Schönebaum, Herbert:

Bd. 1: Der junge Pestalozzi. 1746-1782. Leipzig 1927, 234 S. 
Bd. 2: Pestalozzi. Kampf und Klärung. 1782-1797 Erfurt 1931, 248 S.
Bd. 3: Pestalozzi. Kennen, Können, Wollen. 1797-1809. Langensalza 1937, XII, 533 S.
Bd. 4: Pestalozzi. Ernte und Ausklang. 1810-1827. Berlin u. Leipzig 1942, XVI, 554 S.

Die vierbändige Pestalozzi-Biographie von Herbert Schönebaum (1888-1967) ist eine wissenschaftlich basierte Biographie über Pestalozzi, die dessen Leben eindrucksvoll herausarbeitet. Der Autor Schönebaum ist an der Herausgabe einzelner Bände der 31bändigen wissenschaftlichen Gesamtausgabe von Pestalozzis Werken (PSW 1-29) Anmerkung beteiligt, er ist der alleinige Bearbeiter von PSW 8 (1927) „Ein Schweizer-Blatt“ und hat zusammen mit anderen Autoren die Bände PSW 9 (1930), PSW 10 (1931), PSW 12 (1938), PSW 13 (1932), PSW 14 (1952), PSW 16 (1935) und PSW 21 (1964) bearbeitet. Schönebaums Pestalozzi-Biographie erschien nicht in einer Gesamtedition, sondern mit unterschiedlichem Umfang in zeitlich ausgedehnter Erscheinungsweise in den Jahren 1927, 1931, 1937 und 1942, jeweils bei unterschiedlichen Verlagen. 
Biographische Angaben über den Autor sind schwer zu ermitteln, seine wissenschaftliche Arbeit fällt einmal in die Zeit des Nationalsozialismus und zuletzt war Schönebaum Professor für Geschichte an der Universität Leipzig in der DDR. In beiden Systemen macht er in seinen Veröffentlichungen keine Zugeständnisse an die herrschenden Systeme. So setzt er sich in seinem Vortrag auf der Gründungssitzung der Erziehungswissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des NSD-Dozentenbundes am 12. Januar 1940 mit dem Verhältnis von Pestalozzi und Niederer auseinander Anmerkung, ohne Bezug auf die aktuellen Ereignisse zu nehmen - der Zweite Weltkrieg hatte kurz zuvor mit der Besetzung Polens begonnen.

Bd. 1: Der junge Pestalozzi

Im ersten Band seiner Pestalozzi-Biographie behandelt Schönebaum Pestalozzis Leben bis ins Jahr 1782. Im Vorwort verweist er darauf, dass er die Druckfahnen des ersten Bandes der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Sämtlichen Werken (PSW 1) und als Bearbeiter von PSW 8 weitere Dokumente kenne, um den jungen Pestalozzi zum Gegenstand dieser Veröffentlichung zu machen. Schönebaum wendet sich ausdrücklich gegen Delekats Veröffentlichung Anmerkung, die wie zahlreiche Publikationen zur Säkularfeier 1927 nur auf einer „brüchigen Grundlage“ beruhten (S. III). 

Im ersten Kapitel „Das Erbe“ (S. 1-20) geht Schönebaum davon aus, dass Pestalozzi „seiner generellen Veranlagung nach nicht Vollblutzürcher“ gewesen sei, was ihm das Verlassen seiner Vaterstadt erleichtert habe (S. 3). Bei den Aufenthalten in Höngg bei seinem Grossvater Andreas Pestalozzi habe sich „das Kernstück Pestalozzischer Lebensarbeit“ herausgeschält, dem armen Volk weniger durch Schul- als durch Familienerziehung aufzuhelfen (S. 4). Auch das schwere Los der früh verwitweten Mutter mit drei kleinen Kindern, drei weitere waren früh verstorben, habe Pestalozzi stark geprägt. Weiterhin wird das Verhältnis zur Familie Schulthess, so die strikte Ablehnung der Verbindung Pestalozzis mit Anna durch die Mutter und zugleich das gute Verhältnis zu Annas fünf Brüdern hervorgehoben. 
Angaben zu Pestalozzis frühester Kindheit und Jugend sind vor allem aus Äusserungen 70 Jahre später aus Pestalozzis Werk „Schwanengesang“ zu gewinnen. Danach habe Pestalozzi oft gekränkelt, wenige Einzelheiten finden sich darüber hinaus in den Briefen an Iselin und in den Brautbriefen an Anna, es haben sich „die Wurzeln für die Verherrlichung der mütterlichen Erziehung in seiner Kinderstube“ (S. 13) gezeigt. Bereits in den Brautbriefen an Anna werde deutlich, „dass die Frauengestalten in Pestalozzis Schrifttum viel von Annas Zügen tragen“ (S. 20).
Im zweiten Kapitel „Das Streben“ (S. 21-55) schildert Schönebaum Pestalozzis Schulausbildung als Schüler der Lateinschule am Fraumünster, der Schola Carolina am Grossmünster und ab 1763 als Student am Collegium Carolinum, das er 1765 ohne Abschluss verlässt. Schönebaum hebt besonders den Einfluss von Johann Jakob Bodmer, Johann Jakob Breitinger und Johann Jakob Steinbrüchel auf Pestalozzi hervor und beschreibt ausführlich die Vorgeschichte der 1765 gegründeten Helvetischen Gesellschaft zur Gerwe. Unter dem Einfluss der Schriften Rousseaus und nach den Vorbildern aus der griechischen und römischen Geschichte habe sich bei Pestalozzi früh eine allgemeine Kulturkritik und in der Folge eine Kritik an den Zuständen in Zürich und der gesamten Eidgenossenschaft entwickelt. Mit dem Aufenthalt bei Tschiffeli in Kirchberg, will sich Pestalozzi jetzt mehr von der Wirklichkeit als von erträumten Idealen leiten lassen (vgl. S. 35). 

Im dritten Kapitel „Das Werk“ (S. 56-136) stellt Schönebaum die Gönner Pestalozzis vor: Johann Rudolf Tschiffeli, der Berner Chorschreiber und Landwirt in Kirchberg, auf dessen Mustergut Pestalozzi den Beruf des Landwirts erlernen wollte und die enge Verbindung zu Isaak Iselin, dem 18 Jahre älteren Basler Ratsschreiber, der Pestalozzis erste Schriften korrigierte und in seiner Zeitschrift „Ephemeriden“ veröffentlichte, wobei ein intensiver Briefwechsel der beiden überliefert ist. Detailliert geht Schönebaum auf den Erwerb von Land auf dem Birrfeld ein und kommt zu dem Schluss: „So hatte der Neuhof, das Gut Pestalozzis, den Todeskeim in sich, ehe überhaupt die wichtigsten Gebäude standen“ (S. 69). Nach den Misserfolgen im Landbau kam der Plan auf, Baumwollspinnerei und -weberei zum Hauptgewerbe zu machen, um mit gewerblicher Arbeit den Neuhof zu retten, wobei sich bei ihm der Gedanke verstärkte, seine Kraft für die Vereinfachung des Volksunterrichts und der häuslichen Bildung einzusetzen. Schönebaum stellt die frühen Werke Pestalozzis vor, es sind „Agis“ (1765), „Wünsche“ (1766), die Brautbriefe (1767-1769) und die Aufzeichnungen „Über die Erziehung seines Sohnes“ (1774), in letzteren zeige sich deutlich eine Hinwendung zu Erziehungsfragen. Danach kommt Schönebaum zu den Briefen an Tscharner, abgedruckt in den Ephemeriden 1777, zur Rede „Von der Freyheit meiner Vaterstatt“ (1779) und zu weiteren Fragmenten dieser Jahre. In den Ephemeriden erscheint 1780 die „Abendstunde eines Einsiedlers“ und danach erscheinen „Lienhard und Gertrud“ (1781) und „Christoph und Else“ (1782). Schönebaum urteilt etwas überzogen: „Pestalozzis literarisches Jugendwerk ist wahrlich umfangreich, und man muss einem solchen Mann, der bis zum Alter von 36 Jahren ein derartiges Werk vorlegte, zu den bedeutendsten Schriftstellern rechnen“ (S. 111). 

Im vierten Kapitel „Die Probleme“ (S.137-224) zeigt Schönebaum Pestalozzis Ringen um das Problem „Vergangenheit und Gegenwart“, das Pestalozzi auf die Verhältnisse in der Schweiz und besonders in Zürich überträgt. Den ökonomischen Problemkreis umschreibt Pestalozzi unter dem Stichwort „Aufwand“: Aufwand meint die Ausgaben, die Bedürfnisse befriedigen und Gewinn abwerfen. Es ist gut, wenn Aufwand und Kapital im rechten Verhältnis zueinanderstehen, es ist nicht gut, wenn der Aufwand „ausschweift“, d.h. auf Kosten anderer erfolgt (vgl. S.148-152). Schönebaum geht ebenfalls auf den Kampf der Aufklärung und ihren oft antikirchlichen Bestrebungen mit der kirchlichen Orthodoxie ein, auf die Auseinandersetzung mit dem Pietismus und der mystisch-sektiererischen Bewegung um Lavater. Für Pestalozzis Religiosität ist das Leben Jesu entscheidend und keine dogmatische Christuslehre: Gott ist der Vater und wir Menschen sind seine Kinder und untereinander Brüder und Schwestern. Aus seiner Kulturkritik führt ihn der Weg zur Pädagogik und zu erzieherischen Aufgaben. In diesem Zusammenhang setzt sich Schönebaum mit Pestalozzis Vorstellung einer Erziehung zur Armut und zur Arbeit auseinander. Die Armenanstalt auf dem Neuhof entwickelt sich zunehmend zu einem Erziehungsheim. Die Auseinandersetzung mit der „Individuallage“ führt zur Frage nach dem Wesen bzw. der Natur des Menschen, wobei pädagogisches Wirken immer auf das Hausglück des einfachen Menschen zielen muss. Schönebaum schliesst diesen Band mit einem überzeichneten Vergleich: „In vielen Dingen – namentlich wenn man an die Armenerziehung denkt – gleicht er dem grossen Heiligen des Mittelalters Franciscus. Pestalozzi war der Genius Zürichs und der Schweiz, die erhabenste Gestalt, die die Schweiz hervorgebracht hat“ (S. 227). In diesem Band werden viele Einzelheiten aus Pestalozzis Leben behandelt, aber es findet keine eingehende Auseinandersetzung mit den frühen Werken Pestalozzis statt, vor allem nicht mit den beiden bedeutenden Werken: „Abendstunde eines Einsiedlers“ (1780) und dem ersten Band von „Lienhard und Gertrud“ (1781).
 

Bd. 2: Pestalozzi. Kampf und Klärung

Der zweite Band unterscheidet sich positiv vom ersten: Äusserlich ist er in einer attraktiven Buchform erschienen und inhaltlich überzeugt eine stringentere Gliederung. Im ersten Kapitel „Pestalozzi, sein Haus, seine Gönner, Freunde und Jünger“ (S. 9-85) geht Schönebaum regional vor, beginnt mit Pestalozzis Einsamkeit und Resignation auf dem Neuhof in den Jahren 1782-1787 und gibt Einblicke in die Personen rund um den Neuhof: Über seine Frau Anna, seinen Sohn Jakob, die Haushälterin Elisabeth Näf, den Schwiegervater Johann Jakob Schulthess, die Geschwister von Anna, seinen Vetter Johann Hotze in Richterswil, den Schlossherrn Albrecht Nikolaus Effinger auf Wildegg, den Wildegger Fabrikherrn Christian Friedrich Laué und die Gräfin Franziska Romana von Hallwyl. In Zürich ist es das zwiespältige Verhältnis zu Johann Kaspar Lavater, das eingehend behandelt wird (S. 34-41). Lavaters Gottesbegriff und dessen schwärmerische Frömmigkeit sind Pestalozzi zwar fremd, aber er schätzte Lavaters Physiognomik. Anmerkung Dann beschreibt Schönebaum weitere Personen, mit denen Pestalozzi in diesen Jahren in einem engeren Austausch stand: Johann Kaspar Schweizer, Johann Rudolf Schinz, Hans Konrad Escher, Felix Battier, Albrecht Rengger, Philipp Emanuel von Fellenberg und Karl Johann Christian von Zinzendorf. Der Roman „Lienhard und Gertrud“ von 1781, die Schrift „Über Gesetzgebung und Kindermord“ und die Denkschrift zur Veltiner Frage sollten u.a. eine Empfehlung für eine Anstellung in Österreich sein. Auf Pestalozzis Mitgliedschaft bei den Illuminaten geht Schönebaum ebenfalls ein und hebt von den ausländischen Freunden vor allem Georg Heinrich Ludwig Nicolovius (S. 74-77) und Johann Gottlieb Fichte (S. 78-82) hervor. 

Im zweiten Kapitel „Pestalozzis Schriften von 1782-1797“ (S. 86-143) gibt Schönebaum – anders als im ersten Band seiner Pestalozzi-Biographie – einen gesonderten Überblick über Pestalozzis Werke dieser Jahre, wobei er sich auf bereits erschienene Bände der wissenschaftlichen Gesamtausgabe stützen kann. Anmerkung Schönebaum beschreibt die Schwierigkeiten bei der Herausgabe von Pestalozzis Sämtlichen Werken mit dessen Arbeitsweise: „Manches gelingt auf Anhieb – und das ist das Beste. Anderes wieder wandert über Entwurf, Korrektur, Abschrift Jakobs und Annas zu letzter Gestaltung, wieder anderes wird begonnen und gelingt nicht, bleibt liegen und erreicht erst wieder das Tageslicht bei Sichtung des Nachlasses“ (S. 86 f) und geht chronologisch auf einzelne Werke dieser Jahre ein: „Lienhard und Gertrud“, „Kinderlehre der Wohnstube“, „Christoph und Else“, wobei er schwerpunktmässig der zeitgenössischen Resonanz von „Lienhard und Gertrud“ nachgeht. Danach folgen kriminalsoziologische Werke, zuerst „Über Gesetzgebung und Kindermord“, die Denkschriften „Memorial ad ‚Über Verbrechen und Straffen‘“ und das „Memoire über Eigentum und Verbrechen“. (S. 98-101). Pestalozzi will eigenständig seine Gedanken zu Freiheit und sittlichen Begriffen niederlegen: „Über die Entstehung der sittlichen Begriffe in der Entwicklung der Menschheit“ (1786/87) und in weiteren Fragmenten. Ausserdem setzt er sich in diesen Jahren intensiv mit der Französischen Revolution auseinander, dem Kampf gegen Unterdrückung und Menschenverachtung, so in den Schriften zur Stäfner Volksbewegung, im „Memorial über die Freyheit des Handels für die Landschaft Zürich“ und in „Ja oder Nein“. Daneben stehen die beiden literarisch wertvollsten Arbeiten Pestalozzis: „Figuren zu meinem ABC Buch oder zu den Anfangsgründen meines Denkens“ von 1797 und im gleichen Jahr „Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“. Letzteres bezeichnet Schönebaum als „die Krönung im Lebenswerk Pestalozzis“ (S. 131), dabei geht er stärker auf die zeitgenössische Resonanz dieser Werke ein und weniger auf eine inhaltliche Auseinandersetzung.

Im dritten Kapitel „Pestalozzis Gedanken: Idee und Wirklichkeit“ (S. 144-231) kennzeichnet Schönebaum diese Zeit gegenüber der Jugendzeit als Zeit einer „seltsamen auffallenden Gärung“ (S. 144) und geht dabei der religiösen Entwicklung Pestalozzis nach. Es war vor allem die Arbeit an der „Abendstunde“ und den vier Bänden von „Lienhard und Gertrud“, um Idee und Wirklichkeit zu trennen, um die Auseinandersetzung „zwischen den beiden grossen Komplexen Gott und Mensch auf der einen und Mensch und Welt auf der andern Seite“ (S. 144): Gott hat dem Menschen nicht materielle Güter geschenkt, sondern Kräfte und ein Herz zur Liebe an den Nächsten. Die christliche Religion ist für Pestalozzi eine Religion der Tat, wobei er keine Konfessionen kennt. Über seine Stellung zur Religion gibt der Brief vom 1. Oktober 1793 an Georg Heinrich Ludwig Nicolovius Auskunft, den Schönebaum in voller Länge zitiert und auslegt (S. 156-159). Mit den „Nachforschungen“ kommt Pestalozzis Entwicklung zum Abschluss, er verbindet darin die religiösen Probleme mit sittlichen Fragen (vgl. S. 162). 

In einem zweiten Teil geht Schönebaum von der Entwicklung des Freiheitsbegriffs bei Pestalozzi aus und setzt diesen in Verbindung mit der Entwicklung der sittlichen Begriffe. Diese Entwicklung führt bei ihm zum Gedankenkreis des Politischen: Im gesellschaftlichen Zustand ist das wesentliche Moment des Handelns die Erkenntnis von Recht und Unrecht (vgl. S. 190). Der Naturzustand wird zur Fiktion, es kommt Ende der 90er Jahre im Zusammenhang mit den „Nachforschungen“ zu Pestalozzis Auseinandersetzung mit den drei Zuständen, dem tierischen, natürlichen und gesellschaftlichen Zustand. In dieser Auseinandersetzung kommt Pestalozzi zum sittlichen Zustand und mit der Sittlichkeit entwickelt sich bei ihm eine teilweise Rechtfertigung der Französischen Revolution, ebenso in den Gesprächen mit Fichte. Zunehmend verlagert Pestalozzi den Akzent seines Denkens und Schreibens auf die soziale Seite, deutlich in der zweiten Fassung von „Lienhard und Gertrud“ der Jahre 1790-1792. Die Harmonie in der Familie und das „gutgeleitete Haus“ (S. 198) werden für ihn neben seiner Vorstellung der Armenerziehung zu einem zentralen Motiv. Die Familie, oft „Wohnstube“ genannt, wird bei ihm „als erster Endzweck jeder bürgerlichen Verbindung“ (S. 199) gesehen, wobei er die Stellung der Frau und Mutter besonders hervorhebt. Vom Zustand der Familie geht eine starke Wirkung auf das gesellschaftliche Leben aus, Pestalozzis Stellungnahme zur Französischen Revolution ist von diesen Gedanken geprägt. Über die Erörterung politisch-sozialer Fragen im Zusammenhang mit der Französischen Revolution kommt er zu seinen Aussagen über Recht und Gesetz und zu Fragen der Gesetzgebung. Hatte Pestalozzi in den frühen 90er Jahren noch geglaubt, „durch besseres Gesetz, die Menschheit heilen zu können“ (S. 210), so rückt jetzt der Begriff des Staates und der Staatskunst in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, hinzu kommt der Gedanke, dass die Ordnung in der Welt nur durch die Sicherheit der Wirtschaft möglich ist. Hier werden für Pestalozzi ökonomische Fragen wichtig: Feldbau (bzw. Landbau) und Industrie, Heimarbeit und Handwerk, u.a. entsteht das Werk „Aufruf zum Kartoffelbau“. Pestalozzi ist nicht einseitig auf Merkantilismus oder Physiokratismus Anmerkung festzulegen, wirtschaftsethische Fragen treten in den Mittelpunkt, auch Fragen der Berufsbildung und der beruflichen Anstrengung, Kraft und Übung. Pestalozzis Erziehungsvorstellung zielt eindeutig nicht auf die Bildung bzw. Erziehung der akademischen, der verwöhnten, der „bedienten“ Kinder und Jugendlichen, aufschlussreich ist in diesen Jahren die Korrespondenz mit dem Basler Hauslehrer Peter Petersen (vgl. S. 229 f). Der Schluss des Buchs endet mit einem Zitat Pestalozzis, worin sich ausdrückt, dass die Liebe zu Gott und der Welt am besten sei, die Kräfte der Menschen zu entfalten und zu stärken: „Die Liebe besteht nicht in Einbildungen und Worten, sondern in der Kraft der Menschen, die Last der Erden zu tragen, ihr Elend zu mindern, und ihren Jammer zu heben.“ (S. 231).
 

Bd. 3: Pestalozzi. Kennen, Können, Wollen

Anstelle eines Registers enthält auch dieser Band zur Orientierung allein ein ausführliches Inhaltsverzeichnis (S. VI-XII). Der erste Teil „Arbeit und Mühen“ (S. 1-145) beginnt mit Pestalozzis Aufenthalt in Stans und reicht bis zur Prüfung des Instituts durch die Tagsatzung und die Lenzburger Rede 1809. Schönebaum beginnt mit Pestalozzis persönlicher Entwicklung und schliesst dabei die familiären Verhältnisse mit ein. Pestalozzis Werke dieser Jahre werden zwar angeführt, allerdings nicht auf eine inhaltliche Darstellung oder Interpretation konzentriert, sondern mehr auf die Details ihrer Entstehung. So wird ausführlich über die Ausgestaltung des Zusammenlebens im Erziehungsinstitut in Yverdon berichtet, von der Organisation des Instituts und des Unterrichts bis hin zur Körperpflege und den Festen. Für Schönebaum steht fest, dass Pestalozzi zur Leitung des Instituts, das Ende 1809 ca. 240 Personen, Schüler, Lehrer und Eleven umfasste, wozu noch zahlreiches Dienstpersonal hinzukam, eindeutig nicht in der Lage gewesen war: „Es steht ausser allem Zweifel, dass Pestalozzi nie in der Lage gewesen wäre, dies nur annähernd zu bewältigen. Schon ein anderer als er hätte hier kapitulieren müssen“ (S.117). Die finanzielle Lage des Instituts war ökonomisch ohnehin desolat, da auf zweieinhalb zahlende ein nichtzahlender Schüler kam und der Jahrespreis von 24 Louis d’or Anmerkung die Kosten ohnehin nicht decken konnte. Pestalozzi liess sich von den Einnahmen blenden, ohne die Ausgaben zu bedenken. In der Darstellung Schönebaums war es vor allem der Erfahrung und dem Weitblick von Elias Mieg Anmerkung zu verdanken, dass in diesen Jahren die Kanzleiarbeiten und Geschäftsbücher des Instituts ordentlich geführt wurden (vgl. S. 117 f).  

Der zweite Teil „Hilfe und Erfolg“ (S. 147-412) steht dem Umfang nach im Mittelpunkt dieses Bandes, und er ist vor allem interessant, wenn man etwas über die Personen aus dem Umfeld Pestalozzis erfahren möchte. Es werden „Freunde und Gönner“, „Mitarbeiter, Seminaristen und Eleven“ und „Konkurrenten“ aufgelistet. Schönebaum beginnt mit der Feststellung: „Pestalozzis Lebensgestaltung ist ohne die Mitwirkung von Freunden und Gönnern nicht denkbar. Bei einer konstitutiven ‚Unbehelflichkeit‘, die geradezu zum Wesen seiner Person gehört und deren er sich selbst bewusst war, hat Pestalozzi immer nach Hilfe ausgeschaut“ (S. 149). Schönebaum beginnt mit der Person von Johann Kaspar Lavater (S. 149-153) und beschreibt danach Personen, die Pestalozzi politisch förderten: Philipp Albert Stapfer (1798-1800 helvetischer Minister für  Künste und Wissenschaften), Franz Bernhard Meyer von Schauensee (1798-1801 helvetischer Justizminister), Melchior Mohr (1800-1801 Nachfolger von Stapfer), Albrecht Rengger (1798-1803 helvetischer Innenminister), Johann Lukas Legrand (1798-1799 erster Leiter des Helvetischen Direktoriums), Frédéric César de Laharpe (1798-1800 Mitglied des Helvetischen Direktoriums) und Ludwig d’Affry (1803 von Napoleon ernannter erster Landammann der Schweiz). Besonders interessant ist in diesem Kapitel Schönebaums Darstellung des Wirkens der „Pestalozzianer“: Neben den bekannten Mitarbeitern in Burgdorf und Yverdon, Niederer, Schmid, Krüsi, Ramsauer u.a. werden zahlreiche weitere Personen genannt, aufgelistet in der Schweiz nach Kantonen (S. 294-336), in Deutschland nach einzelnen Ländern (S. 337-394) und unter „Pestalozzi und das Ausland“ (S. 395-412) sind Personen in den Ländern Frankreich, Amerika, Spanien, Italien, Baltikum und Russland, Dänemark, Schweden, Holland und Ungarn aufgeführt. 

Im dritten Teil „Denken und Gestalten“ (S. 413-512) geht Schönebaum auf Pestalozzis „Politisch-soziales Denken“ und sein „Anthropologisch-geschichtsphilosophisches Denken“ ein, kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Pestalozzi unabhängig von den Werken der zeitgenössischen Philosophie war und seine Gedanken in den „Nachforschungen“ weder der Philosophie von Kant, Fichte oder Schelling zuzuordnen sind. Sowohl Pestalozzis anthropologisch-geschichtsphilosophische Gedanken als auch seine Beschäftigung mit dem Menschen stehen dagegen in einem engen Zusammenhang mit der „Methode“ und den pädagogischen Werken der nachfolgenden Zeit. Pestalozzis politisch-soziales Denken zielt in den bewegten Jahren nach 1798 (Stäfner Unruhen und Ausrufung der Helvetischen Republik) zur „Umstellung des ganzen Menschen hin zu seiner Veredlung“ (S. 421) und Schönebaum bezeichnet Pestalozzi als den klassischen Typ eines Sozialpolitikers (S. 423). In den Folgejahren kommt Pestalozzi zu seinen Gedanken über Verfassung und Verwaltung eines Staats mit dem Endziel einer Verbesserung und des Fortschritts. In der helvetischen Umwälzung von 1798 geht es um Einheitsstaat oder Föderalstaat, wobei Pestalozzi als Unitarier nicht auf eine radikale Lösung setzt. Die Frage nach der Stellung zu Frankreich rückt in den Mittelpunkt und in der Schweiz wird für Pestalozzi die Frage des Zehnten zentral sowie die Frage von Eigentum und Arbeit. Pestalozzis anthropologisch-geschichtsphilosophisches Denken kreist hauptsächlich um das Thema der Wahrheit und der Veredlung des Menschen: „Der Mensch ist dann veredelt, wenn er weise ist, das Gute zu kennen, Kraft besitzt das Gute zu können, sittlich ist, das Gute zu wollen“ (S. 442). Pestalozzis Gedanken zur Anthropologie gehen nahtlos in sein Denken zur Methode ein. Die Methode ist das Bemühen, „den Menschen sich selbsten und sich selbst finden zu machen“ (S. 452, Schönebaum zitiert aus einem Brief an Stapfer). Im einzelnen geht der Autor von Pestalozzis Erfahrungen in Stans aus und macht Aussagen zur sittlichen, physischen und intellektuellen Bildung. Mit der Arbeit in Burgdorf kommt Pestalozzi zur Anschauung (von der sinnlichen Anschauung zu deutlichen Begriffen) und findet über die Sprache zu den „drei Urmitteln des Denkens“, zu Sprache, Form und Zahl (S. 461). Die wahre Elementarbildung müsse immer von der Mutter ausgehen, in der Schule komme dann der Unterricht in den Realien hinzu. 

Der Band endet mit dem Kapitel „Religion“ (S. 500-512): Pestalozzi einen irreligiösen oder gar atheistischen Menschen zu nennen, konnte nur von der orthodoxen Geistlichkeit kommen, deren Gottesgläubigkeit sich ausschliesslich im Besuch der Gottesdienste erschöpfte. „Religion ist kein ursprüngliches Element unserer Seele, sie entsteht unmittelbar durch Übertragung der Gefühle des Kindes, das dieses für die Mutter hegt, auf Gott. Liebe, Vertrauen, Dank und Gehorsam müssen sozusagen irdisch gepflegt werden und das Gewissen erstehen machen, ehe diese Gefühle Gott zugewandt und damit religiös werden“ (S. 505). Das Institut in Yverdon pflegte täglich Morgen- und Abendandachten und eine grosse Andacht am Wochenende. Von den Lehrern her waren diese eher an der reformierten Konfession ausgerichtet, deutlich schwieriger gestaltete sich der katholische Religionsunterricht. Pestalozzi hätte als Protestant wohl gerne einen simultanen christlichen Religionsunterricht eingerichtet, denn aus der Bergpredigt und dem Johannes-Evangelium ergeben sich für ihn die Erregung zu den christlichen Pflichten und die Erregung zu jedwedem christlichen Glauben. Die Verbindung der Elementarbildung mit dem Christentum besteht darin, dass beide die Einheit und Ganzheit des Menschen in seiner Entwicklung suchen (vgl. S. 506 ff). Recht unvermittelt stellt Schönebaum an den Schluss das Wort Lavaters: „Einziger, oft Misskandter, doch hoch bewundert von vielen, schneller Versucher dessen, was vor Dir niemand versuchte, schenke Gelingen Dir Gott, und kröne Dein Alter mit Ruhe!“ (S. 512). 

Im Vorspann zu seinen Anmerkungen und Quellenbelegen (S. 513-533) führt Schönebaum - wie in den anderen Bänden - die Quellen seiner Darstellung an: Es sind die bereits erschienenen oder in Bearbeitung befindlichen Bände von PSW, die Ausgabe Pestalozzis sämtlicher Werke von Seyffarth 1899-1902, Israels Pestalozzi-Bibliographie von 1903-1904, Morfs Pestalozzi-Biographie von 1868-1889, die Pestalozzi-Blätter 1880 ff, die Pestalozzi-Studien, hrsg. von Seyffarth 1896 ff, die Pestalozzi-Studien. Neue Folge, 1927 ff, die Zeitschrift Pestalozzianum und neben einigen anderen Werken vor allem die Nutzung des Pestalozzi-Nachlasses in der Zentralbibliothek Zürich.

Bd. 4 Pestalozzi. Ernte und Ausklang. 1810-1827

Dieser Band ist stark von Personenbeschreibungen aus Pestalozzis Umfeld Pestalozzis geprägt, zur Orientierung dient allein das elfseitige Inhaltsverzeichnis (S. VI-XVI). Im Vorwort schreibt Schönebaum, dass es eine „wehmütige Angelegenheit“ sei, „einem hehren Geist dorthin zu folgen, wo es dunkel um ihn wird und wo die Schatten des Alters lang und länger werden. Schmal ist die Ernte und bitter der Ausklang“ (S. III). In drei Teilen nähert sich Schönebaum dem Thema des älteren bzw. alten Pestalozzi: „Kampf um Lavaters Wunsch: Schenke Gelingen Dir Gott und kröne Dein Alter mit Ruhe!“ (S. 1-106), „Freude und Enttäuschung“ (S. 107-472) und „Von Elementar- und Menschenbildung zu Volkskultur und Nationalbildung“ (S. 473-530).

Im ersten Teil konzentriert sich Schönebaum auf die biographischen Details von Pestalozzi und seiner Familie und auf die Werke der Jahre 1810-1827. Die auf Pestalozzi bezogenen Abläufe beginnen mit den Sorgen um den Tagsatzungsbericht, dem Weggang der Lehrer Schmid, Fröbel und Muralt 1810 und enden 1926/27 mit den zusammen mit Schmid getroffenen Abmachungen zur Subskription der Cotta-Ausgabe, Pestalozzis 81. Geburtstag am 12. Januar 1827 und seinem Tod am 17. Februar 1827. Es werden Höhen und Tiefen in diesen Jahren beschrieben, Pestalozzi schwankt zwischen Vitalität und Schaffensdrang auf der einen und Unberechenbarkeit, Träumerei und Gemütskrankheit auf der anderen Seite. Im ganzen urteilt der Autor zu den Werken dieser Jahre: „Pestalozzis schriftstellerische Tätigkeit seit 1810 hat gegenüber früher erheblich nachgelassen, aber wiederum nicht so, dass die entstehenden Arbeiten unbeachtlich wären“ (S.43). Ebenfalls werden Anna Pestalozzi und der Enkel Gottlieb, ein Kind „mit nicht allzu grossen Anlagen“ (S.33) beschrieben, auch wenn Pestalozzi glaubte, in ihm seinen geistigen Erben gefunden zu haben (vgl. S. 34).  Danach stellt Schönebaum das schriftstellerische Alterswerk vor, es sind vor allem die Reden Pestalozzis, die Anstaltsschriften, die sozialpolitischen und politischen Werke und die Bemühungen um die Gesamtausgabe seiner Werke, der 15bändigen Cotta-Ausgabe, wobei er auch auf die Veränderungen seiner Werke für diese Gesamtausgabe eingeht. Allerdings vermisst man die Einbeziehung von Pestalozzis bekanntestem Alterswerk „Schwanengesang“ von 1826, dagegen wird die Auseinandersetzung und der Kampf um das Institut in Yverdon eindrucksvoll geschildert. Schönebaum kommt zu dem Schluss: „Sieht man recht zu, so gewahrt man bei ihm – vor mehr als drei Generationen – vor allem noch das Motiv der Rettung geistiger Potenz aus niederen Schichten“ (S. 106). 

Im Mittelpunkt dieses Bandes steht der zweite Teil: „Freude und Enttäuschung“ (S. 108-472). Dieses umfangreiche Kapitel bietet keine Auseinandersetzung mit den Werken Pestalozzis, sondern ist eine umfangreiche Darstellung der Personen aus Pestalozzis Umfeld. Zuerst werden unter „Freunde und Gönner“ (S. 108-151) 25 Personen in ihrem Wirken für Pestalozzi angeführt, die Liste beginnt mit Stapfer und Laharpe und reicht über Jullien und Nicolovius bis hin zu Muralt und Tobler. Unter „Mitarbeiter und Eleven“ (S. 152-300) werden Johannes Niederer, Hermann Krüsi, Joseph Schmid sehr ausführlich behandelt, und es folgen kürzere Abhandlungen zu über 100 Personen aus Pestalozzis direktem Umfeld als Mitarbeiter oder sog. Eleven. Die Reihe reicht von den bekannteren Personen Ramsauer, Blochmann, Schacht, Ackermann, Nabholz bis zu Henning, Dreist, Kawerau und Gruner. Innerhalb dieses Kapitels beschreibt Schönebaum auf knapp zwei Seiten Pestalozzis Stellung zum Judentum, wenn er sagt: „Gegenwärtige Rassegesichtspunkte in eine solche Diskussion hineinzutragen, ist bei Pestalozzi wie bei jedem Menschen seiner Zeit verfehlt“ (S. 263), erstaunt diese Aussage, erschien dieser Band doch 1942 inmitten des nationalsozialistischen Judenterrors. Schönebaum nennt einige Juden im Umkreis von Pestalozzi und endet mit der Aussage, es sei zu erkennen, „dass Pestalozzi doch eine Auffassung von der Isoliertheit dieses Volkes hatte. Es liegt in seiner Betrachtungsrichtung, die Juden in ihrem Volke isoliert zu halten“ (S. 265), aber Schönebaum vermeidet darüber hinaus jeden Antisemitismus. Anmerkung Unter „Konkurrenten“ (S. 301-315) wird vor allem Philipp Emanuel von Fellenberg angeführt und unter „Feinde“ (S. 316-321) Karl Ludwig von Haller, Johann Jakob Hottinger, Johann Heinrich Bremi und Eduard Biber. In „Pestalozzi und die Schweiz“ (S. 322-349) werden, nach Kantonen gegliedert über 100 Personen aufgeführt, in „Pestalozzis Werk in Deutschland“ (S. 350-422) ebenso über 100 Personen aus Deutschland, untergliedert nach Ländern von Preussen mit Ostpreussen und Kurmark über Baden, Württemberg, Bayern, Hamburg bis hin zu Sachsen, wobei auch Elsass und Österreich einbezogen werden. Unter „Pestalozzi und das Ausland“ (S. 423-472) werden nochmals über 100 Personen genannt, die zur Verbreitung von Pestalozzis Gedanken und Werken in den Ländern Frankreich, Italien, Spanien, England, Irland und Schottland, Amerika, Holland, Dänemark, Schweden, Baltikum mit Russland, Polen, Ungarn und Siebenbürgen beigetragen haben.

Im dritten Teil „Von Elementar- und Menschenbildung zu Volkskultur und Nationalbildung“ (S.473-530) thematisiert Schönebaum „Das Wesen des Menschen“, „Probleme naturgemässer Erziehung“, „Die Verwirklichung der erzieherischen und politischen Gedanken“ und „Das Christentum des alten Pestalozzi“. Schönebaum bezieht bei Pestalozzi das Wesen des Menschen sehr stark auf die Kraft der Mutter und deren Wirken im häuslichen Leben und entwickelt daraus seine Idee der Elementarbildung. Elementarbildung bedeutet die Naturgemässheit in der Entfaltung der Anlagen und der Kräfte des Menschen, Ausgangspunkt sind hierbei die Anschauung und die Übungsfelder, die Sprach-, Zahl- und Formenlehre. Die Kritik an Pestalozzis Institut in Yverdon fusst auf der Tatsache, dass gerade dort die Familie und das häusliche Leben, die „Wohnstube“ nicht vorhanden gewesen seien. Bei Pestalozzi steht das Individuum, vor allem das gebildete Individuum im Zentrum seines Denkens, er sieht aber auch, dass der Mensch nicht allein lebt, aber die kollektiven Verhältnisse können sich nur über eine Individualveredelung verbessern: „Volks- und Nationalkultur, die in ihrem Wesen nichts anderes ist als die Bildung aller Individuen im Volk zu allem Guten und Nötigen“ (S. 502, Schönebaum zitiert Pestalozzi). Erst die Individualbildung macht den Menschen zum Staatsbürger: „Lasst uns Menschen werden, damit wir wieder Bürger, damit wir wieder Staaten werden können“ (S. 503, Schönebaum zitiert Pestalozzi). Die Verwirklichung seiner erziehenden und politischen Gedanken geht von den vorhandenen Kräften im Individuum aus, die zum Wachsen drängen. Die Zielsetzung der Erziehung ist es, der Ausbildung dieser Kräfte Raum zu geben. Unterricht ist damit immer eine Form der Erziehung, wichtig ist der Grundsatz der Selbsttätigkeit, wobei die Naturgemässheit des Unterrichts immer im Mittelpunkt stehen muss. Schönebaum schliesst mit einem kurzen Beitrag zum Christentum des alten Pestalozzi (S. 526-530) und endet mit dem Satz; „Das Göttliche im Menschen, der Gegenstand des Glaubens Johann Heinrich Pestalozzis an Gott und Welt, war es wert, ein Leben im Streben nach Erziehung des Menschen selbstlos gelebt zu haben“ (S. 530). 

Kurzes Fazit

Das vierbändige Werk Schönebaums zeichnet sich durch eine eingehende Darstellung von Pestalozzis persönlicher Entwicklung aus, die Beweggründe und Motive für die Erschaffung seiner Werke offenlegt. Besonders beeindruckt Schönebaums Pestalozzi-Biographie durch die Darstellung der Personen aus Pestalozzis Umfeld, die ihn teils kritisiert oder sehr viel häufiger seine Ideen in Europa verbreitet haben. Besonders die Bände drei und vier sind eine wahre Fundgrube für eine Vielzahl von Personen aus Pestalozzis Umfeld, die über ausführliche Inhaltsverzeichnisse nachweisbar sind. Allerdings finden sich Personenangaben nicht nur an den im Inhaltsverzeichnis angegebenen Stellen, sondern deutlich schwerer auffindbar auch an anderen Orten des umfangreichen Werks. Beispiele hierfür sind u.a. Lavater, Mieg, Nicolovius und die engen Vertrauten Schmid und Niederer. Schönebaums Pestalozzi-Biographie fehlt ein Personenregister, aber unter seinen Voraussetzungen - mitten im Zweiten Weltkrieg und ohne die heutigen Möglichkeiten des computergestützten Arbeitens - konnte der Autor das nicht leisten. 
Schönebaums vierbändige Pestalozzi-Biographie mit ihren über 1.600 Seiten ist dagegen weniger geeignet, um sich mit Pestalozzis Werken auseinanderzusetzen. So finden sich aus Pestalozzis zentralen Werken, „Nachforschungen“, „Lienhard und Gertrud“, „Stanser Brief“, „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ oder den beiden „Zehntenschriften“ zwar zahlreiche Zitate, aber man vermisst eine zusammenhängende Darstellung oder Interpretation. Von diesen Werken sind für Interessierte zahlreiche Separatdrucke mit teilweise interpretierenden bzw. kommentierenden Darstellungen verfügbar. 

Besonders nützlich wäre ein Sachregister, um beispielsweise die Ausführungen zum Thema „Aufwand“ zu erschliessen. Ein solches Sachregister ist aber weitaus schwieriger als ein Personenregister zu erstellen. Beispielsweise ist zur wissenschaftlichen Gesamtausgabe von Pestalozzis Werken und Briefen ein Registerband Anmerkung mit einem Verzeichnis der Personennamen, der geographischen Namen, der Briefempfänger, der Subskribenten der Cotta-Ausgabe und der fiktiven Namen erstellt worden, aber ein ursprünglich geplanter zweiter Registerband mit einem Sach- bzw. Stichwortregister konnte nicht realisiert werden.

Für den am Thema „Pestalozzi“ interessierten Leser ist die umfangreiche vierbändige Pestalozzi-Biographie von Herbert Schönebaum eher nicht geeignet, zumal sie keine Auseinandersetzung mit den Werken Pestalozzis leistet und sie als Ganzes nur über wenige wissenschaftliche Bibliotheken erreichbar ist. Dagegen bietet Schönebaums Werk für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Pestalozzi wertvolle Impulse: Zum einen sind es biographische Details aus Pestalozzis Leben, die in Verbindung mit Personen aus seinem Umfeld stehen, sein Leben und die Entstehung seiner Werke beeinflusst haben und zum andern die Ausführungen zu einer Vielzahl von Personen, die entweder als Kritiker, Förderer, Mitarbeiter oder Besucher in Pestalozzis Erziehungsinstitut in Burgdorf oder Yverdon in Erscheinung traten. Diese Zusammenstellung der Personen besonders in den Bänden drei und vier macht Schönebaums Pestalozzi-Biographie für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Pestalozzi und seinem Gesamtwerk bis heute zu einem äusserst nützlichen Arbeitsinstrument.

(Gerhard Kuhlemann)