Das pädagogische Problem der Strafe bei Johann Heinrich Pestalozzi

Rainer Manertz

In: Pädagogische Rundschau, Jg. 36, 1982, S. 521-533
SW: Strafe

Der Autor befürwortet eine Rückbesinnung auf "pädagogische Klassiker". Er begründet die Auswahl Pestalozzis wegen der Systematik seiner Methode. "Beim Thema 'Strafe' ist eine, für Pestalozzi eigentümliche ... Aufsplitterung seiner Gedanken zu verzeichnen ..." (S.521) Bei Pestalozzi findet man "keinen größeren, zusammenhängenden Beitrag zu diesem Thema" (S. 521). Es gibt noch kaum Aufsätze zu diesem Thema bei Pestalozzi. In einem problemgeschichtlichen Exkurs zeigt der Autor "die Widersprüchlichkeit der Strafe als Erziehungsmaßnahme" (S. 522). Für die Beurteilung des Strafproblems bei Pestalozzi sind allgemeine Einflußgrößen wesentlich. Zwei Faktoren sind wichtig: Pestalozzis enge Beziehung zu seiner Mutter und "die starke Bindung an die religiösen Verhältnisse seiner Eltern" (S. 524). Beeinflußt wurde Pestalozzi von Lavater und Rousseau. Im Gegensatz zu Rousseau ist Pestalozzi der Meinung, daß "ein Leben nach natürlichen Bedürfnissen ohne jede Reglementierung und Disziplinierung" (S. 525) die Menschen egoistisch und unsozial macht. Ein Vertrauensverhältnis zwischen Erzieher und Zögling führt zur Einsicht des Kindes. Bei Pestalozzi bilden Gehorsam und Strafe "Voraussetzungen ... für eine künftig um so positivere Kooperation und Kommunikation mit- und untereinander" (S. 525). "Frühe Auffassungen Pestalozzis zur Strafe finden sich im 1. Teil von 'Lienhard und Gertrud', der im Jahr 1781 erschienen ist." (S. 525). "Das Prinzip der Liebe korrespondiert mit dem des Gehorsams, beide sollen den Zögling zu eigener Verantwortung erziehen, 'Selbstkraft' und 'Selbsttätigkeit' fördern." (S. 526). Diese Grundsätze gelten auch für die schulische Erziehung, die für Pestalozzi die Fortsetzung der Wohnstubenerziehung bedeutet. In Band 3 von 'Lienhard und Gertrud' erfährt man vom Schulmeister Glüphi, daß er den Kindern Liebe und Respekt erweist (und sich damit positiv von seinem Vorgänger unterscheidet). Vor allem im Brief aus Stanz finden sich "dezidierte Äußerungen zur Strafe von Pestalozzi selbst" (S.527). Der "Stanzer Brief" darf "als erste systematische Darstellung der Theorie der sittlichen Erziehung und der Elementarmethode angesehen werden" (S. 527). Die erste Stufe der sittlichen Erziehung beschreibt die Entwicklung des gegenseitigen Vertrauensverhältnisses im Unterricht. Die zweite Stufe ist die Erziehung zur Selbsttätigkeit. Seine Erkenntnisse gewinnt Pestalozzi aus der Arbeit mit Waisenkindern. Eine wichtige Maßnahme ist "Stille als Mittel die Thätigkeit zu erzielen" (S. 528) und durch "bloße(n) Attitüde(n) eines tugendhaften Lebens ... mehr zur wirklichen Erziehung tugendhafter Fertigkeiten beitragen ..." (S.528). Die Strafe erscheint "eingebunden in den erzieherischen Prozeß" aber "in dienender Funktion" (S. 528). Mit der Strafe haben zu tun die "Funktion für die Entwicklung der Selbstzucht", Gehorsamsprinzip, der pädagogische Bezug und das Gespräch zwischen Lehrer und Schüler. Der Autor erläutert diese Prinzipien näher.Strafe sei für Pestalozzi "nicht eigentlich Erziehungsmittel" (S. 530). "Nach dem Scheitern der helvetischen Republik richtete Pestalozzi sein Hauptaugenmerk auf den Wiederaufbau eines eigenen Erziehungsinstitutes, das er mit Mitteln des Staates zu finanzieren suchte" (S. 530). Pestalozzi setzt sich in dieser Zeit mit Erziehungs- und Methodenfragen auseinander. Das Thema "Strafe" ist Inhalt zweier Schreiben. Der erste Brief stammt aus dem Jahr 1808 und zeigt, daß Pestalozzis Einstellung im Grunde gegen Körperstrafe gerichtet ist. "Schläge sind in allgemeinen ein des Erziehers unwürdiges Mittel." Er unterscheidet "die gegensätzliche Wirkung der Strafe des 'fremden Erziehers' gegenüber 'Vater- und Mutterstrafen'." (S. 530). In einem zweiten Brief begründet Pestalozzi warum "in einem speziellen Fall"(S. 531) ein Kind geschlagen wurde, obwohl das in Yverdon gegen die Ordnung des Hauses war. "Er leitet das Recht auf Körperstrafe ... von dem durch den Schüler gestörten Vertrauensverhältnis ... her" (S. 531). In diesem Fall hat die Strafe "beim Kind die Einsicht in sein Fehlverhalten erwirkt ..." (S. 531).Der Autor beschreibt, wie in neuer Zeit der pädagogische Bezug, d.h. die emotionale Beziehung zwischen Lehrer und Schüler faktisch nicht mehr so wichtig ist.

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