Wiedergeburt als radikaler Gesinnungswandel. Über den Zusammenhang von Theologie, Anthropologie und Pädagogik bei Rousseau, Kant und Pestalozzi

Hans-Georg Wittig

Heidelberg: Quelle & Meyer, 1970, 173 S. (Anthropologie und Erziehung ; 25)

Hans-Georg Wittig behandelt in seiner Arbeit die tiefgreifende Lebenskrise, in die seiner Meinung nach offensichtlich viele Menschen geraten sind auf und beschreibt deren Überwindung. Er betont, daß es sich nicht nur um eine Krise des Intellekts, sondern des ganzen Menschen handle, deren gegenwärtige Radikalität gerade im intellektuellen Bereich eine immer tiefere Ratlosigkeit hinsichtlich der rechten Gestaltung und Zielsetzung des Lebens aufzeige. Wittig vertritt hier den Standpunkt, daß die erste Voraussetzung zur Bewältigung dieser Krise die Zusammenarbeit der Wissenschaften und jener Disziplinen seien, die sich vor allem mit dem Menschen und der Bewahrung seiner Menschlichkeit befasse: die Theologie, die philosophische Anthropologie und die Pädagogik. Gerade die Pädagogik habe die Aufgabe, neben der vergleichsweise kurzfristigen Therapie einzelner aktueller Schwierigkeiten zugleich an einer langfristigen und umfassenden Diagnose der Wirklichkeit des Menschen mitzuarbeiten. Diese Diagnose müsse, um nicht unkritisch den Strukturen der heutigen Situation und des heutigen Denkens ausgeliefert zu sein, unter anderem historisch vorgehen. Dabei meint Wittig, daß die Lebenskrise des Menschen nicht erst vor kurzem aufgebrochen, sondern bereits von seinen Anfängen her für den Mensch kennzeichnend sei. Sie sei in seiner "Natur" angelegt. An diesem Punkt führt Wittig den Gedanken der " Wiedergeburt" auf, zu dem er sagt: "Solange es Menschen gibt, bedurften sie daher, um menschlich leben zu können, außer ihrer "natürlichen" Geburt noch einer "Wiedergeburt."" (Einleitung)

In der Untersuchung jener Erscheinung "Wiedergeburt" geht Wittig davon aus, daß sie vom Menschen stets als etwas über sein Leben Entscheidendes erfahren werde. Die "Wiedergeburt" ist, um es unbestimmt zu formulieren, eine Erneuerung und Erhöhung des Lebens zugleich. Da dem Menschen die bloße Rückkehr in den fraglosen Ablauf der "Natur" offenbar versperrt sei, ließe sich sein Leben nur so erneuern, daß es bewußt an eine höhere, "geistige" Ordnung gebunden werde. In der Auseinandersetzung mit dem Wiedergeburtsgedanken nähert sich Wittig unweigerlich den Hochreligionen, vor allem dem Christentum. An diesem Punkt sucht Wittig nach Denkern, die einerseits der christlichen Überlieferung noch stark verbunden sind und sich selbst ausdrücklich als Christen verstehen, sodaß sie noch wüßten, was "Wiedergeburt" heiße. Andererseits sich aber schon in der Situation befänden, welche die christliche "Säkularisierung", die die Welt entgöttert um des einen "überweltlichen" Gottes der Liebe willen, vertrete. Aber auch das Umschlagen dieser Situation in die moderne "Profanisierung", die nun den Glauben an diesen Gott als gegenstandslos zu erweisen und somit zu vernichten suche - zugunsten der Macht des Menschen, ließe erkennen, daß diese Denker um der Einheit der Erkenntnis willen in einer prinzipiellen Auseinandersetzung versuchen müssten, eine Brücke zwischen dem Christentum und der modernen Welt zu schlagen.

In den folgenden drei Kapiteln zeigt Wittig auf, das die im vorherigen Abschnitt aufgezeigten Denkstrukturen von Rousseau, Kant und Pestalozzi mit deren Konzeptionen erfüllt würden und auch weitgehend übereinstimmten. So kennten alle drei nicht nur die Erfahrung und den Begriff der "Wiedergeburt", sondern sähen in ihr darüber hinaus die größte Möglichkeit des Menschen.

Im Anschluß des Buches befinden sich zahlreiche Anmerkungen und ein achtseitiges Literaturverzeichnis.

Biographische Angaben zum Autor:

Dr. phil. Hans-Georg Wittig, geboren am 20. November 1922 in Stockholm, Promotion 1968, 1969 Dozent der Pädagogischen Hochschule Lörrach. Professor 1974, 1983 Prof. an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, Allgemeine Pädagogik. Verfasser zahlreicher Schriften und Aufsätze.

(AR)