War Pestalozzi ein Ausbeuter?

Pestalozzi, die Indienne-Druckerei Laué und die Kinderarbeit

Kapitel 4 - Christian Friedrich Laués Biographie ...

... ist in grossen Zügen, teilweise aber auch sehr detailliert verfügbar gemacht worden durch seine Ur-Ur-Ur-Enkelin Lili Zschokke-Glarner. Auf der Basis des umfangreichen Laué-Nachlasses sind zwei Arbeiten entstanden: einerseits die vier einschlägigen Einträge im Biographischen Lexikon des Kantons Aargau (482 ff.), andererseits ein 48 Seiten starkes, maschinengeschriebenes Manuskript, das leider unvollendet geblieben ist und bedauerlicherweise just vor jenem Kapitel abbricht, das in unserem Zusammenhang das interessanteste wäre, nämlich: "Pestalozzi und der Indienne-Druck". Bedeutsam ist, dass Frau Zschokke Laué nicht bloss als erfolgreichen Geschäftsmann, sondern auch als einen gütigen und weitblickenden Menschen zeichnet, der sich seiner sozialen Verpflichtungen bewusst war.

Hier also ein biographischer Abriss in strenger Anlehnung an und streckenweise wörtlicher Zitierung von Lili Zschokke, teilweise gekürzt:

Christian Friedrich Laué wurde 1740 oder 1741 in Lippehne im heutigen Polen geboren. Nach dem Tode des Vaters kam er 1755 zum hugenottischen Kaufmann Abraham Garnier in die Lehre. Nach Abschluss der fünfjährigen Lehrzeit war er Handlungsgehilfe in Halle, dann Messediener und Angestellter einer Firma in Frankfurt an der Oder. Vom Herbst 1764 an reiste er für eine grössere Textilhandelsfirma in Magdeburg. 1766 löste er den für ihn ungünstigen Vertrag und reiste von nun an für die Indienne-Druckerei und Handelsfirma De Luze Père fils et Bosset (Neuenburg) zunächst in den deutschen Handelsstädten, dann nach der Schweiz (Zurzach, St. Gallen), und im Sommer 1773 zum ersten Mal nach Frankreich. 1774 gründete er mit J. J. Hollweg in Frankfurt am Main das Kommissionsgeschäft Hollweg & Laué und wurde Frankfurter Bürger. Unter den Schweizer Lieferanten befanden sich 1777 Gebrüder Hünerwadel in Lenzburg, eine leistungsfähige Indienne-Druckerei, die ab 1779 ständig mit zehn Drucktischen für Hollweg und Laué arbeitete. Hollweg trat 1780 aus der Firma aus; von jetzt ab hiess die Firma Laué & Co.

Laué war auf die Dauer mit der Produktion der Gebrüder Hünerwadel nicht zufrieden und suchte zu einer eigenen Fabrik zu kommen. Darum kaufte er 1781 dem Zürcher Johann Rudolf Dolder, dem späteren Mitglied des Helvetischen Direktoriums, eine kleine, nicht besonders gut gehende Stoffdruckerei in Wildegg ab. Kurz danach erwarb Laué das Bürgerrecht in Yverdon und wurde damit Berner Bürger, denn erst als Berner erhielt er die Liegenschaft im Aargau tatsächlich. Laué stockte die kleine Werkstatt in Wildegg auf, errichtete neue Gebäude und baute das 1776 erstellte Haus (seit 2002 im Besitz von Rolf und Carmen Baumann-Cantos, Veltheim) nach dem Vorbild seines Frankfurter Hauses um. Dolder wurde Fabrikdirektor (bis 1790), Laué selber wohnte meist noch während der Frankfurter Messe und im Winter in Frankfurt am Main und war trotz seiner bald fünfzig Jahre viel auf Reisen; erst als er sich 1790 verheiratete, hielt er sich mehr in Wildegg auf. Christian Friedrich Laué starb 1813, worauf die Firma von dessen Sohn Johann Friedrich Laué zusammen mit Adolf Friedrich Laué, dem Sohn eines Cousins und gleichzeitig Ehemann seiner Schwester (somit auch seinem Schwager) weitergeführt wurde.

Die Firma Laué & Co., ab 1794 Laué De Luze & Co., hatte zunächst sehr gute Zeiten; doch während der Napoleonischen Kriege gab es starke Schwankungen. Der eigentliche Niedergang begann erst nach dem Tode Christian Friedrich Laués und dem Einsetzen der englischen Konkurrenz nach 1815. Bis gegen 1840 war der aargauische wie der neuenburgische Indienne-Druck verschwunden.

Christian Friedrich Laué war ein Mensch von weitem Blick und großer Güte. Als Geschäftsmann muss er die seltene Begabung besessen haben, die Ereignisse auf wirtschaftlichem Gebiet richtig vorauszusehen. Seine in ausgezeichnetem Französisch geschriebenen Briefe zeigen ihn als hochgebildeten Menschen und Freund der Aufklärung und des Fortschrittes. Mit zahlreichen bekannten Persönlichkeiten der Helvetik stand er im Briefwechsel. ... Es finden sich zahlreiche Dankschreiben von Leuten, denen er geholfen oder für die er sich verwendet hatte. Als die Fabrik während der Kriegsjahre schlecht ging, führte er den Betrieb selbständig weiter, selbst mit Verlusten, damit die Leute nicht um ihr Brot kämen. Eine Zeitlang war er Mitglied des Commerzienrates des Kantons Aargau, doch ist er in der Politik nie hervorgetreten; er war spät in seine Wahlheimat gekommen und erst mit sechzig Jahren hier sesshaft geworden, kannte wohl auch keinen Ehrgeiz. Er scheint mehrmals in wirtschaftlichen Angelegenheiten von der aargauischen wie von der schweizerischen Regierung konsultiert worden zu sein - es sind Denkschriften zu verschiedenen Themen vorhanden -, war wohl auch durch seine große Korrespondenz einer der bestinformierten Männer des Kantons.

Immer wieder taucht die Frage auf, ob Chr. Fr. Laué Hugenott gewesen sei: Tatsächlich deutet vieles daraufhin. Seine Freunde, seine Prinzipale sind Hugenotten, in Frankfurt unterstützt er einen reformierten Kirchenbau finanziell usw., aber es dürfte schwer sein, den Nachweis zu erbringen.

Frau Zschokke-Glarner gibt als Quelle die Briefe an, einerseits im Besitz des aargauischen Staatsarchivs, anderseits im eigenen Besitz. Diese sind 1999 ebenfalls dem Staatsarchiv Aargau überlassen worden. Abgesehen von einer einzigen Ausnahme fehlen leider nach wie vor alle Stoffmuster, die Frau Zschokke in der Einleitung ihres unvollendeten Manuskripts als den Geschäftsbriefen beiliegend erwähnt, und schliesslich fehlt im gesamten Laué-Nachlass des Staatsarchivs jeglicher Bezug zu Pestalozzi. Weder sind Briefe von ihm noch solche an ihn (z.B. in Kopie) erhalten. Ausfindig machen liess sich immerhin ein Musterbuch des Hauses Laué, in dem rund 1000 (!) verschiedene Stoffmuster in der Grösse von 81 x 51 resp. 51 x 107 mm eingeklebt sind. Im Manuskript von Lili Zschokke-Glarner ist dieses Musterbuch erwähnt und auf ca. 1802 datiert. Ingrid Ehrensperger setzt das Datum auf der Basis von kunst- und modehistorischen Überlegungen "um oder nach 1810" (E-Mail) an. J.F. Keller vom Stoffdruckmuseum Mühlhausen hält den Zeitraum zwischen 1812 und 1815 auf Grund drucktechnischer Merkmale für den frühest möglichen. Da aber einerseits die erhaltenen Stoffmuster nach Aussage desselben Gewährsmannes teilweise im neueren Rouleauxdruck bemustert wurden und andererseits einem Zeugnis von Christian Friedrich Laués Sohn Jakob Friedrich zu entnehmen ist, dass "erst im J. 1826, nachdem ein grosser Theil der Fabrik abgebrochen und nach einem allgemeinen Plane wieder aufgebaut war, ... der Walzendruck eingerichtet" wurde (Herzog von Effingen, 499 f.), ist das Buch entweder erst nach diesem Jahr entstanden oder - was als wahrscheinlich gelten darf - war es über viele Jahre im Gebrauch, indem die jeweils neuen Muster einfach in die reichlich zur Verfügung stehenden leeren Seiten eingeklebt wurden. Für diese Entstehensweise spricht denn auch, dass nach wie vor viele Seiten unbeklebt geblieben sind. So oder so: Die im Musterbuch erhaltenen Stoffe stehen jedenfalls in keinem Zusammenhang mit der Arbeit, die die Kinder auf dem Neuhof in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts verrichteten. Die Technik hatte sich rasant entwickelt, und - wie die Muster zeigen - war es in der Zwischenzeit auch möglich geworden, blaue und grüne Farbe zu drucken bzw. vorgefärbte Stoffe farbig zu bedrucken (siehe Bildteil).

Im übrigen ist zu bemerken, dass es - abgesehen vom oben ausführlich zitierten Lexikon-Eintrag und einem Aufsatz in der Chronik von Möriken-Wildegg, verfasst von Frau Dr. Heidi Neuenschwander - so weit ich sehe keine nennenswerte Literatur über das Haus Laué gibt, weshalb es nicht überrascht, dass Anne Jean-Richard in ihrer Dissertation (1968) bei den Aargauer Zeugdruckereien zwar die Wildegger Gründung durch Dolder im Jahre 1757 angibt, aber den viel bedeutenderen Laué nirgends erwähnt. Ebenso erscheint Laué nicht in der von Caspard vorgelegten Genealogie der Indienne-Gesellschaften, die von DeLuze Meuron et Cie. in Le Bied ausgehen, obwohl er dort eindeutig hingehörte (Caspard, 43). Und auch Ehrensperger erwähnt Laué nicht bei der Nennung der Geschäftspartner des Hauses DeLuze (Ehrensperger, Seebutz 31). Der Grund dürfte darin liegen, dass der Laué-Nachlass sehr lange in Privatbesitz blieb.