfalls stecken, zu erkennen und besonders die Quellen unseres Verderbens mit dem Gefühl der Erschütterung, die diesfalls die reine, unverkünstelte Natur in uns ausspricht, zu fühlen und zu erkennen, dass dieses Verderben seine wahre Quelle in tief feststehenden, in all unser Sein und Tun eingreifenden und unsere Geistes- und Herzensstimmung ganz beherrschenden Ansichten, Gesinnungen, Gelüsten und Gewohnheiten unseres allgemeinen Zeitlebens habe, und zwar ebensowohl in den Ansichten, Gesinnungen, Gelüsten und Gewohnheiten derjenigen Menschen und Stände, die berufen sind, in den Angelegenheiten der Erziehung und des Armenwesens dem Volk und der Jugend zu helfen, als in den Ansichten, Gelüsten und Gewohnheiten derer, denen geholfen werden sollte, liegen.

Ist das aber wahr, so ist auch offenbar, dass dem Verderben, das diesfalls in unserer Mitte stattfindet, unmöglich kann abgeholfen werden als durch Maßregeln und Mittel, die durch ihr Wesen tief und gleichsam beherrschend in die Ansichten, Gesinnungen, Neigungen, Gelüste und Gewohnheiten unserer Zeitwelt und unseres Zeitlebens einzugreifen geeignet (sind). Aber wo diese Mittel finden? Wo (sind) die Lehre dieser Mittel und ihre Lehrer zu finden? Wo ihre Schüler zu suchen? Das ganze Leben unserer Zeit ist eigentlich eine bestehende Weltordnung gegen dasselbe, in deren Verkünstelung wir uns selbst in dieser Rücksicht nicht mehr in uns selber erkennen. Das ist so wahr, dass wir die Ansprüche der Menschennatur in dieser Rücksicht nicht mehr rein in uns selber fühlen und ihr diesfälliges reines Recht nicht mehr für uns selber ansprechen; darum ist es uns auch unmöglich, dasselbe für die Volkserziehung und die Armut anzusprechen.

Ich bin der Zeit abgestorben. Die Welt, die Zeitwelt ist mir nichts mehr. Sie ist nicht die Welt meiner Zeit, sie ist nicht meine Welt. Mich füllt ein Traum, mich füllt das Bild der Erziehung, der Menschenerziehung, mich füllt das Bild der Volkserziehung, der Armenerziehung, deren Ausführung aber freilich eine minder verkünstelte Welt voraussetzt. Aber ich überlasse mich meinem Traum. Ich träume, ich träume begeistert. Das Bild der Erziehung, das innere, heilige Wesen einer besseren Erziehung steht im Bild eines Baumes, der an den Wasserbächen gepflanzt ist, vor meinen Augen. Siehe, was ist er? Woraus entspringt er? Woher kommt er mit seinen Wurzeln, mit seinem Stamm, mit seinen Ästen, mit seinen Zweigen, mit seinen Früchten? Siehe, du legst einen kleinen Kern in die Erde. In ihm ist des Baumes Geist. In ihm ist des Baumes Wesen. Er ist des Baumes Samen.

Gott ist sein Vater,     
Gott ist sein Schöpfer.    
Groß ist Gott    
Im Kern des Baumes.    
Menschenhand! Menschenhand!    
Du legst ihn als Gottes Kern    
In die milde Erde,    
Du legst ihn als Gottes Kern    
In Gottes Land,    
In deines Gottes liebes Land;    
Menschenhand! Menschenhand!    
Du legst ihn als Gottes Kern    
In die milde Erde.

 

Der Kern ist des Baumes Geist, der sich selbst und durch sich selbst den Leib schafft. Siehe ihn an, wie er sich aus der Muttererde entfaltet. Schon ehe du ihn siehst, schon ehe er aus der Erde hervorbricht, hat er in ihr Wurzel geschlagen. So wie sich das innere Wesen des Kerns entfaltet, verschwindet seine äußere Hülle. Der Kern verfault, wenn er entkeimt. Er verschwindet, sowie er sich entfaltet. Sein inneres organisiertes Leben ist in die Wurzel hinübergegangen. Er ist Wurzel. Seine Kraft ist Wurzelkraft geworden. Siehe sie an, die Wurzel des Baumes! Der Baum bis an die äußersten Zweige, an denen seine Frucht hängt, ist aus seiner Wurzel hervorgegangen. Er ist in seinem ganzen Wesen nichts anderes, als eine ununterbrochene Fortsetzung von Bestandteilen, die in seiner Wurzel schon da waren. Das Mark, das Holz, der Bast, die Rinde ist in den äußersten Zweigen des Baumes das nämliche Mark, das nämliche Holz, der nämliche Bast und die nämliche Rinde, die in den Wurzeln schon da waren, und die in unabgeänderter Gleichheit ihres Wesens und sogar in unabgeänderter Gleichheit ihrer Form und ihrer Fasern in vollkommenem und ununterbrochenem, selbständigem Zusammenhang sich durch den Stamm hinauf bis an seine äußersten Zweige als das gleiche Mark, als das gleiche Holz, als der gleiche Bast und als die gleiche Rinde fortsetzt. Siehe alle diese Grundteile des Baumes unvermischt, jedes wesentlich von dem anderen getrennt, sich selbständig, jedes nach den individuellen Gesetzen seines Wesens, bis an die äußersten Zweige fortbilden, aber in ihrem Inneren dennoch von dem organischen Geist des Baumes zu der Gemeinwirkung vereinigt werden, durch welche sie das Resultat der Bestimmung des Baumes, die Hülle des heiligen Kerns, aus dem die Frucht selber entsprungen, hervorbringt.

So wie den Baum, sehe ich auch den Menschen aufwachsen. Unsichtbar liegen im Kind, schon ehe es geboren, die Keime der Anlagen, die sich in ihm durch sein Leben entfalten. Dem Baum gleich bilden sich die einzelnen Kräfte seines Seins und Lebens durch die ganze Bildungsepoche des Menschen, d.i. durch sein ganzes Leben, eben wie die Grundteile des Baumes in ewig gegründeter Trennung und Selbständigkeit nebeneinander. Aber ebenso wie die ewig gesonderten Grundteile des Baumes durch den unsichtbaren Geist seines physischen Organismus in hoher, göttlich gegründeter und göttlich gesicherter Übereinstimmung zur Ausbildung des ewigen Resultats aller Kräfte des Baumes, zur Ausbildung seiner Frucht hinwirken, also wirken auch die ewig gesonderten Grundkräfte allen Wissens, allen Tuns, allen Kennens, Könnens und Wollens der Menschen durch den unsichtbaren Geist des menschlichen Organismus, durch die Kraft seines göttlichen Herzens, durch die Kraft des Glaubens und der Liebe in hoher, göttlich gegründeter und göttlich gesicherter Übereinstimmung verbunden zur Bildung des ewigen Resultats aller in Harmonie stehender Kräfte der Menschennatur, zur Bildung der Menschlichkeit, zur Ausbildung des Menschen, dessen inneres vom Fleisch und Blut unabhängiges Wesen aus Gott geschaffen ist in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit zur Ausbildung des Menschen selber, der geschaffen ist zum Ebenbild Gottes, um vollkommen zu werden, wie sein Vater im Himmel vollkommen ist.

Der Geist ist, der da lebendig macht, das Fleisch ist gar nichts nutze. Der Geist des Menschen liegt nicht in irgendeiner seiner einzelnen Kräfte. Er liegt nicht in dem, was wir Kraft heißen. Er liegt nicht in seiner Faust, er liegt [nicht] in seinem Hirn. Das Vereinigungsmittel all seiner Kräfte, seine wahre, seine eigentliche Kraft liegt in seinem Glauben und in seiner Liebe. In dieser liegt der heilige Vereinigungspunkt der Kräfte des Kennens, des Könnens, des Wissens und Tuns, durch den sie, diese Kräfte, Kräfte der wahren Menschlichkeit, wahre menschliche Kräfte werden; ich möchte sagen, der ganze Menschlichkeitsgeist unserer Kräfte liegt im Glauben und in der Liebe. Die Kräfte des Herzens, der Glauben und die Liebe, sind für den Menschen, als für ein zu bildendes und zu erziehendes göttliches, ewiges Wesen, eben was die Wurzel für das Wachstum des Baumes. In ihr liegt die Kraft, die Nahrung all seiner Grundteile aus der Erde zu ziehen. Mensch, sieh sie an, diese Einsaugungskraft der Wurzel in aller inneren Tiefe ihres erhabenen Wesens! Siehe, wie sie in milder Erde, in der Sonnenwärme und in des Bodens Feuchte ihren Baum wachsen macht, dass er in seiner Art vollkommen als ein erhabenes Werk Gottes, als hohe Vollendung der organischen Schöpfung im Pflanzenreich dasteht. Aber sieh sie doch nicht einseitig an, diese erhabene Wurzelkraft des Baumes! Sieh auch, wie sie am undurchdringlichen Stein und in der steinernen Härte der dürren Erde und in der Glut des brennenden Sandes in sich selbst vertrocknet, dass ihr Baum zugleich mit ihr absterben muss. Sieh sie wieder im Sumpf des stehenden Wassers im Missverhältnis mit ihrer Einsaugungskraft und in der Fette des Düngers im Missverhältnis mit ihrer Verdauungskraft des Baumes durch Überfüllung in Fäulnis fallen und mit ihrem Baum zugrundegehen!         

Mensch, sieh ihn also nicht einseitig an, den Organismus des Baumes, sieh ihn in den Quellen und Mitteln seines organischen Lebens, sieh ihn aber auch an in den Quellen und Ursachen seines organischen Sterbens, und wenn du ihn also angesehen, so sieh dich selbst an und den organischen Gang, durch den auch du in all deinen Kräften zum Leben gelangst, und hinwieder dich selbst in all deinen Kräften ins Verderben stürzest und zum Tod bringst. Frage dich selbst, worin bist du dem Baum gleich und worin bist du ihm ungleich, worin ist dein organisches Wesen mit dem seinigen das nämliche und worin ist es von demselben verschieden?

Deine Kräfte sind alle, wie die Bestandteile des Baumes, im Ganzen ihres organischen Daseins selbständig. Aber so wie die verschiedenen Bestandteile des Baumes durch den organischen Geist, der in seinen Wurzeln lebt, unter sich selbst vereinigt werden, um gemeinsam zum Ziel der Frucht, die der Baum tragen soll, hinzuwirken, also werden auch deine Kräfte, ob sie gleich jede an sich selbständig und getrennt, jede nach eigenen Gesetzen regiert, in dir selbst feststeht, dennoch durch einen inneren Gemeingeist seines menschlichen Organismus zum gleichen Zweck der Hervorbringung deiner Menschlichkeit unter sich vereinigt. Wenn der organische Gemeingeist, der in der Wurzel des Baumes ist, bald in der Muttererde für alle Bestandteile seines Baumes Nahrung einsaugt, bald aber in eben dieser Erde abtrocknet, verdorrt oder verfault, so hat auch dein menschlich organisiertes Wesen in seinem innersten Sein eine Wurzel, in der der Geist seines ganzen Seins und Lebens wohnt, und aus allem, was nicht er selbst ist, aus seinem Leib selber und aus seinen Umgebungen Kräfte des menschlichen Lebens sammelt und gleichsam einsaugt, aber auch Quellen seines Todes und des Abtrocknens und Abfaulens alles Heiligen und wahrhaft Menschlichen, das in ihm ist, findet.

Mensch, dein Organismus ist nicht der Organismus einer ungeistigen, physischen Welterscheinung, er ist nicht der Organismus des Pflanzenreichs, er ist nicht der Organismus des Tierreichs, er ist der Organismus einer sinnlichen Hülle, in der ein göttliches Wesen ruht und lebt. Die Wurzel deines Lebens, die Gutes und Böses, Heiliges und Unheiliges aus ihrem sinnlichen Selbst und aus ihren sinnlichen Umgebungen einsaugt, ist nicht physisch gebunden, sie ist über alle physische Bande erhaben, sie ist frei. Sie verbindet die Kräfte des physischen Wachstums, die in ihr wie in der Pflanze liegen, mit der Kraft des Gärtners, der, wenn die Erde, die um einen Baum herum ist, hart ist, wie ein Fels und ein Stein, sie zu bewässern und zu befeuchten vermag, aber auch sie unbewässert und unbefeuchtet ihrem Verderben überlassen kann, und der ebenso, wenn sein Baum im Sumpf steht, dass seine Wurzeln abfaulen können, den Sumpf abgraben kann, dass dieselben wieder im Trockenen stehen und nur die nötige Feuchte haben, hinwieder sich aber auch im Sumpf stehen und darin verfaulen lassen kann. Wie immer der Baum den Einflüssen der toten Natur unterliegt und der Geist seines Organismus gegen dieselbe keine Gewalt hat, so ist hingegen der höhere Geist, der im menschlichen Organismus lebt, frei, seine sinnliche Natur und seine sinnlichen Umgebungen zu seinem Verderben auf sich einwirken zu lassen, oder aber auch ihren Gewalt stillzustellen und sie mit der Kraft des lebendigen Gottes, der in ihm ist, zu beherrschen.

Seine sinnliche Natur, er selbst in der Erbsünde seines sinnlichen Daseins in seinem Fleisch und in seinem Blut, er selbst in den Umgebungen der Welt, die nicht als homogen mit seinem Geist und seinem Herzen, sondern mit seinem Fleisch und seinem Blut vor ihm steht und auf ihn einwirkt, ist für ihn und für sein menschlich-göttliches, inneres Wesen eben, was die verhärtete Erde, der Fels, der Stein, der brennende Sand und der stehende Sumpf für die Wurzel des Baumes ist, der sie abtrocknet und abfaulen macht. Indessen aber der Baum gegen den äußeren Einfluss seiner Umgebungen keine Gewalt in sich selbst hat, der Trockene nicht sagen kann: Weiche von mir, und der Feuchte nicht: Komm zu mir, und darum ohne Gewalt gegen seine äußeren Umgebungen ihnen unterliegen und in ihrem Verderben sterben muss, wenn diese auf sein Leben mit überwiegendem Verderben einwirken, so ist hingegen die innere höhere Kraft der Menschennatur, die den äußeren Organismus seiner Kräfte zu ihrer letzten Bestimmung, zur Erzeugung der Menschlichkeit in ihm vereinigt, frei; der Wille des Menschen, dieser eigentliche Geist der Einsaugungskraft des Guten und des Bösen, der in der Menschennatur ist, ist frei.

Der Mensch hat ein Gewissen. Die Stimme Gottes redet in jedem Menschen und lässt keinem unbezeugt, was gut und was böse, was recht und was unrecht ist. Gott ist in ihm und ruft ihm durch Glauben, Liebe, Wahrheit und Recht zur Übereinstimmung mit sich selbst, und durch Übereinstimmung mit sich selbst zu Gott. Der Mensch kann diese Stimme Gottes in sich selbst hören und in der Freiheit seines Willens leben; er kann auch der Stimme Gottes, der Stimme seines Gewissens sein Ohr verschließen. Er kann der Freiheit seines Willens entsagen und den Gelüsten seiner Sinne und der Welt, die nicht als Gottes Welt, sondern als Sinnenwelt vor ihm steht und auf ihn wirkt, sich unterwerfen. Er kann die Liebe, die Wahrheit, den Glauben und das Recht von sich wegwerfen; er kann wie ein Tier leben und zu sich selber und zu jedem, der sich ihm naht, sagen: Diese Dinge gefallen mir nicht. Er kann mit sich selbst im Widerspruch und mit seinem Geschlecht in Zerwürfnis leben, und im Widerspruch mit sich selbst und im Zerwürfnis mit seinem Geschlecht dahin kommen, alles, was göttlich und menschlich ist, weniger zu achten als seine Klauen, seine Zähne und die Derbheit seiner Faust.

Mensch, sieh dich selbst an und forsche, auf welchen Wegen du in Übereinstimmung mit dir selbst und auf welchen du in Widerspruch mit dir selbst und in Zerwürfnis mit deinem Geschlecht gelangst. Sieh, auf welchen Wegen du ein Freund des Glaubens, der Liebe, der Wahrheit und des Rechts, ein Freund Gottes und der Menschen werden kannst, und auf welchen Wegen du ein Feind des Glaubens, der Liebe, der Wahrheit und des Rechts, ein Feind Gottes und der Menschen werden müssest. Siehe dich um, siehe dich näher um! Fasse den Menschen im ganzen Umfang seiner Entfaltung ins Auge! Siehe, er wächst, er wird gebildet, er wird erzogen.

Er wächst durch die Kraft seiner selbst, er wächst durch die Kraft seines wesentlichen Seins selber. Er wird gebildet durch den Zufall, durch das Zufällige, das in seiner Lage, in seinen Umständen und in seinen Verhältnissen liegt. Er wird erzogen durch die Kunst und den Willen des Menschen.

Das Wachstum des Menschen und seiner Kräfte ist Gottes Sache. Es geschieht nach ewigen göttlichen Gesetzen. Die Bildung des Menschen ist zufällig und abhänglich von wechselnden Umständen, darin sich der Mensch befindet. Die Erziehung des Menschen ist sittlich. Sie ist ein Resultat der Freiheit des menschlichen Willens, insofern sie auf die Entfaltung seiner Kräfte und Anlagen Einfluss hat.

Durch das Wachstum seiner Anlagen und Kräfte ist der Mensch ein Resultat ewiger göttlicher Gesetze, die in ihm selbst liegen.

Durch seine Bildung ist er ein Resultat des Einflusses, den zufällige Umstände und Verhältnisse auf die Freiheit und Reinheit des Wachstums seiner Kräfte haben.

Durch seine Erziehung ist er ein Resultat des Einflusses, den der sittliche Wille des Menschen auf die Freiheit und Reinheit seiner Kräfte hat.

Göttlich und ewig ist an sich selbst im Menschen das Gesetz seines Wachstums.

Irdisch und sinnlich ist an sich selbst der Einfluss seiner Bildung.

Zufällig und unsicher ist an sich selbst der Einfluss seiner Erziehung.

Die Bildung und Erziehung des Menschen ist wesentlich als eine, dem inneren Entfaltungstrieb der menschlichen Kräfte beiwohnende Mitwirkung anzusehen. Der Einfluss der Bildung kann mit den ewigen Gesetzen des Wachstums der menschlichen Kräfte in Übereinstimmung gebracht werden. Die Erziehung soll mit denselben in Übereinstimmung gebracht werden. Aber beide können auch mit denselben in Widerspruch gesetzt werden. Durch Übereinstimmung des Bildungs- und Erziehungseinflusses mit den ewigen Gesetzen des menschlichen Wachstums wird der Mensch allein wirklich gebildet und erzogen; durch den Widerspruch seiner Bildungs- und Erziehungsmittel mit diesen ewigen Gesetzen wird der Mensch verbildet und verzogen, eben wie die Pflanze durch den äußeren Gewalt verkrüppelt wird, der den physischen Organismus seiner Teile zerrüttet und stört. Der Widerspruch der Erziehung und der Bildungsmittel mit den ewigen Gesetzen des Wachstums der menschlichen Kräfte und Reinheit und Unschuld des menschlichen Willens, durch welche diese Kräfte zum Ziel ihrer gemeinsamen Bestimmung vereinigt werden, ist äußere Gewalt gegen die ewigen Gesetze des menschlichen Organismus, die verheerend auf sie wirken, eben wie jede äußere Gewalt, die verheerend auf den Organismus einer Pflanze oder eines Tiers einwirkt und sie verkrüppelt.

Im Menschen liegen freilich von Gottes wegen alle Kräfte seines Könnens und Wissens selbständig und unter sich getrennt, aber ewig unter sich selbst wieder verbunden durch die Kraft des menschlichen Willens, der durch Glauben und Liebe göttlich frei auf die Ausbildung aller Kräfte unseres Kennens und Könnens zur reinen Entfaltung der inneren Menschlichkeit unseres Seins einwirkt, und die Begierlichkeit unseres Fleisches und Blutes mit Gott den Ansichten des Glaubens und der Liebe, der Wahrheit und des Rechts unterordnet, aber ohne Gott auch ganz in der sinnlichen Menschennatur dasteht, in allem Verderben der Herrschaft seines Fleisches und seines Blutes auf ihn wirkt, und die Fundamente aller Menschlichkeit und aller inneren Segnungen des Glaubens und der Liebe in ihm absterben macht.

Des Menschen Wille ist frei, und es ist des Menschen Sache, Gott zu suchen oder vielmehr die Hand Gottes, die sich mit dem Vaterauge der Sehnsucht gegen jeden Menschen hinlenkt. Aber der Mensch kann die Hand Gottes wegwerfen und zu sich selbst sagen: Ich will für mich meinem Fleisch und Blut folgen und unter meinen Mitmenschen nicht als ihr Bruder, nicht als ein Kind Gottes leben. Es ist zwar keine Betrübnis in Gott, aber der Mensch, der Kind Gottes ist, kann sich den Vater der Menschen betrübt denken, wenn der Mensch die Hand seines Vaters von sich weist, der Mensch, der Kind Gottes sein sollte und von dem Gott selbst sagt: „Ich habe euch unter meine Flügel, wie eine Henne ihre Jungen, versammelt, und ihr habt nicht wollen.“

Aber so wie es wahr ist, dass Gott mit jedem Menschen durch sein Gewissen selbst redet und sich keinem einzigen unbezeugt lässt, so ist doch auch wahr, die Lagen und Umstände des einzelnen Menschen sind für die Entfaltung der Gefühle des Glaubens, der Liebe, für die Erkenntnis der Wahrheit und des Rechts unendlich vorteilhafter als für die anderen. Der eine findet den Weg zum Glauben, zur Liebe, zur Menschlichkeit gleichsam gebahnt vor seinen Augen liegen, indessen der andere den Weg zum Unglauben, zur Lieblosigkeit und zur Unmenschlichkeit mit hoher Kunst um sich her bereitet und gebahnt findet, und dieser Unterschied, der zwischen einzelnen Menschen stattfindet, findet sich auch zwischen ganzen Zeitpunkten, in deren einen der Weg des Glaubens und der Liebe, des Rechts und der Wahrheit, wenigstens vergleichungsweise, gleichsam gebahnt vor den Augen der Menschen liegt, und hinwieder Zeitpunkte, in denen der Weg des Verderbens, des Unglaubens, der Lieblosigkeit und des Unrechts gleichsam mit Rosen bestreut und mit großer Kunst eben gebahnt und in täuschender Gefahrlosigkeit vor den Augen der Menschen erscheint; und wir dürfen uns nicht verhehlen, die Tage, in denen wir leben, sind wirklich Tage einer hohen und raffinierten Verkünstelung unseres Geschlechtes gegen den reinen und hohen Sinn der Unschuld, der Liebe und des Glaubens und der aus ihnen hervorgehenden, kraftvollen Anhänglichkeit an Wahrheit und Recht.

Wer von uns nicht ein Fremdling ist und weder die Tage unserer Gegenwart und ihren Geist kennt, noch die Tage der Väter und ihren Geist erforscht hat, muss nicht eingestehen: Die Tage unserer Väter waren bessere Tage, ihr Geist war ein besserer Geist, die Reinheit ihres Willens war durch Religiosität des Herzens, durch kraftvollen Ernst im häuslichen und bürgerlichen Leben und durch tägliche Übungen des Fleißes in den guten Werken eines einfachen befriedigenden Berufslebens unendlich tiefer und besser begründet, als er es in unserem unermesslichen Zu-Tode-künsteln unserer Leibes- und Seelenkräfte unmöglich sein kann. Die Alten waren in hoher Einfachheit gutmütig, verständig und wohlwollend. Ihre Umgebungen waren kraftvoll geeignet, sie täglich und stündlich in aller Unschuld im Glauben und in der Liebe zur Gutmütigkeit, zur Überlegung, zum Fleiß und zur Arbeitsamkeit hinzulenken; aber das Leben unserer Väter und die Quellen ihrer sittlichen, häuslichen und bürgerlichen Höhe sind uns durch unsere Verkünstelung zum Ekel geworden.

Wir sind gleichsam ganz aus ihrem Geist und aus ihrem Leben herausgefallen. Darum aber ist es auch, warum wir in Rücksicht auf Armenbildung und Volkserziehung in die Tiefen versunken, in denen wir leben. Wir haben jetzt den Schein des Glaubens ohne Glauben, den Schein der Liebe ohne Liebe, den Schein der Weisheit ohne Weisheit, und leben in dem Blendwerk unseres Seins wirklich ohne die Kräfte unserer Väter, indessen diese im Besitz ihrer Kräfte durchaus nicht, wie wir, mit sich selbst zufrieden waren. Der gute fromme Boden, den unsere Väter in ihrem Leben selber für ihre Ansichten, Gesinnungen, Meinungen und Gewohnheiten überhaupt und besonders in Rücksicht der Kinderzucht und des Armenwesens hatten, ist durch den Trug des Kunstzustandes unseres in der Frivolität gewaltsam und in der Gewaltsamkeit frivolen Zeitlebens unter unseren Füssen versunken. Wir sind nicht mehr, was wir waren, und haben sogar das Gefühl, dass wir im Geist und in der Wahrheit wieder werden sollten, was wir waren, in uns selbst verloren.

Indessen heucheln wir zu unserer Väter Lob mit dem Mund, mit dem Herzen sind wir fern von ihnen, und mit unserem Tun stehen wir ihnen auf eine Weise entgegen, dass die Gegenfüssler auf unserem Erdball uns unmöglich auf eine grellere Art entgegenstehen könnten. Wir haben ihr Wohlkönnen des Notwendigen und ihr Nichtwissen des Unnützen in das Vielwissen des Unnützen und in das Nichtkönnen des Notwendigen umwandelt. Anstatt ihres gesunden, im Mutterwitz geübten Geistes haben wir Weltformen nicht so fast des Denkens als der wörtlichen Ausdrücke über das Gedachte, die dem Bonsens das Blut aussaugen, wie ein Marder, der sich an den Hals einer armen Taube ansetzt. Wir kennen unsere Nachbarn, unsere Mitbürger, selbst unsere ärmeren Verwandten nicht mehr, dafür aber lesen wir die Zeitungen und Journale, kennen die Geschlechtsregister der Könige der Welt, die Anekdoten der Höfe, des Theaters, der Hauptstädte und erheben uns selber in politischen und religiösen Meinungen zu einem täglichen Wechsel, wie in den Kleidern, und gehen auf der einen Seite vom Unglauben zur Kapuzinade und von der Kapuzinade zum Unglauben, eben wie von der Hosenlosigkeit zum Tragen von Schnürbrüsten und Fürbändern hinüber.

Die Väter bildeten ihre Denkkraft allgemein einfach und kraftvoll, aber wenige von ihnen bemühten sich mit Nachforschungen über höhere, schwer zu ergründende Wahrheiten; wir aber tun gar wenig, zur Bildung einer allgemeinen und tiefen Denk- und Nachforschungskraft fähig zu werden; aber wir lernen alle von erhabenen und fast unergründlichen Wahrheiten viel schwatzen, und streben sehr eifrig danach, durch populäre Wortdarstellungen die Resultate des tiefsten Denkens in Kalendern und täglichen Flugschriften zu lesen zu bekommen und sie dem John Bull allgemein in den Mund zu bringen. Bei den Vätern suchte jeder brave Mann wenigstens eine Arbeit, nämlich diejenige, die sein Beruf war, wohl zu können, und jedermann durfte mit Ehren jeden Beruf lernen und auslernen; jetzt werden unsere Notabeln meistens zu ihren Berufen geboren. Zahllose Menschen schämen sich des Standes und des Berufs ihrer Väter und glauben sich berufen, die Berufswissenschaft aller Stände zu erforschen und zu bekritteln, und das Schwätzeln über alle Berufe und das Schlechtbetreiben seines eigenen Berufs wird unter unseren notabeln und unnotabeln Zeitmenschen immer allgemeiner. Aller Geist der bürgerlichen Kraft ist aus unserer Mitte gewichen. Wir fragen in unseren Umgebungen nicht mehr danach, was wir eigentlich sind, sondern was wir haben und was wir wissen, und wie wir all unser Haben und all unser Wissen zur Schau ausstellen, feiltragen und gegen Mittel, uns gütlich zu tun, austauschen können, um uns mit den Raffinementsgenießungen aller fünf Weltteile zu kitzeln, deren Gelüste bei einem solchen Benehmen fast unausweichlich in uns erzeugt werden müssen; und wenn wir es auf diesem Weg dahin gebracht haben, in Rücksicht auf die reinen Ansprüche der Menschlichkeit unserer Natur und des ewigen göttlichen Wesens ihrer Fundamente an Leib und Seele kraftlos und entwürdigt dazustehen, so suchen wir dann im Taumel unserer Fieberschwäche noch den Schein dessen zu erzwingen, dessen wahres und reines Wesen uns ganz mangelt. Wir suchen dann in dieser Lage mit Gewaltstreichen von Geist und Herz tötenden Abrichtungs- und Verhüllungsmitteln die äußeren Erscheinungen unserer Kraftlosigkeit und Verödung zu bedecken, und wahrlich, wir sind in vielen Gegenständen der Volkserziehung und des Armenwesens zu solchen Geist, Herz und Menschlichkeit tötenden Abrichtungsmitteln und Verhüllungseinrichtungen versunken.

So ist es, dass wir das innere Wesen unserer Kräfte, unsere göttlich menschlichen Anlagen in uns selber töten, und wenn denn noch ein Schatten der getöteten Kräfte in uns spuckt, so verzieren wir die Werke seines Spuckens noch mit goldenen Rahmen, hängen sie in Prachtzimmer auf, deren gleißender Boden keine guten Werke des gewohnten Erdenlebens zu tragen vermag.

Auf dieser Bahn, deren Verwüstungen vor meinen Augen ein halbes Jahrhundert immer zunahmen, sind wir in Rücksicht auf unsere Erziehung und auf unser Armenwesen in das Verderben einer Verkünstelung versunken, die durch die Ansichten, Gesinnungen, Liebhabereien und Gewohnheiten, ich möchte sagen, des guten Tons einer halben Welt unterstützt werden, und denen darum mit Hoffnung einigen Erfolgs unmöglich anders als durch Mittel entgegengewirkt werden kann, die durch die sichere Kraft ihres Wesens geeignet sind, tief in die Menschennatur und dadurch in die Ansichten, Gesinnungen, Neigungen und Gewohnheiten unseres Zeitlebens einzuwirken. Der Kunstnebel, in dessen Täuschung wir uns selbst verträumen und mitten in dem Verkünstelungsverderben unserer Volkserziehung und unseres Armenwesens uns noch befriedigt fühlen, muss durch die Kraft der wahren Erziehungskunst, die mit der wahren Armenversorgungskunst die nämliche ist, vor unseren Augen aufgelöst und aus unserem Dunstkreis entfernt werden. Aber worin besteht diese Kunst und was ist sie? Ich antworte: Sie ist die Kunst des Gärtners, unter dessen Obsorge tausend Bäume blühen und wachsen.

Siehe, er tut nichts zum Wesen ihres Wachstums und ihres Blühens; das Wesen ihres Wachstums und ihres Blühens liegt in ihnen selber. Er pflanzt und wässert, Gott aber gibt das Gedeihen. Nicht der Gärtner ist es, der die Wurzel der Bäume öffnet, dass sie den Segen der Erde einsaugen; er ist es nicht, der das Mark der Bäume von ihrem Holz und das Holz von ihrer Rinde sondert, und so seine gesonderten Teile von ihrer Wurzel an bis an die äußersten Äste des Baumes fortführt und in der unbedingtesten Sonderung derselben sie in der ewigen Einheit ihres innerlich vereinigten Wesens zusammenhält, und dadurch das endliche Resultat ihres Daseins, die Frucht des Baumes, erzeugt und hervorbringt. Von allem diesem tut er nichts. Er wässert nur die trockene Erde, dass die Wurzel nicht an sie, wie an einen Stein, anstoße; er leitet nur das stehende Wasser ab, dass sie in seiner Stockung nicht verfaule; er hütet nur, dass keine äußere Gewalt weder die Wurzel, noch den Stamm, noch die Äste des Baumes verletze und die Ordnung der Natur störe, in welcher alle seine Teile nebeneinander wachsend das Gedeihen des Baumes begründen und sichern.

So der Erzieher. Er ist es nicht, der irgendeine Kraft des Menschen in ihn hineinlegt, er ist es nicht, der irgendeiner Kraft Leben und Atem gibt. Er sorgt nur, dass keine äußere Gewalt den Entfaltungsgang der Natur in seinen einzelnen Kräften hemme und störe; er sorgt dafür, dass die Entfaltung jeder einzelnen Kraft der Menschennatur nach den Gesetzen derselben ihren ungehemmten Lauf finde. Aber die Kunst der Erziehung, und der Erzieher, der mit der Kunst der Erziehung des Menschengeschlechtes auf eine naturgemäße Weise auf die Entfaltung der menschlichen Kräfte einwirken will, soll das Wesen des reinen Geistes des menschlichen Organismus in seiner Tiefe erkennen, die geeignet ist, die Gesamtheit der menschlichen Kräfte für das Ziel ihrer letzten Bestimmung in der Freiheit des menschlichen Willens durch Glauben und Liebe zu vereinigen. Er weiß, dass so wie die wahren Mittel der Volkserziehung in der Übereinstimmung der menschlichen Kunst in der Entfaltung unserer Kräfte mit den ewigen Gesetzen, nach welchen sich diese Kräfte selber entfalten, in Übereinstimmung stehen müssen, so müssen eben diese Mittel vorzüglich in allem demjenigen gesucht werden, was das sittlich religiöse Vereinigungsband aller unserer Kräfte stärkt und reinigt.

Die sittlichen, die geistigen und die Kunstkräfte unserer Natur müssen an sich gleichsam aus sich selbst hervorgehen, und durchaus nicht aus den Folgen der Kunst, die sich in die Bildung eingemischt hat. Der Glauben muss wieder durch das Glauben und nicht durch das Wissen und Verstehen des Geglaubten; das Denken muss wieder durch das Denken und nicht durch das Wissen und Kennen des Gedachten oder der Gesetze des Denkens; die Liebe muss wieder aus dem Lieben und nicht aus dem Wissen und Kennen des Liebenswürdigen und der Liebe selber, und auch die Kunst muss wieder aus dem Können und nicht aus dem tausendfachen Gerede über das Können hervorgebracht werden, und dieser Rückschritt auf den wahren Organismus der Menschennatur in der Entfaltung unserer Kräfte kann durchaus nicht anders, als durch die Unterordnung des menschlichen Einflusses auf die Bildung alles Kennens und Könnens unsrer Natur unter die höheren Gesetze unseres Wollens erzielt werden.

Hierin, und hierin allein liegt die Möglichkeit einer tiefen und reinen Begründung der Bildung und Erziehung unseres Geschlechtes, und mit ihr die Wiederherstellung der Kräfte unserer Menschennatur, wie sie sich in erhabener Zusammenstimmung einfach und wahr als probehaltende Menschlichkeit ausspricht; und es tut wahrlich not, dass wir uns nicht verhehlen, dass die Aufmerksamkeit auf das innere Band unserer Kräfte, auf die Reinheit unseres Willens in dem, was die Kunst des Menschengeschlechtes gegenwärtig zur Volksbildung und Volkserziehung [leistet], so viel als gänzlich verlorengegangen, und dass es ohne erneuerte Aufmerksamkeit auf dieses Fundament der Menschenbildung gänzlich unmöglich ist, den immer tiefer greifenden Folgen des Verkünstelungsverderbens unseres Geschlechtes in dem Durcheinanderwerfen unserer unreifen, sich selbst untereinander störenden und verderbenden Kräfte ein Ziel zu setzen.

Freunde der Menschheit! Von Jugend auf ging das Ziel meines Lebens dahin, den Armen im Land durch tiefere Begründung und Vereinfachung seiner Erziehungs- und Unterrichtsmittel ein besseres Schicksal zu verschaffen. Es gelang mir aber durch mein Leben nicht, auf irgendeine Weise unmittelbar auf die Erziehung des Armen einwirken zu können. Ich suchte durch den Umweg einer Pensionsanstalt die Mittel zu finden, zu meinem Ziel zu gelangen. Aber diese hatten von ökonomischer Seite nicht den Erfolg, den ich diesfalls wohl bezweckte, aber nicht imstande war zu erzielen.

Ich kam aber auf dem Weg, den ich dafür zu betreten genötigt war, in die Lage, die Mittel genauer und vielseitiger zu erforschen, die im allgemeinen für die Erziehung und Bildung unseres Geschlechtes notwendig sind, und war hierin von mitarbeitenden Freunden unterstützt, an deren Seite sich die Idee der Elementarbildung, durch welche sich unsere Bestrebungen vorzüglich auszeichnen, in mir entfalteten und allmählich in unserem Haus als eine eigentliche elementarische Erziehungsmethode angesehen, erforscht und bearbeitet worden. Es ist aber auch ganz gewiss, die Idee der Elementarbildung ist nichts anderes, als ein lebendiger Ausdruck des Bedürfnisses des oben berührten doppelten Gesichtspunktes in der Bildung und Erziehung des Menschen, und das Streben meiner Tage ging von meiner Jugend auf von dem dunklen Gefühl dieses Bedürfnisses aus, und zwar nicht bloß, wie es allgemein in der Menschennatur liegt, sondern wie es sich besonders als Bedürfnis unserer Zeit und unserer Tage ausspricht; denn wir dürfen uns nicht verhehlen: In Tagen, in denen das Wollen, das Können und das Kennen der Menschen durch die Mittel eines einfacheren und kraftvolleren Lebens genährt und gebildet werden, sind die Nachforschungen nach einem höheren Grad der Kunst in den Bildungsmitteln unseres Geschlechtes weit weniger dringend, als in Tagen, in denen die Verziehung und Verbildung unseres Geschlechtes durch ein Verkünstelungsraffinement in dem Grad unterstützt und belebt wird, wie in dem unsrigen. Also für die tiefere Erforschung der Grundsätze der Elementarbildung in sehr vorteilhaften Umgebungen und Verhältnissen lebend und sehr viele Jahre lang in der Ausübung der Anfangspunkte dieser Bildung gleichsam mit Gewalt aufgehalten, konnte es nicht wohl anders kommen, als dass die diesfälligen Grundideen und Grundsätze in mir allmählich zu einer merklichen Klarheit gedeihen mussten.

So wie indessen der Anfang der vereinigten Tätigkeit meines Hauses in einem hohen Grad lebendig und kraftvoll war und zur Erwartung schneller und vielseitiger Resultate zu berechtigen schien, so waren die späteren Jahre unserer Versuche von der Lebendigkeit und der Erhebung unserer ersten Jahre entblößt, und schienen den Hoffnungen nicht zu entsprechen, die wir im Anfang erregten. Es konnte nicht anders sein. Wir waren der unermesslichen Aufgabe, die wir uns selbst gaben, nicht gewachsen, und es liegt in den Schranken der Menschennatur, dass wir ihr nicht gewachsen sein konnten. Wir hätten sie uns nicht aufgeben sollen, und doch ist es gut, dass wir sie uns aufgegeben haben.

Wir stießen freilich an tausend Schwierigkeiten, an die wir vorher nicht dachten. Aber im Innersten von der Erreichbarkeit unserer Zwecke überzeugt, versuchten wir jedes Mittel, das uns zu unserem Ziel führen sollte, und so wurde uns der Aufenthalt unserer Vorschritte Bildungstage zu unserem Zweck, und diese Tage waren für uns wahrlich wichtig. Ich gelangte in denselben früh zur Erkenntnis der inneren Gleichheit des Wesens in der Erziehung aller Stände und zugleich zur Überzeugung, dass es durchaus nicht die Ausbildung von irgendeiner Art einzelner Kenntnisse, einzelnen Wissens und einzelner Fertigkeiten unseres Geschlechtes, sondern die Ausbildung der Kräfte der Menschennatur selber es ist, was das Wesen der Erziehung der Kinder aller Stände vom reichsten bis zum ärmsten hinab ausmacht. Ich sprach das Bedürfnis einer höheren Sorgfalt für den Mittelpunkt aller menschlichen Kräfte und des Segens aller seiner Verhältnisse, der höheren Sorgfalt für den reinen Willen der Menschennatur, in Lienhard und Gertrud schon früh aus und suchte die Wohnstube als den Anfangs- und Stützpunkt aller diesfälligen Maßregeln ins Auge fassen zu machen.

In meinen späteren Jahren, und besonders seit dem Anfang meiner Pensionsanstalt habe ich, vereinigt mit meinen Freunden, die elementarisch gesonderten Entfaltungsmittel der einzelnen Kräfte und Anlagen unseres Geschlechtes mit dem organischen Gang, durch den die Natur diese Anlagen selbst entfaltet, in psychologischen Reihenfolgen zu ordnen und darzulegen gesucht. Die gesonderte Bildung dieser Kräfte auch durch die Kunst naturgemäß zu erzielen, schien meinem Haus fast seit seiner Entstehung das Problem, dessen Auflösung als die Aufgabe der Pädagogik unserer Zeit angesehen werden soll. Die Vereinigung von Freunden, die seit Anfang dieses Jahrhunderts mein Haus ausgemacht, hat diese ganze Zeit über sich mit Tätigkeit den Nachforschungen über diesen Gegenstand gewidmet. Wir fühlen zwar alle, dass wir in dem, was wir diesfalls gesucht und geleistet, unendlich hinter dem Resultat, das wir uns vorsetzten, zurück sind.

Auch haben sich große Menschlichkeiten in unser großes und menschliches Tun eingemischt. Aber in welchem großen Unternehmen ist das anders? Wenn der Gedanke eines Menschen der Gedanke von Hunderten wird, so werden aus einem Gedanken hundert Gedanken, von denen kein einziger mehr der Gedanke des ersten ist, von dem dieser ausgegangen. Das ist Gottes Ordnung. Das meinige, wenn es in hundert andere übergegangen, bleibt nicht mehr das meinige, es wird das seinige eines jeden, der es in sich selber selbständig bearbeitet. So trennt sich auch das Erhabenste in der menschlichen Wahrheit, nur soll es in der Liebe geschehen. Keines Menschen menschliche Wahrheit ist die Wahrheit des anderen; jeder soll die seine in sich selber vor Gott bewahren und im Frieden leben mit dem, der dem Menschlichen in seiner Wahrheit widerspricht, und auch selber mit dem, der die Krone des Ruhms, die der Wandel der Zeit ihm mit Unrecht auf den Scheitel seiner Menschlichkeit und seiner Schwäche gesetzt, von der Stirne reißt; wenn er edelmütig ist, er soll mit ihm im Frieden leben, auch wenn er ihm diese Krone seiner Menschlichkeit vor seinen Augen ins Kot wirft und mit Füssen tritt.

Ich fühle, dass das die Pflicht, der wahre Edelmut der Menschennatur ist. Ich will auch keine Ehre, ich will auch keinen Ruhm, der mir nicht gebührt. Ich weiß, dass mein einfaches Denken in Ansichten ins Auge gefasst worden, wo meine Geisteskräfte nicht hinreichen, selbständig mitzuwirken. Suum cuique! Gott und mein Segen sei mit jedem, der in irgendeiner meiner Lieblingsansichten weiter als ich steht. Meine Ehre werde seine Ehre, und mein Dank begleite seinen verdienstvollen, mir voreilenden Gang. Nur soll ich das in mir selbst rein bewahren, was meine eigene Kraft ist, damit es nicht in der Menschlichkeit der Kraft irgendeines anderen zugrundegehe, sondern mit der Göttlichkeit der Kräfte eines jeden anderen mitwirke zum grossen Ziel, das einst hinter unser aller Grab alle Menschlichkeiten verschwinden machen und nur das Göttliche unserer Bestrebungen bleibend erhalten wird. Ja, dafür soll und muss ich mich zusammenhalten im Selbstgefühl meiner Kraft, wenn sie auch noch so klein ist, im Hochgefühl der Kraft Gottes, die mich auch in meiner Schwäche belebt und mich bisher im Dankgefühl der Kräfte erhielt, die mir Gott in Tagen ihres höchsten Bedürfnisses gegeben; ja im Dankgefühl der misskannten Kräfte, die Gott mir gegeben, will ich mich in der Selbständigkeit meiner Wahrheit und meines Rechts offen vor Gott und Menschen zu erhalten suchen. Ich war auch nicht ganz unglücklich im Tun meiner Schwäche, so sehr es durch die Begegnisse der Zeit erschüttert worden. Ich glaube es aussprechen zu dürfen, das Jahrhundert, bei dessen Anfang unsere pädagogischen Nachforschungen begonnen, wird noch an seinem Ende die ununterbrochene Fortsetzung unserer Anstrengungen in Händen von Männern sehen, die ihre Ansichten und Mittel den vereinigten Kräften unseres Hauses danken. Ich glaube an die Dauer meiner Bestrebungen unerschüttert und bin sogar in Rücksicht aller Umstände, die ihre Resultate verspätet, ihren Gang verwirrt und oft große Zweifel über ihre Ansichten in mir selbst hervorgebracht haben, jetzt beruhigt. Die diesfälligen Leiden meines Lebens waren wirklich groß, aber das Ende meiner Laufbahn ist heiter.

Selbst was ich solange für das höchste Unglück meines Lebens angesehen, dass ich nämlich ein Greis werden musste, ehe ich praktisch an die eigentliche Volks- und Armenbildung Hand anlegen konnte, und worüber ich durch mein Leben so oft und so tief trauerte, ist von mir gewichen. Ich bin jetzt fest überzeugt, wenn ich in früheren Tagen an die eigentliche Volks- und Armenbildung hätte Hand anlegen können, so wäre ich durchaus nicht auf eine solche Weise dazu reif gewesen, wie der es notwendig sein muss, der hierfür Vorschläge tun und durch sein Tun Mittel anbahnen will, die wirklich auf Nationalkultur, Volkszustand im allgemeinen und besonders auf das reale Heil, auf die realen Segens- und Lebensgenießungen der Armen entscheidenden Einfluss haben soll. Ich wäre im beschränkten Streben, dem einzelnen Menschen durch einzelne Mittel, durch äußerlichen Einfluss auf sein individuelles Dasein zu helfen, stehengeblieben und wahrscheinlich dahin gelangt, ihm dafür Mittel zu geben und Fertigkeiten einzuüben, die ihm wirklich äußerst nützlich hätten werden können, aber der Armut und dem Wesen ihrer Leiden nicht wahrhaft, nicht auf eine die Menschennatur befriedigende Art hätten helfen können. Ich hätte den sittlichen Tod, der den Armen umgibt, nicht mit der Erschütterung in mir selber ins Auge gefasst, mit der er ins Auge gefasst werden muss, wenn die Quellen der Armut, die außer dem Armen selbst liegen, aufhören sollen, mit der ganzen Grässlichkeit ihres Verderbens über ihn herzuströmen, und alle wahren Kräfte seiner Selbsthilfe so zu untergraben, dass er in das Verderben ihrer bösen Gewalt hinsinken und darin zugrundegehen muss, wie eine kleine Hütte, die von einer, von der Himmelshöhe der Berge herabstürzenden Lawine überschüttet, oder vom reißenden Waldstrom untergraben, ergriffen und in das wilde Verderben seines unaufhaltsamen Laufes hinströmen muss. Nein, ich hätte die Quellen der Armut, die außer dem Armen liegen, nicht mit der Erschütterung ins Auge gefasst und dargestellt, wie sie ins Auge gefasst und dargestellt werden müssen, wenn sie einmal dahin wirken sollen, das Herz derer zu ergreifen, die durch ihr sinnliches, gedankenloses Weltleben dem Elend, der Verwirrung und der Not der Armen täglich neue Quellen öffnen, und ohne zu wissen, was sie tun, durch Vergiftung der sittlichen Gefühle der Armen ihr Elend unheilbar machen und sogar die Unheilbarkeit derselben bei ihnen bis ins siebte und achte Geschlecht fortpflanzen. Ich hätte den sittlichen Tod, der den Armen umgibt und vergiftet, nicht in der Tiefe erkannt, mit der er erkannt werden muss, wenn seine Darstellung je dahin wirken soll, dass für Armut, für Volksbildung und Volkserziehung im Geist und in der Wahrheit von da aus gesorgt werde, von wo aus der Geist und das innere Wesen des Volksverderbens, wie es jetzt wirklich ist, unzweideutig herrührt und ausgeht. Ich hätte endlich ebenso die Quellen der Hilfe gegen die Armut, die im Armen selbst liegen, nicht mit der Erhebung, mit der Innigkeit ins Auge gefasst, mit der sie ins Auge gefasst und dargestellt werden müssen, wenn sie je das Heilige und Grosse dieser Hilfsquellen im Armen selbst im Geist und in der Wahrheit erwecken und dadurch als ernste, wirkliche Tat- und Nationalkraft der Armenhilfe erscheinen soll.

Freunde! Brüder! Ohne den Gang der Vorsehung, die ob mir waltete, wäre auch ich im Kunstnebel der Zeit, den weder die Kraftsonne der Wahrheit, noch des Mondes sanfte Liebe zu durchdringen vermag, stehengeblieben. Ja, auch ich hätte an der bösen Verkünstelung unseres Geschlechtes, die das innere Höchste und Heilige der menschlichen Kunst zum Tod bringt, blindlings teilgenommen; auch ich hätte an den Irrtümern dieser Verkünstelung, die ihr Verderben in so vielfachen Formen, bald mit äußerer Gewalttätigkeit, bald mit der Heuchelei weit gefährlicherer Kräfte gelten zu machen, und ihre Maßregeln, als wären sie Rettungsmittel gegen die Übel, die durch diese Verkünstelung selber entsprungen, darzustellen weiß, blindlings teilgenommen und mit dem Luftgebäude dieser Scheinrettungsmittel des Volkes, will's Gott, nicht gewindbeutelt, doch gewiss an ihnen getaglöhnt. Ich hätte die Ursachen der Armennot bei tausend und tausend Einfluss habenden Menschen nicht so tief und klar in ihrem Nichtwollen, der Armut in ihren ersten Quellen zu helfen, gekannt. Ich hätte sie nicht so lebendig und vielseitig in der Allgemeinheit der Ansichten, Gesinnungen, Gelüste und Lebensweisen unserer Zeit gesucht und erkannt, wie sie als darin liegend erkannt werden müssen, wenn die Hoffnung, dass den Armen und der Armut auf eine Weise Vorsehung getan werden soll, die den Folgen der diesfälligen fehlerhaften und ungenugtuenden Ansichten, Gesinnungen, Gelüste und Lebensweisen diesfalls genugtuend Einhalt tut, erfüllt sein soll.

Freunde, Brüder! Ich danke Gott, dass der Drang meines Lebens mir nicht erlaubt, diesfalls auf dem platten Boden einer selbstgefälligen Behaglichkeit stehenzubleiben. Ich danke Gott und dem Drang meiner Lebensnot, die mich tiefer in den Gang der Natur in der Entfaltung der menschlichen Kräfte und damit in die einzigen ewigen Fundamente aller wahren Volks- und Menschenbildung hineinzusehen gezwungen. Meine Überzeugung ist jetzt vollkommen. Gereifte Ideen über das Wesen der Elementarbildung sind unumgänglich notwendig, um zu entscheidenden und genugtuenden Ansichten über Volksbildung und die mit ihr so innig verbundene Armenversorgung zu gelangen. Diese gereiften Ideen fordern auf der einen Seite die Entfaltung jeder einzelnen menschlichen Kraft und Anlage nach den ewigen Gesetzen ihrer eigenen selbständigen Natur, die feste Anerkennung und Beachtung eines organischen Mittelpunktes aller menschlichen Kräfte im hohen freien Willen der Menschennatur. Sie fordert absolut die Anerkennung der Pflicht, diesen Mittelpunkt der Menschlichkeit in allen unseren Kräften, diesen Willen der Menschennatur durch Glauben und Liebe zur Selbstsuchtlosigkeit, zur Hingebungs- und Aufopferungskraft für die Wahrheit und das Recht, für die Wahrheit Gottes und das Recht unserer Brüder zu erheben.

Ich gehe weiter. Die gereifte Idee der Elementarbildung fordert unumgänglich, dass die wissenschaftliche Erkenntnis aus den gebildeten Kräften der Menschennatur, die diese Kräfte voraussetzen, hervorgebracht, und nicht die Kräfte der Menschennatur aus Erkenntnissen, die ohne die gebildeten Kräfte der Menschennatur ewig nie wahrhaft da sein können, hervorgelockt werden. Und wie in geistiger, also fordern sie auch in physischer Hinsicht das nämliche; man muss die physischen Handwerks- und Berufsfertigkeiten aus den gebildeten Kräften, die diese Fertigkeiten voraussetzen, und nicht die Kräfte aus den Fertigkeiten, die diese Kräfte voraussetzen, hervorzurufen suchen. Es ist keine wahre Kunst der Erziehung, es ist keine wahre Bildungskunst zur Menschlichkeit ohne Verehrung der göttlichen Ordnung der Bildungsgesetze, die in der Menschennatur selbst liegen, denkbar und möglich. Alle diesfälligen Maßregeln und Mittel, denen dieses Fundament mangelt, sind, was ich mehrmals wiederholt, nichts anderes als eiteles Tagelöhnen an dem Luftgebäude einer Scheinkultur, die die Kräfte der Menschennatur nur verwirrt, zerstört und in ihrem Wesen geeignet ist, der Selbstsucht eines unbrüderlichen und unchristlichen Lebens Nahrung und Spielraum zu geben, und führen durchaus nirgendhin, als zu einer fortdauernden Verkünstelung unseres in seiner Verkünstelung immer mehr gleißenden, aber sich selbst immer unglücklicher fühlenden Weltteils, dessen tiefes Verderben wir vor unseren Augen sehen, und das in seinem Wesen nichts anderes, als eine Zernichtung der ersten Fundamente der Menschlichkeit, zu der der Glückliche und Eigentümer durch Verhätschelung, der Unglückliche und Eigentumslose aber durch Verwahrlosung hingeführt wird.

Darum danke ich Gott, dass ich durch mein Leben nie dauernde Hand an die eigentliche Volks- und Armenbildung habe legen können, bis ich zur Erkenntnis der diesfälligen höheren Ansichten und zur Überzeugung gelangt bin, die Erziehungskunst müsse wesentlich und in all ihren Teilen zu einer Wissenschaft erhoben werden, die aus der tiefsten Kenntnis der Menschennatur hervorgehen und auf sie gebaut werden muss. Ich bin freilich fern von der Erkenntnis dieser Wissenschaft. Sie liegt kaum als vollendete Ahndung in meiner Seele. Aber diese Ahndung ist in mir zu einer Lebendigkeit gelangt, dass sie meine ganze Seele füllt und, als wäre sie in mir selbst vollendete Wahrheit, in mir liegt. Sie liegt aber nicht bloß in mir. Die Umstände der Zeit haben sie zum Bedürfnis der Welt gemacht. Die Welt wird sie erkennen und gewiss auch das Scherflein mit Liebe und Schonung ins Auge fassen, das ich mich auch noch heute, habe es noch so sehr das Gepräge meiner Altersschwäche, in dieser feierlichen Stunde auf den Altar der Menschheit zu legen bemühe, in der ich auch Euch, Freunde! Brüder! um mich her versammelt, um Euch zu bitten und aufzufordern, mitzuwirken zu alle dem, was ich zur Anbahnung, Einlenkung und besseren Begründung mehr naturgemäßer und pädagogisch besser geordneter Grundsätze und Mittel der Volkserziehung und Armenbildung auch noch in meinem Leben mich imstande glaube, und auch hinter meinem Grab zu erhalten und sicherzustellen, entschlossen und bereitet bin.

Aber indem ich also das Eigene dessen darlege, was ich noch für Volksbildung und Armenversorgung tun möchte, sehe ich um mich her. Ein tätiges Bemühen von Tausenden, der Not und dem Elend der Armen abzuhelfen, es begnügt mich nicht; aber ich soll es ins Auge fassen und seinen Wert nicht misskennen. Das Menschenherz ist der Armut bei jedem Menschen, der nicht in ganz unbesonnener und gefühlloser Selbstsucht durch die Welt taumelt, allenthalben offen, und in der alten Zeit, die einfach war und mild, geschah in der Stille der Individualsorge einzelner vermöglicher Menschen gegen die Unvermöglichen wahrlich soviel, als jetzt bei der öffentlichen Tätigkeit der Armenhilfe beinahe nicht möglich ist. Das Kunstleben unserer taumelnden und schwelgenden Selbstsucht macht jetzt tausend leidende Arme, wo unter den besonnenen eingeschränkten Alten nicht hundert waren; auch wurde die Armenhilfe bei den Alten mehr als jetzt durch einen heiligen Respekt an die Wahrheit der Verhältnisse und Umstände der Menschen untereinander belebt, die nun jetzt bei unserem, uns von dem Armen entfremdenden Taumel- und Gesellschaftsleben uns nicht mehr also ansprechen. Der arme Herrschaftsangehörige, der arme Nachbar, der arme Verwandte, der arme Dienstbote, der arme Pate spricht uns nicht mehr so von Angesicht zu Angesicht an, wie ehemals der arme Herrschaftsangehörige seinen Herrschaftsherrn und seine Herrschaftsfrau von Angesicht zu Angesicht ansprach. Der arme Nachbar spricht seinen reichen Nachbar, der arme Dienstbote seinen ehemaligen Meister, das arme Patenkind seinen Paten nicht mehr so an, wie dieses in dem einfachen gesunden Leben der Alten allgemein geschah. Die Ungleichheit der Stände, die ehemals durch edle freie Näherung für den Armen helfend und erhebend war, gereicht ihm jetzt zum Verderben. Jede Näherung des Armen zum Taumel lebender Reicher macht den Armen durch jede Teilnahme an diesem Leben noch zum unwürdigen Armen; und das Menschenherz ist für den unwürdigen Armen immer verschlossen. So machen wir den Armen durch den Taumel unseres Zeitlebens und durch die Verkünstelung, zu der wir ihn im Dienst dieses Lebens abrichten, zum unwürdigen Armen, und entschuldigen dann unsere Unaufmerksamkeit auf ihn mit seiner Unwürdigkeit. Wir stecken ihn mit unserem Verderben an, und scheuen uns dann, uns dem Angesteckten zu nähern. Er fällt durch die Heterogenität seines Elends mit der Zierde unseres Kunstlebens außer unserer Beachtung.

Indessen geschieht mitten in der Allgemeinheit unseres in Rücksicht auf Erziehung und Armut äußerst verkünstelten und durch Verkünstelung verdorbenen Zeitgeistes dennoch sehr viel, um der wirklichen Not der Armut abzuhelfen. Die Selbstsucht der Menschen, die bei ihrer wachsenden Verkünstelung zwar immer unvernünftiger und taktloser, aber auch immer lebendiger, und oft selbst bis zu gichterischen Krampfungen lebendig wird, lässt auch die taumelndste Zeit nie ohne vielseitige Sorgfaltsmaßregeln für die Armen, und in den Schreckenstagen, in denen die Ungenügsamkeit aller ephemerischen Armensorge auffällt, schwillt die Almosenader unter diesen Umständen oft an Orten auf, wo man fast keinen Tropfen Blut von wahrer Liebe für die Armen mehr ahnden dürfte. Diese Augenblicksaufwallung der menschlichen Almosenader kann aber der Armut im wesentlichen nicht helfen, bis die Überzeugung allgemeiner wird, dass im Menschen, folglich auch im armen Menschen Kräfte, die für jeden, der sie zu benutzen weiß, unerschöpfliche Schätze sind, verborgen liegen. Doch es sind eben Tage der höchsten Not, die Wahrheiten dieser Art in die Köpfe von Menschen bringen, in die sie am vorzüglichsten hineingebracht werden sollten, und will's Gott werden auch unsere jetzigen Tage etwas dazu beitragen, dass auch von der nur Geld und Lust und Ehre suchenden Welt doch allmählich wird erkannt werden, dass ein wohlbesorgtes armes Kind mehr abträgt, als ein wohl besorgtes Merinos, dass aus der Armut und Elend zu einem glücklichen selbständigen Menschenleben erhobene Dörfer mehr Ehre bringen, als Prachtsäle für Musik und Tanz, und dass aus der Verwilderung zum Dank und zum Diensteifer erhobene Menschen mehr Lust und Freude gewähren, als ganze Ställe voll Prachtpferde, Jagdhunde und selber auch noch so viele dumme schlechte Kerle, die in Prachtlivreen hinten und vorne an deinem Wagen stehen und dich an deinem Tisch und wo du gehst und stehst, genieren.

Doch auch jetzt, wo alles dieses noch gar nicht allgemein erkannt wird, geschieht noch viel für den Armen und kann viel für ihn geschehen; und es ist so leicht und es tut so not, dass jetzt für den würdigen oder unwürdigen Armen gesorgt werde. Es tut not, dass den Armen geholfen werde. Die Neigung dazu wird auch in dem Grad allgemeiner, je mehr die Wahrheit, wie leichter es ist und wie nützlicher es gemacht werden kann, an Tag gefördert wird.

Ich gehe hier einen Augenblick ins Detail. Je besser ein Privathaus für sich selbst, für seinen Broterwerb, für seine Erziehung, selber für seine Annehmlichkeiten solide eingerichtet, desto leichter ist es ihm, einen Armen in sein Haus aufzunehmen, ihm für die Geschäfte in seiner Werkstätte, in seinem Keller und in seinem Garten Arbeit zu geben, ihn durch diese Arbeit verständig, gewandt und brauchbar zu machen. Wie für die Menschheit und für die Menschenbildung unaussprechlich weit führende Schritte in der Hand der arbeitenden Stände wären, wenn sie diesfalls ihre Lage richtig erkennten, das fällt bei näherer Ansicht des Gegenstandes ganz auf. Es ist in ihrer Hand, tausend und tausend ausgezeichnete talentvolle Jünglinge und Mädchen aus dem Sumpf der Landesverkünstelung, in dem sie nicht etwa wie die glücklicheren Frösche obenauf schwimmen, hüpfen und quaken, sondern als zertretene Würmer in seinem tiefsten Kot steckengeblieben, daraus zu erretten, und ihre Kräfte im Dienst der Menschheit und des Staates in Tätigkeit zu setzen. Wahrlich, der Vorteil wäre nicht bloß allein auf Seiten der Armen, und wir wissen nicht, wieviel die reichen und auf Notabilität Anspruch machenden Haushaltungen dadurch gewinnen würden, wenn einmal die schwächlicheren Kinder dieser anmaßungsvollen Zeitnotabeln mit den kraftvollen, anmaßungslosen Kindern der, nach den Zeitregistern der Städte und Orte unnotabeln, aber nach den Gesetzen der Menschennatur höchst notabeln niederen Stände in nähere Berührung kommen würden.

Mehr als dem Menschen von bürgerlicher Betriebsamkeit öffnen sich dem Lehnsherrn, so wie jedem größeren Gutsbesitzer unermessliche Mittel, der Volkserziehung und der Armut des Landes Vorsehung zu tun. Im Besitz des Bodens und durch denselben zu seinem Anbau genötigt, folglich an die ersten und einfachsten Kulturmittel unseres Geschlechtes angebunden, kann der größere Landeigentümer die Kräfte armer Kinder jahraus und ein mit seinem Vorteil benutzen. Je mehr er sie übt, je höher er ihre Fertigkeiten diesfalls benutzt, desto größer ist auch der Vorteil, den er aus ihnen ziehen kann, oder den er ihnen als ein Werk der christlichen Barmherzigkeit zu ihrem Segen und zum Heil ihrer Kinder und Kindeskinder selbst lassen kann. Es kostet den Landeigentümer nichts, neben jedem paar Ochsen, die er aufzieht, damit sie ihm pflügen, auch ein paar Kinder zu erziehen, damit sie ihm solange im Dienst bleiben, als ungefähr ein Ochse dienstfähig ist; aber wenn er sie zu selbständigen Menschen erhebt, welch einen Genuss hat er von ihnen, und wenn er auch nur ein wenig Humanität in ihre Benutzung hineinbringt, so kann's seinen Armen wirklich wohl bei ihm werden. Er kann sie ohne Müh' und Kosten mit seinem Nutzen über die Stumpfheit und Unbehilflichkeit des gemeinen Bauern und Tagelöhners und dahin erheben, dass sie unter ihren Mitlandsleuten als vorzügliche Arbeiter und Beispiele dastehen, und auf die allgemeine Beförderung des Feldbaus in einem Land vorzüglich gut einwirken können. Jeder große Lehnsherr, der nicht lieber seine meiste Zeit bei Hof in der Hauptstadt, im Wald oder bei den feineren oder roheren Minuzien der sinnlichen Zerstreuungen, die auf seinem Landhof möglich sind, zubringt, kann auf dieser Bahn im Kreis seiner Lage dahin kommen, zum großen Nutzen des Staates und zur Äufnung und Förderung der ersten Stützen einer allgemeinen wahren Nationalkultur allmählich selber den schlechtesten und unbehilflichsten seiner Dienstleute zu Erblehenleuten, d.i. zu selbständigen Eigentümern kleiner Besitzungen zu machen, durch welche der Abtrag des Landes und mit ihm der Wert desselben, die Bevölkerung und der Wohlstand seiner Herrschaft ohne sein Zutun zu seinem Nutzen auf eine Höhe gebracht werden kann, zu der derselbe ohne die Selbständigkeit der Landarbeiter, die er durch Wohltätigkeit an die Armen bewirken kann, niemals gekommen wäre.

Fast die nämliche Gelegenheit, den Armen zu helfen und zu ihrer Bildung selber mit ihrem Vorteil einzuwirken, hat in großen und kleinen Städten jeder, der an der Spitze großer oder kleiner Fächer irgendeines bedeutenden Faches der Industrie steht; diese wissen alle, dass der Menschen Hände Goldgruben sind, wenn sie wohl benutzt werden, und sie sind alle in der Lage, auf die Bildung, den Wohlstand und die Erziehung des Volkes wesentlichen Einfluss zu haben, wenn sie einerseits etwas dafür tun, die Kinder ihrer Arbeiter zur Solidität in dem Umfang der Kenntnisse und Fertigkeiten, die das Fach ihrer Industrie selber voraussetzt, zu bilden, andererseits Einrichtungen treffen, dass sie von ihrem Verdienst Sparpfennige beiseite legen und dadurch schon in ihren jüngeren Jahren zum Anfang eines kleinen Eigentums gelangen.

Es ist nicht zu berechnen, was durch die Achtung für das Eigentum und durch den Geist der Sparsamkeit, durch den der Arme allein zu einem Eigentum zu gelangen vermag, zur Erhebung der Ehrenfestigkeit und Sittlichkeit unter den Armen eingewirkt werden kann. Was diesfalls einzelne Inhaber von Fächern großer Industriezweige können, das können in größeren und kleineren Städten, und zwar noch in einem höheren Licht, auch Vereinigungen edler Menschen durch Armenschulen, in denen nicht bloß einige isolierte Arbeitsgattungen gelehrt, sondern die geistigen und physischen Kräfte, welche den Umfang aller weiblichen und männlichen Industrie zu ihrem Fundament haben, geübt, und die Kinder der Armen allgemein unterrichtet und zu einem hohen Grad von Fertigkeit gebracht werden. Es ist gewiss, dass auf diesem Weg die arme städtische Jugend wieder zu dem Grad des Broterwerbs der häuslichen Selbständigkeit und der damit so innig verbundenen Ehrenfestigkeit und Sittlichkeit erhoben werden kann, dessen Zeitbedürfnis so innig und allgemein gefühlt, und wodurch zugleich die Unabhängigkeit der städtischen Arbeitsbedürfnisse vom Ausland und die großen Ersparnisse, die dadurch für die Städte erzielt werden könnten, angebahnt und allmählich immer allgemeiner gemacht und sichergestellt werden könnten.

Endlich ist für den höchsten Schritt der Volkserziehung und Armenbildung noch der hohe Weg der Vereinigung der landwirtschaftlichen Kultur mit Unternehmungen der bürgerlichen Industrie an den Orten offen, wo die Armut des Landes und seine Unfruchtbarkeit durch den Feldbau der bestehenden Bevölkerung nicht genugtuende Ressourcen, oder besondere Lokalität der Vereinigung der landwirtschaftlichen und bürgerlichen Industrie von selbst vorteilhaft einlenkt und sichert.

Diese Vereinigung der Vorteile der ländlichen und der bürgerlichen Industrie, wo sie immer tunlich, war von Jugend auf der Gesichtspunkt, wo ich glaubte, die wahre und allgemeine Basis aller Volksbildung und Volkskultur zu erzielen, und wodurch das höchste Resultat der Landesbevölkerung und des Landes Wohl, wenn es wohl geleitet, mit Solidität erzielt werden kann. Ich selbst habe vor mehr als vierzig Jahren auf meinem Neuhof eine Armenanstalt errichtet, deren Basis auf der Vereinigung der landwirtschaftlichen Kultur mit einem Zweig unserer Industrie beruhen sollte. Meine Ungeschicklichkeit machte den schönen Versuch misslingen. Aber selbst in seinem Misslingen habe ich seine Wahrheit im höchsten Grad erkennen gelernt; auch ist mir dieses Gut um dieses Versuches und auch um der langen Trauer willen, in die mich dieser Versuch stürzte, unaussprechlich lieb. Ich habe dasselbe nun über vierzig Jahre zu meinem fortdauernden Schaden behalten. Es kostet mich sicher zweimal mehr, als es wert ist; aber das Andenken an die Tage, in denen ich darauf lebte, ist mir mehr als Geld, und der seit dieser Zeit immer mehr wachsende Gedanke: du kannst noch einst eine Armenanstalt darauf errichten, machte es mir unmöglich, es zu verkaufen. Diese Ansicht führte mich sehr jung zu frühen missratenen Versuchen, im Geist dieser Vereinigung; doch sind die Vorteile derselben mir bis auf diese Stunde in ihrer ganzen Wichtigkeit und Wahrheit klar vor den Augen geblieben.

Ich habe auch jetzt noch bei meinen abgeänderten Grundsätzen über das, was für der Armen Heil wesentlich not tut, auch noch jetzt eine Art von Gelust, der mich unwiderstehlich dringt, keine Zeit zu versäumen, um wenigstens auch etwas von meinen ehemaligen Zwecken auf diesem Hof zu erzielen. Ich werde auch in künftigem Frühjahr ungesäumt die nötigen Einrichtungen treffen, und dieselben nach den beschränkten ökonomischen und pädagogischen Mitteln, die ich mir jetzt noch auf diesem Hof verschaffen kann, erzielen zu lassen suchen, muss aber jetzt mir feierlich vorbehalten, dass ich diesen Schritt durchaus nicht als den wirklichen Anfang meiner eigentlichen Armenerziehungsanstalt, zu deren Begründung meine Stiftung bestimmt ist, angesehen wissen will. Die Wichtigkeit dieses letzten Schritts meines Lebens fordert die höchste Sorgfalt in der Vorbereitung ihrer Mittel, und diese will ich meiner Armenanstalt angedeihen lassen, ehe ich sie als eigentlich angefangen erkläre und angesehen wissen will. Das festina lente ist ein Wort, dem ich in meinem Leben nie folgte; aber es hat mich auch tausend Tränen und tausend Opfer gekostet, dass ich es nie tat, und jetzt am Rand meines Grabes will ich doch nicht noch den Segen der letzten und wichtigsten Handlung meines Lebens mir durch eben diesen Fehler vor meinen Augen zugrunderichten.

Indessen kann ich bei der Leichtigkeit und Wohlfeile, mit welcher arme Kinder auf einem jeden Gut erhalten werden können, leicht vorläufig diesfalls etwas Weniges in der Zwischenzeit tun, die ich nicht nötig habe, das Bessere und Wesentliche, was ich eigentlich suche, zu begründen, und es liegt mir äußerst dran, dass in den Zeiten der gegenwärtigen Not und Gefahr des Vaterlandes alle möglichen Schritte für die Rettung der Armen getan werden, und insonderheit die Vereinigung der jetzt so wenig abträglichen Artikel der vaterländischen Industrie mit dem höchsten Raffinement in der Benutzung des Bodens und in Verbindung mit den ausgedehntesten Kenntnissen der häuslichen Ersparnisse auf allen Punkten des Vaterlandes und mit allen Vorteilen der Lokalitäten versucht werde. Ich habe mich noch Anno 1812 in der Wochenschrift für Menschenbildung S.218 ganz in diesem Geist ausgesprochen. Das Ideal, das ich in dieser Stelle und in dem ganzen [ungedruckten] Aufsatz, wovon diese Stelle ein Bruchstück ist, aufgestellt, ist mir auch heute noch in sehr vielen Teilen befriedigend. Seine Ausführung ist leicht, und die Vorteile, die die Vereinigung der ländlichen Lage mit der bürgerlichen Kunstbildung zu gewähren vermag, sind eigentlich unermesslich. Ich habe durch mein Leben gestrebt, zur Möglichkeit der Ausführung dieser Idee zu gelangen, und segne heute den Mann, der die Ausführung dieser Idee mit der Liebe und Religiosität beginnen möchte, die zur Ausführung in ihrem Geist und in ihrer Wahrheit wesentlich ist, und im Landwirtschaftlichen und Industriellen die vollendete Reifung der Kenntnis besitzt, die hierfür notwendig ist. Für ihre Ausführung ist jeder der verschiedenen Wege, auf denen der Not des Volkes durch Beförderung seiner Kultur Hand geboten werden kann, wichtig.

Aber alle diese auf tausenderlei Art modifizierte Mittel, dem Notverderben der Armut abzuhelfen, sind durchaus nicht als wahre Mittel der Nationalhilfe und eines genugtuenden öffentlichen Einflusses gegen die jetzige Not der Armut anzusehen. Sie gleichen in ihrer Ausführung gar oft dem Tun eines Mannes, der einem Armen, der ohne Hosen und Strümpfe im Schnee vor seinem Fenster bettelt, ein paar Schuhschnallen zum Almosen darwirft; und auch bei einer besseren, auch bei der besten Ausführung sind sie durchaus nicht geeignet, mit Kraft und Erfolg gegen die Urquellen unseres diesfälligen Nationalverderbens zu wirken. Wir wissen, dass dieses in tief feststehenden, in unser ganzes Sein und Tun eingreifenden und unsere Geistes- und Herzensstimmung beherrschenden Ansichten, Gesinnungen, Gelüste und Gewohnheiten unseres allgemeinen Zeitlebens und der Unnatur unserer diesfälligen Verkünstelung zu suchen, und wir wissen ebenso, dass unserem diesfälligen Nationalverderben unmöglich solide abzuhelfen ist, als durch Mittel und Maßregeln, die durch ihr Wesen tief und beherrschend in diese Urquellen unseres Verderbens, in die Ansichten, Gesinnungen, Gelüste und Gewohnheiten unserer Zeitwelt und unseres Zeitlebens einzugreifen geeignet sind.