Pestalozzis Pädagogik der sehenden Liebe: zur Dialektik von Engagement und Reflexion im Bildungsgeschehen

Urs P. Meierr

Bern, Stuttgart : Haupt, 1987 : 479 S.

Meiers Arbeit zeigt den unerschöpflichen interpretatorischen Reichtum der Werke Pestalozzis auf. Er versucht hierbei sehr gründlich, aber auch behutsam vorzugehen. Zentraler Gedanke ist die Liebe, die Pestalozzi in den Mittelpunkt seiner Pädagogik stellte.

Schon im Vorwort stellt Meier die Forderung auf, daß "... wir heute dringender denn je auf eine Erziehergeneration angewiesen sind, die Pestalozzi nicht nur kennt und zitiert, sondern ihn zu leben sucht."
Die zunehmende Akademisierung der erzieherischen Berufsbildungsgänge vergrößert die schon bestehende Kluft zwischen pädagogischer Theorie und Praxis noch weiter und trägt zuweilen auch ihren Teil zur mangelnden Handlungsfähigkeit jüngerer Erzieher bei. Darum hält Meier es in einer Zeit fortschreitender Spezialisierung und Professionalisierung für angebracht, einen Moment innezuhalten, um wieder Klarheit über die fundamentalen Aufgaben und Anliegen der Pädagogik zu bekommen.
Die Entscheidung, Pestalozzis Werke als Grundlage für eine pädagogische Standortbestimmung heranzuziehen, wurde aus der Überzeugung heraus getroffen, daß Pestalozzi ein in der Geschichte der Pädagogik einmaliges Beispiel einer integrativen Erzieherpersönlichkeit darstellt und Pestalozzi ein Mensch war, dessen Leben ganz im Zeichen der Aussöhnung jener Gegensätze gestanden hat, die er so zahlreich in sich vereinigte. Das Konzept der sehenden Liebe wird von Meier als Schlüssel zu Pestalozzis Pädagogik gesehen. Und so bildet dieses auch die Grundannahme, von welcher die vorliegende Arbeit ausgeht.

Den Anstoß zum Werk Meiers gab ein zweifaches Anliegen: zum Einen möchte er zu einer entschiedeneren Gewichtung von Pestalozzis Gedanken und zur Konzentration auf das Herzstück seiner Pädagogik ermutigen und zum Anderen soll versucht werden, Pestalozzi nicht nur gegenüber ideologisch verengten, sondern auch gegenüber idealisierenden Auslegungen zu verteidigen, da Mystifizierung, Verkürzung und Nivellierung auch zum Zeitpunkt der Entstehung des Werkes noch Kernprobleme der Pestalozzi-Rezeption darstellten. Meier möchte hier einen Beitrag zur Entmystifizierung von Pestalozzis Liebesverständnis leisten.

Der erste Teil der Arbeit bringt Grundfragen und Zusammenhänge Pestalozzischen Denkens aus zwei verschiedenen Perspektiven zur Sprache: in Kapitel zwei wird Pestalozzi als ein scharfsichtiger Zeit- und Bildungskritiker dargestellt, der die vielgepriesenen Fortschritte seines Zeitalters zugunsten der Liebe in Frage stellt.
Im dritten Kapitel wird seine Botschaft der Pädagogik der Liebe behandelt, in deren Namen er seine Kritik übt und von der er sich die Rettung der "irrenden Menschheit" verspricht.

Im zweiten Teil seines Werkes behandelt Meyer ein bedeutsames Problem - nämlich die Mehrdeutigkeit von Pestalozzis Botschaft. Der dritte Teil enthält schließlich Ansätze zur Lösung dieses Problems und einen Versuch einer Näherbestimmung von Pestalozzis Botschaft anhand den Interpretationen von W. Guyer, W. Bachmann und Th. Ballauff.
Der vierte Teil stellt einen Entwurf zu einer Neuauslegung der Botschaft Pestalozzis dar.
Im fünften Teil versucht der Autor die Bedeutung des Begriffs der sehenden Liebe noch weiter zu konkretisieren, indem er ihn auf drei Grundformen mitmenschlichen Bezugs anwendet (Bezug zum Lebensgefährten, Neugeborenen und Armen).
Der sechste Teil endet mit einem Ausblick, in welchem die wesentlichsten Aspekte sehender Liebe, die für weiteres Forschen anregend und richtungsweisend sein sollen, nochmals thesenartig dargestellt werden. Den Abschluß der Arbeit bilden eine lange Liste von Anmerkungen sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis.

(SH)