Die Handstickmaschine. Erfindungsgeschichte und erste Besitzer. Privatdruck Plauen 2021, 100 S.

Strobel, Heino u. Schnetzer, Patrick

Josué Heilmann: Ein Pionier der Textilindustrie

Während Lehrer und Mitarbeiter Pestalozzis in Burgdorf und Yverdon häufig längere Berichte über ihre Zeit in Pestalozzis Erziehungsinstituten veröffentlicht haben Anmerkung, ist von den Schülern, im damaligen Sprachgebrauch meist „Zöglinge“ genannt, nur wenig über ihren weiteren Lebensweg bekannt. Diese Veröffentlichung über die Erfindung der Handstickmaschine und ihre ersten Besitzer zeigt anschaulich die bemerkenswerte Lebensgeschichte von Josué (Josua) Heilmann als einem technischen Pionier in der Textilindustrie. Es war der ehemalige Schüler aus Pestalozzis Erziehungsinstitut in Yverdon, Josué Heilmann, der 1829 das Patent auf die von ihm erfundene Handstickmaschine erhielt.

Josué Heilmann (1796-1848) war zusammen mit seinem Bruder Ferdinand (1797-1837) in den Jahren 1809/10 Schüler in Yverdon. Es war nicht ungewöhnlich, dass Kaufleute und Fabrikanten aus Muhlhouse ihre Söhne nach Yverdon in Pestalozzis Erziehungsinstitut schickten, so auch der Vater Jean/Johann Heilmann (1771-1834), ein Indienne-Fabrikant und seine Ehefrau Susanne, geb. Köchlin Anmerkung. Nachdem Mühlhausen (Mulhouse) am 29. Januar 1798 der Französischen Republik beigetreten war, blieb danach eine enge Verbindung zur Schweiz erhalten, war die Stadt doch davor als unabhängige Republik ein zugewandter Ort der Schweizer Eidgenossenschaft gewesen. Von Heilmann selbst sind keine autobiographischen Aussagen erhalten und wohl auch nicht verfasst worden, durchaus nicht ungewöhnlich für einen Techniker von seinem Format. Schnetzer beschreibt Heilmanns rastlosen Drang: „Josué Heilmann sei in seinem erfinderischen Drang zu rastlos von der einen Erfindung zur nächsten übergegangen und habe es nicht selten unterlassen, jeweils technisch und zur praktischen Nutzung ausgereifte Ergebnisse vorzulegen“ (S. 23).

Die Autoren Heino Strobel, ein Werkstoffingenieur aus dem deutschen Vogtland und Patrick Schnetzer, ein Germanist aus dem französisch geprägten schweizerischen Freiburg (Fribourg) im Uechtland haben sich intensiv mit der Geschichte der Maschinenstickerei beschäftigt und dabei zahlreiche Details zur Produktgeschichte der ersten Handstickmaschinen und ihrer Kunden in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien zusammengetragen. Am Anfang steht das in Frankreich erstellte Patent von Josué Heilmann, das er 1829 für die Konstruktion der ersten Handstickmaschine erhielt, die ca. 15 Handstickerinnen ersetzen konnte. Erster Hersteller der Handstickmaschinen war die Firma André Koechlin & Cie in Mulhouse.

Im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht die Darstellung der Entwicklung des maschinellen Stickens von Heino Strobel (S. 11-20). Sticken ist eine Technik zur Verzierung von Trägermaterialien, seien dies Textilien, Leder, Pappe oder Papier. Schon im 18. Jahrhundert wurden zur Erleichterung der menschlichen Arbeitskraft und zur Erhöhung der Produktivität erste Hilfsmittel zur Mechanisierung erfunden, für den sog. Plattenstich und andere Sticharten wurde 1828 von Josué Heilmann in Mulhouse die erste Stickmaschine entwickelt. Es verwundert, dass die Stickmaschine ausgerechnet in Mulhouse erfunden wurde, standen dort doch Spinnerei, Weberei, Textildruck und die Herstellung von Maschinen für diesen Gewerbezweig im Vordergrund. Nach der Erfindung von Heilmann begann die Maschinenstickerei nicht in Mulhouse, sondern in der Ostschweiz (St. Gallen) und in Westsachsen (Plauen), in beiden Regionen hatte die Handstickerei in Heimarbeit bereits eine lange Tradition. Das Patent für die Handstickmaschine wurde am 17. Januar 1829 in Paris eingereicht und am 09. März 1829 unter dem Titel „Machine à broder au plumetis et au lancé“ (S. 13) für 15 Jahre erteilt. Im Buch finden sich Abbildungen der Heilmannschen Stickmaschine, der Kopf der französischen Patenturkunde, eine Beschreibung des Funktionsprinzips und Patentanträge in Österreich, Grossbritannien und Irland, Preussen und Sachsen. Für die achte Industrieausstellung 1834 in Paris legte die Firma André Koechlin & Cie eine von Heilmann deutlich verbesserte Version dieser Stickmaschine vor, wofür Heilmann mit der Verleihung des Kreuzes der Ehrenlegion und einer Silbermedaille geehrt wurde.

Schnetzer hat für diese Veröffentlichung biographische Daten von Josué Heilmann (S 21-24) zusammengestellt. Danach sollte Heilmann anfangs Industriekaufmann werden, aber er entwickelte sich nach einem Studienaufenthalt in Paris zu einem bedeutenden Erfinder technischer Maschinen für die Textilindustrie. Heilmann beginnt mit der Konstruktion einer von einem Windrad betriebenen Grundwasserpumpe, danach geht es weiter mit Erfindungen zur Mechanisierung der elsässischen Textilindustrie, die sich in diesen Jahren zunehmend von individuellen Handwebereien hin zu industriellen Grosswebereien entwickelt. Mit seiner Heirat 1820 mit Eugénie Köchlin, der Tochter des Mühlhausener Stadtpräsidenten, tritt Heilmann in den Kreis der industriellen und politischen Elite der Stadt ein und gehört zu den Gründern der „Société industrielle de Mulhouse“. Er wird zum Erfinder zahlreicher maschineller Lösungen bei der Vor- und Nachbereitung des Spinnvorgangs, sowie bei der Entwicklung von Kämm- und Vorspinnmaschinen.

Schnetzer beschreibt sodann ausführlich die Entwicklung der Mulhouser Firma André Koechlin & Cie (S. 25-42). Die Familie Koechlin ist in Mulhouse eine massgebliche Industriellenfamilie in einer Zeit, in der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Region um Mulhouse zu einem Zentrum der Textilindustrie mit über 30.000 Webstühlen in über 40 mechanischen Spinnereien entwickelt. In der Folge entstehen parallel Metall- und Maschinenbaufirmen, die Maschinen für die Textilindustrie herstellen, wobei anfangs wesentliche Bauteile aus Manchester und Liverpool importiert werden: Dampfmaschinen, Heizkessel, Gebläse und Werkzeuge. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Mulhouse geradezu zu einem „Manchester française“, wobei zahlreiche Engländer als Vorarbeiter tätig sind. Die Produktion der Heilmannschen Stickmaschine ist dabei nur ein Nebenprodukt, denn das Elsass selbst ist kein Produzent von Stickereien. Die Firma André Koechlin & Cie  wird zum führenden Hersteller von Webstühlen und Maschinen für die Stoffdruckerei, wobei die Kämmmaschine von Heilmann mit ihrem Patent von 1845 wesentlich zu diesem Erfolg beiträgt. In den späten 1830er Jahren beginnt André Koechlin in Mulhouse zusätzlich mit dem Bau von Dampfmaschinen und Lokomotiven. Es ist hier nicht der Ort, um die Veränderungen der Firmengeschichte von der AKC (André Koechlin & Cie) nachzuzeichnen, jedenfalls wird die Firma in den Folgejahren zu einem bedeutenden Lokomotivbauer Frankreichs.

Kommen wir auf Josué Heilmann zurück. Leider gibt es von ihm keine schriftlichen Zeugnisse, seine Hinterlassenschaft sind die von ihm konstruierten Maschinen für die Textilindustrie. Einen Hinweis auf seine politische und soziale Einstellung gibt der Vorname „Jean Jacques“ seines Sohnes, diese Übernahme von Jean Jacques Rousseau ist ebenso wie bei Pestalozzi, der seinem Sohn ebenfalls den Vornamen Jean Jacques gab, durchaus Programm. Heilmanns Sohn Jean Jacques (1822-1859) lebt zuletzt in dem Thermalort Pau am Fuss der französischen Pyrenäen und wurde bekannt durch seinen Beitrag zu technischen und künstlerischen Entwicklungen in der Frühzeit der Fotografie. Heilmanns Enkel (1853-1922), ebenfalls mit dem Vornamen Jean Jacques, ist ein bedeutender Erfinder und Konstrukteur von Lokomotiven und wird ebenso wie sein Grossvater 1884 in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Schriftliche Spuren von Heilmann finden sich in den „Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse“, so hat er im Juni 1827 u.a. über das Problem der Kinderarbeitszeit  und die Verkürzung der Arbeitszeit in den Spinnereien referiert und im Oktober 1834 stehen ebenfalls pädagogische Themen im Vordergrund seines Berichts, so beschreibt Schnetzer Heilmanns Vorstellungen: „Die Lebensbedingungen der Kinder und jungen Arbeiter in den Fabriken: Verbesserungen ihres körperlichen und moralischen Zustandes durch eine Kürzung der Arbeitszeit und durch die Plicht zum Schulbesuch“ (S. 24).

Diese äusserst informative und mit zahlreichen Abbildungen versehene Veröffentlichung zur Geschichte der Handstickmaschine ist als Privatdruck nur in einer geringen Auflage von 100 Exemplaren erschienen. Das ist einmal dem vermuteten geringen Interesse an diesem speziellen Thema und einmal dem nur begrenzt verfügbaren Stickmuster Anmerkung, das dieser Veröffentlichung beigefügt ist, geschuldet. Es wäre für diese interessante Veröffentlichung aber eine grössere Verbreitung zu wünschen, man sollte auf sie zumindest in grösseren wissenschaftlichen Bibliotheken zugreifen können.

(Gerhard Kuhlemann)