Pestalozzi. Nach unveröffentlichten Briefen an Eltern und Erzieher

Heinrich Walther

Ratingen: Henn, 1956, 132 S.

Heinrich Walther leitet seine Arbeit mit einer Charakterisierung Pestalozzis in Bezug auf seine Briefe und Veröffentlichungen ein. Er weist darauf hin, daß Pestalozzi seine pädagogischen Ideen immer wieder darstelle und seine pädagogische Praxis in seinem Charakter und in der Erziehung, die sein Wesen sei, erscheint. Ursprüngliche Zeugnisse seines Wesens seien die Briefe an vertraute Freunde, anfängliche Dokumente seiner Erziehung die Briefe an die Eltern seiner Zöglinge und an Lehrer, die er ausbildet. Walther betont, daß viele Werke über Pestalozzi erscheinen, aber wichtiger und fruchtbarer Pestalozzis Selbstdarstellung bleibe, die in seinen Werken und Briefen vorliege. Die Briefe in französischer Sprache sind übersetzt, da Walther Kenntnisse in Französisch nicht voraussetzt. Jedes Kapitel geht zunächst auf das inhaltliche der angegebenen Überschrift ein, dort nimmt Walther dann Bezug auf die jeweils im Anschluß aufgeführten Briefausschnitte.

Im ersten Kapitel "Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts" beschreibt Walther das entscheidende Kriterium für Pestalozzi: die Charakterbildung. Grundlegend dabei sei die Übung und Entwicklung der Anlagen und Begabungen. Sie solle der Charakterbildung dienen und sei die Voraussetzung der Erfassung aller Wissenschaften. Erstes Erfordernis des Unterrichts sei, daß er klar und verständlich aufgebaut werde. Voraussetzung des Erfolges seien Anlage und Fleiß. So wird zum Beispiel aus einem Brief an A. Zavarett. Milan zitiert: "Jederzeit war es der entscheidende Grundsatz, unseren Unterricht so klar und verständlich wie möglich für die Fähigkeiten unserer Zöglinge zu machen... Das Mehr oder Weniger des Erfolges hängt wie überall sonst von dem Grad der Talente und des Fleißes ab und den Studien wie den Sprachen außer von der Fassungskraft von einem mehr oder weniger glücklichen Gedächtnis". (S. 17-18)

Im zweiten Kapitel geht Walther über zur konkreten Anwendung von Pestalozzis Grundsätzen. Hier schildert er, daß Pestalozzi gegen allen Zwang sei, der die gesunde Natur vergewaltigt. Jeder Zwang erübrige sich, wenn die rechte Grundlage geschaffen und das Interesse geweckt würde. Pestalozzi wende sich gegen Scheinerfolge und künstliches Treiben, vertrete das langsame gesunde Wachstum. Walther erläutert, daß Pestalozzi immer wieder die Pflicht betone, mit schwerfälligen, sich langsam entwickelten Kindern Geduld zu haben. Hierzu ein Textauszug aus dem Brief an Gonzenbach/Meyer, St. Gallen: "Mit Vergnügen entnehme ich aus Ihrer verbindlichen Zuschrift..., daß Sie unsere Ansichten über das Notwendige der Schonung junger Kinder von zarten Alter und Körperbau teilen, das unter anderem auch wesentlich darin besteht, sich mit der Versetzung in höhere Klassen nicht zu übereilen, solang das Ausharren in derjenigen, in der sie sich befinden, noch einen bedeutenden Nutzen gewährt". (S. 25)
Walther nennt Pestalozzis Grundlage: die sittliche und geistige Ausbildung. Pestalozzi stelle stets das Positive voran und mache durch Anerkennung der Werte eines Kindes die Eltern bereit, auch Negatives zu ertragen.

Den zweite Abschnitt bilden die "Individualitätsbilder", welche Gutachten für die Eltern darstellen. Jedes Gutachten schildere eine bestimmte kindliche oder jugendliche Entwicklungsstufe. Folgendes Briefbeispiel an den Baron de Panhuys in Frankfurt zeige Pestalozzis "geniale Meisterschaft", wie Walther es bezüglich der Gutachten ausdrückt: "Alle Lehrer Ihres lieben Knaben ohne Ausnahme fahren fort, ihm die vollkommenste Zufriedenheit zu bezeugen, er wird wenn er so fortfährt, einer meiner ausgezeichnetsten Zöglinge werden..., ...er ist so fleißig, daß er die Lehrer bittet, ihn auch noch neben den fixierten Lektionen zu beschäftigen". (S. 40)

Im dritten Abschnitt geht es im Wesentlichen um das Vorgehen Pestalozzis, wenn er Schüler abweisen muß, deren Vorbildung oder innerer Zustand einen Erfolg seiner Erziehungsweise unmöglich mache. Walther zeigt auf, daß auch das Entlassen von Schülern, wegen Untragbarkeit aufgrund ihres Verhaltens, für Pestalozzi mit voller Offenheit und ungeschminkten Freimut behandelt werde.

Das dritte Kapitel zeigt Textausschnitte Pestalozzis in Bezug auf die Beratung von Eltern über die Berufswahl ihres Kindes. Walther beschreibt Pestalozzis Ziel, die Schüler seines Instituts zu befähigen "mit Ehre und Sicherheit durch die Welt zu kommen". Dem diene keine oberflächliche sogenannte "wissenschaftliche" Bildung, sondern allein eine "solide Bildung des Geistes und Herzens", welche Pestalozzi in einem Briefausschnitt betone. Pestalozzi hielte es für grundlegend wichtig eine "elemantare, umfassende und gründliche Vorbereitung", statt einer frühen festgelegten Fachbildung bei den Schülern zu erzielen. (S. 62)

Im folgenden Abschnitt geht Walther auf die Stellungnahme Pestalozzis zur Körperstrafe und Kritik seitens der Eltern ein. Walther schildert Pestalozzis Offenheit gegenüber einer wohlmeinden und fruchtbaren Kritik, aber auch seinen Freimut und seine äußerste Schärfe gegenüber ungerechten Angriffen anmaßender Eltern. Dies hebt Walther im besonderen durch die eingehende Betrachtung des Briefwechsel zwischen Pestalozzi und dem Vater eines sehr problematischen Schülers hervor.

Das vierte Kapitel bilden die Individualitätsbilder nach Pestalozzis Krise von 1816. Hier beschreibt Walther die schweren Kämpfe, die Pestalozzi zu bewältigen habe. In der Öffentlichkeit werde er heftig angegriffen, erbitterte Gegensätze zwischen Mitarbeitern entstünden, wirtschaftliche Schwierigkeiten brächten das Institut an den Rand des Abgrundes. Trotzdem schreibe Pestalozzi in unveränderter Kraft und Klarheit weiter. Er betone, daß die innere Harmonie und Selbstgewißheit, die das Ergebnis einer echten Erziehung ist, zur inneren und äußeren Gesundheit führe. Mit großer Freude nehme er englische Schüler auf. Ihr freies und selbstständiges Wesen entspreche dem Grundzug seines eigenen Charakters: "...So wie wir sie bisher kennenlernten, gefallen sie mir und meinen Mitarbeitern gut. Besonders ihr fröhliches Aussehen und ihr freies Benehmen nehmen alle für sie ein". (S. 99)

Den Abschluß des Buches bilden das fünfte und sechste Kapitel. Zunächst schildert Walther Pestalozzis Lehrerbildung nach seinem "Gutachten über ein Seminar im Kanton Waadt". Anschließend geht Walther auf die Lehrerausbildung in Yverdon ein. Die Ausbildung von Lehrern ist Pestalozzi ein wesentliches Anliegen. Schon das Institut in Burgdorf wird mit einem"Schullehrerseminar" verbunden. Das sechste Kapitel beschreibt Pestalozzis Sehnsucht, ein neues Armenhaus nach dem Zusammenbruch des Neuhofs, der Zeit in Burgdorf, Münchenbuchsee und den langen Jahren in Yverdon zu gründen. Trotz enormer finanzieller Probleme erfülle er sich diesen Wunsch in Clindy. Mit Beschränkung der Schüleranzahl und streng charakterlicher und geistiger Auswahl der Mädchen und Jungen, sowie der Verbindung der Armenanstalt mit einer Anstalt zur Ausbildung von Lehrer und Lehrerinnen, ermögliche ihm Clindy seine großen Erfolge. Walther zeigt, mit welcher Freude Pestalozzi in dieser Zeit in seinen Briefen spreche. Sie enthalten gleichzeitig Pestalozzis Grundgedanken des "Schwanengesanges".

Walther schließt sein Werk mit einem Nachwort ab. Auf Verzeichnisse jeglicher Art verzichtet er.

(AR)