Johann Heinrich Pestalozzi

Theodor Ballauf

In: Fischer, Wolfgang / Löwisch, Dieter-Jürgen (Hrsg.): Pädagogisches Denken von den Anfängen bis zur Gegenwart. Darmstadt 1989, S. 154 - 168
SW: Anthropologie

Ballauf macht zunächst einige Angaben zur Biographie Pestalozzis. Er unterscheidet drei Gedankengänge, welche die Notwendigkeit und Berechtigung der Erziehung und Bildung begründen: eine sozialpolitische Begründung, eine anthoropologische Begründung und eine Begründung aus der menschlichen Verkehrtheit. Nach Ansicht Ballaufs wird man „Pestalozzi nur gerecht, wenn man seine Begründung der Erziehung im Sozialen und Politischen an den Anfang stellt. Die sachlichen Zusammenhänge zwingen ihn bald dazu, diesen Ansatz und Rahmen zu überschreiten.“ (S. 155).

Der Autor nennt zwei Aufgaben, die sich für Pestalozzi ergaben: die Armenerziehung und die Emporbildung des Menschen, daß heißt die Notwendigkeit von Bildung.

Pestalozzi sah die Erziehung als einzige Rettung des Volkes und der Menschheit. Man könne bei Pestalozzi „drei anthoropologische Gedankengänge verfolgen: der Mensch als „natürliches Wesen“, der Mensch als sittliches Wesen und der Mensch als das in Glauben und Liebe gewährte Wesen“. (S. 157). Der Autor beschreibt die drei Gedankengänge näher.

"Pestalozzis langer Lebensweg belehrte ihn über Liebe und Glauben als das Eigenste des Menschen, er lehrte ihn aber auch einsehen, daß der Mensch primär das Gegenteil lebt.“ (S. 163). „Diesen Gedanken des Menschen als Wesen der Verkehrtheit hat Pestalozzi in seinen späteren Schriften immer erneut behandelt. In dieser Einsicht liegt für Pestalozzi eine dritte Begründung der Erziehung.“ (S. 163). „Selbstsucht und Wohlwollen sind sozusagen die auf den Kopf gestellten Spiegelbilder des eigentlich Menschlichen: des Glaubens und der Liebe.“ (S. 164). „Trotz des Wissens um die wirklichen Menschen in all ihrer Verkehrtheit gibt Pestalozzi nie den Glauben an eine ‘Veredlung des Menschengeschlechts’ auf.“ (S. 165). Der Autor schreibt, daß Pestalozzis Theorie und Praxis nie ohne Kritik geblieben ist, und daß sich einem oft Kritik an ihm aufdränge. Aber trotzdem habe die Kritik nicht dazu geführt, Pestalozzi beiseitezuschieben. Als das Gewichtige sieht der Autor den gedanklichen Weg Pestalozzis an. „Denn in diesem Weg durchlaufen wir sowohl eine systematische Folge von interpretatorischen Überholungen als auch eine mehr geschichtliche Abfolge von Grundkonzeptionen, wie sie sich historisch nachweisen lassen.“ (S. 166). „Pestalozzis Werk steht für das Zustandekommen der neuzeitlichen Selbstinterpretation und ihrer Grundthese vom Menschen als Werk seiner selbst.“ (S. 166). „Pestalozzi gelangt in der Kritik an dieser These zur Wiederaufnahme eines immer schon in der Geschichte auffindbaren Grundgedankens vom Menschen als das sich selbst geschenkte Wesen ... „ (S. 166). „Pestalozzi gelangt ... zu einer These, die wohl erste Max Scheler in der Mitte das 20. Jahrhunderts aussprach und begründete ... „ (S. 166). „Die Menschlichkeit zeichnet nicht die Vernünftigkeit und ihre Autonomie aus, sondern vielmehr der ‘Geist’.“ (S. 166).

(FR)