Emanuel Dejung (1900-1990) im Austausch mit Leonhard Froese (1924-1994)

Gerhard Kuhlemann

I. Zur Einführung

Im Nachlass des Marburger Erziehungswissenschaftlers Prof. Dr. Leonhard Froese finden sich aus den Jahren 1967 bis 1987 insgesamt 22 maschinenschriftliche Briefe von Emanuel Dejung, dagegen sind die Briefe Froeses an Dejung nur mit wenigen Ausnahmen vorhanden  . Die Briefe Dejungs zeigen dessen unermüdlichen Einsatz für Johann Heinrich Pestalozzi, aber auch die Schwierigkeiten, mit denen er in diesen Jahren bei der Fortführung seiner editorischen Arbeit und der Herausgabe von Pestalozzis Sämtlichen Werken und Briefen zu kämpften hatte. Brühlmeier   beschreibt In seiner Würdigung von Dejung eindrucksvoll dessen Verdienste bei der Bearbeitung und Herausgabe von Pestalozzis Werken und Briefen: 1927 beginnend als Assistent der Herausgeber Buchenau, Spranger und Stettbacher und ab Ende 1938 als verantwortlicher Redaktor (Redakteur) der Gesamtausgabe. In dieser Funktion hat Dejung zahlreiche Bände der 31bändigen Werkausgabe (PSW 1- 29) und die gesamte 13bändige Briefausgabe (PSB 1-13) als alleiniger Bearbeiter herausgebracht. Brühlmeier sieht dabei die Rolle des Pestalozzianums, des Kantos Zürich und der Stadt Zürich bei der Unterstützung von Dejungs editorischer Arbeit sehr positiv und schreibt: „Dass sie [die für die Fortführung der Arbeit nötigen Kredite, GK] immer wieder vom Kanton und der Stadt Zürich, vom Kanton Aargau, von der Stadt Winterthur und vom Schweizerischen Nationalfonds erwirkt werden konnten, gereicht diesen Körperschaften zur Ehre und soll dankbar festgehalten bleiben.“ (ebd. S. 200). Allerdings sprechen die Briefe des späten Dejungs eine andere Sprache, sie zeigen eine tiefe Zerrüttung zwischen Dejung und den genannten Institutionen. Brühlmeier sieht darin ein tragisches Altersgebrechen: „Auch wenn sich zunehmend sein tragisches Altersgebrechen - eine unüberwindbare Starrheit –   durchsetzte“ (ebd. S. 204), könnten diese Schattenseiten jedoch nicht die grossen Verdienste Dejungs für die Pestalozziforschung mindern. Die genannte Entwicklung zeigt sich sehr deutlich in Dejungs Briefen an Froese, letztlich kann man keine Förderung von Institutionen erwarten, indem man diesen nicht nur deutliche Spartendenzen bei den ausstehenden Arbeiten bei der Herausgabe von Pestalozzis Werken vorwirft, sondern die Entscheidungsträger - auch öffentlich - persönlich massiv angreift, was besonders deutlich die beiden Briefe bzw. Eingaben Dejungs an Alfred Gilgen, den Erziehungsdirektor des Kantos Zürich, zeigen.

Emanuel Dejung (1900-1990) war unbestritten ein aussergewöhnlicher Pestalozziforscher, der neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Leiter der Stadtbibliothek Winterthur zahlreiche Schriften und Beiträge in Zeitschriften veröffentlichte und sich besonders mit der Herausgabe von Pestalozzis Werken und Briefen ein bleibendes Denkmal gesetzt hat. Im Zusammenhang mit seiner Ehrenpromotion am 15. Dezember 1982 an der Philipps-Universität Marburg hat Dejung an Froese eine Auswahl seiner Veröffentlichungen bis 1982 übersandt, die über 90 Titel zum Bibliothekswesen, zur Geschichte und besonders zur Pestalozziforschung umfasst.

Leonhard Froese (1924-1994) gab an der Philipps-Universität Marburg der Pestalozziforschung wesentliche neue Impulse. In mehreren Vorlesungs- und Seminarreihen, eigenen Veröffentlichungen und durch die Betreuung mehrerer Dissertationen im Rahmen der Pestalozziforschung wird dies deutlich.   Froese setzte damit eine Tradition an der Philipps-Universität Marburg fort, die bereits mit Paul Natorp (1854-1924) begann, der als Philosoph und Pädagoge als Mitbegründer der Marburger Schule des Neukantianismus gilt, der aber auch zahlreiche sozialpädagogische Schriften und 1909 mit einem weitverbreiteten und vielfach aufgelegten Werk: „Pestalozzi. Sein Leben und seine Ideen“  hervortrat. Mit Froeses Vorgängerin auf dem Lehrstuhl in Marburg, Elisabeth Blochmann (1892-1972), ab 1952 der ersten Professorin für Pädagogik an der Philipps-Universität Marburg, war ebenfalls eine Pestalozzi-Kennerin in Marburg tätig, deren Schwerpunkte zuvörderst im Bereich der Sozialpädagogik, der Lehrerbildung, der Vorschulerziehung und der weiblichen Bildung lagen. Auch Froeses Marburger Kollege Wolfgang Klafki (1927-2016) hat sich neben seinen bildungstheoretischen, bildungspolitischen und didaktischen Werken sehr stark mit Pestalozzi befasst, so in seiner Göttinger Dissertation von 1957 „Das pädagogische Problem des Elementaren und die Theorie der kategorialen Bildung“   und mit der vielfach aufgelegten Veröffentlichung zu Pestalozzis Stanser Brief: „Pestalozzi über seine Anstalt in Stans. Eine Interpretation von Wolfgang Klafki.“  .

II. Der Briefwechsel von Dejung und Froese

In den Briefen an Froese aus den Jahren 1967 bis 1987 setzt sich Dejung mit seiner Arbeit an der Herausgabe von Pestalozzis Werken und Briefen, mit der Arbeit anderer Autoren, mit Details zu Froeses Veröffentlichungen, mit den Schwierigkeiten der Finanzierung seiner Tätigkeit bei der Bearbeitung und Herausgabe von Pestalozzis Werken und mit seinen Bemühungen zum Nachdruck vergriffener Bände der Werk- und Briefausgabe auseinander. Die Briefe Dejungs an Froese werden dabei nicht in ihrem vollen Wortlaut wiedergegeben, sondern in kürzeren Zusammenfassungen, nur der letzte Brief vom 8. April 1987 wird diesem Beitrag als Dokument beigefügt.

Am 3. April 1967 schreibt Dejung, dass er über alle Arbeiten zu Pestalozzi froh sei, und die ihm von befugter Seite doppelt willkommen seien. An Froeses Aufsatz „Das Phänomen Pestalozzi - Gehalt und Gestalt“   kritisiert er recht kleinlich: „In der Schweiz sprechen wir auch nicht von Schwyzern (Bewohnern des Kantons Schwyz), wenn wir die Schweizer, als Bewohner der Schweiz meinen“. Am 30. Dezember 1969 berichtet Dejung, dass die von ihm bearbeitete Ausgabe der Briefe Pestalozzis kurz vor ihrem Abschluss stünde und 1971 der letzte Band erscheinen würde, und er sich zugleich intensiv um Nachdrucke vergriffener Werkbände bemühe. Am 19. Oktober 1971 wird Dejung deutlicher: Während die Finanzierung der Briefbände und der noch ausstehenden 7-8 Werkbände durch Subventionen des Pestalozzianums Zürich gesichert seien, möge sich Froese um ca. 200.000.- DM bemühen, um damit auch Nachdrucke der in Deutschland bei de Gruyter in Berlin erschienenen Werkbände zu ermöglichen, da Schweizer Behörden keine Subventionen an deutsche Verlage gewähren würden.  

In seinem Brief vom 17. September 1980 verwahrt sich Dejung heftig gegen Froeses Aussage, Dejung „gehöre mehr der traditionell orientierten Pestalozzi-Rezeption an“ und wendet sich ausserdem gegen Jean Piaget, der Pestalozzi „ohne Beleg ihm jeder Erfindung abspricht“ mit Hinweis auf seine Veröffentlichung in der Zeitschrift Pestalozzianum. Zu Israels dreibändiger Pestalozzi-Bibliographie   bemerkt Dejung:  „Der wohl halbslawische Nichtjude Israel - vorher Ysterhel - hat als Lutheraner den Zwinglianer Pestalozzi religiös nicht verstanden“ und habe den Demokraten Pestalozzi zu Unrecht zum „kerndeutschen“ Mann gemacht. Besonders kritisch äussert sich Dejung zur Marburger Diskussion zum politischen Pestalozzi, sie stehe für das was Pestalozzi als „Bücherweisheit“ oder „Papierwissenschaft“ bezeichnet habe. Das Buch „Zur Diskussion“   lasse zudem die spezifischen Schweizer Verhältnisse ausser Acht, auch müsse die Fertigstellung der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Werken, das Ergebnis eines noch fehlenden Registers, einer umfassenden Bibliographie und einer wissenschaftlichen Gesamtbiographie abgewartet werden, um ein zutreffendes Urteil über Pestalozzi abgeben zu können.

Am 31. Oktober 1980 bedankt sich Dejung bei Froese für dessen Glückwünsche zu seinem 80. Geburtstag und wünscht Froese nach seiner Operation „volle Genesung“ und „viel Mut in einer Welt, die im Materialismus wie in einem Frost erstarrt ist und doch etwas von der Gesinnung Pestalozzis so dringend bedarf“. Während alle anderen Briefe Dejungs mit Schreibmaschine geschrieben sind, ist dieser Brief das einzige von Dejung handschriftlich verfasste Dokument. 

Am 18. November 1980 beantwortet Froese den Brief Dejungs vom 17. September 1980, eine der wenigen Antworten, die in den Unterlagen von Froese enthalten ist. Froese erwidert, dass er und die anderen Pestalozzi-Forscher (er nennt Kuhlemann, Manertz und Stübig) Dejung nicht in die traditionelle Position rücken möchten und fährt fort: „Vielmehr sehen wir in Ihnen [Dejung, GK] den Nestor der Pestalozzi-Forschung und würdigen Sie als einen Wissenschaftler, dessen langes, arbeitsreiches Schaffen wesentlich dazu beigetragen hat, neue Zugänge zu Pestalozzi und zu seiner Rezeption zu eröffnen.“

In einem längeren Brief vom 16. Dezember 1980 geht Dejung ausführlich auf seine Sicht der Unterschiede zwischen dem deutschen und schweizerischen historischen Hintergrund ein. Indem man von Pestalozzis Lebensgeschichte, seiner landes- und zeitgeschichtlichen Verwurzelung absehe, bestehe die Gefahr, dass man viel Unrichtiges in Pestalozzi hineinlege. Weil man den Schweizer Ursprung Pestalozzis übersehe, ebenso wie die Veränderungen der Schweizer Geschichte (Helvetische Revolution), unterstelle man Pestalozzi zu Unrecht eine Änderung seiner politischen Gesinnung. Im zweiten Teil des Briefs geht Dejung detailliert auf den Stand der Fortführung seiner Arbeiten an der Pestalozzi-Bibliographie ein, er selbst habe bereits über 13.000 Titel zusammengestellt und ihn beschäftige an erster Stelle das Problem der Subvention für die weiteren editorischen Arbeiten, vor allem die Finanzierung der beabsichtigten Bibliographie. Der von Klink 1968 vorgelegten Bibliographie   bescheinigt Dejung eine „recht dilettantische Art des Vorgehens“. Zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und den Marburger Forschern schreibt er abschliessend: „Die pluralistische Haltung der Zürcher Kirche, der Pestalozzi stets verbunden blieb, möchte Sie zum Verständnis führen, wenn wir als Schweizer uns nicht an abweichenden Meinungen stossen, wenn uns vielmehr daran liegt, über Irrtümer zur Wahrheit zu reisen.“

In den beiden Briefen Dejungs vom 22. und 29. Oktober 1981 artikuliert diese seine Enttäuschung, dass die Finanzierung der Edition der Pestalozzi-Bibliographie nicht zustande komme, denn man wolle in Zürich aus Spargründen nicht begreifen, dass die Werk- und Briefreihe ohne Literaturübersicht nur „halb zugänglich“ und das Interesse in Zürich für Wissenschaft ganz allgemein derzeit „minim“ sei. Auch die Mittel zur weiteren Edition der Werkausgabe würden beschränkt und man wolle auch keinen Nachfolger für die weitere Redaktion bestellen oder gar bezahlen. Am 9. November 1981 betont Froese in einem Brief an Dejung recht ausgleichend, dass die nicht immer deckungsgleichen Positionen nicht spezifisch deutsch bzw. schweizerisch seien, sondern allein das gemeinsame Bemühen um eine möglichst wahrheitsgetreue Pestalozzi-Interpretation zeigten.

Im Brief vom 26. Mai 1982 beschreibt Dejung aus seiner Sicht eindrücklich das Dilemma: Während sich im Pestalozzianum rund 50 Personen mit „technisierter Pädagogik“ beschäftigten, distanziere sich Direktor Wymann von der historischen Forschung. Wegen Spartendenzen solle Dejung die Werkausgabe mit nur noch 4 Bänden statt der erforderlichen 10-11 Bände abschliessen, wobei ihm zugleich ein Nachfolger als Redaktor der Pestalozzi-Ausgabe verweigert werde. Dejung will keine weiteren Bände mehr zum Druck bringen und wolle sich zukünftig allein auf die Vorbereitung der weiteren Edition beschränken und schliesst verbittert: „Den Ignoranten, die meinen Lebensabend schon etwas verteufelt haben, muss ich wegen der ihnen fehlenden Kenntnis verzeihen, lasse mir kein Ultimatum gefallen“.

Im Vorfeld der am 15. Dezember 1982 auf Initiative von Froese vom Fachbereich Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg geplanten Ehrenpromotion von Dejung liegen mehrere Briefe Dejungs an Froese vor. Nachdem Froese ihm im Laufe des Jahres 1982 wohl Andeutungen über eine geplante Würdigung gemacht hatte, gibt Dejung am 29. Mai 1982 einen Überblick über seinen Lebenslauf, seine autobiographischen Angaben ergänzt Dejung in einem Brief vom 30. Juni 1982 und kritisiert darin Blankertz  , dass dieser Dejungs Arbeiten über Pestalozzi gar nicht zu kennen scheine. In einem weiteren Brief ohne Datum geht Dejung nochmals auf Blankerts Buch zur Geschichte der Pädagogik ein, das „mit totaler Unkenntnis aller Bemühungen um Pestalozzi“ geschrieben sei und hadert gleichzeitig mit der Schweiz und speziell Zürich, dass dort die Lage katastrophal sei: „Mein Vorschlag 1975, mir einen Nachfolger zu geben, wurde, angeblich aus Spargründen, real aus Gegnerschaft zu Pestalozzi abgelehnt. … Auf Anfang 1982 habe ich meinen Rücktritt als Redaktor erklärt, werde keinen Band mehr drucken (nachdem das Programm von zehn Bänden auf drei reduziert wurde) und bin jetzt Privatgelehrter.“

Schon am 29. Mai 1982 hatte Dejung seinen von Froese gewünschten Lebenslauf übersandt und zugleich separat zahlreiche seiner Schriften. Nachdem Dejung 1924 mit einer Arbeit über Albrecht Rengger   promoviert hatte, absolvierte er eine Bibliothekslehre und war von 1929 bis 1965 Leiter der Stadtbibliothek Winterthur. Dejung berichtet weiter über seine Beteiligung an der Gesamtausgabe von Pestalozzis Werken ab 1932/33 und der Übernahme der Redaktion an der Gesamtausgabe ab 1938. Durch eine teilweise Reduzierung seiner Arbeitszeit in den Jahren 1958 bis 1965 konnte von ihm jährlich ein weiterer Werkband bearbeitet werden und nach seinem Ruhestand konnte Dejung ab 1966 vollzeitlich für die Werkausgabe wirken, aber nach 1975 sieht er die Arbeit zunehmend schwieriger werden. Der Brief endet mit der Enttäuschung: „Nachdem man in Zürich aus ökonomischen, pädagogischen und andern [Hervorhebungen im Original, GK] Gründen Pestalozzi nicht mehr voll anerkennen will, bin ich froh, wenn sich jemand dieser Angelegenheit annehmen will.“ Am 30. Juni 1982 vervollständigt Dejung die Angaben zu seinem Lebenslauf und sendet an Froese weitere Bücher zu Themen ausserhalb der Pestalozzi-Forschung. Ein weiterer Seitenhieb auf Blankertz fehlt nicht, dieser scheine die Schriften Pestalozzis „noch gar nicht zu kennen“ und er wiederholt in seinem Brief vom 29. Oktober 1982, dass das Buch von Blankertz „Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart“ „mit totaler Unkenntnis aller Bemühungen um Pestalozzi“ geschrieben sei. Gleichzeitig zeige sich in Zürich eine Gegnerschaft zu Pestalozzi, die Finanzierung der weiteren Arbeit sei nicht nur aus Spargründen abgelehnt worden, die Lage in Zürich sei geradezu „katastrophal“.

Am 17. November 1982 berichtet Dejung, dass er Anfang des Monats von den beiden japanischen Professoren Miyazaki   und Morikawa   besucht worden sei, die ihm von den Vorbereitungen für die Ehrenpromotion verraten hätten. Dejung bedankt sich bei Froese über die geplante Ehrung: „Gerade im heutigen Zeitpunkt, wo in Zürich aus angeblichen Spargründen Pestalozzi abgewürdigt werden soll, um keine Erziehung mehr zu fördern, nur noch technisch orientierten Grundunterricht zu pflegen, dürfte die Ehrung eines ‚Kärrners‘ einen besonderen Wert haben“, und er hofft auf eine deutsch-schweizerische Zusammenarbeit sowie auf das spätere Gelingen des Vorhabens, die Edition zu Ende zu führen.

Am 15. Dezember 1982 wurde Dejung auf Vorschlag einer vom Fachbereichsrat eingesetzten Kommission und unter dem massgeblichen Einfluss von Froese die Ehrendoktorwürde DOKTOR HONORIS CAUSA verliehen. In der Laudatio des Dekans Prof. Dr. Ulrich Kasztantowicz   werden die Probleme Dejungs bei der Edition von Pestalozzis Werken nicht angesprochen. Es wird zuerst von der Tradition der Pestalozzi-Rezeption an der Philipps-Universität Marburg über P. Natorp, Elisabeth Blochmann, W. Klafki, L. Froese und mehreren Dissertationen zur Pestalozziforschung berichtet, dann wird der biographische Werdegang Dejungs beschrieben, wobei ausführlich seine massgebliche Beteiligung bei der Edition von Pestozzis Werken und Briefen hervorgehoben wird, deren Herausgabe erst die Grundlage für die aktuelle Pestalozzi-Rezeption geschaffen habe: „Der heutige Stand der Pestalozzi-Rezeption und -Diskussion hat darin seine einzigartige unübertreffliche dokumentarische Basis. Gerade für die Diskussion des ‚pädagogischen Pestalozzi‘ im engeren Sinne, also die Entstehung und Entwicklung des erziehungstheoretischen Denkens und pädagogischen Handelns Pestalozzis in und nach der Helvetik (Stanser Brief und folgende Arbeiten) war und ist die editorische Dokumentationstätigkeit Dejungs unentbehrlich geworden“ [Hervorhebung im Original, GK]. Neben den editorischen Leistungen Dejungs werden dessen zahlreiche Publikationen im Umfeld der Pestalozzi-Forschung angeführt und zugleich dessen Publikationen zum Bibliothekswesen und zur Buchgeschichte, vor allem die Monographie „300 Jahre Stadtbibliothek Winterthur 1660-1960“.  

Am 6. Dezember 1982 bedankt sich Dejung bei Froese für die Einladung vom 23. November 1982 nach Marburg und kündigt seine Ankunft für Dienstag, 14. Dezember, 17.30 Uhr mit der Bahn in Marburg an und plant seine Abreise für Freitag, 17. Dezember morgens. Besonders will sich Dejung um den Druck der drei Bände der Bibliographie bemühen, deren Druck de Gruyter in Berlin übernehmen soll und den die deutschen Professoren Kern und Wittig   redigieren würden. Am 23. Dezember 1982 bedankt sich Dejung für die unvergesslichen Tage in Marburg und die Ehrenpromotion und bietet Froese und den Herren, die seinen Aufenthalt durch „ihre rührende Aufmerksamkeit so angenehm gemacht haben“ vier Bände der Werkausgabe und die Bibliographie seiner eigenen Veröffentlichungen an. Am 18. Januar 1983 bedankte sich Dejung nochmals für die Ehrung und berichtet gleichzeitig über den Stand der Nachdrucke vergriffener Werk- und Briefbände. Er hofft auf Hilfe von deutscher Seite beim Nachdruck vergriffener Bände bei de Gruyter und hält dafür einen Betrag von SFR 5.000.- als Druckkostenzuschuss bereit. Am 7. Februar 1983 berichtet Dejung sehr erfreut darüber, dass Orell Füssli in Zürich vergriffene Bände nachgedruckt habe, so die Werkbände PSW 15, 21 und 23 und die Briefbände PSB 5, 6 und 7. De Gruyter in Berlin habe seit 1927 insgesamt 15 Bände herausgebracht, aber zum Nachdruck der vergriffenen sieben Bände sei die Finanzierung äusserst schwierig gegen die Spartendenzen in beiden Ländern. Am 3. März 1983 bedankt sich Dejung nochmals für das unvergessliche Erlebnis in Marburg und sendet Froese noch Nachdrucke einzelner diesem noch fehlender Werk- und Briefbände. Dejung äussert zugleich die Hoffnung, dass trotz aller Sparpläne doch noch der Druck der dreibändigen Bibliographie und die Nachdrucke vergriffener Werkbände bei de Gruyter in Berlin verwirklicht werden könnten. Er selbst will noch drei Jahre an den ausstehenden Bänden arbeiten, „damit ein mir versagter Nachfolger zwar kein druckfertiges Material übernehmen kann, aber doch auf gesicherter Vorspur weiter tätig sein kann. Nun, wir wollen sehen, was das Leben noch alles zu bringen hat, unser Werk würde es verdienen, nicht jedem Sparonkel zum Opfer zu fallen, wie dies gegenwärtig der Fall ist.“ 

Wenig später sendet Dejung an Froese ein 7seitiges Dossier mit Datum 10. März 1983 an den Erziehungsdirektor des Kantons Zürich, Herrn Dr. A. Gilgen  , in dem er ausführlich seine Arbeit als Redaktor der Werk- und Briefausgabe Pestalozzis schildert, vor allem die Schwierigkeiten bei der Weiterführung dieser Arbeiten seitens des Pestalozzianums, er nennt besonders Direktor Wymann  , und dass ihm auch kein Nachfolger als Redaktor zugebilligt werde. Auch an den Erziehungsdirektor selbst richten sich seine massiven Vorwürfe, man habe verfügt, die Briefedition abzubrechen und man plane statt dessen ein Machwerk, „das nicht als würdiger Abschluss der Gesamtausgabe gewertet werden kann.“ In einem weiteren 7seitigen Dokument mit Datum vom 10. Juli 1983 an den Erziehungsdirektor Dr. A. Gilgen befasst sich Dejung mit seinen Plänen zu Fertigstellung der Werk- und Briefausgabe. Dabei sieht er sich verkannt, denn man wolle seine Arbeit nicht fortsetzen, sondern mit wenigen unwissenschaftlichen Auswahlausgaben abschliessen. Für Gilgen führt er das englische Sprichwort an: „Regierenden geben die Sterne wenig Licht, weil sie sich (zu) hoch oben fühlen“. Besonders kritisch äussert sich Dejung in diesem Schreiben zu den Autoren Fritz Huber  , Heinrich Walter   und Heinrich Roth  . Diese für die Herausgabe der Auswahlausgaben vorgesehenen Autoren seien letztlich alle für diese wissenschaftliche Arbeit untauglich. Hans Stettbacher, immerhin von 1922-1954 Leiter des Pestalozzianums in Zürich und Mitherausgeber der wissenschaftlichen Werkausgabe nach 1927 wird von Dejung als eine „freundliche, eher schwache Gestalt“ bezeichnet.

Am 20. April 1983 schreibt Dejung, dass er noch an den 10 ausstehenden Bänden der Werkausgabe weiterarbeiten werde und diese so weit vorbereite, dass ein Nachfolger sich damit zurechtfinden könne. Die Ehrenpromotion in Marburg sei zwar in Bern, Stäfa und Winterthur bekannt gemacht worden, aber nicht in Zürich, so habe beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) nicht darüber berichtet.  Ein letzter Brief Dejungs datiert auf den 8. April 1987. Nach den Enttäuschungen der Vorjahre sieht Dejung in einer neuen Kommission Entscheidungen, die eine Fortführung der Arbeit an der wissenschaftlichen Gesamtausgabe der Werke und Briefe Pestalozzis ermögliche, auch wenn er selbst den Abschluss des Druckes wohl kaum mehr erleben werde.

Am 22. Januar 1990 verstarb Dejung im 90. Lebensjahr, seine Traueranzeige steht unter einem Zitat Pestalozzis:
 

„Ich habe keinen Theil an allem Streit der Menschen über
ihre Meynungen, aber das, was sie fromm und brav und treu
und bider machen, was Liebe Gottes und Liebe des Nächsten
in ihr Herz, und was Glück und Segen in ihr Haus bringen
kann, das, meyne ich, sey, ausser allem Streit, uns allen und
für uns alle in unsere Herzen gelegt.“

III. Nachtrag:

In den Briefen vor 1980 steht für Dejung die Auseinandersetzung mit der von Marburg ausgehenden Pestalozziforschung im Vordergrund. In den Briefen danach überwiegt die Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung seiner Herausgeberarbeit an den noch ausstehenden Werkbänden der von ihm über Jahrzehnte bearbeiteten Werkausgabe durch das Pestalozzianum und den Kanton Zürich. Von Froese erhofft sich Dejung wohl eine Unterstützung in seinem Kampf mit den Schweizer Geldgebern und besonders einen Einsatz für die Intensivierung der Pestalozziforschung in Deutschland. Froese konnte natürlich nicht auf die Schweizer Geldgeber Einfluss nehmen, er konnte sich auch nicht um die 200.000 DM bemühen, die Dejung in seinem Brief vom 19. Oktober 1971 für die Nachdrucke vergriffener Werkbände beim Verlag de Gruyter in Berlin genannt hatte. Ein Höhepunkt der Auseinandersetzung Dejungs mit den Schweizer geldgebenden Institutionen sind sicher die beiden Dossiers, die Dejung an den Zürcher Erziehungsdirektor Gilgen richtete, die einmal die tiefe Enttäuschung Dejungs über die mangelnde Unterstützung seiner Arbeit spiegeln, aber zugleich auch die mangelnde Bereitschaft Dejungs zu sachlicher Argumentation unter Verzicht auf persönliche Angriffe auf den Zürcher Erziehungsdirektor A. Gilgen und den Direktor des Pestalozzianums H. Wymann.

Froese konnte seinen Briefpartner nicht direkt unterstützen, er sah wohl auch das zerrüttete Verhältnis Dejungs in der Schweiz und das von Brühlmeier formulierte „Altersgebrechen – eine unüberwindbare Starrheit“. Froese konnte in Deutschland auch keine Pestalozziforschung im Sinne Dejungs etablieren, aber er würdigte die über Jahrzehnte unschätzbare Arbeit Dejungs bei der Bearbeitung und Herausgabe der Kritischen Gesamtausgabe von Pestalozzis Sämtlichen Werken und Briefen und dessen unermüdlichen Einsatz für die Pestalozziforschung. Diese Wertschätzung kam besonders deutlich in der von Froese inspirierten Laudatio bei der Feier zur Ehrenpromotion von Dejung an der Philipps-Universität Marburg zum Ausdruck. In den späten Jahren Dejungs kam keine Übereinkunft der Schweizer Geldgeber mit Dejung mehr zustande, die noch ausstehenden Arbeiten zum Abschluss der wissenschaftlichen Gesamtausgabe von Pestalozzis Werken und Briefen ruhte in den folgenden Jahren.

In seinem letzten Brief vom 8. April 1987 an Froese spricht Dejung die Hoffnung aus, dass eine neue Kommission Entscheidungen treffen werde, die von ihm nicht mehr abschliessend zu vollendente Ausgabe von Pestalozzis Werken weiterzuführen, eine Hoffnung, die sich Jahre später tatsächlich erfüllen sollte. Im Vorfeld von Pestalozzis Jubiläumsjahr 1996, der Wiederkehr seines 250. Geburtstags, konnte eine sachkundige Kommission unter Beteiligung des Pestalozziforschers Arthur Brühlmeier, des historisch und an der Pestalozziforschung interessierten Direktors des Pestalozzianums Hans Gehrig und des Professors für Systematische Pädagogik an der Universität Zürich Fritz-Peter Hager Beschlüsse fassen, die Arbeit an der wissenschaftlichen Gesamtausgabe von Pestalozzis Werken und Briefen abzuschliessen. So wurden nach Dejungs Tod der noch ausstehende Band PSW 17B von Stefan Graber und der Nachtragsband PSW 29 von Kurt Werder bearbeitet und zusammen mit dem Pestalozzianum Zürich und dem dem Pädagogischen Institut der Universität Zürich herausgegeben. Die allein von Dejung in den Jahren 1946-1971 herausgegebene 13bändige wissenschaftliche Ausgabe von Pestalozzis Sämtlichen Briefen PSB 1-13 wurde 1995 durch einen von Kurt Werder bearbeiteten Nachtragsband PSB 14 abgeschlossen. Die beabsichtigte Bibliographie zum Thema Pestalozzi konnte abschliessend nicht veröffentlicht werden. Von den beiden zugleich geplanten Registerbänden ist allein ein erster Band mit einem Verzeichnis der Personendaten, der Briefempfänger, der Subskribenten der Cotta-Ausgabe, den geographischen Namen und einem Verzeichnis zu den fiktiven Texten erschienen. Ein geplanter zweiter Registerband mit einem Sachregister konnte dagegen nicht realisiert werden.

Im Vorwort zu PSW 17B schreibt Stefan Graber 1996 und wortgleich Kurt Werder im Vorwort von PSW 29, S. XII: „Zu danken gilt es den Hauptverantwortlichen des Editionsprojekts zur Fertigstellung der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis sämtlichen Werken und Briefen, dem ehemaligen Leiter des Pestalozzianums Zürich, Hans Gehrig, und dem Leiter des Fachbereichs Historisch-Systematische Pädagogik der Universität Zürich, Fritz-Peter Hager. Zu danken gilt es den Geldgebern für das Editionsprojekt, dem Schweizerischen Nationalfonds sowie dem Kanton Zürich. Zu danken gilt es der Familie Dejung für die Freigabe des Nachlasses von Emanuel Dejung.“ (PSW 17B, S. XIII f).