Andreas Hartknopfs seltsamer Namensvetter : Karl Philipp Moritz und Johann Heinrich Pestalozzi

Jürgen Jahnke

In: Euphorion : Zeitschrift für Literaturgeschichte (Heidelberg) 77/2 (1983), S. 127 - 143
SW: Moritz, Karl Philipp (1756 - 1793)

Die 1785 und 1790 anonym in Berlin erschienenen Bücher "Andreas Hartknopf. Eine Allegorie" und "Andreas Hartknopfs Predigerjahre" hatten offenbar nicht nur die Zeitgenossen irritiert..." (S. 127). Vermutlich ist der Verfasser Karl Philipp Moritz. Der Aufsatz ist keine ausführliche Rekapitulation der gesamten Hartknopf-Forschung, die im wesentlichen erst im 20. Jahrhundert einsetzte. Es gibt zu diesem Roman zahlreiche Deutungsversuche, aber auch zahlreiche Fragen. Bisher sei wenig „über direkte literarische Einflüsse auf das Werk und über psychologische Aspekte des Schaffensprozesses bekannt." (S. 128). Intention des Aufsatzes ist es nicht, bereits bestehende Hartknopf-Interpretationen anzuzweifeln, sondern diesen bisher übersehene Aspekte hinzuzufügen. Es handelt sich dabei um den Namen des Protagonisten, um Einflüsse im Bereich von Figuren und Motiven sowie um Hypothesen; die sich mit dem Zusammenhang zwischen Moritz" künstlerischem Schaffen und seinen kunsttheoretischen Überzeugungen beschäftigen. Der Name Andreas Hartknopf könne kaum nebensächlich oder zufällig sein. Sein Namensvetter ist der Hartknopf in Pestalozzis Roman „Lienhard und Gertrud". Moritz gab zustimmende Hinweise auf Pestalozzi und sein Werk. Daraus hat man zwei Schlußfolgerungen gezogen: „Moritz identifiziert sich mit Pestalozzis praktischem Wirken als Volkspädagoge und als ein die wirkliche Welt erhellender Schriftsteller. Er sieht in Pestalozzi einen Mitstreiter für eigene pädagogische und psychologische Vorstellungen ..." (S. 130). Die zweite Schlußfolgerung „... verweist auf gemeinsame Bezugspunkte, vor allem auf Rousseau, der sowohl Pestalozzi als auch Moritz stark beeinflußt hat." (S. 130). „Die Beziehung Moritz - Pestalozzi ist offenbar einseitig geblieben ..."(S. 131). „wenn also überhaupt von einem Einfluß die Rede sein kann, so könnten nur die Pestalozzischen Schriften Spuren im Werk Moritz" hinterlassen haben (und nicht umgekehrt, F.R.). Nach derartigen Spuren zu suchen, ist Aufgabe der vorliegenden Untersuchung ..." (S. 131). Hier soll „vor allem nach literarischen Einflüssen gesucht werden, dabei geht es uns in erster Linie um inhaltliche, motivische und figurale Beziehungen und weniger um ästhetische oder Formprobleme." (S. 131). Anhand der Hartknopf-Figur in "Lienhard und Gertrud" wird dies untersucht. Pestalozzis Hartknopf lebt keineswegs in Moritz" Hartknopf-Roman mit anderem Vornamen weiter. Die mögliche Beziehung zwischen den beiden ist mit Sicherheit weit weniger eindeutig. "Beiden Figuren werden ketzerische Züge zugeschrieben, beide stoßen wegen ihrer dogmatischen Auffassungen auf Widerstand. Beide Hartknöpfe haben ein ambivalentes Verhältnis zur Rede ..." (S. 133). Ein möglicher Grund für Moritz" Interesse an Pestalozzis Hartknopf-Figur könnte laut Jahnke ein autobiographischer sein, da die für Hartknopf charakteristische Starrsinnigkeit wohl auch auf Moritz" Vater zutraf. Dann wird gefragt, ob sich weitere „Entsprechungen, Parallelen oder gar inhaltliche und motivische Anregungen für die Hartknopf-Romane bei Pestalozzi finden."(S. 134). Bei der Figur des Gastwirts Knapp sind Elemente Pestalozzischer Pädagogik zu finden. Aber „auch hier scheint die Beziehung vielschichtig und ambivalent zu sein." (S. 135). Der Autor untersucht nun Bilder und Symbole. Er schreibt, daß Moritz und Pestalozzi aus dem gemeinsamen Symbolvorrat ihrer Zeit schöpften, aber die persönliche Auffassung beider Autoren wird doch deutlich. Als Beispiel sieht der Autor die Sinnbilder Weg und Umweg und weitere Bilder an. Der Autor beschreibt Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Darstellungsweise der beiden Schriftsteller. Zum Schluß stellt er "einige Hypothesen zum Aneignungs- und Gestaltungsprozeß bei Moritz" auf.

Der Artikel enthält zahlreiche Anmerkungen.

(FR)