War Pestalozzi ein Ausbeuter?

Pestalozzi, die Indienne-Druckerei Laué und die Kinderarbeit

Kapitel 5 - Peter Stadlers Sicht ...

... der Zusammenarbeit zwischen Pestalozzi und Laué wird ersichtlich im 14. Kapitel seines ersten Pestalozzi-Biographiebandes, betitelt "Der Kleinunternehmer". Hier nimmt er sich der Laué-Briefe an und kommt zum bündigen Schluss, Pestalozzi sei "vor längerer Zeit ... wieder ins Geschäftsleben zurückgekehrt" und habe "die Doppelexistenz eines Schriftstellers und eines kleinen Textilunternehmers" geführt. Als Beleg führt er an, es gäbe seit 1784 "in unregelmässiger Folge eine Reihe von Aufträgen und Begleitbillets für Lieferungen, gerichtet an die Firma Laue und Companie in Wildegg". Pestalozzi sei "einer von den Zulieferern dieses Unternehmens" gewesen, wobei es "um die Fertigung von Tüchern" gegangen sei. "Dass er dabei von Kinderarbeit Gebrauch machte, geht aus mehreren dieser Geschäftsberichte hervor." In diesem Zusammenhang zitiert er den eingangs vorgestellten Brief ausführlich und schliesst mit dem Kommentar: "Also Lohnabzug bei ungenügender Arbeit. Pestalozzi hielt es nicht anders als andere Unternehmer auch, zumal er sich Menschenliebe wohl noch weniger als seine Konkurrenten leisten konnte. Offenbar hat er auch keinen Versuch mehr gemacht, an Kindern seine Erziehungsmethoden zu erproben, sondern sich auf das Geschäftliche beschränkt. Am 30. September 1785 bestätigte er den Empfang von 'zehn neu Louisdor' und fügte sehr höflich bei. 'Ich danke für Ihre diesfelige Güte und versichre Sie, dass ich es mir fehrner angelegen syn lassen werde, Ihre hiesige Gescheffte so vill, als mir müglich ist, zu förderen.' Er brauchte diese Aktivität, die ihn wohl buchstäblich am Leben erhielt, sich über Jahre erstreckte und die Staatsumwälzung von 1798 überdauerte. In beinahe feierlichen Worten hat er am 24. April 1800 die Firma wissen lassen, wieviel ihm die Mitarbeit bedeutete: 'Ich danke Ihrem mir sint Jahren geschenkten Zutrauen meine öconomische Errettung. Wenigstens haben Sie dadurch den schweren Gang meines Lebens unendlich erleichtert ... ' Bei diesem Anlass erfährt man auch, dass er der Firma einen Betrag von 3192.7 Livres schulde und bereit sei, sie in Form einer Hypothek sicherzustellen. Die Lage hatte sich also immer noch nicht gebessert, sie blieb prekär trotz wachsender Berühmtheit und politischer wie pädagogischer Profilierung"
(Stadler, 345 f.).
Dieses Zitat verrät Stadlers Tendenz (die sich dann im 2. Band seiner Geschichtlichen Biographie Pestalozzis auffällig zuspitzen sollte), Pestalozzi vom Sockel herunter zu holen und seine sprichwörtlich gewordene Menschlichkeit dem heutigen Zeitgeist gemäss als Mythos zu entlarven. Eine solche Aktivität ist natürlich verdienstvoll, so lange sie sich im Rahmen der erwiesenen Tatsachen bewegt und der Wahrheit dient. Hier jedoch werden Interpretationen vorgetragen, die sich aus den Tatsachen nicht herleiten lassen. So glaubt Stadler, den Laué-Briefen entnehmen zu dürfen, dass Pestalozzi einer der Zulieferer des Unternehmens war und dabei von der Kinderarbeit Gebrauch machte. Er lässt keinerlei Zweifel darüber aufkommen, dass Pestalozzi als "Kleinunternehmer" und "Zulieferer" selber Geschäfte machte und, insofern Kinder bei ihm arbeiteten, an diesen sein Brot verdiente.