Pestalozzi - Fröbel - Montessori. Spielen - Gestalten - Lernen. Ein Beitrag zur Entwicklungs- und Wirkungsgeschichte des Lern- und Beschäftigungsspiels in Elternhaus, Kindergarten und Schule. Zum 250. Geburtstag von Johann Heinrich Pestalozzi

Roger Kaysel

Baden: Schweizer Kindermuseum 1996, 79 S., zahlr. Abb.

Der reichhaltig bebilderte Band zur Ausstellung zum 250. Geburtstag von Johann Heinrich Pestalozzi im Schweizer Kindermuseum in Baden (Kt. Aargau) gibt einen weit greifenden Überblick über die Geschichte der Kindheit in den letzten drei Jahrhunderten, wobei die Dokumentation von Spielen, Spielzeug und Lern- und Arbeitsmitteln in Familie und Schule im Mittelpunkt steht.

Die Gliederung des Bandes zeigt eine Vierteilung: im ersten Teil (S. 7-15) wird das Kind in seiner altersgemäßen Entwicklung vorgestellt (1., 2., 3., 4., 5., 6., 7.- 8. und 9.-12. Lebensjahr) und jeweils die altersgemäße Nutzung von Spiel und Spielzeug unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung beschrieben. So wandeln sich beim älteren Kind die Bewegungsspiele zum gezielten sportlichen Kräftemessen, aus spielerischen Zuwendungen werden ernsthafte und bleibende Hobbys, die Schule gibt dann fortschreitend ihre spielerischen Elemente auf und Spiel wird zunehmend mit Freizeit gleichgesetzt.

Der zweite Teil "18. Jahrhundert - Zeit der Aufklärung - Pestalozzi. Vom Wort- zum Anschauungsunterricht" (S. 16-33) zentriert sich nicht allein auf Pestalozzi, sondern stellt Comenius, Locke, Franke, Rousseau, Basedow, Oberlin, Pestalozzi und Fellenberg mit kurzen Biographien vor und zeigt die Entwicklung im 18. Jahrhundert unter den Stichworten Politik und Wirtschaft, Zeitgeist, Familie, Kindheit, Vorschule, Schule und Lern- und Beschäftigungsspiel. Dabei wird nicht allein auf die wohlhabenden Bürger- und Patrizierfamilien abgehoben, sondern ebenso auf die durch Kinderarbeit, äußeren Mangel und fehlende Bildungsmöglichkeiten gekennzeichnete Kindheit. Pestalozzi wird recht vorsichtig als der Pädagoge angeführt, der dem didaktischen Prinzip der Anschauung zur Anerkennung verhilft, der eine gesellschaftspolitische Sicht der Benachteiligung (Armenproblematik und Armenerziehung) entwickelt und der im Mutter-Kind-Verhältnis die Grundlage aller Erziehung sieht. Im Bildteil dominieren bei den abgebildeten Gegenständen zwangsläufig die Gegenstände der bürgerlich/adligen Welt und der höheren Bildung, z.B. Schachfiguren oder ein Apparat zur Veranschaulichung der Bewegungen der Erde und des Mondes, da letztlich nur solche Gegenstände überdauert haben und in einem Museum vorzeigbar sind.

Der dritte Teil (19. Jahrhundert - Vom Handwerk zur Industrie - Fröbel. Lernen durch angeleitete Selbsttätigkeit, S. 34-53) und der vierte Teil (20. Jahrhundert - Das Jahrhundert des Kindes - Montessori. Selbsthilfe, Selbstkontrolle, Selbstvertrauen, S. 54-71) des Buches sind ähnlich aufgebaut: Fröbel steht stellvertretend für das 19. und Maria Montessori stellvertretend für das 20. Jahrhundert und die Entwicklung im 19. Jahrhundert ist umschrieben mit "Vom Handwerk zur Industrie", das 20. Jahrhundert mit "Das Jahrhundert des Kindes". Auch die jeweiligen kurzen Stichworte Politik und Wirtschaft, Zeitgeist, Familie, Kindheit, Vorschule/Kindergarten, Schule, Lern- und Beschäftigungsspiel und der Bildteil sind wie im ersten Teil aufgebaut, um Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Zwar bleiben aus der Sicht der Wissenschaft die Ausführungen zum 20. Jahrhundert mit ihrer weitgehenden Eingrenzung auf Cizek und Montessori recht marginal, auch wenn die Reformpädagogik und einige wenige ihrer Vertreter in den Stichworten genannt werden. Am Ende des Jahrhunderts erscheint es ohnehin fragwürdig, dieses Jahrhundert als "Jahrhundert des Kindes" zu benennen. Obwohl Kinder und Eltern durchaus als bedrängt von Konsumzwängen, Werbebotschaften und medialem Überangebot beschrieben werden, bleibt die Sicht von Chancengleichheit bei Bildung und Ausbildungsmöglichkeiten doch zu optimistisch. Zudem fehlt in dem vorliegenden Band der Blick auf die Kinder und das Kinderleben in der Dritten Welt. So dokumentiert auch der Bildteil überwiegend die unterschiedlichen Spiel- und Lernmaterialien von Fröbels Spielgaben bis zu Montessoris didaktischen Materialien.

Der Band schließt mit sechs kurzen Beiträgen, "Meinungen" überschrieben (S. 72-77). Fritz Osterwalder ("Pestalozzi in unserer Zeit", S. 72) spricht darin Pestalozzi jede positive Sicht des Kinderspiels ab, da sein Anspruch, den ganzen Menschen hervorzubringen, spielerische Zufälligkeit und ein aus der Sicht des Erziehers zweckloses Tun ausschließt. Die grundsätzliche Frage nach den pädagogischen Wirkungen des Spiels, einmal mit und einmal ohne pädagogische Absicht, wird aber durch Kaysels Veröffentlichung angestoßen. Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Pestalozzis Gedanken oder Werken, aber es kann besonders in Verbindung mit den abgebildeten Gegenständen und dem Inventar des Schweizer Kindermuseums allen Lesern bzw. Besuchern Aspekte der Geschichte der Kindheit in den letzten drei Jahrhunderten in Mitteleuropa unter dem Thema "Spielen - Gestalten - Lernen" lebendig machen. Das Buch ist zwar zum 250. Geburtstag Pestalozzis erschienen, aber nicht allein auf diesen bezogen. Pestalozzi wird nicht als der Entdecker des Kinderspiels beschrieben, insoweit geht Osterwalders "Meinung" an den Intentionen des Buches vorbei. Der Band "Pestalozzi - Fröbel - Montessori" regt an zum Besuch des Schweizer Kindermuseums in Baden (Kt. Aargau) und zur intensiveren Beschäftigung mit Fragen des Lern- und Entwicklungsspiels und seiner Stellung in Familie und Schule.