Der halbierte Pestalozzi : ein Votum für Sozialpädagogik in der Lehrerbildung

Horst Scarbath

In: Scarbath, Horst: Träume vom guten Lehrer. - Donauwörth 1992 (Bildung und Erziehung), S. 136-148
SW: Sozialpädagogik ; Lehrerbildung

Scarbath beginnt mit einem Zitat von Pestalozzi, daß "Schulunterricht der Umfassung des ganzen Geistes bedürfe." (Unterrichtliches Handeln, das nicht Familiensituation und Wohnumwelt, informelle Gruppen,...Erfahrungen mit Heimerziehung ... in den Blick nimmt, gehe fehl.) Er sagt, daß man nur ein hinreichend guter Lehrer oder eine hinreichend gute Lehrerin werden könne, wenn man sich auch sozialpädagogische Sichtweisen und Kenntnisse aneignet. In diesem Sinn will der Autor den Zusammenhang von Schule und Sozialpädagogik im Blick auf erforderliche Qualifikationen der Lehrerin und des Lehrers erschließen. (Pestalozzi könne daran erinnern, "daß es sowohl bei schulpädagogischen als auch bei sozialpädagogischem Sehen, Reflektieren und Handeln auf die "Umfassung des ganzen Geistes" ankommt..." (S. 137). "Pädagogische Verantwortung und auch erziehungswissenschaftlich aufgeklärte Kriterien pädagogischen Handelns sind unteilbar."(S.137). Der Autor weist darauf hin, daß man den Lehrer nicht nur als "Stundengeber" und den Sozialpädagogen nicht nur als "Sozialtherapeuten" sehen könne. Er stellt die These auf, "daß die Vernachlässigung sozialpädagogischer Elemente in der Lehrerbildung - insbesondere auch in deren erster Phase - zu einer unangemesssenen Verkürzung der Problemsicht und der Handlungsperspektive von Lehrerinnen und Lehrern führen kann." (S. 137). ("Pestalozzi war noch zugleich Didaktiker und Sozialpädagoge."(S. 137). Der Autor sieht zwar die Chancen der Erprobung neuer schulorganisatorischer Modelle und der Rolle des Beratungslehrers, aber auch die Grenzen. Weil das Auslesemotiv der Schule wieder in den Vordergrund trete, "schwinden die Chancen, in fördernd-individualisierenden Aktivitäten der Ausgangslage, dem alltäglichen Lebenskontext und dem je individuellen Lernfortschritt von Schülern hinreichend gerecht zu werden." (S.138). =schwinden die Chancen, der Ausgangslage und der Individualität von Schülern gerecht zu werden. Unter diesen restriktiven Bedingungen gerate die Sozialpädagogik auch an den lehrerbildenen Fachbereichen bzw. Hochschulen leicht in eine Randposition. Für unverantwortlich hält es der Autor, "daß einige deutsche Bundesländer den erziehungswissenschaftlichen Anteil speziell am Gymnasiallehrerstudium nach wie vor bzw. erneut extrem niedrig halten." (S. 139). Der Autor bemängelt eine "problematische Arbeitsteilung im praktischen Feld": Sozialpädagogische Kompetenz wird in eigens dafür spezialisierte Rollen ausgegrenzt. Er meint, die "Wiedergewinnung des Erzieherischen" setze voraus, "daß sich Lehrerinnen und Lehrer unabhängig von ihrer Schwerpunktqualifikation insgesamt nicht nur als Unterrichtende verstehen, daß sie vielmehr ihrem professionellen Selbstkonzept jene Aspekte pädagogischen Sehens, Denkens und Handelns integrieren, die hier unter der Chiffre "sozialpädagogisch" angesprochen sind" (S. 139/140).

(FR)