Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (1801)
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II. Brief
Ich ermüdete in Burgdorf bald, wie in Stans. Freund! wenn du jemals einen Stein nicht ohne Hilfe zu heben vermagst, so probiere es auch keine Viertelstunde ohne diese Hilfe. Ich tat ohne Vergleich mehr, als ich schuldig war, und man glaubte, ich sei mehr schuldig, als ich tat; meine Brust war von dem unablässigen Schulhalten vom Morgen bis in die Nacht so angegriffen, daß ich abermals das äußerste gefährdete.
In dieser Lage war ich, als Fischers Tod den Schulmeister Krüsi an meine Hand brachte, durch den ich auch Tobler und Buß, die sich einige Wochen später mit mir vereinigten, kennenlernte. Ihre Vereinigung mit mir rettete mir das Leben, und bewahrte mein Unternehmen vor einem unzeitigen Absterben, ehe es noch zum Leben gedieh. Indessen war die Gefahr für dieses letztere noch immer so groß, daß mir in den Augenblicken, die hierüber entschieden, nichts übrig blieb, als ökonomisch, und ich möchte sogar sagen, sittlich das äußerste zu wagen. Ich war auf den Punkt getrieben, auf dem die Vollendung eines Traums, der mein Leben verschlang, in mir selbst ein Werk der Verzweiflung wurde, und mich zu einer Gemütsstimmung und zu einer Handlungsweise verleitete, die an sich selbst und wirtschaftlich betrachtet beinahe das Gepräge des Unsinns an ihrer Stirne trug, indem ich durch die Gewaltsamkeit meiner Lage und das ewige Dauern meines Unglücks und meines Unrechtleidens, das den Mittelpunkt meines Strebens berührte, in die Tiefen innerer Verwilderung herabsank, eben in den Augenblicken, in denen ich äußerlich anfing, mich meinem Ziel wirklich zu nähern.
Die Hilfe, die ich im ganzen Umfange meiner Zwecke von diesen Männern genieße, wird mich ökonomisch und sittlich mir selbst wiedergeben. Der Eindruck, den meine Lage sowohl als mein Tun auf sie machte, und die Folgen ihrer Verbindung mit mir sind in Rücksicht auf meine Methode selbst zu wichtig, und geben für das Innere ihrer psychologischen Fundamente zuviel Licht, als daß ich den ganzen Gang ihrer Anschließung an mich mit Stillschweigen übergehen könnte.
Krüsi den ich zuerst kennenlernte, brachte seine Jugend mit sehr verschiedenartigen Geschäften hin, und genoß dadurch vielseitige Übungen, die in den gemeineren Ständen so oft die Fundamente höherer Geistesbildung entwickeln, und Menschen, die sie von Kindesbeinen auf genießen, vielseitig zu einer allgemeineren und umfassenderen Brauchbarkeit emporheben.
Schon in seinem zwölften und dreizehnten Jahr schickte ihn sein Vater, der einen kleinen Handel trieb, oft mit sechs bis acht Dublonen mehrere Stunden weit, um Waren einzukaufen, womit er etwas Botengehen und Kommissionenmachen vereinigte. Nachher beschäftigte er sich nebst diesem mit Weben und Tagelöhnerarbeit. In seinem achtzehnten Jahr nahm er auf Gais, seinem Geburtsort, den Schuldienst an, und zwar ohne alle Vorbereitung. Er kannte damals, wie er jetzt selbst sagt, die ersten grammatikalischen Unterscheidungszeichen nicht einmal ihrem Namen nach; von allem weiteren konnte nicht die Rede sein, weil er nie einen anderen Unterricht, als den einer gewöhnlichen schweizerischen Dorfschule genoß, der einzig auf Lesen, Vorschriften abmalen und Auswendiglernen des Katechismus und dgl. eingeschränkt war. Aber er liebte den Umgang mit Kindern, und hoffte, daß ihm dieser Posten ein Mittel sein könne, selbst zu Bildung und Kenntnissen zu gelangen, deren Mangel er bei seinem Botenwesen schon drückend fühlte. Da man ihm bei demselben bald destillierte, bald präparierte Sachen, bald Salmiak, bald Borax, und hundert andere Dinge zu kaufen auftrug, deren Namen er in seinem Leben nie gehört hatte, wobei er zugleich keinen noch so unbedeutenden Auftrag vergessen durfte, und für jeden Heller verantwortlich sein mußte, so mußte es ihm notwendig auffallen, wie vorteilhaft es für jedes Kind sein müsse, im Schreiben, Rechnen, Lesen, allen Arten von Kopfübungen und selbst im Redenlernen in der Schule so weit gebracht zu werden, als er jetzt fühlte, daß er um seines armseligen Berufs willen hätte gebracht werden sollen.
Schon in den ersten Wochen hatte er bis hundert Schüler; aber die Aufgabe, diese Kinder alle gehörig zu beschäftigen, was sie lehren, und wie sie in Ordnung zu halten? war über seine Kräfte. Er kannte bis jetzt keine Art von Schulhalten, als das Aufgeben zum Buchstabieren, Lesen und Auswendiglernen; das Aufsagen der Reihe nach und das Züchtigen mit der Rute, wenn sie das Aufgegebene nicht gelernt hatten. Aber er wußte doch auch aus eigener Jugenderfahrung, daß bei dieser Art des Schulhaltens die meisten Kinder den größeren Teil der Schulzeit müßig sitzen, und eben deswegen auf allerlei Torheiten und Unsittlichkeiten fallen müssen; daß also auf diese Art ihre kostbarste Bildungszeit umsonst verstreicht, und die Vorteile des Lernens den schädlichen Folgen nicht einmal das Gleichgewicht halten können, die ein solches Schulhalten notwendig haben muß.
Der Pfarrer Schieß, der mit Tätigkeit dem alten Unterrichtsschlendrian entgegenarbeitete, half ihm die ersten acht Wochen Schule halten. Sie teilten gleich Anfangs die Schüler in drei Klassen. Diese Einteilung und der Gebrauch neuer Lesebücher, die kurz vorher in der Schule eingeführt waren, machten es möglich, mehrere Kinder zusammen im Buchstabieren und Lesen zu üben und also mehr als vorher geschehen konnte, alle zu beschäftigen.
Auch lieh er ihm die notwendigsten Schulbücher zu seiner Bildung, und eine gute Vorschrift, die er wohl hundertmal abschrieb, um seine Handschrift danach zu bilden; und so war er bald imstande, den Hauptforderungen der Eltern ein Genüge zu leisten. Aber ihn selbst befriedigte dies nicht. Er wollte seine Schüler nicht bloß im Lesen und Schreiben unterrichten, sondern auch ihren Verstand bilden.
Das neue Lesebuch enthielt Religionslehren in Aufsätzen und Bibelsprüchen; Sätze aus der Naturlehre und Naturgeschichte, Geographie, Landesverfassung usw. Bei der Übung im Lesen desselben sah Krüsi seinen Pfarrer über jeden Abschnitt, der gelesen wurde, einige Fragen an die Kinder machen, um zu sehen, ob sie das, was sie gelesen, auch gefaßt hätten. Krüsi versuchte das nämliche und brachte es dahin, den Inhalt des Lesebuchs den meisten Schülern vollkommen geläufig zu machen. Dieses aber gelang ihm bestimmt nur darum, weil er, wie der gute Hübner, seine Fragen den schon im Buche stehenden Antworten anpaßte, und keine andere Antwort erwartete und forderte, als wörtlich diejenigen, die im Buche schon da standen, ehe die Frage, die sie eigentlich hervorbringen sollte, ausgeheckt war; es gelang ihm bestimmt dadurch, daß er in das Katechisieren ganz und gar keine wirkliche Verstandesübung hineinbrachte. Man muß hier aber auch bemerken, dies ursprüngliche Katechisieren war keine eigentliche Verstandesübung; es ist eine bloße Wortanalytik verwirrt vorliegender Sätze, und hat insoweit als Vorbereitungsgeschäft zur allmählichen Klarmachung der Begriffe das Verdienst, daß es die getrennten Wörter und Sätze, dem Kind unverwirrt zur festeren Anschauung einzeln vor Augen legt. Das Sokratisieren hingegen ist erst in unseren Tagen mit diesem Katechisieren, das sich ursprünglich bloß auf religiöse Gegenstände bezog, vermischt worden.
Der Pfarrer stellte Krüsis also katechisierte Kinder seinen älteren Katechumenen als Beispiel vor. Aber nachher sollte Krüsi wirklich in das vermischte Geschäft des Sokratisierens und Katechisierens hineingehen. Diese Vermischung aber ist in ihrem Wesen wirklich nichts anderes, als eine Quadratur des Zirkels, die ein Holzhacker mit dem Beil in der Hand auf einem hölzernen Brett versucht; es geht nicht. Der ungebildete oberflächliche Mensch ergründet die Tiefen nicht, aus denen Sokrates Geist und Wahrheit herausschöpfte; daher ist es auch natürlich, daß das Geschäft jetzt nicht mehr gehen wollte. Es mangelte ihm an dem Fundamente des Fragens und den Kindern an einem Hintergrund zu Antworten. Sie hatten auch keine Sprache mehr für das, was sie nicht wußten, und keine Bücher, die ihnen auf die verstandene oder nicht verstandene Frage immer eine bestimmte Antwort in den Mund legten. Indessen fühlte Krüsi den Unterschied dieser so ungleichen Geschäfte noch nicht heiter. Er wußte noch nicht, daß das eigentliche Katechisieren und vorzüglich das Katechisieren über abstrakte Begriffe außer den Sonderungsvorteilen der Worte und dem Takt in den analytischen Formen, den es vorbereitet, an sich selbst nichts ist, als ein papageienartiges Nachsprechen unverstandener Töne; das Sokratisieren aber wesentlich für Kinder unmöglich, denen beides der Hintergrund der Vorkenntnisse und das äußerliche Mittel der Sprachkenntnisse mangelte. Er tat sich auch in seinem Urteil über dieses Fehlschlagen Unrecht; er glaubte es fehle gänzlich nur an ihm, und wähnte: ein jeder guter Schulmeister müsse imstande sein, über alle Arten von religiösen und moralischen Begriffen, durch Fragen richtige und bestimmte Antworten aus den Kindern herauszulocken.
Er war eben in die Modezeit des Sokratisierens oder vielmehr in die Epoche hineingefallen, in welcher diese erhabene Kunst allgemein durch Vermischung der Kapuziner- und Schulmeisterformen des Katechisierens verhunzt und entwürdigt wurde. Man träumte in diesem Zeitpunkt von dieser Art den Verstand also herauszulocken und aus dem eigentlichen Nichts hervorzurufen Wunder; ich denke aber, man ist jetzt am Erwachen aus diesem Traum.
Krüsi schlief noch fest in demselben, er war aber auch hart darin eingewiegt, sonst würde es mich wundern, wenn der Appenzeller es bei einem leichten Aufwecken nicht selbst gemerkt hätte, daß selbst der Habicht und der Adler den Vögeln keine Eier aus den Nestern nehmen, wenn diese noch keine hineingelegt haben. Er wollte mit Gewalt eine Kunst lernen, die ihm so wesentlich zu seinem Beruf schien. Und da er jetzt bei Anlaß der auswandernden Appenzeller eine Gelegenheit fand zu Fischer zu kommen, so wurden seine Hoffnungen über diesen Gegenstand von neuem gespannt. Auch tat Fischer alles, ihn nach seiner Ansicht zum gebildeten Schulmeister zu machen. Allein nach meinem Urteil hat er hierin den Versuch, ihn in die Lüfte einer oberflächlichen Katechisierkunst hinaufzuheben, der Arbeit ihm die Fundamente der Sachen über die er katechisieren sollte, heiter zu machen, ein wenig zu stark vorhergehen lassen.
Krüsi ehrt sein Andenken und redet nur mit Achtung und Dankbarkeit von seinem Wohltäter und Freund. Aber die Wahrheitsliebe, die auch mich an Fischers Herz band, fordert, daß ich keine Ansicht und keinen Umstand über diesen Gegenstand im Dunkeln lasse, der mehr oder weniger dazu beitrug, bei mir und meinen Gehilfen die Gesinnungen und Urteile zu entwickeln, die uns jetzt über diesen Gegenstand vereinigen. Darum darf ich nicht verhehlen, indem Krüsi die Leichtigkeit bewunderte, mit der Fischer über jeden Gegenstand eine Anzahl Fragen in Bereitschaft hielt, und sich Hoffnung machte mit Zeit und Fleiß es einst auch dahin zu bringen, über jeden Gegenstand viel und leicht fragen zu können, konnte er sich es doch je länger je weniger verhehlen, wenn ein Schulmeisterseminarium eine Sache sei, die einen jeden Dorfschulmeister zu dieser Höhe der Fragekunst emporheben müsse, so könnte es mit einem solchen Seminarium ein mißliches Ding sein.
Je mehr er mit Fischer arbeitete, desto größer schien ihm der Berg, der vor ihm stand, und desto weniger fühlte er die Kraft in sich, die er sah, daß es fordere, seinen Gipfel zu ersteigen. Da er mich aber schon in den ersten Tagen seines Hierseins mit Fischer über Erziehung und Volksbildung reden hörte, und ich mich bestimmt gegen das Sokratisieren unserer Kandidaten erklärte, mit der Äußerung, ich sei gar nicht dafür, das Urteil der Kinder über irgendeinen Gegenstand vor der Zeit scheinreif zu machen, sondern vielmehr dasselbe solange als möglich zurückzuhalten, bis sie jeden Gegenstand, über den sie sich äußern sollten, von allen Seiten und unter vielen Umständen ins Auge gefaßt, und mit den Worten, die das Wesen und die Eigenschaften derselben bezeichnen, unbedingt bekannt seien: so fühlte Krüsi sogleich, daß ihm bestimmt dieses selber mangle, und daß er folglich eben dieser Führung bedürfe, die ich meinen Kindern zu geben gedächte.
Indem Fischer auf seiner Seite alles tat, ihn in mehrere Fächer der Wissenschaften hineinzuführen, um ihn vorzubereiten, über dieselben Unterricht geben zu können, fühlte Krüsi täglich mehr, daß es mit ihm auf dem Bücherwege nicht gehen wolle, indem es ihm allenthalben an den untersten Punkten der Sach- und Sprachkenntnisse fehle, deren mehr oder minder vollständige Kenntnis diese Bücher voraussetzen. Auch wurde er in der für ihn so glücklichen Selbstkenntnis immer mehr bestärkt, da er die Wirkung des Zurückführens meiner Kinder auf die ersten Punkte der menschlichen Erkenntnisse, und mein geduldiges Ausharren auf diesen Punkten vor Augen sah. Dieses änderte ihm die ganze Ansicht des Unterrichts und aller Fundamentalbegriffe, die er sich davon machte. Er sah jetzt, daß ich durch alles, was ich tat, mehr die intensive Kraft des Kindes zu entwickeln, als die isolierten Resultate meines einzelnen Tuns selbst hervorzubringen suche; und war durch die Wirkung dieses Grundsatzes in dem ganzen Umfang meiner Entwicklungsmanier überzeugt, daß dadurch bei den Kindern Fundamente von Einsichten und weiteren Fortschritten gelegt werden, die auf keine andere Weise erzielt werden können.
Indessen fanden die Endzwecke Fischers zur Errichtung eines Schulmeisterseminariums Hindernisse, und er ward wieder in das Büro des Ministers der Wissenschaften berufen, behielt sich aber doch vor, für sein Seminarium bessere Zeiten zu erwarten, und indessen die Schulen in Burgdorf auch in seiner Abwesenheit zu dirigieren. Sie sollten umgemodelt sein, und bedurften es, aber er hatte bei seiner Anwesenheit und bei Aufwendung all seiner Kraft und Zeit nicht einmal den Anfang machen können; und hätte dieses in Abwesenheit, und mitten unter heterogenen Beschäftigungen gewiß nicht bewerkstelligen können. Krüsis Lage war indessen durch Fischers Abwesenheit noch mehr gespannt; er fühlte sich für das, was Fischer von ihm erwartete, ohne seine persönliche Gegenwart und Mithilfe, immer weniger gewachsen. Auch äußerte er bald nach Fischers Abwesenheit gegen ihn und mich den Wunsch, sich mit seinen Kindern an meine Schule anzuschließen. Aber so sehr ich auch Hilfe bedurfte, die mir durchaus mangelte, so lenkte ich es damals doch ab, weil ich Fischer, der fortdauernd Endzwecke für sein Seminarium zeigte, und an Krüsi anhänglich war, nicht kränken wollte. Er ward aber bald darauf krank, und Krüsi eröffnete ihm die Notwendigkeit dieser Vereinigung in der letzten Stunde, da er mit ihm redete. Ein liebreiches Kopfnicken war die Antwort des Sterbenden. Sein Andenken wird mir stets schätzbar sein. Er ging mit mir gleichen Zwecken mit Anstrengung und edlem Sinn entgegen. Hätte er gelebt und die Reifung meiner Erfahrungen abwarten können, wir hätten uns gewiß allgemein vereiniget.
Nach Fischers Tod trug ich selbst auf die Vereinigung von Krüsis Schule mit der meinigen an, und wir sahen uns jetzt beiderseits in unseren Lagen merklich erleichtert; auf der anderen Seite aber erhöhten sich die Schwierigkeiten meines Plans ebenso merklich. Ich hatte schon von Burgdorf Kinder ungleich im Alter, in der Bildung und in den Sitten; das Hinzukommen der Kinder aus den kleinen Kantonen vermehrte die Schwierigkeiten umso mehr, da diese letzteren neben ähnlichen Ungleichheiten noch eine Naturfreiheit im Denken, Fühlen und Reden in meine Schulstube brachten, die verbunden mit Insinuationen gegen meine Methode den Mangel einer festen Organisation meiner Lehrart, die noch als bloßer Probeversuch anzusehen war, mit jedem Tag drückender machten. Ich bedurfte in meiner Lage einen unbedingten Spielraum zu meinen Versuchen, und alle Augenblicke ließen mir Partikularen Wegweisungen zukommen, wie ich es anstellen sollte, die Kinder, die sie mir zusandten, zu lehren. An einem Orte, wo man sonst seit Menschenaltern gewohnt war, in Unterrichts- und Lehrsachen mit sehr wenigem zufrieden zu sein, forderte man jetzt von mir, daß eine Lehrmethode, die alle Fundamente des menschlichen Wissens umfaßte, aber auch auf früheren Einfluß und auf kleinere Kinder berechnet war, bei Kindern, die bis ins zwölfte, vierzehnte Jahr in der gedankenlosesten Bergfreiheit verhärtet, und noch dazu gegen die Lehrart mißtrauisch gemacht worden, dennoch allgemein und unbedingt eine große Wirkung hervorbringen sollte. Das geschah freilich nicht, und man erkannte aus dieser Wirkung: die Methode sei nichts nütze. Man verwechselte sie mit einer gemeinen Abänderung im ABC-Lehren und Schreiben. Meine Endzwecke in allen Fächern der menschlichen Kunst, und des menschlichen Wissens feste und sichere Fundamente zu suchen; mein Streben, die innere Kraft der Kinder einfach und allgemein für jede Kunst zu stärken, und mein ruhiges und gleichgültig scheinendes Erwarten der Folgen von Maßregeln, die sich allmählich aus sich selber entwickeln sollten - das waren spanische Dörfer. Man ahnte nichts und sah nichts von allem; im Gegenteil, wo ich Kraft bildete, da fand man Leerheit. Man sagte: die Kinder lernen nicht lesen, just darum, weil ich sie recht lesen lehrte; man sagte: sie lernen nicht schreiben, just darum, weil ich sie recht schreiben lehrte; und endlich sogar, sie lernen nicht fromm sein, just darum, weil ich alles tat, die ersten Hindernisse der Frömmigkeit, die in der Schule gelegt werden, aus dem Wege zu räumen, und namentlich widersprach, daß das papageienartige Auswendiglernen des Heidelbergers die eigentliche Lehrart sei, nach welcher der Heiland der Welt das Menschengeschlecht zur Gottesverehrung und zu seiner Anbetung im Geist und in der Wahrheit emporzuheben gesucht habe. Es ist wahr, ich habe es ohne Scheu gesagt, Gott ist nicht ein Gott, dem Dummheit und Irrtum, Gott ist nicht ein Gott, dem Heuchelei und Maulbrauchen gefällt. Ich habe es ohne Scheu gesagt, das Hinlenken zu deutlichen Begriffen und die Bemühung, die Kinder reden zu lehren, ehe man ihnen die Sache der positiven Religion und ihre ewig nie erörterten Streitpunkte zur Übung des Verstandes in Gedächtnis bohrt, sei nicht wider Gott und nicht wider die Religion. Aber ich darf den Mißverstand, dem ich beinahe unterlegen bin, den Leuten dennoch nicht übel nehmen; sie meinten es doch gut, und ich begreife vollkommen, daß bei den Scharlatanerien unserer Erziehungskünste mein rohes Streben nach einem neuen Gang Menschen hat täuschen müssen, die wie viele andere einen Fisch in ihrem Teich lieber sehen, als einen See voll Karpfen hinter dem Berg.
Indessen ging ich meinen Weg und Krüsi stärkte sich an meiner Seite immer mehr.
Die Hauptgesichtspunkte, in denen er schnell zur Überzeugung gelangte, sind vorzüglich:
1. Daß durch eine bis zur Unvergeßlichkeit eingeprägte, gutgereihte Nomenklatur ein allgemeines Fundament zu allen Arten von Kenntnissen gelegt werden könne, an dessen Faden Kinder und Schulmeister, sich beide miteinander, soviel als durch sich selbst, allmählich aber sicheren Schrittes, in allen Fächern des Wissens zu deutlichen Begriffen emporheben können.
2. Daß durch die Übung in Linien, Winkeln und Bögen, die ich damals zu betreiben anfing, eine Festigkeit in der Anschauung aller Dinge erzeugt, und eine Kunstkraft in die Hand der Kinder gelegt werde, deren Folgen entscheidend dahin wirken müssen, ihnen alles, was in den Kreis ihrer Erfahrungen hineinfällt, klar und allmählich deutlich zu machen.
3. Daß die Übung, die Anfänge des Rechnens, mit den Kindern durch reale Gegenstände, oder wenigstens durch sie repräsentierende Punkte zu betreiben, die Fundamente der Rechenkunst in ihrem ganzen Umfang zuverlässig gründen, und ihre weiteren Fortschritte vor Irrtum und Verwirrung sichern müsse.
4. Die von den Kindern auswendig gelernten Beschreibungen von Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen, usw. zeigten ihm den Zusammenhang der Anfangsgrundsätze mit dem Ziel, das ich durch sie zu bezwecken suche, mit der allmählichen Verdeutlichung aller Begriffe. Er fühlte bald, daß indem man die Kinder Gegenstände, die ihnen so klar sind, daß die Erfahrung zu ihrer weiteren Klarmachung nichts mehr beitragen kann, also beschreiben mache, sie dadurch, teils von den Anmaßungen irgend etwas, das sie nicht kennen, beschreiben zu wollen, abgelenkt werden; teils aber auch dasjenige zu beschreiben, was sie wirklich kennen, eine Kraft erhalten müssen, die sie in den Stand setzt, dieses im ganzen Kreis ihrer Anschauungskenntnisse mit Einheit, Bestimmtheit, Kürze und Umfassung zu tun.
5. Einige Worte, die ich einmal über den Einfluß meiner Methode gegen die Vorurteile äußerte, machten auf ihn sehr großen Eindruck. Ich sagte nämlich: Wahrheit, die aus Anschauung entquelle, mache das mühselige Reden und die vielseitigen Umtriebe überflüssig, die gegen Irrtum und Vorurteile ungefähr das wirken, was das Glockengeläute gegen die Gefahr des Gewitters, und weil eine solche Wahrheit bei dem Menschen eine Kraft erzeuge, welche das Eindringen der Vorurteile und des Irrtums in seine Seele vielseitig selber versperre, und dieselben da, wo sie durch das ewige Maulbrauchen unseres Geschlechts ihnen doch zu Ohren kommen, in ihnen so isoliert lasse, daß sie bei ihnen gar nicht die gleichen Wirkungen haben können, als bei den Alltagsmenschen unserer Zeit, denen Wahrheit und Irrtum, beides gleich ohne Anschauung mit bloßen Zauberworten, wie durch eine Laterna magica, in ihre Einbildungskraft geworfen wird.
Diese Äußerung brachte ihn zu der bestimmten Überzeugung, daß es möglich sei, durch das stille Schweigen meiner Methode gegen Irrtum und Vorurteile vielleicht mehr zu vermögen, als man bis jetzt durch das unermeßliche Reden, das man sich dagegen erlaubt, oder vielmehr hat zu Schulden kommen lassen, nicht vermochte.
6. Vorzüglich entwickelte das Pflanzensammeln, das wir letzten Sommer betrieben, sowie die Unterredungen, welche dasselbe veranlaßte, in ihm die Überzeugung, daß der ganze Kreis von Erkenntnissen, der durch unsere Sinne erzeugt wird, von der Aufmerksamkeit auf die Natur und von dem Fleiß im Sammeln und Festhalten alles dessen, was sie zu unserer Erkenntnis bringt, herrühre.
Alle diese Ansichten, verbunden mit der ihm immer klarer gewordenen Harmonie meiner Unterrichtsmittel unter sich selbst und mit der Natur, brachten ihn zur völligen Überzeugung, daß die Fundamente alles Wissens in der Vereinigung dieser Mittel also liegen, daß ein Schulmeister eigentlich nur die Methode ihres Gebrauchs lernen dürfe, um sich selbst und die Kinder am Faden derselben zu allen Kenntnissen zu erheben, die durch den Unterricht erzielt werden sollen; daß folglich bei dieser Manier nicht Gelehrsamkeit, sondern nur gesunder Menschenverstand und Übung in der Methode erfordert werde, um sowohl bei den Kindern solide Fundamente aller Kenntnisse zu legen, als auch Eltern und Schullehrer durch die bloße Mitübung in diesen Erkenntnismitteln zu einer ihnen genugtuenden inneren Selbständigkeit zu erheben.
Er war, wie gesagt, sechs Jahre Dorfschulmeister unter einer sehr großen Anzahl von Kindern von allen Altern; aber er hatte die Kräfte der Kinder bei aller Mühe, die er sich gab, nie so sich entwickeln, und nie zu der Festigkeit, Sicherheit, Umfassung und Freiheit gelangen sehen, wozu sie sich hier erhoben.
Er forschte den Ursachen nach, und es fielen ihm deren mehrere auf.
Er sah erstlich: daß der Grundsatz, beim Leichtesten anzufangen, und dieses, ehe man weitergeht, zur Vollkommenheit zu bringen, dann durch stufenweise Fortschritte immer nur etwas weniges zu dem schon vollkommen Gelernten hinzuzusetzen, in den ersten Augenblicken des Lernens bei den Kindern ein Selbstgefühl und ein Bewußtsein von Kräften, zwar nicht eigentlich hervorbringe, aber dieses hohe Zeugnis ihrer ungeschwächten Naturkraft doch bei ihnen lebendig erhalte.
Man gebraucht, sagt er, bei dieser Methode die Kinder nur zu leiten, aber niemals zu treiben. Vorher mußte er bei jeder Sache, die er sie lehren sollte, immer sagen: denket doch nach; besinnt ihr euch nicht?
Es konnte nicht anders sein. Wenn er, z.E. beim Rechnen fragte: Wieviel mal ist sieben in dreiundsechzig enthalten? so hatte das Kind keinen versinnlichten Hintergrund der Antwort, und mußte dieselbe erst mit Mühe durchs Nachdenken herausfinden; jetzt nach der Methode stehen neun mal sieben Gegenstände vor seinen Augen, und es hat sie so als neun nebeneinanderstehende Sieben zählen gelernt; folglich hat es über diese Frage nichts mehr zu denken, es weiß es aus dem, was es schon gelernt hat, bestimmt, was man es jetzt, obgleich zum ersten Mal fragt, daß nämlich sieben in dreiundsechzig neun Mal enthalten ist. So ist es in allen Fächern der Methode.
Wenn er z.B. sie vorher gewöhnen sollte, die Hauptwörter mit großen Buchstaben anzufangen, vergaßen sie die Regel, wonach sie sich richten sollten, immer wieder; da er aber jetzt einige Blätter unseres methodischen Diktionariums als bloße Leseübung mit ihnen betrieb, so fielen sie von selbst darauf, diese Reihenfolgen mit den ihnen bekannten Hauptwörtern aus sich selbst alphabetisch fortzusetzen, welcher Versuch ein vollständiges Bewußtsein des Unterschieds dieser Wortgattung von allen anderen voraussetzt. Es ist vollkommen richtig, die Methode ist in jedem Punkt unvollendet, wo es noch auf irgendeine Weise des Antreibens zum Nachdenken bedarf; sie ist in jedem Punkt unvollendet, wo irgendeine bestimmte Übung nicht, wie von selbst und ohne Anstrengung, aus dem herausfällt, was das Kind schon weiß.
Er bemerkte ferner, daß die Wörter und Bilder, die ich den Kindern beim Lesenlehren einzeln vorlegte, auf eine ganz andere Weise auf die Seele derselben wirkten, als die zusammengesetzten Phrasen, die ihnen der gewöhnliche Unterricht auftischt. Und indem er diese Phrasen jetzt selbst näher ins Auge faßte, fand er dieselben von einer Beschaffenheit, daß die Kinder kein Anschauungsgefühl von der Natur ihrer einzelnen Worte haben konnten, und in ihren Zusammensetzungen nicht einfache, ihnen bekannte Bestandteile, sondern ein Gewirr unverständlicher Verbindungen ungekannter Gegenstände erblicken, mit denen man sie gegen ihre Natur, über ihre Kräfte und durch vielseitige Täuschung dahin lenkt, sich in Gedankenreihen hineinzuarbeiten, die ihnen nicht nur in ihrem Wesen ganz fremd sind, sondern auch in einer Kunstsprache vorgetragen werden, deren Anfänge zu erlernen, sie nur nicht einmal versucht haben. Krüsi sah, daß ich diesen Mischmasch unseres Schulwissens verwerfe, und meinen Kindern, wie die Natur den Wilden, immer nur ein Bild vor die Augen lege, und dann für dieses Bild ein Wort suche. Er sah, daß diese Einfachheit der Darstellung bei ihnen keine Urteile, und keine Schlüsse erzeuge, indem ihnen hierdurch nichts als Lehrsatz, oder in irgendeiner Art von Verbindung weder mit Wahrheit noch mit Irrtum vorgetragen, sondern alles bloß als Stoff zum Anschauen, und als ein Hintergrund künftiger Urteile und Schlüsse und als ein Leitfaden - an dessen Spur sie sich dann selber durch Ankettung ihrer früheren und künftigen Erfahrungen weiterbringen sollen, in sie hineingelegt werde.
Da er im Geist der Methode das allgemeine Zurückdrängen aller Erkenntnismittel auf die ersten Anfangspunkte eines jeden Erkenntnisfaches, und das allmähliche Anketten immer nur eines kleinen Zusatzes zu den Anfangspunkten eines jeden Faches, das denn aber ein lückenloses Fortschreiten zu immer weiter gehenden, neuen Zusätzen zur Folge hat, erkannte, und immer tiefer einsah, wurde er mit jedem Tag fähiger, im Geist dieser Grundsätze neben mir zu arbeiten, und half mir bald ein Syllabierbuch und eine Rechnungsform zustandebringen, worin diese Grundsätze wesentlich befolgt sind.
Er wünschte in den ersten Tagen seiner Verbindung mit mir, nach Basel zu gehen, um Tobler, an den er innig anhänglich war, Fischers Tod und von seiner jetzigen Lage zu erzählen. Ich ergriff diese Gelegenheit ihm zu sagen: daß ich zu meinen schriftstellerischen Arbeiten unumgänglich Hilfe nötig hatte und daß ich mich sehr freuen würde, wenn es möglich wäre, mich mit Tobler zu verbinden, den ich durch seinen Briefwechsel mit Fischer schon kannte. Ich sagte ihm zugleich, daß ich zu meinen Zwecken ebenso dringend einen Mann bedürfe, der zeichnen und singen könnte. Er kam nach Basel, sprach mit Tobler; dieser entschloß sich beinahe im ersten Augenblick, meinen Wünschen zu entsprechen, und kam nach einigen Wochen nach Burgdorf; und da ihm Krüsi erzählte, daß ich auch einen Zeichner bedürfe, fiel ihm Buß ein, der den Antrag ebenso schnell annahm. Beide sind jetzt acht Monate hier, und ich glaube es interessiere dich, die Ansicht ihrer Erfahrungen über diesen Gegenstand mit Bestimmtheit zu lesen. Tobler war in einem angesehenen Hause Basels fünf Jahre Hauslehrer. Seine Ansicht über den Zustand meines Unternehmens ist, in Verbindung mit der Ansicht seiner eigenen diesfälligen Laufbahn, nach seinem eigenen Zeugnis, folgende:
Bei einer sechsjährigen Anstrengung fand ich den Erfolg meines Unterrichts den Erwartungen, die ich mir davon gemacht hatte, nicht entsprechend. Die intensiven Kräfte der Kinder stiegen nicht nach dem Verhältnis meiner Anstrengung, und selbst nicht, wie sie nach dem Grad ihrer wirklichen Kenntnisse hätten steigen sollen. Auch die einzelnen Kenntnisse, die ich ihnen beibrachte, schienen mir nicht den inneren Zusammenhang und die feste dauernde Einwohnung zu erhalten, die sie wesentlich bedurften.
Ich benutzte die besten Unterrichtsschriften unserer Zeit. Doch diese waren teils aus Wörtern zusammengesetzt, von denen die Kinder sehr wenige verstanden, teils so sehr mit Begriffen angefüllt, die ihren Erfahrungskreis überstiegen, und so heterogen mit der ihrem Alter eigenen Anschauungsweise aller Dinge, daß es unermeßliche Zeit und Muße forderte, das Unverständliche darin zu erklären. Dieses Erklären aber selbst war eine lästige Mühe, bei der für ihre wirkliche innere Entwicklung nicht mehr herauskam, als wenn man hie und da einen einzelnen Lichtstrahl in ein dunkles Zimmer oder in den Schatten eines dichten undurchdringlichen Nebels hineinbringen kann. Dieses war umso mehr der Fall, da viele dieser Bücher mit ihren Bildern und Vorstellungen bis in die tiefsten Tiefen der menschlichen Erkenntnisse hinabstiegen, oder sich über die Wolken und wohl gar bis in den Himmel der ewigen Herrlichkeit erhoben, ehe sie den Kindern erlaubten, ihren Fuß auf dem lieben Boden abzusetzen, auf welchem die Menschen doch notwendig erst stehen müssen, wenn sie das Gehen vor dem Fliegen lernen und ihnen zu irgendeiner Erhebung Flügel wachsen sollen.
Das dunkle Gefühl von allem diesem brachte mich früh schon zu Versuchen, meine jüngeren Zöglinge mit Anschauungsvorstellungen zu unterhalten; die größeren aber durch Sokratisieren zu deutlichen Begriffen zu erheben. Das erstere bewirkte, daß die Kleinen sich verschiedene Kenntnisse eigen machten, die sonst Kinder in diesem Alter nicht besitzen. Ich wollte diese Art zu unterrichten mit den Lehrformen, die ich in den besten Büchern fand, vereinigen; allein alle Bücher, die ich dafür gebrauchen wollte, waren auf eine Art geschrieben, die das schon voraussetzte, was den Kindern erst noch gegeben werden mußte: die Sprache. Daher hatte denn auch mein Sokratisieren mit den älteren Zöglingen die sichtbare Folge, welche alle Worterklärungen haben und haben müssen, die teils nicht auf einen Hintergrund von Sachkenntnissen, teils in einer Sprache gegeben werden, von deren einzelnen Teilen die Kinder keine klaren Vorstellungen besitzen: - was sie heute begriffen, das verlor sich nach einigen Tagen auf eine mir unbegreifliche Weise aus ihren Seelen, und je mehr ich mir Mühe gab ihnen alles deutlich zu machen, desto mehr schienen sie ihre Selbstkraft zu verlieren, es aus dem Dunkel, in das es die Natur versetzt hat, selbst hervorzusuchen.
So fühlte ich im Ganzen meiner Stellung und meiner Zwecke unübersteigliche Hindernisse meines Ganges und meine Unterredungen mit Schullehrern und Erziehern im Kreise um mich her verstärkten noch mehr meine Überzeugung: daß sie ungeachtet der ungeheuren Erziehungsbibliotheken, welche unser Zeitalter aufweist, mit mir das nämliche fühlen, und bei den Bemühungen mit ihren Zöglingen täglich in ähnliche Verlegenheit geraten. Ich fühlte, daß diese Schwierigkeiten doppelt und zehnfach schwer auch auf den niederen Schullehrern lasten müßten, wenn nicht eine elende Handwerkspfuscherei sie für dieses Gefühl ganz unfähig mache. Ich lebte in warmen, obwohl noch dunklen Gefühlen von diesen Lücken, die ich im Ganzen des Erziehungswesens sah, und suchte aus allen Kräften Mittel, sie auszufüllen; und nahm mir jetzt vor, teils aus Erfahrungen, teils aus Erziehungsschriften, alle Vorteile und Mittel zu sammeln, durch welche es möglich wäre, den mir aufstoßenden Erziehungsschwierigkeiten in allen Altern des Kindes vorzubeugen. Doch fühlte ich bald, daß mein Leben nicht hinreichen dürfte, zu diesem Ziele zu gelangen. Ich hatte indessen schon ganze Bücher zu diesem Zweck zusammengeschrieben, als mich Fischer in mehreren Briefen auf Pestalozzis Methode aufmerksam machte, und zu der Ahndung brachte: er möchte vielleicht ohne meine Mittel zu dem Ziel gelangen, das ich suche; ich dachte mein systematisch wissenschaftlicher Gang erzeuge vielleicht die Schwierigkeiten selbst, die ihm nicht im Wege stehen, und ebenso die Kunst unseres Zeitalters bringe die Lücken durch sich selbst hervor, die er nicht auszufüllen bedürfe, weil er diese Kunst nicht kenne und nicht gebrauche. Viele seiner Mittel, wie z.B. das Zeichnen auf Schiefertafeln und anderes schienen mir so einfach, daß ich nicht begreifen konnte, warum ich nicht schon längst selbst darauf verfallen sei. Es fiel mir auf, daß hier benutzt werde, was schon immer vor der Nase lag. Vorzüglich zog mich der Grundsatz an seine Methode: die Mütter wieder zu dem bilden, wozu sie von der Natur so auffallend bestimmt sind; weil ich in meinen eigenen Versuchen, gerade von diesem Grundsatz ausging.
Diese Ansichten wurden durch Krüsis Ankunft in Basel bestärkt, welcher die Pestalozzische Manier des Buchstabier-, Lesen- und Rechnenlehrens im Mädcheninstitut daselbst praktisch vorzeigte. Pfarrer Fäsch und von Brunn, die den Unterricht und einen Teil der Leitung dieses Instituts, nach der ersten Spur von Pestalozzis Methode, die wir aber noch nicht ganz kannten, organisiert hatten, sahen sogleich den starken Eindruck, den das Zusammenlesen und Buchstabieren und der dabei angebrachte Takt auf die Kinder machte, und die wenigen Materialien, die Krüsi zum Rechnen und Schreiben nach dieser Manier mitbrachte, sowie einige Beispiele von einem Wörterbuch, welches Pestalozzi zum ersten Lesebuch für Kinder bestimmt hatte, zeigten uns, daß dieser Methode tiefe psychologische Fundamente zum Grunde liegen. Alles dieses brachte mich schnell zu dem Entschluß, Pestalozzis Wunsch, mich mit ihm zu vereinigen, zu entsprechen.
Ich kam nach Burgdorf und fand beim ersten Anblick dieses angehenden Unternehmens, meine Erwartungen erfüllt. Die so auffallend und allgemein sich äußernde Kraft seiner Kinder, sowie die Einfachheit und Vielseitigkeit der Entwicklungsmittel, durch welche diese Kraft erzeugt war, setzten mich in Erstaunen. Sein gänzliches Keine-Notiz-Nehmen von aller eigentlichen bisherigen Schulkunst; die Einfachheit der Bilder, die er einprägte; die scharfe Sonderung des Inneren seiner Unterrichtsmittel in Teile, die in ungleichen Zeiten und durch progressive Mittel erlernt werden mußten; seine Wegwerfung von allem Verwickelten und Verwirrten; seine wortleere Einwirkung bloß auf das Intensive aller Kräfte; sein Festhalten des Wortes, warum es in jedem Augenblick zu tun war, und vorzüglich die Gewalt, mit der mir einige seiner Unterrichtsmittel, wie eine neue Schöpfung aus den Elementen der Kunst und der Menschennatur wie von sich selbst hervorzuquellen schienen, - alles dieses spannte meine Aufmerksamkeit auf das höchste.
Es schien mir zwar einiges in seinen Versuchen wirklich unpsychologisch, wie z.B. das Vorsagen schwerer verwirrter Sätze, deren erster Eindruck dem Kind ganz dunkel sein mußte.
Allein, da ich auf der einen Seite sah, mit welcher Kraft er die allmähliche Verdeutlichung der Begriffe bereitete; und er mir auf der anderen Seite hierüber antwortete: daß die Natur selbst, alle Arten von Anschauungen zuerst in verwirrter Dunkelheit vorlege, sie aber doch hernach zwar allmählich aber sicher zur Klarheit bringe: so fand ich auch dagegen nichts mehr zu sagen; und zwar umso weniger, da ich sah, daß er dem Einzelnen seiner Unternehmungen keinen Wert gab, sondern vieles davon nur zum Wegwerfen probierte. Er suchte mit vielen dergleichen bloß Erhöhung der inneren Kraft bei den Kindern und Aufschluß über die Fundamente und Grundsätze, wodurch der Gebrauch dieser einzelnen Mittel veranlaßt ward. Ich ließ mich daher gar nicht irre machen, wenn mir schon einige seiner Mittel noch in der schwankenden Schwäche isolierter Anfangsversuche in die Augen fielen; umso weniger, da ich mich bald überzeugte, daß das progressive Steigen derselben in ihrer Natur selbst lag. Wirklich sah ich dieses im Rechnen, Zeichnen, sowie in den Fundamentalmitteln seiner Sprachführung.
Jetzt wurde mir mit jedem Tag deutlicher, daß seine einzelnen Mittel, durch den Zusammenhang des Ganzen auf alle, vorzüglich aber, auf die Empfänglichkeit der Kinder für alle hinwirken, und so sah ich dieselben durch tägliche Ausübung, selbst ehe sie als Grundsatz ausgesprochen wurden, zu einer Reife gedeihen, die das Ziel, welches er suchte, notwendig hervorbringen mußten. Er ruht bei seinen Versuchen und Proben, in keinem dieser Mittel, bis er es beinahe für physische Unmöglichkeit hält, ihr Wesen mehr zu vereinfachen und ihre Fundamente tiefer zu gründen. Dieses Steigen zur Vereinfachung des Ganzen und zur Vollendung des Einzelnen, verstärkte in mir das Gefühl, welches ich vorher schon dunkel hatte: daß alle Mittel welche durch eine komplizierte Kunstsprache, die Entwicklung des menschlichen Geistes zu erzielen suchen, das Hindernis ihres Erfolgs in sich selbst tragen, und daß alle Erziehungs- und Entwicklungsmittel, auf die äußerste Einfachheit, - sowohl ihres inneren Wesens, als auf eine mit derselben harmonierenden, psychologischen Organisation der Sprachlehre, zurückgedrängt werden müssen, wenn wir der Natur in ihrer Selbsttätigkeit, die sie in der Entwicklung unseres Geschlechts zeigt, wirklich nachhelfen wollen. So wurde mir allmählich klar, was er mit seiner Sonderung der Sprachlehre wollte; warum er das Rechnen auf das unauslöschliche und umfassende Bewußtsein des Grundsatzes zurückdrängte: daß alles Rechnen nichts anderes ist, als die Verkürzung des einfachen Zählens; und die Zahlen wieder nichts anderes, als die Verkürzung des ermüdenden Ausdrucks: eins und eins und wieder eins etc. macht soundso viel; und ebenso, warum er alle Kunstkraft und selbst die Kraft der festen Vergegenwärtigung aller sinnlichen Gegenstände, auf die frühe Entwicklung der Fähigkeit: Linien, Winkel, Vierecke und Bögen zu zeichnen, baute.
Es war nicht anders möglich, die Überzeugung von den Vorteilen der Sache mußte sich täglich stärken, da ich die Wirkung welche die allgemein geweckte, und nach diesen Grundsätzen geübte Kraft im Messen, Rechnen, Schreiben und Zeichnen hervorbrachte, täglich sah. Ich erhob mich mit jedem Tag mehr zu der Überzeugung: daß es wirklich möglich sei, zu dem Ziel zu gelangen, von dem ich oben schon sagte, wie sehr es mein eigenes Tun belebt habe, nämlich: die Mütter wieder zu dem zu bilden, wozu sie von der Natur so auffallend bestimmt sind, und daß dadurch selbst die unterste Stufe des gewöhnlichen Schulunterrichts auf die Folgen des genossenen mütterlichen Unterrichts gebaut werden könnte. Ich sah ein allgemeines psychologisches Mittel angebahnt, durch welches ein jeder Hausvater und jede Hausmutter, die in sich selbst Antrieb finden, in den Stand gesetzt werden können, ihre Kinder selbst zu unterrichten, und dadurch die erträumte Notwendigkeit, die Schullehrer durch kostspielige Seminarien und Schulbibliotheken in einem langen Zeitraum zu bilden, wegfallen.
Mit einem Wort, ich bin durch den Eindruck des Ganzen und durch die ununterbrochene Gleichheit meiner Erfahrungen dahin gekommen: den Glauben wieder in mir herzustellen, den ich im Anfang meiner pädagogischen Laufbahn mit so vieler Wärme in mir selbst nährte, aber im Fortgang derselben, unter der Last ihrer Zeitkunst und ihrer Zeithilfsmittel beinahe verlor - den Glauben an die Möglichkeit einer Veredelung des Menschengeschlechts.